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Eine gebildete Frau und eine ungebildete Magd

Schon ins Bett wurde Menniken am andern ein Brief gebracht:

»Ich muß Dich heute wiedersehen. Was soll ich anfangen, den langen langweiligen endlosen Tag, wenn ich Dich heute nicht wiedersehe.

Sandra v. d. Daele.«

Die duftende Karte lag neben ihm. Er grübelte; und je mehr er grübelte, um so rätselhafter wurde ihm ihre Art, und indem er nach ihrer Seele forschte, blieb sein Geist an ihrem betörenden Körper haften, und er fiel in Träumen. Aber das war nicht gut. Darum stieg er schnell aus dem Bett und hinunter in das große gewölbte Bad, durch das ein Arm des Wildbaches hindurchgeleitet war. Er wußte nicht, sollte er zu ihr gehen oder nicht? – – Als er aber aus dem frischen Quellwasser herausstieg, wußte er, daß er nicht gehen würde.

Sondern er bestieg den Zug und fuhr in die benachbarten rheinischen Städte, Leute, Künstler zu finden, die seine Kunstware modellieren sollten. Er suchte in den Werkstätten der Bildhauer und warb zwei Künstler an.

Als er nach Hause kam, fand er sie selbst vor, Sandra, im Haine bei den Quellen spazierend und ihn erwartend. Seinen erstaunten Blick beachtete sie nicht, tat, als ob nichts vorgefallen, freute sich über das Ergebnis seiner Reise und frug beiläufig, ob er nicht auch zu heiraten gedenke. In der Tat, daran hatte er gedacht! Draußen hatte er sich vor längerer Zeit verlobt mit einer Dame aus dem Reich und gab auch, nach dem Zeitpunkte der Verwirklichung seiner Absicht gefragt, zu: Sobald ein Versuch, die heimische Kunstweise neu zu beleben, einigermaßen geglückt sei. Das Dazwischentreten einer Frau, seiner frei erwählten Frau, auch nur dieses gedankliche Dazwischentreten, stärkte, ja feite ihn gegen die Reize dieser Frau, die ihn überfallen hatte ohne sich doch ihm zu ergeben.

Jetzt konnte er es wieder wagen. Jetzt war er gegen die Liebe durch die Liebe gefeit. Also ging er am nächsten Tage zu ihr. Sie begrüßte ihn mit Ruhe. »Jetzt bringe ich Sie zu meiner Mutter«, sagte sie. Der Garten war mit seinen Schlangenpfaden, die ihn mit der Weitschweifigkeit von Landstraßen durchmaßen, mit der Grotte, die eine Felsenwildnis, den sechs Tännchen, die einen Nadelbusch, dem Teichlein, das einen See, dem angeschütteten Hügelchen, das einen Berg darzustellen hatte, sozusagen eine stenographische Landschaft.

Frau van den Daele wanderte darin umher, übervoll im Körper und von sorgfältiger Modischkeit in der Kleidung. Das Volk sah einen dicken Kreisel in ihr und nannte sie »die Knauel«, und wegen ihrer feudalen Neigungen gar »Frau von Knauel«. Sie sprach mit den Blumen, bedauerte den armen Kappus, den die Raupen zerfraßen, und ermahnte den Kohl, nur ja recht fleißig zu wachsen, weil sie ihn gern äße. Unter dem Hutrande her sah sie die beiden kommen, doch ging sie weiter umher, sprach, ermunterte und drohte.

Da staunte Frau van den Daele auf: »Ah! Ah! Herr Menniken, von Universitäten daheim, ein neues Zeitalter zu begründen! Sich zu bewerben um den Ruhmestitel ›Vater des Vaterlandes‹! Mich kennen Sie wohl nicht wieder? Natürlich, so eine unbedeutende Frau! Ich freue mich aber sehr. Nun haben wir endlich mal einen gebildeten Umgang unter diesen Mistbauern. Also recht oft, Herr Menniken. Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht früher gesehen, ich war sehr beschäftigt. Mit dem Kohl geht es gut, aber der arme Kappus ist so zerfressen von den Raupen. Also, ich freue mich sehr. Gehen wir hinein und machen wir es uns gemütlich. Der Wein erfreut des Menschen Herz. Wir holen mal unsere schönen Kannen hervor und feiern ein historisches Trinkfest. Was sagen Sie zu unserm Schlößchen »Stern«, Herr Menniken? Sie sind ja als Kunsthistoriker Fachmann. Sie wissen, Muster Caprarola bei Rom, nach dem Vignola, im Grundriß ein fünfstrahliger Stern. Sie haben es noch nicht gesehen, es steht erst zwei Jahre.« Menniken brachte sein erstes Wort an: Der »Stern« sei eine sehr originelle Idee.

»Ja, die Italiener! Die können bauen, voller Ideen!« Doch gestand sie, daß das flache italienische Dach bei Wasser und Schnee so durchlässig sei, daß man im Winter und Frühjahr das obere Stockwerk nicht bewohnen könne.

Nun saßen sie im innern runden Säulenhofe, von dem die fünf Ecken des Baues sternförmig ausstrahlten, unter Palmen und Gewächsen, und von oben leuchtete der Sommerhimmel herein. Frau van den Daele klagte, daß im barbarischen deutschen Winter für all den Regen und die Nässe, die in den Hof fielen, kaum ein Abfluß zu schaffen sei, daß die zementierten Säulen Risse bekämen und im Froste sprängen. Sie redete unaufhörlich, ohne Unterbrechung, von diesem und jenem, von oben und unten, von allerlei. Frau Sandra sprach kein Wort.

Sie tranken auf den vergangenen und zukünftigen Ruhm des Kannenbäckerlandes. Der Wein duftete unter den Gewächsen. Da kramte die gnädige Frau all ihre kleinen schimmernden Liebenswürdigkeiten aus. Der ganze Laden war nicht viel wert, aber er war voll von gläsernen Herrlichkeiten, und alles klang und läutete im Winde so lieblich, alles war so liebenswürdig und naiv, daß der Gast bald in jene Fröhlichkeit kam, wo man lacht, nicht über Lachenswertes oder Lächerliches, sondern lacht, einfach lacht, aus Wohlsein, aus lauter Behagen.

Frau van den Daele hatte für sich einen Krug gewählt, der auf seinem Bauch in Relief das denkwürdige Erlebnis der keuschen Susanna trug. Menniken hatte eine Prachtschnelle vor sich, ein Werk seines Vorfahren Baldem Menniken, mit Renaissancemustern und der Umschrift: »Junge Weiber und altes Geld, die liebt man in der ganzen Welt.« Die Hausfrau zeigte ihm andere Krüge und erklärte die Ziermuster und den Bilderschmuck, mit ein bißchen Geist, oft auch mit ein wenig Frivolität, ein wenig nur, wie Wein, in Wasser verdünnt. So einen Schnellenkrug von Jan Emens, der eine katzenjämmerliche Szene von Männern und Weibern nach einem Trinkgelage trug und die Unterschrift: Soe goet det dy Vol Supers. 1598. Und folgenden stoischen Vers:

Die kan hat mich gemacht
Su einen ermen man.
Wie ich nit me en haf,
So mus ich lassen af.

Und nun fiel der Protz sie an. Sie fühlte den Drang, irgend etwas Großes und Köstliches heranbringen zu lassen, ohne noch zu wissen was. Fürs erste klingelte sie; eine breite Landdirne erschien. »Unsere Katherina Emens ist aus dem Stamme des Jan Emens«, erklärte halblaut die Hausherrin. Da, als sie der Katherina lachendes Gesicht sah, vergaß sie ihr Vorhaben und frug: »Katherina, du strahlst ja ordentlich. Hast du in der Lotterie gewonnen?« »Er kömmt heut.«

»Er? Wer?«

»Der Zimong.«

»Ah, dein Simon Kannegießer? Aus Kamerun?«

»Jawohl, Madam.«

»Dann kommt er sicher wieder als ein Held im Siegerkranz? Mit Lorbeer, Orden und Ehren?«

»Das ist mich egal, Madam.«

»Freust du dich denn nicht darauf?«

»Nein, Madam.«

»Worüber freust du dich denn?«

»Auf ... über ... daß ich ihn wieder da hab'.«

»Dann gibt es wohl bald Hochzeit?«

»Wenn er will, Madam.«

»So. Wann soll er denn kommen?«

»Gleich, Madam.«

»Na, dann geh' nur und schau nach ihm aus. Und wenn er da ist, sag', er solle sich auch bei uns vorstellen.«

Die Katherina ging fort und wischte mit der Hand an den Augen, bewegt über die Leutseligkeit, die sie erfuhr.

Es dauerte nicht lange, so hörte man von draußen Lärm von einigen Burschen, und vom Flur her kam das Geräusch der aufgerissenen und zugeschlagenen Tür. Darauf unterdrücktes Jauchzen, Umarmungen und Küsse, Tränen und Jubel, wundersam gemischt – Wiedersehensfreude – –

Unwillkürlich trat Ruhe ein unter den Menschen im Säulenhofe. Da erschien Katherina mit strahlendem Gesicht, mit Augen, die wirr waren von Glück, und Haaren, wirr – vom Simon.

»Darf mein Mensch kommen?« frug sie.

»Immerzu!«

Nun führte sie ihn an der Hand herein, ihren Simon Kannegießer. Hinterdrein kamen dessen Freunde, der Scharlemang, der rote Sef und einige andre.

»Nun freut Ihr Euch wohl, daß Ihr wieder da seid, Kannegießer, was?«

»Zu Befehl, Madam.«

Die Katherina hielt ihn stumm bei der Hand. Ihre Augen umhängten ihn mit so viel Glanz, Glück und Liebe, wie Beter ein Gnadenbild mit Blumenkränzen und Weihgeschenken.

»Und dann im Triumphe heimgekehrt. Mit Orden und Ehren beladen. Wodurch habt Ihr Euch denn die Tapferkeitsmedaille verdient, Kannegießer?«

»Wahrhaftig«, sagte voll Staunen die Katherina, denn jetzt erst bemerkte sie den winzigen Herold der Ehre. Ihre Finger spielten auf seiner Brust mit dem kleinen Ruhmesschild.

»Wie hast du das gekriegt, Zimong?«

»Wie habt Ihr das bekommen, Kannegießer?«

»Zu Befehl, Madam. Das ... das kann man selbst nicht sagen, Madam.«

»Stolz lieb' ich den Kannegießer. A la bonne heure! Aber wollt Ihr uns denn wirklich schmachten lassen nach Euren Heldentaten?«

Da drängte sich der Scharlemang vor und die Mütze drehend sagte er stolz: »Ich kann es Euch sagen, Madam. Ich hab' es heute vom Hauptmann vor der Kompagnie gehört. Bei der Batomstation hat der Zimong sich den Orden geholt. Die Kamerunneger wollten die Brücke über den Mungofluß sprengen, und die Station wär' abgeschnitten gewesen, hat der Hauptmann gesagt. Da warf sich der Zimong ins Wasser und schwamm und schwamm, sagte der Hauptmann, trotz, wenn er ein Amenlang zu spät kam, kaput gerissen zu werden, und riß die Ladung runter grad in dem letzten Momang und ersäufte die Lunte und das Pulver im Flusse, sagte der Hauptmann ... hat der Hauptmann gesagt ... ja ...« Voll leuchtenden Stolzes hingen seine Augen am Freunde.

»Das nenne ich Tapferkeit!« rief Frau van den Daele. »Solch ein Mann, Katherina!«

Aber voller Angst war Katherinens Gesicht: »Hast du da auch an mich gedacht?«

»Nein, Trina,« und eine stolze männliche Röte bepurpurte sein Gesicht, »dann denkt ein Mannsmensch nicht an Frauleute.«

»Was? Eso egalig! Un wenn et dich ...« Tränen erstickten ihre Stimme, und die Sprache ihrer Hände sagte: »kaput gerissen hätte?«

»In Jotts Nam'.«

»Zimong«, schrie sie gellend und hielt sich die Ohren zu. Dann trat sie ganz nahe an ihn heran: »Worüm du? Worüm nicht ein angdrer?«

»Worüm nicht ich, min lieb Tring?«

Atemlos stand sie, auf den Zehen, ganz nahe bei seinem Mund, um nicht um eines Gedankens Länge zu spät die Wahrheit zu hören.

»Für daß du mich lieb...«

»Daran denkt dann ein Mannsmensch nicht.« Lächelnd sprach der Kannegießer.

Auf dem Absatze machte Katherina Emens kehrt und stürzte unter den Säulengang auf die Küchentür zu. »Adee, Zimong!«

Er warf sich ihr nach, schneller, als er sich in den Mungofluß gestürzt. Er faßte sie am Handgelenk, er riß sie zurück. »Was, Tring? Was hab' ich dich getan?«

»Los, sag' ich!« schrie sie. Sie sprang in die Küche, schlug die Tür hinter sich zu, ein Siegel klappte ein, und alles war still.

Und niemals wieder hat Simon Kannegießer, der Tapfere, der Held, ihr unter die Augen treten dürfen.


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