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Die Töpfer

Wenn ein Mann ein großes Werk beginnt, wenn er den ersten Spatenstich tut zu einem Kanal, wenn er die Hand an den Pflugsterz legt zur Urbarmachung einer Öde, dann fühlt sich der Mann in ihm. An dem Morgen werden seine Augen groß und strahlend. An dem Tage schaut er die merkwürdige Richtung hinauf, als ob da oben, nicht vielmehr hier unten, alles zu suchen sei. An diesen Tagen geschehen die meisten Gotteslästerungen, – Luzifer und Prometheus.

Solch prometheisches Hochgefühl war in Bernhard Menniken, als er das Brecheisen ansetzte und den ersten Hammerschlag tat, um das große Nordfenster für die Modellierstube in einem Flügel seines Hofes zu brechen. Er fühlte förmlich, wie im Augenblick die Macht weiblicher Verlockung und Verführung in ihm zerfloß, und er lächelte bei dem Gedanken an Sandras Reize.

Über Mariänne Lenates war in diesen Tagen ein neues Leben gekommen. Er war in der Stimmung, von der das Hauptwort geprägt ist: »Der Geist ist in ihm.« Der alte Schwärmer eilte umher und bemühte sich um neue Modelle, um Stimmung, um guten Ton, um alte Formen, um Begeisterung und Preis des Mennikenschen Namens. Nach einigen Monaten eifrigen und begeisterten Arbeitens waren sie nun in und um Seffent so weit, an den ersten Probebrand denken zu können. An der Wirtschaft »Zum Krugenofen« prangte bereits ein neues Schild »Zum neuen Krugenofen«.

Deeres hatte den Platz hinter seiner Spirituosentheke verlassen, nachdem er eine dralle und zungenfertige Dirne Agnes an seine Stelle gesetzt hatte. Die Wirkung war gut; denn die Hausfrauen erhoben bald laute Klage, daß ihre Männer länger beim Deeres blieben als früher. Sie sahen den Grund aber in dem Bau des Pottofens, den Deeres aus den wohlerhaltenen Trümmern des alten, die seit fünfzig Jahren dalagen, schnell aufführte. Die Männer bestärkten die Gattinnen in dem Glauben, es sei nur der Pottofen, aber auch gar nichts weiter. Sie müßten Interesse zeigen an der »Wiederaufrichtung der großen Vergangenheit«. Diese heroischen Worte stammten von Lenates, der auf seine alten Tage aus reinem Ideal ein Wirtshausgänger wurde. Währenddessen arbeitete Deeres unverdrossen. Währenddessen standen die Männer ebenso unverdrossen vor, neben, auch hinter der Theke um die Agnes herum, schnapsend, lachend, äugend, schielend, und die Alten schämten sich nicht vor den Jungen. Auch Tieß Bertz ging um diese Zeit zu einem Schnäpschen oder auch zwei in den »Neuen Krugenofen«. Der Agnes machte alles das Vergnügen; doch brannte sie wider ihren Willen beständig vor Scham. Eines Tages stand sie wieder hinter der Theke, die Arme auf dem Rücken verschränkt, an den Spirituosenschrank gelehnt. Die Schlüpfrigkeiten der Männer belachte sie nur, rief höchstens einmal ein »Ha!«, doch frug sie oftmals: »Trinkt Ihr noch eins, Tieß Bertz? Jetzt mal einen Korn, Burgs Paulus. Wir haben alten Wacholder, Scharlemang.« Und wenn einer unvorsichtig war und sein Glas leertrank, gleich war es gefüllt. Dann lehnte sie sich wieder an, lachte, rief: »Ha!« und ließ ihre Augen flink über die Gläser huschen. Da wurde Karl François, der Riese, den sie »Scharlemang« nannten, plötzlich dreist, kniff sie in die dicken Arme und ... doch eins, zwei flog sein Kopf nach rechts und links, mit zwei klingenden Maulschellen behängt. Verdutzt stand der Scharlemang – den Kopf feuerrot, entrüstet und lachend das Mädchen. Plötzlich rief er: »Du Rothaut!« Und alle andern riefen: »Du Rothaut!« Und sie lachten vor Vergnügen. Rothaut! Von nun an ging von ihr der heitere Ruf, daß sie einen kupferroten Körper wie ein Indianer habe. Rothaut!

Eines Tages hatte Menniken alles Nötige beisammen, um zum Probebrand zu schreiten, der möglichst unbemerkt vor sich gehen sollte. Selbst Lenates wußte nichts davon, als sie am frühen Morgen von Seffent aus an seinem Hause vorbeifuhren, die in Ton modellierten Gefäße zum Brandofen zu bringen. Der war von der Art freistehender ländlicher Backöfen für Brot, und mit Zuglöchern in seinem Körper versehen. Doch trotz der frühen Stunde waren die Dörfler schon merkwürdig lebendig, und kaum war die Arbeit von Wochen in größter Sorgfalt mit des Deeres Hilfe eingestellt, da stand eine große Menge müßiges Volk auf dem Dorfplatze, und der Ring wurde dichter und fester; als ob Feiertag im Dorfe wäre.

»Deeres, da habt Ihr Euer Werk«, sagte Menniken streng.

»Was? Ich?« tat unwissend Deeres.

»Wenn Ihr so eigensüchtig nur an Euch denkt, ist unsere Freundschaft bald zu Ende.«

»Um Gottes willen, Meister Menniken, wie sollte ich ...?«

»Ihr habt verbreitet, daß heute gebrannt werden soll.«

»Meister Menniken,« entrüstete sich ehrlich der Wirt, »wozu sollt' ich wohl die Gaffer versammelt haben?«

»Wozu?«

»Ja, Wozu?«

In dem Augenblick wurden die grünen Läden in dem grauen Haus geöffnet, und die Agnes stellte auf die Fensterbank Flaschen, Schnaps- und Biergläser.

»Dazu!«

Deeres' Gesicht wurde lang bis auf seine enge Brust. Die Umstehenden lachten laut, während Deeres davoneilte. Eilig zog er Flaschen und Gläser ein, und aus seinen blanken Fenstern sah das starke Haus wie aus erstaunten Augen darein, was das dumme Volk denn da zu lachen habe.

Sich wohl bewußt, nicht trotzen zu dürfen, kam Deeres bei geeigneter Gelegenheit wieder hervor. Der günstige Augenblick war bald da. Denn sieh, ein Priester kam, in weißem Spitzenröckel, das schwarze Birett auf dem greisen Haupte, betend aus rotgedrucktem Lateinbuch. Vor ihm her ging ein rotgeröckter Chorknabe mit einem großen kupfernen Weihkessel. Wie ein Versehgang zu einem Kranken sah es aus. Das Volk schickte sich an, im Staube niederzuknien, das vorbeigetragene Allerheiligste zu verehren. Aber der Priester winkte aufzustehen und trat an den Ofen heran, ohne weltlichen Gruß für irgend jemand.

Bernhard Menniken kam groß erstaunt aus der Feuergrube herauf. Ein großes Holzscheit hielt er in der geschwärzten Hand. »Herr Ter Heele?« frug er.

Der sah ihn halb hilflos, halb heiß und vorwurfsvoll an. »Es ist ja so die Sitte«, sagte er zögernd.

»Ja,« rief von hinten die Stimme des Steinbrechers de Losy, eines Mannes in kurzen Hosen mit Schnallen an den Knien und an den Schuhen, »so ist das alt, daß benedixiert und eingesegnet wird. Der Ofen und die Häuser. Auch mein Haus da. Sonst prostituiere ich gegen das Brennen.« Ein zustimmendes Ja ging von dem Manne aus durch das Volk und kreiste Menniken ein. Er mußte sich ergeben. Ter Heele sagte nichts mehr, bat nicht, klärte nicht auf, sondern ging stumm mit sanfter Unwiderstehlichkeit ans Werk. Er segnete mit Weihwasser den heißen Ofen, auf dem die Tropfen zischend verdampften, als knirsche er gegen die Einmischung geistlicher Gewalt. Der Priester ging umher und segnete die umstehenden festen Häuser, segnete die große Linde. Und zog wie er gekommen war, still und mit der Bescheidenheit, aber auch Sicherheit und Unwiderstehlichkeit dessen ab, der von einem Höheren beamtet ist.

Am Abend desselben Tages wurde die Feuerung abgestellt. Die Kunstware buk in der Hitze des Ofens. Langsam trat die Verkühlung ein. Nach drei Tagen, während deren aus dem ganzen Land das Volk in großen Haufen die Stelle besucht hatte, ging vor einer großen Menge die Öffnung und Entleerung des Ofens vor sich, und die Krüge kamen zum Vorschein. Das Ergebnis war unerfreulich. Keiner der Töpfe war gut; an dem einen war die Glasur zerlaufen, der andre war schief, ein dritter gesprungen. Die Töpfe wurden zusammengestellt. Da, ein wohlgezielter Wurf, der erste ging in Scherben. Der zweite, der dritte. Und sie lachten über ihre Treffsicherheit. Zornig erhob sich Menniken. Allein der de Losy redete ihm vom alten Zunftrecht vor. Aber Menniken hörte erst auf die ruhigen Ausführungen des Lenates, daß die Zunft alle mißglückte Brandware zerstört habe, damit sie nicht in den Handel kommen und den Ruf verderben könne. Und Lenates meinte hinzufügen zu müssen, daß doch viel Sinn in dieser Sitte gewesen sei. Doch Menniken war so aufgebracht, daß er ohne ein Wort den Platz verließ und in den Abend hineinging.

Das Volk verlief sich auch bald. Man verstand den Menniken nicht, denn niemand hatte es böse gemeint. Die Stimmung war trüb.


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