Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XXIV.

Wieder füllte sich das schindelgedeckte Kirchlein droben in Göhdaberg mit einer schaulustigen Menge. Wieder knarrte die alte Orgel in Schwindsuchtstönen. Im Schiff und auf den wurmstichigen Emporen drängte sich Kopf an Kopf. Neugierig waren aller Blicke nach dem Eingang unter der Orgel gerichtet, ob das Brautpaar nun bald kommen werde. – Denn heute machte der ehemalige Pfarrer von Breitendorf Hochzeit mit der Tochter des Eichwalder Arztes.

Das war kein kleines Ereignis für die Gegend. Trotz des weiten und steilen Weges hier herauf, waren doch eine ganze Anzahl Breitendorfer zur Stelle, welche der Trauung ihres früheren Hirten beiwohnen wollten. –

Da war der Gärtnergewendbauer, der Kirchbauer, der Gemeindevorsteher und andere Honoratioren – in einer Ecke hockte das Freundespaar: Tobis, der Taube, und Schunkelaugust vom Armenhause. Der Nachwuchs der alten Märzliebs-Hanne von Eiba war stark vertreten. Auch manches alte Mütterchen hatte den beschwerlichen Marsch nicht gescheut.

Nicht die Neugier allein führte diese Leute hierher. Von der Liebessaat, die Gerland ausgesät, war doch auch manch Körnlein aufgegangen. –

Die Gegenpartei fehlte. Weder die Finkes, noch das Ehepaar Wenzel, noch Herklotz waren erschienen. Nur die Tonchen war zur Stelle; aber die hatte geschwenkt, seit sie sah, wie in der Gemeinde jetzt eine starke Partei für den verabschiedeten Geistlichen auftrat.

Gänzlich fehlten heute die schwarzen Röcke der Geistlichkeit in der Versammlung.

Seit Gerland seinen Abschied genommen, und vor allem seit es bekannt geworden, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen er gegangen, hielten sich alle Amtsbrüder, die etwas auf Reputation gaben, fern von ihm. Selbst Polani war nicht gekommen. Der Kluge hatte seinem Bedauern über Gerlands Abschied in ziemlich gewundener Weise schriftlichen Ausdruck gegeben. – Dornig war offener gewesen, er hatte dem ehemaligen Schulkameraden ins Gesicht erklärt, er sei verrückt. Zur Hochzeit zu erscheinen, hatten beide Pastoren versprochen, waren aber heute nicht zur Stelle; Polani entschuldigt wegen angeblicher Unpäßlichkeit, Dornig unentschuldigt.

Gerland wußte sich darüber zu trösten. Es konnte ihm nichts daran liegen, daß sich irgend jemand um seinetwillen kompromittiere.

Schmerzlicher war es für Gerland, daß seine älteste Schwester abgesagt hatte – wohl aus Rücksichten auf die Karriere ihres Mannes. – Die jüngere Schwester war mit ihrem Gatten, welcher nur Kaufmann war, gekommen.

Aus ganz andern Gründen hielt sich der Vater der Braut von der Hochzeit fern.

Haußner hatte von vornherein erklärt, der kirchlichen Feier nicht beiwohnen zu wollen, und davon ließ er sich auch nicht durch Gertruds Bitten, die sonst alles bei ihm durchsetzte, abbringen. Je näher der Tag herankam, desto düsterer und verschlossener wurde er. – Wie eine dunkle Wetterwolke drohte seine Laune am sonnigen Himmel der Hochzeitsstimmung. –

Ein kleines Häuflein war es, das dem Bräutigam zum Altare folgte.

Martha Herberge, geschäftiger und erregter denn je, in einem Kleide von hellgrauer, knitternder Seide, mit vielen flatternden Bändchen um sich. – Gerlands Schwester, eine blonde Frauenerscheinung, von einfach freundlichen Gesichtszügen. Sie sowohl wie ihr Gatte, fühlten sich offenbar gedrückt; sie mochten es als etwas sehr Gewagtes betrachten, daß sie dieser Feier beiwohnten. – Dann war noch Doktor Herzner von Färbersbach gekommen, in seinen Examenfrack eingezwängt. Er sah sich erstaunt um, als er die Kirche betrat. Wie lange mochte es her sein, daß dieser Heide zum letzten Male ein Gotteshaus betreten? –

Auf eine lieblichere Braut, als Gertrud hatte die bemalte Decke des Kirchleins wohl noch nicht herabgeschaut.

Den Blick züchtig zu Boden geschlagen, die Wangen wie junge Rosenblätter, den blonden Scheitel unter dem Myrtenkranze gesenkt – so schritt Gertrud, begleitet von den schlichten Klängen einer alten Kirchenmelodie, zum Altare.

Pfarrer Valentin empfing sie dort. Mit zitternder Stimme sprach der Greis den siebenundsechzigsten Psalm, als Einleitungsgebet.

Es lag etwas Müdes in Erscheinung und Wesen des alten Mannes. Er klagte seit kurzem über körperliches Übelbefinden, was er vordem nie gethan. Gerlands Austritt aus dem Amte war ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Zwar hatte ihm der junge Mann in einem entscheidenden Gespräche die Notwendigkeit seines Gehens auseinandergesetzt – und Valentin mußte zugeben, daß ein offener Bruch besser sei, als ein Kompromiß – aber im Innersten kam der alte Mann doch nicht darüber hinweg, daß Gerland abtrünnig geworden.

Die freudige Stimmung, die ihn neulich bei Gertruds Taufe getragen, fehlte ihm heute. Er sprach schleppend, hin und wieder sogar mit Gedächtnisschwäche kämpfend. – Der Text, den er der Traurede untergelegt hatte, lautete: »Des Herren Rat ist wunderbarlich und führet es herrlich hinaus.« Die Predigt war kurz, Pfarrer Valentin mochte fühlen, daß er schwach werde, er eilte zur Kopulierung. –

Von Anbeginn der Feier stand in der obersten Empore, gedeckt von einem klobigen Holzpfeiler, ein bärtiger Mann. –

Einige Neugierige von Göhdaberg neben ihm wunderten sich über das Benehmen des sonderbaren Fremdlings, der in einem fort dort hinunterstarrte, düsteren Gesichtes die Hände ballte und sich nervös unter den Bart griff.

Als dann vom Altare her, erst das kräftige »Ja« des Bräutigams, dann das zartere der Braut heraufklang, und die Ringe gewechselt wurden, lehnte sich der Fremde weit vor über die Brüstung. Als er sich wieder setzte, war sein Gesicht thränenüberströmt.

Beim Schlußliede erhob sich der sonderbare Gast und entfernte sich schnell. –

Noch während die Versammlung aus der Kirche strömte, verbreitete sich das Gerücht, wie ein Lauffeuer, Doktor Haußner sei doch zugegen gewesen. Einige Breitendorfer hatten ihn oben in der Empore erkannt. Man erfuhr auch, daß er das Dorf bereits wieder verlassen habe, einsam dem Walde zuschreitend. –

Die Hochzeitsgesellschaft vereinigte sich zu einem bescheidenen Mittagsmahle im Pfarrhause. Die alte Hanne hatte das ihrige gethan. Das Essen war gut und auf dreimal so viel Gäste berechnet, als zur Stelle waren.

Aber die rechte Hochzeitsstimmung wollte nicht aufkommen. Es schwebten viel Thränen in der Luft. Besonders Marthas Augen flossen wie Brünnlein. Der greise Pastor Valentin deutete in seinem Toaste auf das Brautpaar an, daß er nunmehr entschlossen sei, sich emeritieren zu lassen. Die elegische Stimmung, die über allen schwebte, bändigte sogar Doktor Herzners gottlose Zunge. – Zwischen langen Pausen dehnten sich die Gänge ins Endlose. Gerland sah mehrfach verstohlen nach der Uhr. –

Endlich war es soweit. Gertrud hatte sich umgezogen. Unten hielt der Wagen, der das junge Paar aufnehmen sollte.

Die Peitsche knallte. Unter Küssen, Thränen, Glückwünschen und Taschentücherwinken ging es fort, aus dem Dörfchen fort, in den milden Abend hinein.

Noch einmal sahen sie sich um. – Dort stand Martha und winkte, der alte Valentin mit weißem Haupte daneben; bis sie ihnen entschwanden, und nur noch der spitze Turm des Kirchleins aus den Lindenbäumen zu erkennen war.

Dann setzten sie sich zurück; Gerland schlang den Arm um ihre Schultern und blickte in die schönen, vom Weinen großen Augen seiner Frau. Die Fahrt ging bergan.

Klar lag das Gebirge vor Gerland, langgestreckt, ein mächtiger Grat mit Schrunden, Spalten, Abgründen und Senken. Von der Ebene her schoben sich Vorberge an den Hauptstock heran, waldbekränzt! – In den Thälern manch ein menschliches Anwesen. Weiter draußen dehnten sich fruchtbare Gebreiten mit Dörfern, Bauernhöfen, Kirchen.

Irgendwo, dort, lag auch sein Breitendorf.

Er suchte mit den Augen – endlich fand er einen Anhalt. Da hinter dem waldigen Bergrücken mußte es liegen – Einzelheiten waren von hier aus nicht zu erkennen; es war schon zu weit. – Dort lag auch Annenbad, wo sein armer Freund in kühler Erde ruhte. –

Gerland hielt sich nicht bei traurigen Gedanken auf. – Mochte das Vergangene vergangen sein! Ihn umwitterte die morgenfrische Zukunft. Weiter ließ er sein Auge schweifen, über Thäler und Kuppen, Ebenen, Menschenheime, bis hinaus an den dunstigen Rand des Himmels, der allem ein Ende machte.

Weihestimmung überkam ihn im Angesichte solcher Größe. Ein Gebet drängte sich ihm auf die Lippen; aber nicht Worte der Zerknirschung und Selbstverkleinerung. – Freudige, selbstbewußte Worte sprach er zu dem Allmächtigen. Nicht als Staub fühlte er sich – nicht als ein unterdrücktes, elendes Wesen, das nicht wert war, zu leben, – Nein! Als einer, der berechtigt ist, frei zu atmen und sich seiner Kräfte zu freuen.

Der Horizont weitete sich vor seinem Auge. Ihm war, als sähe er die Welt zu seinen Füßen liegen, wie sie gewesen war von Anbeginn – sich herausringend aus den Nebeln der Weltendämmerung. Und Zeit, Ort, Materie verschwanden für ihn in dem einen Gefühl der Allgegenwart Gottes. Ihm gehörte er zu, dem gütigen Vater, in dessen schönes Angesicht er blickte.

Wer wollte ihn fortan von diesem Ewigen trennen, den er gefunden, der sich ihm aus Nebeln und Schleiern enthüllt? –

Nun konnte er ihn nicht mehr verlieren; denn er hatte die Verwandtschaft mit ihm erkannt.

 


 


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