Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XIX.

Dornig kam jetzt häufig nach Breitendorf herüber. Welcher Art das Interesse war, das den korpulenten Mann den beschwerlichen Marsch über den Bergrücken so oft unternehmen ließ, wußte Gerland nunmehr. Dornig machte kein Hehl mehr daraus, daß er mit der Schwägerin des Gutsbesitzers Finke verlobt sei.

Gerland kannte die Erscheinung des Mädchens von der Kirche her; sie paßte zu Dornig: drall, rotbäckig – eine handfeste Schönheit.

Dornig strahlte in Erwartung des Himmelreichs, das seiner wartete. Er wußte, so oft er Gerland besuchte, immer neue Züge der Liebenswürdigkeit von seiner Braut zu berichten. Sie hatte Kochunterricht gehabt in einem der feinsten Hotels der Kreisstadt. Eine Ausstattung brachte sie mit, für welche der Geistliche mit Vorliebe den Ausdruck »fürstlich« anwandte. Ihre Leibwäsche sollte genau so hergestellt werden, wie die einer Komtesse, welche kürzlich geheiratet.

Inzwischen hatte auch die Taufe bei den Finkes stattgefunden. Dornig wußte die Vorzüglichkeit des Taufschmauses nicht genug zu rühmen; er versuchte es, dem Amtsbruder den Mund nachträglich wässerig zu machen. Bei diesem Feste hatte er eine Menge Parochialklatsch erfahren, den er natürlich bei Gerland brühwarm an den Mann zu bringen bemüht war.

Gerlands Beziehungen zu Doktor Haußner und seiner Tochter waren selbstverständlich dort lebhaft besprochen worden. – Als er auf diesen Punkt kam, beeilte sich Dornig, zu versichern, daß er dem Amtsbruder nicht den geringsten Vorwurf mache.

»Ich kann dir's gar nicht verdenken, Gerland,« sagte er. »Da giebt's ein Hallo, wenn wir Pastoren mal eine gute Partie machen. – Als ob das Geld eine so ganz gleichgültige Sache sei in der Welt. Warum soll man denn seine Lage nicht aufbessern? – Das Gehalt ist gering genug! ›Ihr Geistliche sollt nicht nach Schätzen trachten, die Motten und Rost fressen‹, heißt es da. Sehr schön! Aber von Luft können wir doch auch nicht leben. – Das ist weiter nichts, als Neid. Und wenn sie dir damit kommen sollten, mach' dir nichts daraus; lach' sie aus! – Es wird nämlich so mancherlei geredet gegen dich – verstehst du! Ich halte dir natürlich die Stange soviel ich kann. ›Das Mädchen ist ja nicht einmal getauft,‹ sagen sie – ›Was nicht ist, kann noch werden,‹ antwortete ich den Leuten. ›Pfarrer Gerland ist ein feiner Kopf, der wird die Sache schon machen – da seid nur ganz ruhig.‹ – Du, wie steht's denn eigentlich damit? Allzulange würde ich mit der Tauferei nämlich auch nicht mehr zögern – an deiner Stelle! – Weißt du, es giebt den Leuten eben doch zuviel Anlaß zu allerhand Vermutungen und übler Nachrede.« –

Vor einem Jahre noch würde sich Gerland derartige Reden aufs entschiedenste verbeten haben; jetzt war er schon so weit abgehärtet, daß er im stande war, lächelnd zuzuhören und sich im stillen seine Lehren zu ziehen.

Einen trivialen Philister wie Dornig, der in allen Dingen von sich auf andere schloß, eines besseren belehren zu wollen, war ja von vornherein aussichtslos. Aber die Auffassung eines solchen Menschen war symptomatisch – so also urteilte der große Haufe!

Wie konnte er den Leuten auch nur einen Begriff von der Eigenart seines Verhältnisses zu Gertrud geben? Wer würde ihm geglaubt haben, daß es ihm unmöglich sei, das Mädchen zu einem Schritte zu nötigen, den sie doch nur in voller Freiheit, aus eignem Verlangen heraus thun durfte. –

Es erschien ihm wie Vergewaltigung, wie Roheit, vor Gertrud hinzutreten und sie zu bitten: »Laß dich taufen, damit ich dich heiraten kann!«

Gewiß sehnte er sich, harrte in peinvoller Ungeduld einer Andeutung von ihr – auf den Augenblick, wo sie endlich dem Wunsche Ausdruck geben würde. Christin war sie ja jetzt schon – wenigstens in seinen Augen – nur das äußere Zeichen fehlte ihr, die Besiegelung. Aber vor der Welt, der das Zeichen mehr gilt, als die Gesinnung, stand das Mädchen noch als Heidin da. –

Dornig hatte in seiner tolpatschigen Art und Weise an eine wunde Stelle bei Gerland gerührt.

Das Bewußtsein, daß viele seiner Beichtkinder an ihrem Pfarrer irre wurden, daß der Schein gegen ihn sei, und daß die Ereignisse seinen Feinden und Verleumdern von Tag zu Tag mehr Recht gaben, bereitete ihm oft schwere Stunden. Er sah die trübe Flut des Hasses gewaltig von allen Seiten aufsteigen. Die Anzeichen mehrten sich, daß auch die besseren Elemente in der Gemeinde gegen ihn Stellung nahmen. Viele Leute, die ihn früher herzlich und ehrfurchtsvoll gegrüßt hatten, drückten sich jetzt, wenn man einander begegnete, um das Grüßen herum, sahen weg, oder gingen beiseite.

Ganz verwirrt war eines Tages Schwester Elisabeth zu ihm gekommen; Schuhmacher Herklotz – dessen Frau inzwischen gestorben und beerdigt war – hatte ihr, als sie gekommen, um nach den Kleinen zu sehen, die Thür gewiesen mit unflätigen Redensarten, die das Mädchen um keinen Preis wiederholen wollte.

Diese Undankbarkeit stand nicht allein da. Auch andere, denen er mit Rat und persönlichem Eingreifen, ja mit pekuniärer Hilfe beigestanden, sahen ihm in die Augen, höhnisch oder dreist vertraulich, als wüßten sie ihm ein Unrecht vorzuwerfen.

Die jungen Burschen im Fortbildungsunterricht, den er leitete, begannen herausfordernde Mienen anzunehmen und sich aufsässig zu gebärden.

Überall sah er den Respekt weichen.

Am Sonntag Abend gab es wieder mal nach längerer Pause auf dem Tanzboden einen groben Exzeß: Trunkenheit und Prügelei. Zu Zeiten seines Amtsvorgängers war das nichts Seltenes gewesen in Breitendorf. Während Gerlands Seelsorgerthätigkeit hatte sich darin vieles gebessert.

Dieses plötzliche Aufflammen der alten Roheit hatte seine Bedeutung. Der junge Geistliche fühlte es, er hatte die Macht verloren – die Macht, welche unbefleckter Name und tadelloser Ruf ihren Trägern verleihen.

Er stand nicht mehr unantastbar da vor seiner Gemeinde; sehr geschickt hatten seine Feinde die Stelle herausgefunden, wo er angreifbar war – die Stelle, wo ihn der Talar nicht schützte, wo ihn das Priestergewand vielmehr anzuklagen schien.

Man hatte ihm Liebe und Achtung seiner Pfarrkinder gestohlen.

Voll Kummer mußte er sehen, wie sich alles um ihn her lockerte; wie das Werk, das er mit Mühe aufgerichtet hatte, von frevelhaften Händen Stein um Stein eingerissen wurde.

Er wußte ganz genau, wo das Hauptquartier der Feinde seinen Sitz hatte. Und wer in diesem Spiele die Fäden zog.

Wenzels Faungesicht tauchte zu wiederholten Malen in der Dorfstraße auf. Gerland hatte daran gedacht, den früheren Kantor zur Rede zu stellen; aber es gelang ihm niemals, den alten Fuchs zu erwischen, der seine lange Gestalt zu verflüchtigen wußte, als besäße er eine Tarnkappe.

Die jetzige Frau Wenzel war wieder ganz in Breitendorf; angeblich auf Wochenbesuch bei der jungen Frau Finke. Gerland sah sie eifrig von Haus zu Haus gehen. – Die Kaffeekränzchen bei den Honoratiorenfrauen, deren Mittelpunkt sie bereits früher gewesen, waren flott im Gange. Als ihr Adjutant fungierte die Besprechfrau Tonchen, die in den niederen Schichten ihre Maulwurfsarbeit trieb. –

Die ehemalige Pastorin Menke trieb die Schamlosigkeit soweit, sich der Kanzel gerade gegenüber zu setzen und den Geistlichen unverwandt mit der unschuldigsten Miene der Welt anzublicken während der Predigt. Pfarrer Gerland mußte sich zusammennehmen, um nicht mitten im Satze stecken zu bleiben, als sein Blick auf ein rosiges Frauengesicht und ein paar lächelnde Katzenaugen traf – unten im Schiff der Kirche. –

Es war, als ob ein Gewitter in der Luft schwebe. Gerland begann sich nach einer Entladung zu sehnen; selbst eine gewaltsame Lösung erschien ihm besser, als dieser Zustand der Spannung.

Vergebens wartete er auf eine Maßregelung von seiten der Kirchenbehörde. Nachdem, was neulich vorgefallen war in der Superintendentur, hatte er einer Aufforderung, sich zu verantworten, einer Rüge, vielleicht auch einer Disziplinarmaßregel entgegengesehen. – Im stillen hoffte er sogar darauf; dann würde er ja endlich einmal seine innere Stellung den Vorgesetzten offen darlegen dürfen. – Nichts von alledem erfolgte. –

* * *

Pfarrer Gerland war jetzt fast täglich, wenn es ihm die Kasualien erlaubten, in Eichwald. Er pflegte dem Arzte bei den Gartenarbeiten zu helfen.

Das Verhältnis der beiden Männer war seltsam genug.

Haußner schien den jungen Geistlichen nicht ungern um sich zu sehen. Er forderte Gerland zwar niemals direkt auf, am nächsten Tage wieder zu kommen; aber stets wenn der Geistliche in den Vormittagsstunden auftrat, fand er seiner eine Arbeit wartend, die der Arzt für ihn aufgehoben hatte. Das eine Mal galt es den Wein zu brechen – dann wieder mußten die Erdbeerstöcke umgepflanzt werden – oder man okulierte die Rosenstöcke; auch im Gemüsegarten gab es reichlich zu thun.

Es war ein heißer Sommer, und Haußner ging meist bis auf die Beinkleider und ein Flanellhemd entkleidet in seinem Garten umher. Gerland, der anfangs eine gewisse Scheu gehegt hatte, mehr als den schwarzen Rock abzulegen, machte es dem Arzte mit der Zeit nach. Haußner borgte ihm einen seiner breitkrämpigen Gartenhüte und veranlaßte ihn, Weste, Halskragen und Krawatte abzulegen.

»Sie fangen von oben an, den Pastor auszuziehen,« bemerkte Haußner mit dem trockenen Witze, der ihm eigen war. –

Im übrigen wurde von der Zukunft zwischen den beiden Männern nicht gesprochen. Haußner war ein Sonderling auch darin, daß er alle offenen Aussprachen, solange wie möglich, hinausschob.

Rings um sein innerstes Wesen hatte er eine Mauer gezogen. Niemand sollte ihn beobachten, aber er selbst lag mit seinen scharfen Forscheraugen stets auf der Lauer, trug Material zusammen und verarbeitete es in seinem Innern mit dem Egoismus des Menschenverächters, dem seine besten Gedanken viel zu gut sind, um sie durch Auslegen vor der Menge zu profanieren. Er sah unendlich vieles trotz seines einsiedlerischen Lebens, und machte sich über alles seine Gedanken; aber nur gelegentlich, an sarkastischen Bemerkungen, konnte man erkennen, wie er eigentlich zu Menschen und Dingen stehe.

Selbst die Liebe zur Tochter äußerte sich nicht in alltäglicher Art und Weise. Aus der rauhen Form, in der er häufig mit Gertrud verkehrte, hätte ein oberflächlicher Beobachter leicht ganz falsche Schlüsse auf sein innerstes Verhältnis zu dem Mädchen ziehen können. – Die Liebe zu dem einzigen Kinde war stark und zart zugleich. Sein Auge konnte einen melancholischen Ausdruck annehmen, wenn er sie anblickte. In kleinen, unscheinbaren Anzeichen äußerte sich sein heißes Gefühl – seine Furcht vor dem Augenblick, wo er das Mädchen hergeben sollte.

Und doch mußte er einsehen, daß der natürliche Lauf der Dinge die Trennung herbeiführen würde. Er sträubte sich nur noch pro forma. Es konnte ihm ja nicht entgehen, daß die beiden jungen Menschen einander zugehörten, und er war viel zu vernünftig und lebensklug, das Natürliche verhindern zu wollen.

Im allgemeinen vermied man religiöse Gespräche; der Geistliche hütete sich wohl, den andern auf ein Gebiet zu bringen, wo er empfindlich und gereizt war. Aber gänzlich konnte das Religiöse doch nicht aus ihren Gesprächen ausgeschieden werden.

Gelegentlich riß den Arzt der Eifer hin, von seinen wissenschaftlichen Untersuchungen und ihren Endzielen zu sprechen. Er arbeitete neuerdings an einem Werke: »Der Übergang der organischen Materie von einem Lebewesen zum anderen,« das den Niederschlag zehnjähriger Forschung und Beobachtung darstellte. Er zeigte dem jungen Geistlichen die Abbildungen, welche das Werk begleiten sollten, ließ ihn Präparate sehen und machte ihn mit dieser oder jener niederen Tierform durch das Mikroskop bekannt. – Es kam darin so recht der Drang des Einsiedlers zu Tage, von dem, was ihn seit Jahren ganz beschäftigt hatte, und was nun einem Resultate entgegenreifte, endlich einmal zu einem Menschen zu sprechen.

Haußner war ein begeisterter Anhänger der Evolutionstheorie. In seine Studienzeit waren die Publikationen der großen Darwinschen Entdeckungen gefallen. Er war ein Altersgenosse und Anhänger Haeckels.

In seiner Jugend hat er der Religion kühl bis ans Herz gegenübergestanden – er betrachtete sie als eine Art von Petrefakt abgestorbener Lebensformen. – Wahrscheinlich würde er in diesem Indifferentismus weiter gelebt haben, wenn nicht die Kirche dafür gesorgt hätte, ihn aus seiner Gleichgiltigkeit herauszutreiben. Das Ereignis trat ein, das ihn aus seinem Berufe reißen, ihn mit seiner bisherigen Umgebung verfeinden, den Frieden seines Hauses vernichten, seinem ganzen Leben eine veränderte Richtung geben sollte. Er sah sich provoziert, an der empfindlichsten Stelle verletzt, in seiner Freiheit angegriffen. – Heißblütig wie er war, ließ er sich zu verhängnisvollen Schritten hinreißen – und so hatte dieses anfangs harmonische Dasein plötzlich eine tragische Wendung bekommen.

Die Leidenschaft macht den klügsten Menschen ungerecht. Haußner war nicht mehr imstande, Schale und Kern auseinanderzuhalten. Seine Feindschaft gegen die Kirche übertrug er auf die Religion.

Gerland kannte die Geschichte des Arztes besser, als Haußner selbst wohl ahnen mochte. Er verstand ihn – ja er fühlte im Innersten tiefe Sympathie für den Mann, dem von den Amtsbrüdern so schweres Unrecht angethan worden war.

Der junge Geistliche befliß sich, aus seinen Worten alles fernzuhalten, was jenen an die trüben Erlebnisse früherer Zeiten hätte erinnern können.

Den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen des Arztes hörte er ruhig zu. Häufig konnte er Haußners Ansichten nicht beipflichten. Den Arzt zu widerlegen war für ihn unmöglich, sie standen auf zu verschiedenem Boden. – Ein tiefer Riß klaffte zwischen ihren Innenanschauungen, sie konnten nicht miteinander fühlen, die Hiebe mußten notwendig Lufthiebe sein; zu einander gelangen hätten sie nur können durch ein Kompromiß. –

Das verhinderte den jungen Geistlichen nicht, den Ausführungen des Arztes mit größtem Interesse zu folgen. Die Phänomene, die jener ihm darthat, entzückten ihn – der Einblick in den Wechsel der Erscheinungen, in die Wunderwelt der niederen Fauna und Flora des Süßwassers – das Bekanntwerden mit Struktur und Lebensweise dieser auf der Scheide zwischen Tier und Pflanze stehenden Lebewesen, befriedigte in hohem Grade sein Zweckmäßigkeitsgefühl und seine Freude an Größe und Mannigfaltigkeit des Kosmos.

Haußner konnte sich keinen eifrigeren Zuhörer wünschen; und als Gerland einmal durch eine Bemerkung besonderes Verständnis an den Tag gelegt hatte, brach der Arzt in die Worte aus: »Es wäre wirklich schade, wenn Sie Geistlicher bleiben wollten.« –

Gelegentlich gab er Gerland einige Bände Darwin, Vogt und Büchner mit – in seiner Weise keinen näheren Kommentar dazu erteilend. Aber der Geistliche wußte sehr gut, was das zu bedeuten habe; Doktor Haußner arbeitete im stillen an seiner Bekehrung. –

* * *

»Sie können uns helfen, die Muskatellerbirnen abnehmen,« meinte Haußner, als Gerland eines Vormittags kam und sich erkundigte, ob es etwas für ihn zu thun gäbe.

Eine Leiter lehnte bereits am Baum, Handkörbe und der Obstpflücker standen bereit. »Ich fange an, allzu vollkommen zu werden für dergleichen,« bemerkte der Arzt, lächelnd auf seinen Leibesumfang deutend. Ein Strohhut lag auch bereits für den Geistlichen da. – Es war alles vorbereitet gewesen für sein Kommen, wie der junge Mann mit geheimem Vergnügen feststellte.

Martha und Gertrud waren auch nicht fern. Bald schwebte der Geistliche in der Krone des prächtigen Baumes. Haußner stellte die Leiter nach Bedarf und nahm die gefüllten Henkelkörbe entgegen. Die Damen sortierten das Obst – alle waren in vortrefflicher Laune.

Einmal krachte ein Ast, auf dem sich der Geistliche allzu kühn vorgewagt, und die Frauen schrieen erschreckt auf. Aber es gelang Gerland, sich festzuhalten.

»Na, das ging noch mal so ab!« meinte Haußner

»Der liebe Gott hat unseren Herrn Pfarrer bewahret,« bemerkte Martha halblaut, doch immer noch so laut, daß der Arzt es hören mußte. – Die alte Jungfer konnte es nicht lassen, durch solche Glossen hie und da dem Vetter gegenüber ihren Gefühlen Luft zu machen – sie nannte das: »den christlichen Standpunkt wahren.« –

Auf einmal sprang Gertrud auf und klatschte in die Hände. »Onkel Valentin – Onkel Valentin!«

Vom Hause her nahte der greise Pfarrer.

»Wahrhaftig, der alte Valentin!« meinte Haußner.

Gerland kam von seiner luftigen Höhe herab. –

Der Alte hatte seiner Gewohnheit gemäß den weiten Weg von Göhdaberg her zu Fuß zurückgelegt, trotz der Sonnenglut. Seit drei Stunden etwa war er unterwegs. Er sei ja ein gut Stück im Baumschatten gegangen, meinte er, mit seinem freundlichsten Lächeln, wie immer den Dingen die beste Seite abgewinnend.

Aber die Erschöpfung war ihm anzumerken.

Gerland hatte seine heimliche Freude an der Art und Weise, wie sich Haußner um den alten Mann besorgt zeigte.

»Komm in die Laube, Ottomar!« – sagte er, den Greis unter den Arm nehmend. »Ins Haus führe ich dich jetzt nicht; dort ist es kühl, und du bist erhitzt. – Besorgt sofort etwas Frühstück!« Damit wandte er sich an die Frauen.

Die drei Männer schritten langsam der Gartenlaube zu, auf ihrem Wege, des ermüdeten Alten wegen, häufig stehenbleibend.

Gertrud ließ nicht lange mit dem Frühstück auf sich warten, sie breitete eine Decke über den Holztisch und legte ein Gedeck vor dem Onkel auf.

»Wie sie ihrer Mutter gleicht!« – sagte Valentin und griff nach der Hand des errötenden Mädchens. »Der Herr schütze dich und bewahre dich, du liebes Kind!« Seine Stimme bebte.

Haußner machte dieser Szene schnell ein Ende. »Du sagtest, du hättest etwas mit mir zu besprechen.«

»Allerdings – das war der Zweck meines Kommens.«

»Ihr könnt zu euren Birnen zurückkehren,« – meinte Haußner zu den andern.

Gertrud sprang voraus. Martha hielt Gerland am Ärmel zurück und flüsterte ihm voll Erregung zu: »Heute entscheidet sich's!« Sie wies nach der Laube zurück. – »Der liebe Gott wird helfen! Bleiben Sie nur bei Gertrud einstweilen – lieber Herr Pfarrer!« Sie drückte Gerlands Hand, dann lief sie dem Hause zu. –

Mit dem Birnenabnehmen wurde es heute nichts mehr.

Wie auf Verabredung schlugen die beiden jungen Leute, als sie sich allein sahen, den Weg nach dem oberen Teile des Gartens ein.

Hinter dem nächsten Boskett machte Gerland Halt und suchte ihr einen Kuß zu rauben. Aber sie entfloh ihm – lief voraus, geschickt ihre bessere Kenntnis des Geländes benutzend.

Er stürmte ihr nach. Es wurde ein Haschen daraus.

Gut, daß niemand von der Gemeinde, oder gar von den Amtsbrüdern, den Herrn Pastor in dieser Situation sah, wie er dem leichtfüßigen Mädchen nachsprang, die sich schelmisch kichernd, hinter Büschen und Bäumen vor ihm zu verstecken suchte.

Sie war flinker als er, aber er besaß die größere Ausdauer. Ermattet blieb sie schließlich stehen und ließ sich von ihm umfangen. Er küßte sie herzhaft, nicht bloß einmal. –

Ihr Atem flog und streifte seine Wange, der Busen wogte; entzückt betrachtete er sie. Gab es etwas Süßeres als diese Lippen, die den Odem voll und warm gehen ließen – diese Augen, die sie, vom Laufen ein wenig ermattet, lächelnd schloß, so daß sich die langen Wimpern auf den Wangen abzeichneten. – Wie eine eben aufgesprungene Knospe war sie, – eine reizende Mischung von Kind und Weib.

Auf einmal errötend und ein wenig die Schultern emporziehend, entzog sie sich ihm und strich ihr Haar, das in Unordnung geraten, glatt.

»Heut abend in der Laube – nicht wahr – du versprichst mir?« flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie erwiderte nichts.

Er nannte eine Stunde. »Wirst du kommen?«

Sie sprang noch einmal fort. Aber diesmal hatte er sie schnell eingeholt, umfaßte sie und ließ sie unter Bitten und Küssen nicht eher los, bis sie ihm das Versprechen gegeben.

Bald darauf saßen sie oben auf der Rasenbank, Hand in Hand.

In diesem Augenblicke, wo er sich im Vollbesitze seines Glückes zufrieden hatte fühlen können, überkam ihn wieder jene Stimmung der Unruhe, des Mißtrauens gegen den Bestand dieses Glückes. Alles ging ihm noch einmal durch den Kopf, was von Zweifeln und Besorgnissen in letzter Zeit in ihm aufgestiegen war, was er nur mühsam beschwichtigt hatte.

Gertrud war seine Braut. Er durfte sie mit gutem Gewissen jetzt so bezeichnen. Ihre Augen wichen seinem Blicke, ihr Mund seinem Kusse nicht mehr aus. – War man sich seelisch deshalb näher gekommen? – Hatte sie Anteil an seinem Geistesleben?

Wie wenig kannte man sich im Grunde! –

Was wußte sie von seinen schweren Sorgen – von der Gährung, in der sich sein Inneres befand – dem Kampfe, der in ihm tobte.

Und wußte er selbst denn viel von ihr? –

Wie stand sie zu jener großen Frage – der größten, die es für ihn gab; wie stand sie zur Religion?

Daß sie den kleinen Katechismus aufsagen konnte – ein Erfolg, auf den Martha Herberge so stolz war – bedeutete wenig. Was wollte es heißen, daß sie Kirchenlieder auswendig lernte und biblische Geschichte trieb? – Das alles gab keine Garantie dafür, daß wirkliche Gottesfurcht in ihrer Seele lebe.

Dürstete sie in Wahrheit nach dem Heil – nach dem Wort, nach dem Geist? –

Lieber keine Taufe, wenn man kalt, ohne Sehnsucht und Liebe, gezwungen durch äußere Rücksichten, an das Mysterium herantrat, nur um der Form zu genügen. –

Hier lag der seltene Fall vor, daß ein Mensch sich mit Bewußtsein entscheiden sollte, ob er dem Bunde der Christenheit zugehören wolle, in den die meisten hineingeboren werden. Selbstverantwortlich durfte sich das Mädchen entscheiden über das, was für andere der Zufall bestimmt. Sollte auch hier wieder Konvenienz, Rücksicht auf Zweckmäßigkeit und Vorteil entscheiden? – Sollte, um des guten Zweckes willen eine Vergewaltigung der Seele stattfinden? – Sollte Gewissenszwang die Freiheit der Entschließung aufheben? –

Gerland war ja nicht blind; er hatte wohl gemerkt, wie schon seit Wochen Martha Herberge heimlich auf das eine Ziel lossteuerte: Gertruds Taufe.

Der fromme Eifer der alten Jungfer hatte ihm schon manchmal peinliches Befremden verursacht.

Was unter den Titel: ›Zu Ehren Gottes‹ und zur angeblichen Förderung seines Reiches nicht alles vorgenommen werden konnte an Intriguen und Wahrheitsvergewaltigung!

Dem jungen Geistlichen stieg auf einmal ein Verdacht auf: Was für eine Veranlassung mochte es sein, die seinen alten Freund, Pfarrer Valentin, so unerwartet hierher führte? – Weshalb hatte er verlangt, mit dem Arzte unter vier Augen zu sprechen? Was hatte Marthas Aufgeregtheit zu bedeuten?

Ob auch Gertrud darum wußte, was da unten jetzt vorging?

Er fragte sie, ob sie ihm erklären könne, weshalb ihr Onkel heut gekommen sei.

Sie errötete, und die Augen niederschlagend, meinte sie, Tante Martha habe an ihn geschrieben, daß er kommen möge, um mit Vater zu sprechen – wegen der Taufe.

Also doch!

Gerland schwieg eine Weile; er hatte seinen Arm von dem Mädchen abgezogen und saß, den Kopf aufgestützt, brütend da. – Er mußte doch einmal offen mit ihr sprechen; auf falschen Voraussetzungen durfte sich ihr gemeinsames Geschick nimmermehr aufbauen.

Er vermied es, sie während des Sprechens anzusehen, – um sich nicht irre machen zu lassen. Das, was er ihr zu sagen hatte, wurde ihm nicht leicht auszusprechen.

Er sagte ihr, daß er sie nicht zu etwas treiben wolle, wonach sie vielleicht kein Bedürfnis fühle, daß sie durchaus frei sei in ihren Entschließungen und daß niemand das Recht habe, sie zu einem Schritte zu veranlassen, der nur dann Wert habe, wenn er aus dem Verlangen des Herzens heraus geschehe.

»Aber ich habe mich ja immer so danach gesehnt!« unterbrach sie ihn plötzlich.

Er sah sie erstaunt an. – Gesenkten Hauptes saß sie da, von ihm wegblickend.

»Wonach gesehnt?« fragte Gerland.

»Nach der Taufe!« – Sie sagte das sehr leise. »Lange ehe Tante Martha davon gesprochen hat.«

»Mein süßes Herz!« – Er wußte nichts Besseres zu sagen. »Und davon hast du mir bisher kein Wort gesagt, Gertrud?«

»Ich schämte mich so.«

Er nutzte das Glück der Stunde aus, wo endlich einmal ihr Gemüt offen vor ihm lag. Jetzt wollte und mußte er alles in Erfahrung bringen, von Anfang an. – Und als betrete er ein Wunderland, ward ihm zu Mute, da sie sich ihm entdeckte.

Wann sie zum ersten Male gebetet hatte? Das wußte sie nicht ganz genau; aber es mußte schon früh gewesen sein. – Eine Kinderperson hatte ihr vom lieben Gott erzählt, und daß man zu ihm beten müsse. Vom Vater hörte sie niemals über dergleichen, und als sie ihn eines Tages darüber gefragt, hatte er gesagt, wenn sie nur brav und tüchtig, sei das Beten nicht von nöten. – Auch vom lieben Gott und vom Heiland sprach der Vater nicht. Aber gerade all diese Dinge, von denen sie durch die Dienstboten hin und wieder hörte, waren dem Kinde ganz besonders interessant. Einmal hatte die Köchin sie heimlich mit in die Kirche genommen – Gertrud glaubte, es sei wohl eine katholische gewesen. Die Musik, die Priester und die Bildnisse hatten tiefen Eindruck auf das kindliche Gemüt hervorgebracht.

Sie lebten damals in der Schweiz, wohin sich Haußner nach seinem Streite mit der Kirche grollend gewendet hatte.

Nun kam die Zeit, wo das Mädchen die Schule besuchen mußte. Vom Religionsunterricht war sie ausgenommen. Der Vater erteilte ihr anstatt dessen besonderen Unterricht – es schien sich um Moral und Ethik gehandelt zu haben. Das Mädchen dachte nicht gern an diesen Unterricht zurück. Der Vater sei leicht heftig geworden, wenn sie ihn nicht verstanden habe, meinte sie, und sitzen geblieben sei eigentlich nichts davon bei ihr.

Sehr zeitig war ihr eine Ahnung davon aufgegangen, daß noch eine andere Welt existiere, von der ihr der Vater geflissentlich nichts erzähle.

Von den Mitschülerinnen erfuhr sie allerhand. Oft las sie in den Büchern und Heften der andern. Biblische Geschichte, Katechismus, Lieder und Gebete – all diese Dinge erschienen ihr interessanter und schöner als das andere, was auf der Schule getrieben wurde. Eine starke Neugier entwickelte sich bei dem Kinde, durch den Vorhang zu blicken, hinter welchem ihre junge Seele das Göttliche wie ein verschleiertes Licht ahnte.

Tiefen Eindruck machte es ihr, als eines Tages eine Mitschülerin ihr zurief: »Du bist ja nicht einmal getauft!« –

Seitdem war das Kind den Gedanken nicht losgeworden, daß ihr etwas fehle, was die andern besaßen – etwas Großes und Gutes. – Als sie den Vater gelegentlich darüber befragt, sei er – so berichtete sie – sehr ungehalten gewesen.

Das wichtigste Ereignis in ihrer religiösen Entwicklung trat jedoch erst ein, als sie nach Eichwald kam. Sie fand die Bücher ihrer verstorbenen Mutter irgendwo auf dem Boden, in einer Kiste weggepackt – verstaubt und vergessen.

Da gab es Gebetbücher, Liederbücher, Predigtsammlungen, – erbauliche Schriften aller Art.

In diese Bücherei vertiefte sich Gertrud. Sie las wahllos, und hatte bald ihre Lieblinge. Übrigens ließ sie den Vater wohlweislich nichts davon merken. Kindlicher Instinkt führte sie darauf, daß ihr Thun nicht nach seinem Sinn sei, daß er ihr die Bücher höchst wahrscheinlich wegnehmen würde.

Fortan wirkten Einflüsse entgegengesetzter Natur auf das Kind ein.

Der Vater, der ihren Unterricht weiterführte, füllte ihren jungen Geist mit wissenschaftlichen Begriffen, die andern jungen Mädchen völlig fremd bleiben. Haußner hatte sich auch auf erzieherischem Gebiete seine eigne Theorie gebildet. Vor allem sollte das Kind das, was ist, kennen lernen: die Welt und ihre Erscheinungen. Er unterrichtete die Tochter hauptsächlich in der Naturwissenschaft. Auch in der Methode des Unterrichtens schlug er einen besonderen Weg ein. Er basierte alles auf die Anschauung – von ihr aus ging er zu den Gesetzen über. Das Experiment bildete ein Haupthilfsmittel dieses Unterrichtes.

Gerland hatte schon manchmal Gelegenheit gehabt, über Gertruds Kenntnisse auf dem Gebiete der Physik, Chemie und der Biologie zu staunen. Es lag dem Mädchen sehr fern, damit zu prunken, aber gelegentlich kam es zum Vorschein. – Verwundert hörte der junge Geistliche, daß sie genau über die Fortpflanzung der Süßwasseralgen unterrichtet war; oder sie zeigte sich bewandert im Stellen des Mikroskops und wußte aus hundert Präparaten, auf Verlangen des Vaters, das Gewünschte richtig herauszufinden.

Aber das Merkwürdigste: ihre Weltanschauung war davon sehr wenig beeinflußt worden – wie Wasser war all das an ihr abgeflossen.

Jene Stunden, die sie heimlich über den Andachts- und Gebetbüchern der Mutter zugebracht, hatten viel tiefere Spuren zurückgelassen.

In vielen der Bücher fand das Mädchen Randbemerkungen von der Hand der Seligen – auch zahlreiche beschriebene Blätter, Zettel, Buchzeichen. So schien eine Stimme vom Jenseits herüberzudringen, welche das Kind zur Frömmigkeit ermahnte. Der Hang zum Religiösen, der bei der armen Bertha eine mystisch schwärmerische Richtung angenommen, schlug bei der Tochter durch, in gesünderer, natürlicher Form.

Und vielleicht gerade weil der Vater diese Seite ihrer Natur unbebaut hatte liegen lassen, weil er versuchte, diesem Hange von vornherein entgegenzuarbeiten, wuchs das zurückgestaute Gefühl, schoß dieser Trieb gegen den Willen des Gärtners um so kräftiger und gesünder empor. –

Zum Gottesdienste durfte Gertrud nicht gehen. Aber der Vater konnte es nicht verhindern, daß das Mädchen mit Persönlichkeiten zusammenkam, die einen nachhaltigeren, lebendigeren Eindruck auf ihr Seelenleben ausübten, als es Predigt und Schule jemals vermocht hätten.

Da war vor allem die alte Märzliebs-Hanne in Eiba. Das Mädchen hatte eine große Liebe zu der Greisin gefaßt. – Kein Zweifel, die Alte trug viel dazu bei mit ihren naiven Erzählungen vom lieben Gott, dem Heiland, den Engeln, die religiöse Phantasie des Kindes zu wecken und mit Wundergehalte zu erfüllen.

Und so war unter dem Einflusse verschiedenster Personen und Erlebnisse ein ganz eigenartiges Gebilde entstanden. Mit der landesüblichen Frömmigkeit hatten die religiösen Anschauungen des jungen Mädchens freilich nicht viel gemein. Ihr Christentum war ein ursprüngliches Gewächs, auf natürlichem Boden gewachsen, gesund und frisch – keine bleichsüchtige, blutarme, beim Lampenlicht der Schulstube künstlich getriebene Pflanze.

Die Prüfung im Religionsfache an einer höheren Töchterschule würde Gertrud wohl schlecht bestanden haben.

Der Begriff, daß wir Menschen durchaus schlecht und verderbt sind und nur durch Gottes Gnade selig werden können, war ihr nicht in Fleisch und Blut übergegangen. – Sie wußte nicht, daß der Herr Jesus zwei Stände und drei Ämter gehabt hat. Auch von dem Hader der Konfessionen ahnte sie wenig, noch weniger von den Konzilien, und über die Religionskriege hätte sie sehr schlecht Bescheid gewußt.

Aber was ihr an Kenntnissen abging, ersetzte reichlich die Innigkeit und Wärme, mit der sie das, was sie sich selbst aus dem Bedürfnis ihres frommen Gemüts heraus gesammelt hatte, umschlungen hielt.

Gerlands Vortrag in der Bibelstunde, den sie mit der alten Märzliebs-Hanne besucht, hatte nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Einen tieferen Eindruck noch hatte sein erstes Geschenk an sie gemacht: das neue Testament und die Worte, mit denen er ihr das Buch gegeben.

Mit diesen Eindrücken schied sie im Herbste von der Heimat. – Der Winter brachte ihr Großes und Ungeahntes. Nicht mehr als Kind – als Jungfrau kam sie im Frühjahr nach Haus zurück.

Der Gedanke an den jungen Mann hatte sie in die Fremde begleitet. Und wenn sie in dem Buche las, das er ihr in regnerischer Nacht zum Abschied in die Hand gedrückt, so schien damit eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen hergestellt.

Sie las und dachte an ihn – und wie es im Evangelium heißt: ›Sie behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen‹ –

* * *

Als der junge Geistliche in dieser Stunde einen Blick that in die Seele seiner Braut – als ihm eine Ahnung aufging von der Frömmigkeit, die in diesem Mädchen lebte, da fühlte er sich wahrhaft beschämt.

Was war seine in allen Fugen krachende Weltanschauung, gehalten gegen diesen schlichten, kindlichen, selbsterworbenen Glauben?

Wahrhaftig! die Bedenken, daß sie nicht würdig sei, die Taufe zu empfangen, konnte er getrost fahren lassen. Sie war längst eine Christin, obgleich ihr die äußerliche Besiegelung des Glaubens fehlte.

Sie war eine Christin, selbständiger und freier als tausend Namenchristen; denn sie hatte sich das, was andern mit der Geburt in die Wiege gelegt wird, selbst erobert. Herrlich hatte das Kind ihr von der seligen Mutter überkommenes Erbteil im Stillen, ohne Aufsehen, dem Zuge ihrer guten Natur folgend, verwaltet. – Die Religionsfeindschaft des Vaters – seine auf Ausrottung aller Frömmigkeit gerichteten Maßnahmen und Lehren, hatte sie in schlichter Einfalt des Herzens überwunden. –

Wie Frühlingswetter, mit Schauern und Sonnenblicken, zog das Glück in Gerlands Seele ein.

In Gertruds guten Augen, die leuchtend zu ihm aufgeschlagen waren, las er die Bestätigung seines Glücksgefühls. Jetzt war sie wahrhaftig seine Braut geworden. Mehr als Verliebtheit schwellte ihm die Brust in diesem Augenblicke: Bewunderung, Stolz auf dieses Mädchen, die so viel reiner, schlichter und frömmer war, als er. Wie hatte sich ihr Verhältnis mit einem Schlage verändert – veredelt! – Er fühlte die warme Nähe ihres jungen Leibes – aber alle Sinnlichkeit trat in seinem Empfinden zurück. Nicht Körper und Körper bloß – nein, Mann und Weib – Mensch und Mensch – geeinigt für ein Leben! Er wußte es jetzt, daß ihre erwachte Psyche ihm gehöre – ihm allein! –

Das Paar schritt von seinem Sitze herab, dem Hause zu – Hand in Hand.

Von unten kam ihnen ein anderes Paar entgegen: Pfarrer Valentin und Martha. In den Zügen des alten Mannes war besonderer Ernst zu lesen. Aus Marthas Gesicht strahlte freudige Erregtheit, sie lief den jungen Leuten entgegen.

Unter Thränen und Küssen umarmte sie Gertrud.

»Nun wirst du getauft, Trudel!« –

Valentin ergriff Gerlands Hand.

»Ja, es ist so! Mit Gottes Hilfe ist mir's gelungen. Aber es war ein harter Kampf. Aller Trotz, alles was sich in seiner Seele angesammelt von Groll und Haß lehnte sich noch einmal auf. – Aber – er ist eben doch nicht mehr der Alte. – Vieles hat an ihm gearbeitet – sein Herz ist weich, er verschließt sich nicht der Liebe. Er wird verreisen für einige Zeit. Der Taufe beizuwohnen, sträubt er sich. – Traurig, daß der Widerwille gegen das Christentum trotz allem und allem noch so tief in ihm wurzelt! – Und doch, ich weiß es – die ewige Liebe wird auch ihn gewinnen. Liebe ist es doch schließlich, die ihn soweit geführt hat – Liebe zu euch, Liebe zu denen, die nicht mehr sind.«



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