Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XXI.

Es war ein schöner Sommertag, an dem Gertruds Taufe stattfand. Freundlicher Sonnenschein lag über dem Gebirgsdörfchen Göhdaberg und verbrämte das Dutzend verfallener Strohhüten, das schindelgedeckte Kirchlein und das einstöckige Pfarrhaus daneben. –

Als Pfarrer Gerland zu früher Morgenstunde von Breitendorf nach Göhdaberg wanderte, war ihm, der frischen Morgenluft und dem freien Himmel zum Trotze, das Herz merkwürdig beklommen. Wie ein Schüler vor dem Examen, bange und zukunftsfreudig zugleich, fühlte er sich. Keinen Gedanken konnte er recht zu Ende denken. –

Heute sollte seine Braut getauft werden. – –

Und nun saß er droben im Studierzimmer des greisen Pfarrers Valentin, der sich nebenan für die heilige Handlung vorbereitete.

Noch war keine Eile – und trotzdem sah Gerland in einem fort nach der Uhr – lief ans Fenster, zu sehen, ob sie noch nicht bald kommen würden.

Dann versuchte er in dem Buche zu lesen, welches ihm sein alter Freund in die Hand gedrückt: »Geroks Palmblätter«. – Er las mechanisch die Buchstaben, ohne auf den Sinn zu achten.

Sein Blick schweifte umher und blieb an den Bildern haften, die über dem Schreibtische hingen. Um zwei von ihnen war frisches Immergrün gewunden. Gerland erhob sich und trat davor. Es war, wie er sich's gedacht: Emmy und Bertha! – Der Verstorbenen Bildnisse hatte der Alte in dieser Weise geschmückt – zum heutigen Tag!

Der junge Mann stand noch gerührt vor diesen verblichenen Zeugen einer vergangenen Zeit, als drüben ein Wagen vorfuhr.

Das würden sie sein: Gertrud und Martha! Er eilte hinab, klopfenden Herzens. Seine Enttäuschung war groß, als dem Wägelchen nicht die Erwarteten, sondern Dornig entstieg, der einem weiblichen Wesen beim Aussteigen behilflich war.

Der Amtsbruder von Färbersbach kam lachend auf Gerland zu. »Du bist mir doch nicht böse, daß wir gekommen sind! Ich habe mir nämlich erlaubt, meine Braut mitzubringen – die Taufe interessiert sie so.« –

Nun folgte die Vorstellung. – Dörings Braut war ein dralles, pausbackiges Mädchen, von gesunden Farben, mit Stumpfnase und dunklen Augen – in gewisser Beziehung Dornigs ins Weibliche übersetztes Ebenbild. Sie machte vor Gerland einen feinen Knix – wohl ein Resultat ihrer Pensionatserziehung.

Gerland fühlte sich durch die Anwesenheit der beiden nicht sonderlich angenehm berührt. Sein Wunsch war gewesen, daß die Feier möglichst einfach, ohne Gepränge und Aufsehen, vor sich gehen solle. Aus diesem Grunde war auch nicht der Sonntag gewählt worden. Und nun schien sich die Sache doch wieder herumgeredet zu haben – höchstwahrscheinlich durch Dornigs Indiskretion, dem Gerland unglücklicherweise den Termin des Taufaktes arglos mitgeteilt hatte.

Dornig merkte entweder nichts von der Verstimmung des Amtsbruders, oder er kehrte sich nicht daran. Mit der unschuldigsten Miene der Welt erzählte er, daß eine ganze Masse Geistlicher kommen würden – er habe sie unterwegs überholt.

»Ja, so was sieht man nicht alle Tage – eine Proselytentaufe! – Die Sache hat großes Aufsehen gemacht in der Gegend. – Du, sage mal, Gerland, wird denn Doktor Haußner kommen?« –-

Gerland erklärte, der Arzt sei verreist.

»Was habe ich gesagt!« rief Dornig seiner Braut zu. »Gestern wurde noch in Färbersbach darüber gestritten, ob Haußner kommen würde, oder nicht. – Ich sagte von vornherein: er kommt nicht! – Also habe ich doch recht gehabt! – Na, da werden verschiedene enttäuscht sein, die bloß hierher kommen wollten, um zu sehen, wie er sich bei der ganzen Affäre benehmen würde.« –

Ein neuer Wagen fuhr heran. Diesmal waren es Gertrud und Martha. Gerland geleitete die beiden sofort ins Pfarrhaus.

Gertrud ließ die Hand nicht wieder los, die er ihr gereicht hatte; entzückt fühlte er den verstohlenen Druck ihrer Finger durch den Handschuh.

Sie war gekleidet, nach Art der Konfirmanden, in ein schwarzseidenes Kleid von schlichter Façon.

Voll Rührung sah Gerland, daß sie das Neue Testament, welches er ihr ehemals geschenkt hatte, mit sich führte. Das Mädchen war sichtlich erfaßt von der Bedeutung des Tages. Der Ausdruck eines tiefen, inneren Glückes sprach aus ihren Zügen.

Sehr aufgeregt benahm sich Martha Herberge. – Ihre Unterhaltung bestand eigentlich nur noch in Interjektionen und stürmischen Händedrücken.

Der alte Valentin kam ihnen, im Ornate, auf der Treppe entgegen.

Schüchtern beugte Gertrud den blonden Scheitel vor ihm, auf den der Greis seine zitternden Hände legte, dann küßte er das Mädchen und stammelte Segensworte. Martha schluchzte laut auf.

Man betrat das Studierzimmer. Valentin führte die Nichte vor das Bildnis der Mutter: »Die sieht jetzt auf uns herab. – Ihre Fürbitte an Gottes Thron – ihr treues Gebet ist es, das dich dahin geführt hat, mein Kind, wo du heute stehst.« –

Alle fühlten, daß in dem Munde dieses Mannes solche Worte keine Redensarten seien.

»Sie hat mit uns gewacht und gebetet um das Heil deiner Seele – Gertrud! – Gott der Allmächtige hat ihr Gebet erhöret. – Er hat dir ins Herz gegeben, dich nach dem zu sehnen, was deiner Mutter Trost und Stärkung war. Sie ist heute bei uns, als wäre sie lebendig. – Was sie gesäet hat, das ernten wir – sie segnet dich, mein Kind!« –

Noch ein kurzes Wort der Ansprache richtete der greise Pfarrer an Gerland. Dann erklärte er, nun könne ungesäumt zur heiligen Handlung geschritten werden.

Sie begaben sich durch das Pfarrgärtchen, über den Kirchhof schreitend, zum Gotteshause.

Dornig hatte richtig prophezeit: ein Schwarm von Klerikern drängte sich am Altarplatze.

Da war gleich in der ersten Bank Pfarrer Roßbach und Diakonus Schwenker. – Und dort das bleiche Gesicht mit dem schwarzen Seidenhaar: Polani. Neben ihm seine Frau. Sie nickte und lächelte, während Gerland hinter seiner Braut dem Altar zuschritt.

Weiter hinten im Schiff des Kirchleins drängte sich Kopf an Kopf: Dorfleute – allerhand Volk aus der Umgegend, das neugierig herbeigeströmt war, um dem außerordentlichen Ereignisse beizuwohnen – der Taufe von Doktor Haußners, des Dissidenten, Tochter! –

Beim Eintritte des Taufkindes und der Zeugen hatte die altersschwache Orgel mit ächzenden Tönen eingesetzt – allmählich fand sich etwas wie eine Melodie hinzu – und mit Hilfe vieler sangeskundiger Pastoren brauste das Eingangslied durch das Gotteshaus, dessen alte, bemalte Holzdecke und das wurmstichige Emporengebälk verwundert auf ein Neues herabblickten, das sich heute hier zutrug.

Gertrud saß allein vor dem Altare, hinter ihr, als Taufzeugen: Martha und Gerland.

Der junge Mann konnte den Blick nicht von Gertrud lassen, die gesenkten Hauptes, die Hände über dem Buche gefaltet, in Andacht vor ihm saß. Der Ernst tiefer Frömmigkeit drückte sich in ihrer Erscheinung, in jeder ihrer Bewegungen aus. –

Das Lied war verklungen; von der Sakristei her nahte sich jetzt die ehrwürdige Erscheinung des greisen Pfarrers.

Nach stillem Gebet sprach er die Einsetzungsworte aus dem Matthäusevangelium; dann begann er die Taufrede.

Das Amt lag in guten Händen.

Von einem Manne, wie Pfarrer Valentin, war nicht zu befürchten, daß er die Gelegenheit benutzen werde, um zu moralisieren. Schlicht und einfach legte er dar, wie in der Seele dieses Mädchens das Verlangen erwachsen sei, in die christliche Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Ihres früheren Erziehungsganges und des väterlichen Einflusses wurde in mildester Form gedacht – bei dem Andenken der verstorbenen Mutter verweilte er länger – und hier strömte ihm die Rede am wärmsten. – Gerlands that er in taktvoller Weise überhaupt keine Erwähnung.

Die Ansprache gipfelte in dem Danke für Gottes Güte, der den Täufling hierher geführt habe, damit er die geistliche Wiedergeburt empfange.

Hierauf trat er an das Mädchen heran, das sich erhoben hatte, gab ihr das Kreuz an Stirn und Brust und sprach:

»Nimm hin das Zeichen des heiligen Kreuzes, beides, an der Stirn und an der Brust. – Lasset uns beten!« –

Nach dem Gebet verlas er das Evangelium.

Dann legte er seine Hand auf des Täuflings Haupt und sprach das Vaterunser.

Nun fragte er sie den Glauben ab.

Als sie derart ihr Bekenntnis abgelegt, fragte er:

»Willst du getauft sein?«

Klar und lieblich klang das »Ja!« von zarter Mädchenstimme durch den Raum.

Und nun, unter atemloser Spannung der Versammlung, taufte er die Knieende mit Wasser, dabei sprechend:

»Gertrud Sophie Friederike, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

Der allmächtige Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der dich anderweit geboren hat durch Wasser und den heiligen Geist und hat dir alle deine Sünde vergeben, der stärke dich mit seiner Gnade zum ewigen Leben. Amen! – Friede sei mit dir. – Amen!«

Und schließlich sich der Gemeinde zuwendend, erteilte der alte Mann mit erhobenen Händen allen den Segen. –

Damit verließ er den Altar.

Martha und Gerland traten zu Gertrud, um die noch Knieende aufzurichten. –

Noch einmal setzte die altersschwache Orgel ein, zu einem Schlußliede. Aber es war keine rechte Andacht mehr in der Gemeinde. Während Gertrud und Martha in die Sakristei verschwanden, drängte sich alles zu Gerland.

Man beglückwünschte ihn. Allen voran Polani. Während er mit diesem zum Ausgang schritt, umschwärmten ihn die Amtsbrüder; jeder wollte ihm etwas sagen. – Er schien auf einmal eine populäre Persönlichkeit geworden zu sein. – Man schüttelte ihm die Hände und versicherte, wie man sich für ihn freue. –

»Ihre Braut ist reizend!« tönte es ihm von den Lippen der Pastorin von Annenbad entgegen. »Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück, Herr Pastor!« –

Pfarrer Roßbach näherte sich, und versicherte, das Ganze habe einen ausgezeichneten Eindruck gemacht. – Diakonus Schwenker gratulierte mit dem üblichen unangebrachten Gelächter.

Allerhand Fragen wurden an Gerland gestellt. Da war einer, der sich nach dem Termin der Hochzeit erkundigte, ein anderer wollte wissen, warum des Mädchens Vater nicht dagewesen sei.

Polani rettete den arg Bestürmten aus der unangenehmen Lage. Er nahm Gerland unter den Arm und schritt mit ihm beiseite: »Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen, Gerland! – Es muß Sie, denke ich, mit hoher Befriedigung erfüllen, daß Sie das erreicht haben.«

Gerland wandte ein, daß ihm so gut wie kein Verdienst in dieser Sache zukomme; es sei des Mädchens freier Wille gewesen, getauft zu werden.

Polani nahm dies mit eigentümlichem Lächeln auf. »Schön schön – lieber Gerland!« sagte er. »Was ich Ihnen in aller Eile noch mitteilen wollte, ist das: Superintendent Großer ist mit Ihrem Thun, überhaupt mit der ganzen Art und Weise, wie diese Angelegenheit von Ihnen behandelt worden ist – zielbewußt und taktvoll zugleich – sehr einverstanden! Der Superintendent wäre jedenfalls selbst hergekommen, hätte nicht das berechtigte Bedenken bestanden, der Vater der Konvertierten möchte zugegen sei. – Sie wissen ja, wie die beiden zu einander stehen! – Nun, jedenfalls hat er mich beauftragt, Ihnen seinen Glückwunsch auszusprechen, und er würde die nächste Gelegenheit wahrnehmen, um mit Ihnen persönliche Rücksprache zu nehmen. Es schwebt da ja wohl eine Angelegenheit zwischen Ihnen und Ihrem Patron, dem Grafen. Der Superintendent scheint Hoffnung zu haben, diese Sache zu friedlichem Ausgleich zu bringen. – Er ist Ihnen wirklich günstig gesinnt, der Superintendent. – Sie wissen, er hat nun mal die Schwäche, nach oben zu blicken – und ein Ereignis, wie dieses, wird ja natürlich nicht unbemerkt bleiben – Sie verstehen! – Wie gesagt, ich freue mich, Ihnen so gute Nachrichten von dieser Seite bringen zu können.« –

Zu weiterem gab es für Polani keine Zeit. Seine Frau saß bereits im Wagen. Mit ungeduldiger Stimme rief sie nach dem Gatten.

Gerland drängte es, ins Pfarrhaus zu eilen, wo er sein liebes Mädchen wußte. –



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