Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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X.

Pfarrer Gerland hatte seinen Plan, für Breitendorf eine Gemeindeschwester zu gewinnen, keineswegs aufgegeben. Immer wieder nahm er den Gedanken vor und liebäugelte mit seiner Ausführung. Die Summe, welche er seinerzeit von einigen städtischen Damen erhalten, war zu gering zur Erreichung des Zweckes. So kam er auf den Gedanken, eine Sammlung durch die Blätter zu veranstalten.

Es gelang ihm, den Gemeindekirchenrat wenigstens dazu zu überreden, daß ein Aufruf aufgesetzt und erlassen werden durfte.

Trotz des warmen Appells an das öffentliche Mitleid, ging so gut wie nichts ein. Da inzwischen auch eine abschlägige Antwort von seiten des Kreises eingelaufen war – an den sich der Geistliche um Unterstützung gewandt hatte –, beschloß er, mit dem wenigen, was da war, auf gut Glück einen Anfang zu machen. Irgend ein Zufall, ein außergewöhnlicher Glücksumstand, konnte ja eintreten. – Vielleicht gewann er in der Lotterie, oder das Herz eines Reichen wurde auf rätselhafte Weise gerührt. – Im Notfalle mußte er selbst eben mit seinem kleinen Vermögen für den Riß stehen.

Er schrieb an die Oberin eines Diakonissenhauses, die ihm von seiner früheren Amtsthätigkeit her bekannt war. –

Es entspann sich ein längerer Briefwechsel; er hatte die Verhältnisse in der Parochie darzulegen – die Oberin hegte Bedenken, welche beseitigt werden mußten – die Bedingungen wollten festgestellt und Garantieen geleistet sein.

Endlich war es soweit; eine Schwester sollte nach Breitendorf kommen, vorläufig nur probeweise, auf ein halbes Jahr. –

Gerland holte die Diakonissin selbst von der Bahn ab.

Auf den ersten Blick war er ein wenig enttäuscht. Ein kleines, junges Ding entstieg dem Coupé dritter Klasse, mit rundem, unbedeutendem Gesichtchen – Farben wie Milch und Blut. – Mit verschämtem Augenniederschlag begrüßte sie ihn.

Die sah nicht aus, als ob sie nach Breitendorf passen werde. Und dabei hatte Gerland der Vorsteherin des Diakonissenhauses doch geschrieben, daß hier ein Augiasstall zu reinigen sei. –

Die Schwester überreichte dem Geistlichen einen Brief von der Oberin. Noch einmal wurde ihm darin das Mädchen besonders ans Herz gelegt, Schwester Elisabeth sei geeignet wie keine andere für eine schwierige Stelle, durch ihre Charakterfestigkeit und ihren Eifer für den Beruf. –

Gerland hatte beim Küster, in einer freien Kammer für die Schwester Quartier gemacht. Er führte sie selbst in die Wohnung ein. Im stillen bangte er, daß sie an der Dürftigkeit des Raumes Anstoß nehmen möchte; aber das zufriedene Lächeln, mit dem sie die enge Kammer betrachtete, befreite den Geistlichen von dieser Sorge.

Gegen Mittag war Schwester Elisabeth eingetroffen. Da sie eine längere Eisenbahnfahrt hinter sich hatte, riet ihr der Geistliche, sich auszuruhen. Aber schon am Nachmittage begegnete er ihr im Dorfe, wie sie im schwarz und weißen Berufskleide, die Röcke wegen des Schmutzes hochgerafft, mit starken Lederschuhen, die Straße hinabschritt, als neue Erscheinung von den Dorfleuten natürlich neugierig angegafft: »Saht ack – nee, saht ack – dan Pfarrn sene Diakunisse!« –

Gerland schloß sich ihr an und nahm die Gelegenheit wahr, sie in die örtlichen Verhältnisse einzuführen. Er machte die Schwester auf die Lebensweise der Leute aufmerksam, weihte sie in Gewohnheiten, Laster und Aberglauben ein.

Er wollte das Mädchen nicht schonen. Sie sollte von vornherein inne werden, daß sie an dieser Stelle wenig mit Rosen, aber viel mit Dornen zu thun haben werde.

Um sie sogleich mit dem Allerschlimmsten bekannt zu machen, führte er sie ins Armenhaus. –

Hier wohnte gegenwärtig eine Frau mit fünf Kindern. Das Familienhaupt war wegen Vagabundierens in einer Arbeitsanstalt untergebracht. Die unglückliche Frau hauste einstweilen mit ihren Fünfen, von denen eines ein Säugling, in dem völlig kahlen Raume. Der Ofen in der Ecke des Zimmers war kalt; es gab kein Brennmaterial und nichts zum Kochen. Die Kinder waren thatsächlich in Lumpen gehüllt, die allerorten ihre mageren Glieder durchblicken ließen. Mit blutleeren Gesichtern starrten sie die Eintretenden verwundert aus hohlen Augen an. Eines lag am Boden, in einen alten Kartoffelsack gebettet. Die Mutter saß über dem elenden Säugling zusammengesunken – ein Bild völliger Apathie. –

Das waren die Insassen des einen Zimmers.

Jenseits des Ganges wohnten zwei Ortsarme gemeinsam in einem Raume: der taube Tobis und Schunkelernst, der Lumpensammler.

Die beiden alten Junggesellen hausten in diesem Raume bereits seit Jahren, ein würdiges Freundespaar! Sie hatten es sich verhältnismäßig gemütlich eingerichtet. Allerhand merkwürdige Gegenstände schmückten die Wände und lagen in den Ecken umher. Holzstücke, Leisten, Schnitzel, Säcke, Lumpen, Gerümpel jeder Art. Der taube Tobis war ein sogenannter »Bastelch«. Er bastelte mit äußerst primitiven Instrumenten an aufgelesenen Holzstücken herum, stellte die wunderlichsten Gegenstände aus nichts zusammen, führte gelegentlich wohl auch eine Reparatur aus, und verdiente sich auf diese Weise einige Pfennige zu Rauch- und Priemtabak. Er gehörte zu den ältesten Leuten im Dorfe und fehlte trotz seiner Taubheit am Sonntage niemals in der Kirche.

Schunkelernst war auch kein Jüngling mehr. Als kleinem Jungen war ihm das Unglück passiert, von einer Schaukel zu fallen; davon hatte er ein gekrümmtes Rückgrat und seinen Spitznamen wegbekommen. Mit einem schmutzigen Sack, der geradezu ein Teil seiner Person zu sein schien, auf dem Buckel, lief er durch die Dörfer und sammelte alles, wovon sich andere Leute gern trennten. Er stand im Verdacht, gelegentlich auch lange Finger zu machen, doch war ihm ein Diebstahl niemals wirklich nachgewiesen worden.

Diese beiden Junggesellen führten gemeinsame Wirtschaft; sie säeten und ernteten nicht, aber sie halfen sich auf ihre Weise durch. Das Holz zur Heizung lasen sie im gräflichen Forste auf, Kartoffeln erbettelten sie sich bei den Bauern. Was sie verdienten, ging für Knaster und Schnaps auf.

Als Gerland heute mit Schwester Elisabeth zu dem Freundespaar ins Zimmer trat, verschwand ein grünliches Fläschchen, das auf dem Tische gestanden, unter Schunkelernsts gewandten Händen.

Der Geistliche hatte einen besonderen Grund, hier zu visitieren. Von Zeit zu Zeit erschienen die beiden abwechselnd auf dem Pfarrhause und bettelten, weil sie angeblich arbeitsunfähig seien; der eine wegen »Reeßens«, der andere wegen »Kuppangst«. Beide hatten es im Erbärmlich-thun zu einer wahren Virtuosität gebracht. –

Vom Armenhause ging es weiter, das ganze Dorf durch. In jedes Haus, wo der Geistliche von einem Kranken wußte, trat man ein.

Das Verhalten der Schwester während dieses Ganges erfüllte Gerland mit hoher Befriedigung. Ihr schlichtes Wesen gefiel ihm. Ohne Zimperlichkeit griff sie zu – sagte nicht viel und that um so mehr – voll Sicherheit und Ruhe – mit dem immer gleichen zufriedenen Lächeln auf ihrem runden Gesichtchen. –



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