Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XIV.

Gerland fuhr bei Zeiten nach Haus zurück. Er hatte den alten Pfarrer Valentin zu sich in den Wagen genommen, um dem Greise wenigstens ein Stück Weges das Marschieren zu ersparen.

Selbst auf den harmlosen, alten Mann, der, wenn irgend möglich, Dingen und Menschen die beste Seite abzugewinnen versuchte, hatten die Vorgänge des Morgens einen unangenehmen Eindruck gemacht. Mißtrauen war dieser friedliebenden Natur durchaus fremd, aber heute stimmte er in Gerlands kritische Betrachtungen über die Amtsbrüder trauernden Herzens ein. Er werde alt, klagte er, und die Welt um ihn her habe sich verändert. Die Schlichtheit, die Innigkeit des Glaubens sei verloren gegangen. Auch in den geistlichen Stand habe sich das Strebertum eingeschlichen. – Man blicke nach oben; aber nicht auf den lieben Gott. – An Stelle der Frommheit mache sich Phrase und Heuchelei breit. – Eine zweite Periode des Nationalismus sei im Anzuge.

Der alte Mann schüttelte trübe sein Haupt und sprach davon, sich nun bald emeritieren lassen zu wollen.

Gerland hatte Valentin gegenüber etwas Besonderes auf dem Herzen – eine Beichte! – Sein Verhältnis zu Gertrud wollte er dem Onkel des Mädchens nun endlich eröffnen.

Er holte weit aus, erzählte, wie alles gekommen sei.

Auf Bedenken, Kopfschütteln, ja auf ernstes Abreden hatte sich Gerland gefaßt gemacht; die Wirkung, die seine Eröffnung in Wahrheit auf den alten Mann hatte, kam ihm völlig unerwartet. –

Pfarrer Valentin weinte vor Freude.

Das sei ja seine Hoffnung gewesen im stillen, von dem Augenblicke an, wo er erfahren, daß Gerland in Verkehr mit Haußner getreten.

Gerland fiel ein Stein vom Herzen, als er den Alten so ganz auf seiner Seite sah; nun schüttete er ihm ein ganzes Herz voll Sorgen aus. Jetzt, wo er alles darlegen mußte, wurde ihm selbst erst klar, wie schwierig die Lage sei, in die er sich begeben. Er machte Valentin gegenüber all die Hindernisse geltend, die sich seiner Verbindung mit Gertrud in den Weg stellten.

Da war vor allem Haußners schroff ablehnende Haltung. – Die Tochter taufen zu lassen, dazu würde ihn keine Macht der Welt bringen. Wie aber konnte Gerland im Amte bleiben, wenn er ein ungetauftes Mädchen heimführte? – Nach keiner Seite schien ein Ausweg aus diesem Dilemma vorhanden. –

Aber Pfarrer Valentin wollte nichts davon wissen, daß Gerlands Lage trostlos sei. »Das wird alles zu einem guten Ende kommen, mein lieber junger Freund!« – tröstete er. »Ich sehe hier zu deutlich Gottes Finger. Wenn man alt wird, fängt man an, weit zu blicken, während das Nahe verschwimmt. Ich ahne jetzt, welchen Weg unser Herrgott uns alle geführt hat. – Wir sind nicht mehr weit vom Ziele, will mich bedünken.« –

Der Alte saß eine Weile, ohne ein Wort zu sagen, mit freundlich stiller Miene; er schien in sich zu blicken, während die sinkende Sonne rings ihre Flammenzeichen aufsteckte. Gerland hütete sich, ihn zu stören; er ahnte, daß der Greis vergangener Zeiten gedachte.

Dann ergriff Valentin die Hand des jüngeren Mannes: »Hören Sie mich, mein Freund, ich habe mich zu etwas entschlossen – ich will mit Haußner sprechen. Manches Jahr ist es her, daß ich dem Manne Auge in Auge geblickt habe. Die Zeit scheint mir erfüllt. – Ich denke, wir haben uns vieles zu sagen, Haußner und ich.« –

* * *

Sie waren am Haußnerschen Grundstück in Eichwald vorgefahren. Gerland hatte den Wagen entlassen. Er ging langsam auf der Straße auf und ab.

Die Zeit verstrich ihm sehr langsam. Zweimal schon, seit Pfarrer Valentin hineingegangen, hatte er es in Breitendorf schlagen hören. Daß der Alte den Arzt angetroffen habe, wußte Gerland; er hatte das tiefe Organ Haußners, das mit keinem andern zu verwechseln war, vom Garten her vernommen.

Da drinnen wurde jetzt sein Geschick entschieden. – Dem jungen Geistlichen klopfte das Herz. Es war thöricht von ihm, zaghaft zu sein; je länger die Unterredung dauerte, desto besser war es ja für seine Aussichten.

Die Front des großen Hauses lag gänzlich im Dunkel; selbst die Fenster des ärztlichen Studierzimmers waren nicht erleuchtet.

Ob Gertrud und Martha eine Ahnung hatten, was vorgehe? – Wo mochten sie jetzt wohl sein? –

Als Gerland das nächste Mal an dem Gartenthore vorüberschritt, öffnete sich dieses leise. Durch die Spalte zwängte sich ein graues Wesen. Jemand faßte Gerland am Rock »Herr Pfarrer!« flüsterte ein Stimmchen. Eine Gestalt, wie ein Fledermäuschen im Abenddunkel, huschte heran. – »Kommen Sie schnell, Herr Pfarrer!« – Als er zögerte, zog sie ihn mit sanfter Gewalt zur Thür. »Ich habe die Glocke ausgehängt – niemand kann etwas hören. Kommen Sie!« –

»Aber, Fräulein Herberge, das geht doch nicht!« meinte Gerland, dem allerhand Bedenken aufstiegen.

»Kommen Sie nur – kommen Sie! – Hinauf nach dem Walde sind sie gegangen, Haußner und der alte Herr. – Kommen Sie nur!« –

Das Thor schloß sich unhörbar hinter ihm.

Gerland wollte etwas sagen, – »Pst, Pst!« Martha hielt ihm den Mund zu. Man that ein Paar Schritte über Rasen. Da hüpfte aus der Dämmerung eine andere Gestalt herbei.

Einige ihm unverständliche Worte flüsterte Martha noch; dann war er allein mit Gertrud. Das alte Mädchen schien der Schatten der Gebüsche verschluckt zu haben.

Er fühlte eine weiche Hand in der seinen zittern – blickte in ein Paar glänzend zu ihm aufgeschlagene Augen. Wortlos beugte er sich zu dem lieblichen Gesichte herab, das sich vor ihm aufthat, wie der Kelch einer Blume – ein Paar halbgeöffnete Lippen kamen den seinen entgegen. Er fühlte, wie die kleine Hand in der seinen zuckte, – etwas Neues durchrieselte ihn vom Kopf zu den Füßen.

Keines sagte ein Wort – nur noch in halbbewußten Bewegungen lösten sich die Gefühle aus.

Ein Gedanke blitzte ihm durch den Sinn: die Laube. Sie schien ihn sofort zu verstehen, obgleich keine Worte gewechselt wurden. Die Laube lag dicht nebenan; auf Zehen schlichen sie hinein, klopfenden Herzens. Er stieß sich hart an der Tischkante und fühlte es nicht. Tastend fand er im Dunkeln die Bank, setzte sich und zog das Mädchen neben sich.

Jeder seiner Bewegungen folgte sie. Bald hatte er sie ganz in seiner Gewalt – sein Arm lag um ihren Körper, sein Kuß durchdrang ihre Lippen – sie schien keinen eignen Willen mehr zu haben. Wie ein Schüler folgte sie willig seiner Anleitung. Und dabei war er selbst ein Lernender.

Jetzt sank des Mädchens Kopf zurück; er blickte ihr, über sie gebeugt, ins Gesicht; ein matter Schimmer des Abendhimmels fiel darauf. Sie schloß die Augen; ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.

Nun fand er an ihrem Ohre die ersten stammelnden Worte – ein unzulängliches Geständnis von dem, was er empfand.

Wie ein Kind, das im Einschlummern begriffen, lag sie in seinen Armen. Sie nickte mit dem Kopfe und lächelte. Er küßte ihr die geschlossenen Augen und das Haar, streichelte ihr die Wangen. Sie schmiegte sich an ihn.

Jetzt hörte er draußen ein ihm wohlbekanntes männliches Organ, Das Mädchen richtete sich ein wenig auf. »Der Vater!« flüsterte sie.

Stimmen und Schritte kamen näher. Gerland erwog mit angehaltenem Atem, was er zu thun habe, im Falle man sie entdecke. Aber die Gefahr ging diesmal vorüber; dicht an der Laube, so daß ihre Gestalten für einen Augenblick den hellen Himmelsabschnitt verdunkelten, schritten die beiden Männer vorbei. Sie waren eifrig im Gespräch vertieft.

Valentin und Haußner standen noch einen Augenblick vor der offenen Hausthür. Gerland konnte jedes Wort hören, das sie sprachen.

»Du mußt hier bleiben für die Nacht. So spät kannst du doch unmöglich bis nach Göhdaberg laufen« hörte man Haußner sagen.

Der alte Valentin schien sich dagegen zu sträuben. Der Arzt redete weiter in ihn hinein, aber nicht in unfreundlichem Tone, wie es Gerland vorkam.

Dann verschwanden die beiden im Hause.



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