Wilhelm von Polenz
Der Pfarrer von Breitendorf Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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XVIII.

Die Frau des Schuhmachers Herklotz mußte doch wohl aus den Mienen des Arztes gelesen haben, wie bedenklich es mit ihr stehe; von dem Tage ab, wo Doktor Herzner bei ihr gewesen, fing sie an, vom Sterben zu sprechen. Schwester Elisabeth mußte ihr aus Bibel und Gesangbuch vorlesen, und Gerland betete mit ihr und bereitete sie auf das Ende vor.

Eines Tages ließ sie ihm durch die Schwester den Wunsch nach dem heiligen Abendmahl aussprechen. Der Geistliche trug kein Bedenken, der Bitte zu willfahren, wollte aber, wie er es stets in solchen Fällen that, erst dem Gatten davon Mitteilung machen, um ihm Gelegenheit zu geben, an der Kommunion teilzunehmen. Wie Gerland erwartet hatte, wies der Schuhmacher das Ansinnen in schroffer Weise ab.

Inzwischen hatte der Geistliche Amtstracht angelegt und die Geräte herbeischaffen lassen. Als er das Haus betrat, war Herklotz fort – er sei ausgegangen, hieß es. Gerland war es im Grunde lieb so.

Schwester Elisabeth hatte alles vorbereitet. Ein Tisch war weiß belegt, ein paar Kerzen aufgestellt. Der Raum hatte unter ihren Händen ein würdiges Aussehen bekommen. Sie hielt die Kinder an, die heilige Handlung nicht zu stören.

Die Kranke sei auffällig erregt, teilte die Schwester dem Geistlichen in aller Eile mit; sie scheine etwas auf dem Herzen zu haben, das sie bedrücke.

Gerland richtete daher seinen Zuspruch ganz besonders darauf ein, ihr die Todesfurcht zu benehmen. Er betete den dreiundzwanzigsten Psalm laut: ›Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.‹ – Hinter ihm, die Schwester, betete mit.

Das Beichtgespräch gab ihm Gelegenheit, den seelischen Zustand der Kranken zu ergründen. Verzweifelte Unruhe schien sie zu beseelen; mehr noch als ihre Worte sagten das die unruhig umherirrenden Augen, und ihr Seufzen, das aus gefoltertem Gemüte zu kommen schien.

Gerland zögerte daher mit der Konsekration. Er forschte, ob sie etwas Besonderes auf dem Herzen habe: einen Wunsch – irdische Sorgen irgend welcher Art.

Mit verängsteten Blicken sah sich die Kranke um; wo ihr Mann sei, fragte sie. Nachdem sie erfahren, daß er nicht anwesend, wurde sie wesentlich ruhiger. Gestützt von der Schwester, setzte sie sich im Bette auf; dann erklärte sie, dem Geistlichen ein Geheimnis anvertrauen zu wollen.

Schwester Elisabeth entfernte sich lautlos und nahm die Kinder mit fort.

Gerland war allein mit der Sterbenden.

Immer noch ahnte er nicht, was kommen werde. – Es war ja nicht das erste Mal in seiner Amtsthätigkeit, daß ihm von Sterbenden schwerwiegende Eröffnungen gemacht wurden. Auf Wunderbares war er daher gefaßt – aber auf das, was er jetzt erfahren sollte, doch nicht.

Verwickelt, unlogisch, verworren, kam es von dem Lippen der armen Person:

»Es is woas gegen Sie in Warke, Herr Paster. – Se kinna mer's gleba – ei dar Gemene – mei Moan is och darbeie. Schun in vurgen Juhre hoan se dervu geradt – se wollten 'n Pfarrn oazeiga – bein Patrune, gleb'ch – sagten se, wigen an Kunfermationsunterrichta, gleb'ch, sillt's gihn. Se thäta ne richt'g lahren – und a andres meente och, Se thaten ne lahren, wie's ei dar Bibel geschrieben is. – Ich hoe mich dorim erscht ne vill gekimmert, weil'ch no gesund rumliff – verzeih' mer's Gutt! Ees hoat aben an andre Dinga zu denka. – Aber darnoa, nu 'ch kroank bie und 's gieht uf's Latzte, nu tut mich's reien. – Nee, wenn ack dar liebe Gutt, und ar thut mer die Sünde ne behalen. Denn Se sein duch gar so gutt gegen mich gewast und gegen de Kinder – Herr Paster! – Bezahl' Se's dar liebe Gutt, und vergalt er Sie's! – Und ich koan's aber ne länger nich mitte oansahn und oanhira, woas se do ein Schilde fihren gegen Se. ›Dar Pfarr muß furt!‹ sagn se, doas ho'ch salber gehiert. Und vun oner Pitation hoan se geradt – und vun aner Beschwerde. Ich koan's ne racht verstihn, alls. Wissen Se, se machen de Tier zu, dohie vun dan Stiebel. – Doe is de Tonchen, doas is de schlimmste. ›Der Pfarr is a guttluser Racker!‹ sagte die neilich. Und dernoa is dar Finkepauer – ju ju, dar stackt o mit darbei – und Wenzel – woas dar frihere Kanter is – dar woar erscht nächtens hier ein Stiebel bein Moane. Und doas sein se no lange nich alle. Se tun sich ofte bei der Tonchen treffen – durt staken se zusammde. – Doas ho'ch an Herrn Paster ack sagen wulln – damit 'ch ne sündch war, und 'ch asse und trinke mer'n Herrn Christus salber zun Gerichte.« –

Der Geistliche mußte sich mit aller Kraft zusammennehmen, um während des nächsten nicht aus der Rolle zu fallen. Die Frau war nach Ablegung des Geständnisses gänzlich erschöpft. Gerland sah sich genötigt, die Schwester zurückzurufen. Die Kranke wurde in eine bequemere Lage gebracht und erfrischt. Dann betete er noch einmal mit ihr – suchte ihren und seinen Sinn auf die Verheißungen des Erlösers hinzulenken.

Nachdem er die Überzeugung gewonnen, daß die Sterbende nunmehr in ruhigerer, freierer Stimmung sei, schritt er zur Konsekration und ließ die Distribution folgen.

Schwester Elisabeth kniete neben dem Bette. Der innige Ausdruck ihres Gesichtes stärkte den Geistlichen während der Handlung.

Gebet und Segen machten den Schluß. –

Tief erregt verließ Gerland das Haus.

Was sollte er mit der soeben erfahrenen außerordentlichen Nachricht anfangen? – Das Beichtgeheimnis versiegelte ihm den Mund.

Was durfte er thun, als schweigend, mit gebundenen Händen, dem Streiche entgegensehen, der aus der eigenen Gemeinde gegen ihn geführt werden sollte! –

* * *

Pfarrer Gerland sollte nicht lange in Ungewißheit bleiben. Ein Brief vom Superintendenten lief ein, in welchem der Geistliche aufgefordert wurde, sich zu bestimmter Stunde in der Superintendentur zum Zwecke eines Kolloquiums einzufinden.

Als er zur vorgeschriebenen Zeit beim Ephorus vorsprach, nahm er schon im Vorzimmer wahr, daß sein Oberer nicht allein sei; an dem nasalen Organ glaubte er den Grafen Mahdem zu erkennen.

Er hatte sich nicht getäuscht, der Patron von Breitendorf war zugegen.

Superintendent Großer empfing den jungen Geistlichen weniger kordial, als man es sonst an ihm gewohnt war. Der Graf hatte kaum ein Kopfnicken für Gerlands Verbeugung.

»Mein Lieber – nehmen Sie Platz – dort!« – Der Superintendent wies auf einen Stuhl.

»Lassen Sie uns sofort in medieas res gehen, Herr Pfarrer!« begann der Prälat, nachdem er sich im Fauteuil zurechtgesetzt hatte. – »Also – es handelt sich zunächst um folgendes: Es ist mir zu Ohren gedrungen, daß Sie in letzter Zeit viel mit einem gewissen Doktor Haußner verkehren, der in Ihrer Parochie lebt.« –

Superintendent Großer blickte Gerland forschend an; vielleicht erwartete er ein Zeichen der Bestürzung, ein Wort des Widerspruchs, oder der Entschuldigung von seiten des jungen Geistlichen.

Da Gerland den Mund nicht öffnete, fuhr der alte Mann in seiner offenbar wohl vorbedachten Rede fort: »Also, Sie leugnen nicht, sich in Umgang mit diesem Manne eingelassen zu haben, Herr Amtsbruder?« –

»Das leugne ich durchaus nicht, Herr Superintendent!«

Es schien fast, als wolle sich der Graf hier in das Gespräch mischen – wenigstens vernahm Gerland vom Fenster her ein ungeduldiges Räuspern. Ein Blick des Superintendenten schien jenem abzuwinken.

»Schön! Sie machen also kein Hehl aus Ihrem Umgange mit Doktor Haußner. – Schön! – Das ist mir in gewisser Beziehung lieb, Herr Pastor! Denn die Offenheit – ich möchte sagen – die Naivetät, mit der Sie das unbedenklich zugeben, entlastet Sie. Ich erkenne daraus, daß Sie über den eigentlichen Charakter, über das Vorleben dieses Menschen, nicht in vollem Maße orientiert sind. – Das, wie gesagt, nehme ich zu Ihrer Entschuldigung an. – Denn ich kann mir doch nicht denken, daß Sie es gewagt haben würden, sich mit jemandem abzugeben, der wegen seiner bekannten, gegen weltliche und kirchliche Behörden gerichteten feindlichen und aufrührerischen Gesinnung im höchsten Grade anrüchig ist. Sie kennen diesen Menschen nicht so wie ich – Sie haben nicht die Kämpfe durchzumachen gehabt, die ich vor etwa zwanzig Jahren hier mit ihm zu bestehen hatte. – Ich sage Ihnen, dieser Mensch ist geradezu das fleischgewordene böse Prinzip – ein ganz gefährlicher Charakter! Seine Kirchenfeindschaft, sein Lebenswandel, – die Art und Weise, wie er seine arme Frau unter die Erde gebracht hat – sein ganzes Verhalten Ihrem Amtsvorgänger Menke gegenüber – das alles spricht von einer Verworfenheit, einer seelischen Roheit und sittlichen Verkommenheit, daß man hier wohl füglich alle Milde beiseite lassen darf. – Toleranz wäre geradezu Sünde in diesem Falle. – Mit einem Menschen, der sich selbst exkommuniziert hat, haben wir nichts zu schaffen und dürfen wir uns nicht einlassen. An einer solchen Persönlichkeit Missionsversuche machen, wäre ein ganz verfehltes Unterfangen. – Ich will nämlich zu Ihren Gunsten annehmen, Herr Amtsbruder, daß dieser Wunsch Ihr eigentlicher Beweggrund gewesen ist. Die Absicht, das verlorene Schaf zurückzuführen, mag ja Ihrem Hirtensinn alle Ehre machen; aber – lassen Sie mich Ihnen sagen, das ist beinahe etwas jugendlich gehandelt. Der Versuch, mit der Leuchte des Evangeliums die Finsternis des Unglaubens aufzuhellen, ist gewiß das gute Recht eines jeden Priesters – aber nur da wollen wir in den Kampf mit dem Unglauben eintreten, wo die Möglichkeit eines Erfolges gegeben ist. Die Perle vor die Säue werfen, das sollen wir nicht. Denken Sie an das Wort unseres Herrn und Meisters: ›Laß die Toten ihre Toten begraben!‹ – Lieber Amtsbruder, vermeiden wir das Ärgernis! – Es giebt Ärgernis, sage ich Ihnen, der christlichen Gemeinde und den Wohlgesinnten gegenüber, wenn der Diener der Kirche im Hause des Kirchenfeindes und Religionsspötters aus und eingeht. Es wird darüber gesprochen; dieser und jener nimmt Anstoß daran – und schließlich werden dem Geistlichen Beweggründe untergeschoben, die nicht mit dem Ansehen und dem Dekorum unseres Berufes zusammenstimmen. – Es ist nicht pastoral gehandelt und fordert die üble Nachrede geradezu heraus, wenn der Hirte nach der Predigt, noch im Amtskleide, mit der Tochter des Dissidenten – mit einer ungetauften Person – öffentlich vor den Augen der ganzen Kirchfahrt einherwandelt. Das ist, um den mildesten Ausdruck zu gebrauchen, unklug! – Damit wird ein Skandal geradezu provoziert. Was anderes soll dann eine Gemeinde von ihrem Hirten denken, als daß er es mit den Spöttern und Häretikern hält. – Verstehen Sie wohl, Herr Pastor! Ich schiebe Ihnen da keine unlauteren Motive unter, das liegt mir völlig fern; im Gegenteil, ich nehme zu Ihren Gunsten an, daß jugendliche Unerfahrenheit Sie zu so unvorsichtigen Schritten verleitet hat. Und darum gebe ich Ihnen Gelegenheit, sich zu verteidigen. Es würde mir nur sehr lieb sein, wenn Sie die vorliegenden gravamina völlig zu entkräften im stande wären.« –

Der Superintendent ließ hier endlich eine Pause eintreten. In Gerland hatte es all die Zeit über gewogt und gekocht. Die Gedanken schwirrten ihm wild durch den Kopf. Sich verteidigen! – Gegen was denn? – Weil er mit Haußner Umgang gepflogen? –

»Nun, lieber Amtsbruder!« ließ sich der Superintendent von neuem vernehmen: »Was haben Sie uns mitzuteilen?«

»Ich möchte mir zunächst eine Frage an den Herrn Superintendenten erlauben.«

»Nun!«

»Auf wessen Anschuldigung stützt sich, wenn ich fragen darf, die Anklage, gegen die ich mich verteidigen soll?« –

Der Superintendent wollte etwas erwidern, aber der Graf kam ihm zuvor.

»Darauf kommt es gar nicht an, Herr Pastor!« rief der Magnat. »Sie sollen sich hier verantworten vor dem Herrn Superintendenten und mir, Ihrem Patron – dazu sind Sie hier! Nicht um insolente Fragen zu stellen.«

Der Superintendent, der das hitzige Temperament des jungen Aristokraten kannte, und dem vor einer Übereilung bangen mochte, suchte ihn zu beruhigen. – Gerland war blaß geworden, wahrte aber äußerlich noch die Ruhe.

»So lange mir nicht mitgeteilt wird, von wem ich denunziert worden bin, sehe ich keinen Anlaß, mich zu verteidigen,« sagte der junge Geistliche, jedes Wort während des Sprechens wägend – mit leiser Stimme.

Das Gesicht des Grafen färbte sich dunkel. »Das ist ein starkes Stück! Von denunzieren reden Sie? – Aus dem Schoße Ihrer Gemeinde kommen die Klagen. An mich, den Patron, haben sich die armen Menschen gewandt, um Rat und Abhilfe, weil die Leute Ihre Mißwirtschaft nicht länger mit ansehen wollen. – Da, Herr Pastor, haben Sie den Beweis, wie ihre Pfarrkinder über Sie denken – da!«

Er riß ein Schriftstück aus der Tasche und warf es vor Gerland auf den Tisch.

Der junge Geistliche nahm das Heft auf und entfaltete die Bogen langsam. Es war eine sauber abgefaßte Schrift: Weißes Papier, Kanzleiformat, breiter Bruch, eine ausgeschriebene und dabei korrekte Handschrift.

»Lesen Sie nur! – Lesen Sie das nur gefälligst, Herr Pastor!«

Gerland las:

»Gnädigster Herr und Kirchenpatron, hochgeborener Herr Graf!

In bedrängter Lage unsrer Gewissen wenden sich eine Anzahl Mitglieder der Gemeinde Breitendorf an Ew. Hochgeboren, unsren gnädigsten Herrn und Kirchenpatron:

Unser Pfarrer, Herr Gerland, erfüllt in keiner Weise sein Amt zur Zufriedenheit der Gemeinde. Wir wollen ganz schweigen von den vielen Veränderungen, die er vorgenommen hat im Schulwesen, Konfirmationsunterricht, Liturgie und Begräbnissachen und in vielen andren alten geheiligten Bräuchen. – Wir wollen auch schweigen von der Art und Weise, wie er die Witwe des vorigen Pfarrers beleidigt und sie mit Gewalt aus dem Hause vertrieben hat. – Wir wollen auch schweigen über die Eigenmacht des Herrn Pfarrers, indem er gegen den Beschluß des Gemeinderats eine Diakonisse ins Dorf gebracht hat, die er den Leuten ins Haus schickt, selbst wenn sie sie gar nicht haben wollen. – Alles dies würde nämlich die Gemeinde noch ertragen haben, um des lieben Friedens willen; aber das Benehmen des Herrn Pfarrers hat neuerdings solche Dimensionen angenommen, daß einige Gemeindemitglieder, die ihre Kirche lieb haben, es nicht länger mit ansehen können und wollen, wie der Herr Pastor Anstand und guter Sitte öffentlich ins Gesicht geschlagen hat. –

Darum, gnädiger Herr und hochgeborener Herr Graf, kommen wir vor Sie, als unseren Patron, da wir einen anderen Weg nicht wissen, und hoffen darin auf Ihre gütige Nachsicht. Sie wollen glauben, daß wir es mit schwerem Herzen thun und aus Pflicht und Gewissen, Ew. Hochwohlgeboren mit solchen Dingen zu belästigen.

Der Herr Pfarrer verkehrt nämlich in einem fort im Hause eines gewissen Doktor Haußner in Eichwald, der dem Herrn Grafen als übelberüchtigter Atheist bekannt sein dürfte. Auch ist besagter Doktor Haußner am – (folgte Datum) persönlich im Pfarrhause gewesen. Hierfür können, wenn gewünscht, Zeugen namhaft gemacht werden; natürlich hat das bei allen Gutgesinnten in der Gemeinde Anstoß erregt, zumal die Aufführung des besagten Doktor Haußner gegen unseren früheren Pfarrer Menke noch frisch in aller Gedächtnis ist, besonders aber auch da der Herr Doktor Haußner damals für sein Vergehen hat sitzen müssen.

Wiederholt ist der Herr Pastor auch mit der Tochter dieses Menschen zusammengesehen worden, die, wie bekannt sein dürfte, nicht einmal getauft ist. Aber was soll man dazu sagen, wenn der Geistliche sich sogar nicht einmal entblödet, mit einer solchen Person nach dem Gottesdienste sich öffentlich vor der Gemeinde zu zeigen wie dies am – (folgte Datum) von allen gesehen worden ist. Und damit das Maß des Ärgernisses voll werde, während des Gottesdienstes ist von mehreren, die es auch beschwören wollen, gesehen worden, daß der Geistliche dem betreffenden Mädchen zugenickt und ihr Zeichen gemacht hat.

Alles das ist streng der Wahrheit gemäß beobachtet und berichtet worden und kann jederzeit von glaubwürdigen Zeugen auch eidlich erhärtet werden. –

Wir würden es nicht wagen, uns dem Herrn Grafen, unserem gnädigen Patron, solcherweise mit Beschwerden zu nahen, wenn nicht Ew. Hochgeboren reger, kirchlicher Sinn und warme Teilnahme an unserer Gemeinde, uns ermutigte, daß Sie ein solches ärgerliches und unchristliches Wesen des Geistlichen nicht länger mit ansehen werden, denn die Entrüstung und der sittliche Schaden sind bereits groß, und thut Hilfe dringend not.

In tiefster Ergebenheit unterthänigst, eine Anzahl Mitglieder der Gemeinde Breitendorf.«

Namen waren nicht unterschrieben.

»Nun – was sagen Sie darauf?« rief der Graf, als Gerland das Blatt senkte.

»Es ist genau so, wie ich mir's gedacht hatte!« erwiderte der junge Geistliche, bleich und vor innerer Erregung bebend, aber bestimmt. – Er war mit seinem Entschlusse im reinen.

»Sie leugnen also nicht!«

»Ich wüßte nicht, was mich veranlassen könnte, irgend welche Stellung zu einer anonymen Denunziation zu nehmen.«

Der Graf war aufgesprungen, den Superintendenten bei Seite drängend, stellte er sich in seiner ganzen Länge vor Gerland auf. »Ob anonym oder nicht anonym, das ist hier ganz egal! Die armen Leute wagen es nicht, öffentlich gegen Sie aufzutreten. Was wissen solche Dorfleute vom Instanzenwege! In ihrer Not haben sie eben keinen anderen Ausweg gewußt, als sich an mich, den Patron, zu wenden, und ich denke, ich habe ein Recht, mich um die Gemeindeangelegenheiten zu kümmern. Wenn ich der Gemeinde den Geistlichen vorschlage, trage ich doch am Ende auch die Verantwortung für sein späteres Verhalten. – Ich glaube, das wird wohl auch von Seiten der Kirche so aufgefaßt?«

Der Superintendent, an den sich der Graf mit der letzten Frage gerichtet, nickte zustimmend.

»Ich hätte ja können in dieser Sache persönlich vorgehen; hielt es aber für angemessen, mich an die geistliche Behörde zu wenden, da ich mich in solchen Angelegenheiten nicht genügend versiert fühlte. Darin habe ich doch wohl korrekt gehandelt – nicht wahr, Herr Superintendent?«

»Vollkommen korrekt, Herr Graf!« war die Antwort.

»Sie hören also, Herr Pfarrer,« fuhr der Graf fort, »daß ich formell sowohl, als materiell vollständig in meinem Rechte bin, auch im Sinne der Kirche. Wollen Sie mir nun gefälligst Rede und Antwort stehen! Ich wünsche zu wissen, was Sie gegen dieses Schriftstück zu sagen haben?«

»Formell, daß es anonym – materiell, daß es erlogen ist.« –

Jetzt riß dem Grafen die Geduld völlig.

»Das übersteigt denn doch alle Begriffe. Wen glauben Sie denn eigentlich vor sich zu haben? Sie scheinen sich vollständig verrückten Begriffen über Ihre Stellung hinzugeben. – Ich habe diesen lächerlichen Hochmut schon neulich bemerkt. Aber nun sehe ich, daß es bei Ihnen Prinzip zu sein scheint, Opposition zu machen, Herr Pastor! – Sie haben sich bereits mehrfach kompromittiert in meinen Augen. Mit Ihren freien Ansichten mögen Sie anderen imponieren – mir nicht! Wenn die Geistlichen anfangen wollen, sich gegen Ordnung und Moral aufzulehnen, dann hört doch alles auf!«

Er ließ den Superintendenten, der sich einmischen wollte, nicht zu Worte kommen.

»Nein, nein! – Diese Sache hat dem Faß den Boden ausgeschlagen, die Gemeinde beschwert sich über ihn, und er findet es nicht einmal für nötig, sich zu rechtfertigen. – Da ist er freilich an den Falschen gekommen bei mir! – Was ich heute gesehen und gehört habe, Herr Pastor, bestätigt mir vollständig meine Ansicht, die ich mir schon früher über Sie gebildet habe. Und ich gebe Ihnen die Versicherung, ich werde dieser Angelegenheit nachgehen. Wenn Sie denken, Sie können allen Autoritäten ungestraft Hohn sprechen, dann irren Sie sich gewaltig. – Wir wollen mal sehen, ob nicht selbst gegen aufsässige Pastoren noch Recht zu haben ist.«

»Ich sehe dem, was Sie gegen mich unternehmen werden, mit Ruhe entgegen« – sagte Gerland, jetzt kreidebleich und im Übermaß der Erregung lächelnd.

»Das werden wir sehen – das werden wir ja sehen! – Ich bin fertig mit Ihnen!« –

Der Graf griff nach seinem Hute. Er sagte etwas halblaut zum Superintendenten. Beide gingen darauf hinaus – Gerland allein lassend.

Die Stimme des Grafen war noch für einige Augenblicke im Vorzimmer zu hören. Der Superintendent schien dem Empörten beschwichtigend zuzureden.

Dann war der Graf gegangen. Der Superintendent kam ins Zimmer zurück.

Der alte Mann war wieder einmal ganz außer aller Fassung.

»Was haben Sie mir da angerichtet!« rief er. »Nachdem eben erst die Affaire Fröschel glücklich begraben ist, nun schon wieder ein neuer Skandal in der Ephorie, und immer sind Sie beteiligt! – Was kam Ihnen denn bei, sich so aufzuführen? Ich verstehe Sie nicht! Welches Licht wirft das auf mich – auf die ganze Disziplin unseres Standes!« –

»Ich glaube nicht, daß ich die Haltung verloren habe, Herr Superintendent; der Herr Graf war es, der sich vergaß.«

»Wissen Sie denn nicht, wen Sie vor sich haben? Einen Mann von solchem Einflusse, wie Graf Mahdem. – Was haben Sie sich denn eigentlich gedacht! Der Mann geht nun hin, im höchsten Grade aufgebracht, hängt die Sache an die große Glocke. Er sprach von einer Beschwerde beim Konsistorium. – Nun wird der Spektakel von neuem los gehen, die Anfragen, Vernehmungen und Berichte!« –

Der Superintendent schritt mit verzweifelter Miene im Zimmer auf und ab.

»Was soll ich denn nun eigentlich mit Ihnen machen?« fragte er vor dem jungen Geistlichen stehen bleibend.

»Ich bitte um Untersuchung des Falles, Herr Superintendent,« erwiderte Gerland.

»Untersuchung?«

»Jawohl! – Vernehmung des Gemeindekirchenrates von Breitendorf, über die gegen mich gerichteten Anklagen. Da wird sich schon herausstellen, wieviel an der Verleumdung ist.«

Der alte Mann schüttelte ärgerlich den Kopf. »Nein – das würde viel zu viel Staub aufwirbeln.«

»Darf ich mir eine Bemerkung erlauben, Herr Superintendent?«

»Nun?«

»Ich bin mit Schmutz beworfen worden – und kann darum wohl eine Rechtfertigung fordern.«

»Die evangelische Sache ist schließlich noch wichtiger als die einzelne Person – und unsere Sache soll die des Friedens sein.« –

»Ich habe den Frieden nicht gebrochen, sondern andere. Und ich verharre auf meinem Standpunkte, daß ich mich nicht entschuldige, so lange die Anklage anonym bleibt. – Gegen jeden Schritt des Herrn Grafen aber werde ich meine Rechte zu wahren wissen.« –



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