Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
Die Stunde des Magiers

Kaum sechs Stunden waren vergangen, nachdem Lucioli Spadella ausgeatmet hatte, als Leonora in großer Gala die empfing, die Merodach geladen hatte, nämlich seine Freunde und deren Geliebte.

Die Frauen waren wunderschön und kostbar geschmückt, hatten Glück in den Augen, denn sie wurden geliebt, und Fieber in den Nerven, denn sie waren beunruhigt.

Daß sie aufeinander neugierig waren, wirkte nur sympathisch.

Francesca Piccolomini, in hellrotem Sammet, strahlte von Leben und Freude; Mercedes de Castro hüllte ihre Lebhaftigkeit in Musselin aus schwarzer Seide, der mit Goldplättchen besäet und mit orangefarbenen Bändern besetzt war; Edith Odescalchi, in Wassergrün und Mattsilber, schien eine nordische Fee zu sein; Tatania Yvanonika war ganz in roten Spitzen; und Clara Greham, die sie alle durch ihren Luxus hätte verdunkeln können, war in Weiß, ohne ein Band, ohne einen Schmuck.

Als die Freunde zusammen ankamen, blieben sie geblendet, entzückt an der Tür des Salons stehen: es war ein außerordentliches Bild, die Vereinigung dieser so verschiedenen Schönheiten. Mehr noch als die Kleider wurden die Körper durch den Gegensatz hervorgehoben: die bleichen Lilien der Norwegerin wurden noch weißer neben der dunklen Rose der schönen Francesca; der Orangeton von Mercedes ließ das flachsblaue Geäder der Tatania hervortreten; die klassisch schöne Clara hob das frühitalienische Porträt der Eleonora.

Wieviel Umstände mußten zusammentreffen, damit sich diese Frauen, Wunder der Natur und Kultur, vereinten!

– Bei Leonardo da Vinci, der allein würdig ist, die Augen über dieses Bild Das verloren gegangene Gemälde aus dem Palast Sciarra, von Peladan in seinem Roman »Himmlische und irdische Liebe« belebt. »Bescheidenheit und Eitelkeit« zu öffnen: ich finde Sie noch viel auserlesener und außergewöhnlicher als uns selbst.

So brach Nergal den Zauber und trat vor.

– Es gibt Selteneres als Sie, als wir, das ist unsere Zahl und unsere Einheit. Wir sind schön und geschmückt und verschieden, doch, o Wunder, wir sind glücklich … Wo ist Merodach? Er ist nicht Mönch und er hat die Tugend des Mönches, er ist jung und er hat die Weisheit der Alten: ehrwürdiger Ilou und lieber Alta, ich glaube, er ist aus euch beiden gemacht! Während wir eine fröhliche, glänzende, unvergleichliche Stunde erleben, arbeitet, bereitet, schafft er etwas für die Idee oder für uns … Außer dem Mönch, der es nicht durfte, und Ilou, den das Alter heiligt und schützt, haben Sie alle eine wundervolle Stunde gehabt, haben Sie alle Freuden genossen, neben denen Ihre Leiden nichts sind … Und er, was hat er für sein Leiden, in seinem Mißerfolg? Nichts! Alles stützt sich auf ihn und wer hält ihn aufrecht? Also, ich, ich sage es Ihnen, das Außerordentlichste, das es hier gibt, ist der, den man erwartet … Die Küsse sind Gebete auf gewissen Mündern: er hat unsere vereint: erinnern wir uns an seinen Namen in unsern Küssen.

So sprach die Prinzessin Este.

Eine schweigende und tiefe Bewegung billigte diese Begeisterung; jeder blickte in die geliebten Augen und lobte in seinem Herzen diesen Magier, der sie vereint hatte.

– Wie schön das Glück ist, sagte Ilou.

– Wie soll man die Sünde sehen, wenn sie diese Züge trägt, diesen Ton annimmt? Es gibt so viel Barmherzigkeit in der Liebe, sagte Alta.

– Ja, antwortete Ilou der Prinzessin Este, Merodach, Alta und ich, wir reisen morgen früh.

– Und die andern? fragte Edith als Chorführerin der allgemeinen Ungeduld.

– Da ist er, rief die Prinzessin.

Sie erhob sich und alle folgten ihrem Beispiel.

Merodach, der in der Hand einen kleinen Beutel aus Leinen trug, sah die Bewegung der Ehrfurcht!

– Ja, sagte er melancholisch, es ist christlich, den Besiegten zu ehren.

– War Johannes unter dem Beil ein Besiegter? Sein Sieg nannte sich Jesus! Ich kenne nicht den Namen Ihres Erfüllers, aber ich verkündige ihn.

– Liebe Schwester, sprach der Magier, die Wärme Ihres Gefühls bereitet das vor, was ich Ihnen sagen wollte und was von unendlichen Folgen sein kann. Ich habe vielleicht zu spät eingesehen, was die Frau wert ist, wenn sie tief liebt. Vielleicht werde ich eines Tages eine andere heilige Verschwörung ersinnen: dann möchte ich auf euch rechnen, meine Schwestern, wie ich auf meine Freunde rechnen kann. Ihr Frauen habt alle der Idee gedient durch einen von denen, die sie verkörpern! Ihr habt eure Sporen erworben, Ritterinnen: nehmt ihr den Gehorsam an?

– Wir nehmen ihn an!

Das »Ja« war einstimmig und bewußt.

– Seien wir also so erhaben, sprach Merodach, daß wir den Mut besitzen, die Symbole wieder aufzunehmen, die man entweiht hat. Man gibt dem Soldaten ein Zeichen seiner Tapferkeit, damit es ihn an seine Pflichten erinnert: ein solches Zeichen bringe ich euch.

Er nahm aus dem leinenen Beutel ein kreisförmiges Stück polierten Stahls, in das ein Kreuz geschnitten war.

Und er hob es empor.

– Da ist das Zeichen: das Kreuz, in den Kreis geschrieben! Ich habe den Stahl gewählt, weil dieses Metall dem Willen und dem Streben entspricht.

Er gab Alta und Ilou das Symbol. Dann reichte er jedem von den andern zwei. Eines blieb übrig: er nahm es und küßte es.

– Alta, segnen Sie dieses Zeichen, das neu ersteht, damit es blühe in der Ausbreitung Christi!

Alle erhoben das Stück Stahl.

– Im Namen Dessen, der für unser Heil starb und der in Wahrheit die zweite göttliche Person ist, rufe ich, der Priester des heiligen Abendmahles, auf dieses Symbol die ganze Kraft dessen herab, was es uns vorstellt, nämlich die Ritterschaft des heiligen Geistes.

– Jetzt, sagte der Magier, gebe jeder eines von seinen beiden Zeichen seiner Auserwählten.

Alle Frauen empfingen das Symbol mit einer andächtigen Bewegung.

– Jetzt, meine Schwestern, lebet wohl!

Und er schritt auf die Tür zu. Leonora stürzte vor.

– Nein, Merodach, nicht so! Du hast uns deine Schwestern genannt: wir lieben dich alle durch unsere Auserwählten …

Und große Tränen füllten die Augen der stolzen Frau.

Merodach öffnete ihr seine Arme: sie schluchzte nervös.

– Liebe, liebe Schwester, murmelte der Magier.

Und er küßte sie auf die Stirn und führte sie zu Tammuz.

– Diese Seele ist ebenso kostbar wie deine: wiege sie lange, selbst wenn ihre Schönheit verblüht ist.

– Ich, rief Francesca, ich habe Sie verwünscht und verleumdet, Meister.

– Sei glücklich: das war mein einziger Wille.

– Ich hätte nicht geglaubt, daß man so groß sein kann, sagte Clara. Wollen Sie mich segnen, ohne mich zu kennen?

– Ich habe nicht das Recht, zu segnen; aber ich liebe die Frau, die meinen Freund liebt.

– Und ich, fragte Tatania, Sie kennen mich nicht?

– Doch, weil Sie die Schwesterseele meines Bruders sind.

Edith zitterte: er küßte sie auf die Stirn.

– Warum diese Bewegung, meine Schwester?

– Weil Sie gehen, Sie, der gute Geist!

Da Mercedes beiseite blieb, ging er zu ihr.

– Sie sind also nicht meine Schwester?

– Oh, wie gut Sie sind!

Und sie zitterte unter seinem Kuß.

Dann umfing er sie alle mit einem Blick. Jede der Frauen lehnte sich an ihren Geliebten, und in den Augen dieser Männer dunkelte kein Schatten von Eifersucht: diese Herzen liebten ihn alle, ohne Ausnahme.

Diesen Augenblick zu erleben, war so süß, daß er sich das Gesicht verhüllte, als er hinausging: der Magier weinte wie ein Kind.

Er hielt sich für unwürdig, eine solche Zärtlichkeit einzuflößen, und bewunderte die Vorsehung, die ihm auf einmal die ganze Freude und den ganzen Schmerz der Liebe gab, als Preis für seine Entsagung.


 << zurück weiter >>