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II.
In Sankt Peter

– Palazzo Vaticano, portone di bronzo, hatte der Fremde gesagt, als er in die Droschke stieg.

Trotz der römischen Grandezza, die sich auch in Diensten nicht verleugnet, wendete der Kutscher ein:

– E Chiuso.

»E Chiuso«, das italienische Wort, das »Sesam, schließe dich«, das als bestimmendes Leitmotiv die Augenblicke des Reisenden mißt, war die Antwort. Um sie zu betonen, wurde die Peitsche nach der Uhr der Station ausgestreckt, die drei zeigte!

In dieser Minute verhüllt sich, von den Palästen Genuas bis zur Glyptothek von Syrakus, von den »Uffizien« bis zu den »Studios«, die unermeßliche Bildersammlung der Museen. Die Spinnen der Sixtina fangen wieder an zu weben; das Ungeziefer von Neapel bemächtigt sich der Schwelle des Borbonico Nationalmuseum in Neapel.. Die Vespern der Heiligen Schönheit werden gelesen, und das Meisterwerk hört auf, seine reinigende Wirkung zu üben.

Wer ging denn so in den päpstlichen Palast, staubig von der Reise, mit seiner Handtasche, wenn die Museen geschlossen waren?

Der Ankommende wiederholte:

– Palazzo Vaticano, portone di bronzo.

Der Andere berührte sein Pferd.

Wenn man in Rom ankommt, ist man enttäuscht, als sei man in Nizza angekommen: die ewige Stadt scheint eine neue Stadt zu sein. Kaum bemerkt man, vor dem Platze der Fünfhundert, unbedeutende Mauern, welche die Thermen des Diokletian waren, die größten von Rom.

Die Via Nazionale spiegelt das Haus Savoyen wider, charakterlos und hochmütig, anspruchsvoll und häßlich, und die erste Kirche, die man trifft, ist eine amerikanische, groß wie ein Landhaus, spitzbogig wie eine Pendeluhr.

Die Stadt der tausend Paläste hat tausend Gebäude aus schönen und formlosen Steinen errichtet.

Der eben Angekommene erinnert sich dieser Stelle seines Führers:

»Es würde mir unmöglich sein, zu sagen, was man empfindet, wenn Rom plötzlich vor einem auftauchte … Die Menge der Erinnerungen, die Fülle der Gefühle bedrücken einen; die Seele wird verwirrt, wenn man dieses Rom erblickt, das zwei Male die Erbschaft der Welt angetreten hat, als Erbe Saturns und Jakobs.«

Und ein Lächeln leuchtet in den schwarzen Augen des Orientalen, er liebkost mit der Hand seinen großen grauen Bart: der Einzug in Rom enttäuscht wie der Einzug in Jerusalem. Ein Palmenbaum zeichnet sich über der Terrasse der Villa Aldobrandini ab; man sieht den Palazzo Colonna, den Palazzo di Venezia, im florentinischen Charakter: das ist alles Interessante bis zum Borgo San Spirito.

Dort erscheint das Mausoleum des Hadrian, der erste Zeuge der kaiserlichen Stadt auf dieser Durchfahrt, aber man muß die Statuen der Engelsbrücke erdulden: Ballettengel, die Tanzschritte andeuten, indem sie mit cupidohafter und gotteslästerlicher Bewegung die Werkzeuge der Passion halten. Das sind verhaßte und lächerliche Unanständigkeiten in dem unedlen Geschmack, den die Jesuiten mit ihrem Namen taufen.

Sobald man aber in den Borgo Nuovo einbiegt, zeigt sich schon zum Teil der erstaunliche Hintergrund des Petersplatzes.

Der Anblick ist kaiserlich, wirklich großartig und Versailles' würdig. Man fragt sich, was der ungeheure Platz war, bevor Bernini den Säulengang anlegte. Die Ausdehnung rettet alles: beschränkt, würde dieser Anblick der elendeste der Welt sein. Die Architektur ist das Gewissen einer Epoche: sie hat nur ein Mal gelogen, in Philae, dem wunderbarsten Betrug aus Stein. Im Vatikan enthüllt sie den kaiserlichen Fehler der Kirche und die ganze Weltlichkeit ihrer Sitten. Wer würde in Sankt Peter die Hauptkirche, die Erzkathedrale sehen, wenn er an Saint-Ouen, Chartres, Beauvais, Reims denkt? Bei einem Denkmal, dessen Massen gewaltig sind, muß man, um richtig zu urteilen, die Einzelheiten betrachten: Statue und Ornament gestehen die Minderwertigkeit, die das Schiff nicht ausdrückte.

Der Unbekannte fuhr bis zur bronzenen Pforte. Sie war halb geöffnet: man sah ein Gestell mit alten Gewehren und einen Theaterstatisten, der die Wache bezog; sein Trikot aus Baumwolle faltete sich unter einem phantastischen Ueberrock.

Ein kleiner Offizier zum Lachen, in der dürftigen Uniform der Mobilgarde von 1870, trat auf den Unbekannten zu; dieser zog aus seiner Tasche einen großen Brief; der kleine Gardist sah nach der Aufschrift und grüßte.

Im Hintergrunde des langen aufsteigenden Ganges schleppte ein lächerlicher Operettengendarm seinen krummen Säbel. Man hätte an die schlecht gehaltene Wache einer fürstlichen Residenz denken können, während Hoheit abwesend ist: diese Soldaten, die den Vertreter Jesu in den Statthalter des Reiches verwandelten, und seinen Palast in eine militärische Station, hätten offenbar einfachen Stöcken nicht standgehalten, wenn man diese gegen sie erhoben. Diese lächerliche Wache entehrte gleich an der Pforte den Seelenhirten des Himmels, ohne ihm irgendeinen Schutz zu gewähren.

Diese Ueberlegungen machte der Reisende mit Traurigkeit, indem er die Stufen von Sankt Peter hinaufstieg! Er hob das schwere gepolsterte Lederblatt, stieß die Tür auf, und das ungeheure Schiff ohne Mysterium, die kaiserliche Basilika enthüllte ihm, bis zu welchem Grade von Unbewußtheit das Papsttum hatte herabsteigen können.

Beim ersten Pfeiler hielt er einen Ausruf zurück: Amoretten für Parfümerien, Liebesgötter für Zuckerbäcker spielten mit Palmen, Schlüsseln, Tiaren. Man mußte die Absicht zu beten mitbringen: hier wurde sie nicht geboren. Prunkvoll, leichtlebig war die Religion, die sich so zeigte, heidnisch, ohne Geist. Der Parthenon ist mystisch, weil er philosophisch ist; Sankt Peter, ohne irgendeine Religion zu verkünden, scheint der Ständesaal eines Staates zu sein: das ist nicht einmal griechisch, das ist cäsarisch. Die heilige Veronika tanzend, den heiligen Schleier in der Hand, erschreckt den Besucher. Die Unfeinheit, die Unanständigkeit dieser Statuen beleidigten niemals die Hirten der Seelen, die Lenker des menschlichen Geistes. Daher erklärt sich der Handel mit Kirchengeräten, diese Lästerung des frommen Geschmacks, als die Scheidemünze der kolossalen Unbewußtheit von Sankt Peter.

Während der Reisende diese Studien machte, folgte ihm in einiger Entfernung ein Mann, der kläglich aber anständig aussah: der Gehrock bemühte sich, die abgetragene Wäsche zu verbergen. Die Haltung zeigte, daß er gewohnt war, schlecht aufgenommen zu werden: er schien der zu sein, der bittet und dem man immer die Tür weist. Ein Typus der Not in schwarzem Gewande; aber die Stirn zeigte die Macht des Gedankens.

Das Unglück gleicht dem Laster, und das oberflächliche Auge verwechselt sie: ein unglücklicher Arbeiter flößt kein Mißtrauen ein, aber der sogenannte »Herr« scheint durch eigene Schuld gefallen zu sein, wenn er fällt.

Der Mann, der Ilou folgte, hatte kein bestimmtes Alter; das Leben hatte ihn gerollt, wie es die Welle mit Strandgut macht; die furchtsame und unruhige Haltung zeigte den Märtyrer der Epoche, den Vagabunden, vor dem sich sogar der Stall schließt, und der ins Gefängnis geht, weil er keine Behausung hat. Je weißer die Hände im Elend sind, desto mehr klagen sie an: und die blinde Selbstsucht der Masse scheint diesen Ungeschickten zugrunde richten zu wollen, der es nicht verstanden hat, seinen Platz in der sozialen Gestaltung zu bewahren.

Endlich näherte er sich.

– Ilou, sagte er.

Der Mann, der eben dem Vatikan ein Sendschreiben überbracht hatte, drehte sich lebhaft um.

– Ich bin Poudiel, sagte der Bettler, und er fügte hinzu: gemmatus.

Resurgam Ad Rosam per Crucem, ad Crucem per Rosam; in ea, in eis gemmatus resurgam. (Zur Rose durch das Kreuz, zum Kreuze durch die Rose; mit ihr, mit ihnen geschmückt, werde ich auferstehen.) Die Losung des »Rosenkreuzers« Peladan., antwortete Ilou.

Ohne Umstände zu machen, nahm er den Arm dieses Mannes, den er nie gesehen hatte, und sprach zu ihm wie zu einem Bruder: so stark war der Wille, der sie plötzlich miteinander verband.

– Ich bin erschrocken, sagte Ilou. Ich hatte Rom nicht gesehen, und niemand in der Welt würde über den Beschreibungen und Bildern vermuten, wieviel Weltliches die heilige Arche birgt. Die Kirche ist um ein Jahrhundert zurück, nicht im Fortschritt, das ist ein einfältiges Wort, sondern in der Wende der Bewegung.

Poudiel schüttelte den Kopf.

– Der Vatikan ist ebenso wenig die Kirche wie der Quirinal der italienische Staat ist: die Formen der Zentralisation sind nicht die Knoten der Kraft. Die Kirche ist diese Vertraulichkeit, die aus allen Rosenkränzen, aus allen Pfarrkindern, aus allen Messen, aus allen Abendmahlen gemacht ist: beständig erzeugt durch die Seele der Gläubigen, ihre wahre Seele! Ein schlechter Papst kann diese Kraft vergeuden, sie aber nicht vernichten. Wer auch immer das Zeichen des Kreuzes macht, kann sagen: die Kirche bin ich! Die natürlichen Kräfte handeln nach bekannten Gesetzen: aber das Papsttum ist selber nur eine mehr oder weniger bewußte Zentralisation. Zum Unterschied von der natürlichen Kraft, die brutal ist, wird die geistige Kraft beherrscht und erzeugt aus sich selbst keine Verwirrung. Es gibt keine Wirbelstürme in dieser Sphäre: der verkehrte Wille des Menschen wirkt das ganze Unheil.

– Der Widerspruch zwischen Gedanke und Form zeigt einen Irrtum und eine Gefahr, erwiderte Ilou.

– Ja, indem sich der Wille der feinen Materie bemächtigt, macht er daraus die Fackel des Scheiterhaufens oder die Leuchte der Zivilisation.

– Der gerade Wille des Buddha …

– Entspricht der passiven Polarität, denn sonst würde er abstrakt sein. Ein Bischof verkündigt alle Irrtümer, welche die Jahrhunderte angehäuft haben; er macht die Christenheit irre, er ist der Gradheit gefolgt, die darin besteht, sein Unrecht und das seiner Familie zu gestehen; oder vielmehr, er hütet sich, alte Irrlehren, die heilig geworden und den Fundamenten des Gebäudes eingefügt wurden, zu verkünden, und darin zeigt sich noch der gerade Wille. Dann gibt es Parallelen: der gerade Wille wird in gleicher Entfernung von dem einen und dem andern laufen, um seitdem das Höchste an Klugheit zu verwirklichen; doch verlangt die Linie dieses mittleren Planes ein wunderbares Verständnis. Die Entscheidung ist der einheitliche Dienst, die Ueberlegung bringt ihre Mehrheit hinein. Der Rat muß dem Willen vorangehen. Und als Berater sind wir Merodach gleich; nachdem wir unsere Ansicht gesagt, seine Ansicht sich durch unsere, selbst wenn sie verworfen wurden, geformt hat, wird er in uns nur seine Diener sehen: wir werden ihm unsere Kraft gewidmet haben, und er selbst wird nicht mehr er sein, sondern er wir.

– Was prophezeien Sie?

– Wie kann ich über eine Sache prophezeien, die nicht einmal einen Namen auf Ihren Lippen hat; auch bin ich neu in diesem Bunde, der keiner ist.

– Sie scheinen viel gelitten zu haben.

– Viel: ich war Soldat!

Und Sie haben Ihren Verstand aus dieser Hölle, die man das Heer nennt, retten können?

– Ja, ich habe ihn gerettet, durch den Haß! Ich werde den Tieren, die mich gemartert haben, beweisen, daß der Sieger in den nächsten Schlachten der Ingenieur sein wird; daß der General heute keinen Wert im Kampfe hat, weniger gilt als ein Soldat.

– Das ist alles bewiesen! Glauben Sie mir, es genügt sich zu verteidigen: Rache ist eine niedrige Anwendung der Gewalt.

– Man muß die Kirche zwingen, das »Vaterland« zu ächten; man muß sie dahin bringen, durch Aufsehen erregende Bullen die Eroberungskriege zu verdammen.

– Ja, das würde eine abstrakte Rache sein.

– Das ist die Rache der Geister. Eine Einrichtung verfolgt uns: vernichten wir diese Einrichtung, aber überlassen wir die armseligen Menschen ihrem Nichts. Wenn ich Priester einer solchen Diözese geduldet, hätte ich die ganze Geistlichkeit getroffen. So werden die großen Zornausbrüche befriedigt. Merodach hatte mir gesagt, sein Plan sei dem Militarismus sehr feindlich.

– Feindlich, wie Jesus selbst der Sünde feindlich ist.

Sie verließen Sankt Peter, die Basilika vergessend, und stiegen beide in den Wagen.

– Wo wird das erste Ketzerkonzil stattfinden, fragte Poudiel.

– In der Trattoria della farfalla Wirtshaus zum Schmetterling., heute abend.

– Haben wir denn eine klösterliche Sprache?

– Wir werden einander immer begreifen, ohne daß jemand uns begreift.

Poudiel schüttelte den Kopf.

– Ein erstes Mal, mag sein, die Lehre wohl, aber in der Folge, das würde schwierig und gefährlich sein.

– Unter Leuten unserer Art gibt es nichts Kleinliches! Sie scheinen unglücklich zu sein: sagen Sie mir, was Ihnen fehlt.

– Ich bin nicht mehr unglücklich, seit ich Merodach getroffen habe. Als er mir befahl, heute um vier Uhr in Sankt Peter zu sein, hat er mir mehr geschickt, als ich brauche, um mich ordentlich zu kleiden; aber das Elend macht geizig, und ich habe es aufgeschoben, Kleider zu kaufen, um mein Gold etwas länger zu behalten.

– Aber als Ingenieur sind Sie doch ein wenig Metaphysiker.

– Nein, Hyperphysiker. Die Hyperphysik ist für die Physik, was die Mystik für die Frömmigkeit ist: die Bestimmung des Uebernatürlichen. Gott wird offenbart durch die Gesetze des Menschen, der Welt und der Zwischenwelt: das sind seine dauernden Willensäußerungen. Der Wille Gottes, das ist die Harmonie, aber Leiden, Krankheit und Tod sind korrespondierende Akkorde.

– Glauben Sie, daß der Verstand an den Lauf der Welt rühren und sie auf eine neue Bahn bringen kann?

– Ja, wenn die Ereignisse für den Plan empfänglich sind. Die günstige Gelegenheit wird durch die Tatsache begründet, daß ein Mißerfolg keine Folgen haben wird. Wir wagen nichts, nicht einmal uns selbst. Ohne Ehrgeiz zu haben, wollen wir eine Idee verkörpern, sie männlich machen: werden wir die Weiblichkeit den Umständen günstig finden?

– Denken Sie uns abzuraten? Falls es keine mögliche Begattung zwischen unserm Willen und der weissagenden Materie geben wird.

– Ich löse Gleichungen von Vorsehung und Schicksal, aber ich prophezeie nicht. Die Prophezeiung ist Vision und nicht Ueberlegung.

– Das Ideal wäre, Intuition mit Vernunft zu verbinden.

– So waren die, welche die großen Religionen gründeten.

– So waren die, welche sie zu gewissen Zeiten gerettet haben.

– So waren die, welche es edel geträumt haben.

– So waren die, welche es heldenmütig versucht haben.


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