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II.
Das Abenteuer des Tammuz

1

Es gibt köstliche Schlaflosigkeiten: wenn einige Stunden uns kaum von der sicheren Verwirklichung eines Wunsches trennen, dann nimmt die Einbildungskraft das Ereignis vorweg und der Körper selbst vermutet die nahe Freude.

Leonora schnurrte wie eine Katze in ihrem Bett, sich schlangenartig rollend, glücklich, sich vibrieren zu fühlen.

Unser Körper ist zuweilen wollüstig, als trete das Unsichtbare aus ihm heraus, um ihn zu liebkosen. Sie fand ein feines Vergnügen darin, ihren nackten Arm über ihre Hüften zu führen, ihre Beine liebkosend zu verschlingen.

Und der Schlummer erfaßte sie hier, in dem Lächeln ihres Körpers, und ihre Lippen öffneten sich halb für süße Worte, Briefe der Begierde, Falter der süßesten Bestürmung.

Als der helle Morgen seine Lichtstrahlen durch die schlecht geschlossenen Vorhänge gleiten ließ, setzte sie sich auf den Rand des Bettes und entblößte sich vor dem hohen Spiegel. Aufmerksam, streng, kritisch, fast unpersönlich, kraft eines scharfen Willens, betrachtete sie ihren Körper, wie ein Raufbold seinen Degen erproben würde.

Der Umriß war hager, eines Verrocchio würdig; geschmeidig war sie nicht, aber dieses Aufsaugen des Fleisches, das nicht Magerkeit ist, gab ihr eine ungezwungene Haltung; sie konnte tun, was sie wollte, ohne daß eine Bewegung, selbst wenn sie niederkauerte, selbst wenn sie sich setzte, die Feinheit ihrer Linie schwerfällig machte.

Der Hals drehte sich bei gewissen Stellungen schief, da er beim Ansatz etwas gepreßt war. Die Brustfläche senkte sich zu gerade, aber die noch runden Brüste hoben sich ohne Spitze ab: kaum zeigte ein Merkmal von Farbe die Warze. Von ihren jungfräulichen Formen ließ das vorspringende Kreuz das Verschwinden des Schoßes sich abheben. Die fleischige Wade machte das plötzliche Verlaufen ihres Schenkels wieder gut. Die Haut, gleichmäßig und von einem warmen Weiß, war trotz ihren vierzig Jahren noch begehrenswert und konnte sich anbieten.

In ihrer Badewanne machte sie lange ihren Körper geschmeidig.

Dann kleidete sie sich in eine Art Empirekleid mit Aermeln und Brusttuch, das ihren Körper frei ließ, und setzte sich auf dasselbe Sofa, wo sie sich versprochen hatte, sicher, daß sie nicht warten würde.

Als Tammuz hereingeführt wird, legt sie einen Finger auf ihre Lippen; dann streckt sie die Hände aus, läßt ihn niederknien und lehnt seinen Kopf an sich.

Ein köstliches Schweigen, voller Nervenharmonie, herrscht in dem übergroßen Salon.

Die schönen Hände Leonoras streichen sanft über das Gesicht des jungen Mannes, der sie mit Sorgfalt küßt.

Dann legt sie sanft seinen Kopf auf ihr Knie zurück und taucht ihre freudigen Augen in die geblendeten Augen des Geliebten.

Und langsam, gesammelt, beugt sie sich nach diesen Lippen, die zu ihren Lippen streben: als häufe sie in ihrem Munde Verlangen, als nähmen ihre Nerven einen Anlauf zum ersten Kuß.

Und beider Atem, der sich erhitzt und verkürzt, kreuzt sich, und die Lippen, zitternd und fiebernd, werden trocken; und als sie sich endlich mit einer Heftigkeit, welche die Zähne verletzt, ineinanderhaken, läßt ein langes Auffahren, das die aneinander Geschmiedeten aufwühlt, beide erbeben; und sie halten die Verbindung ihrer Lippen aufrecht, fest entschlossen, auf einmal bis zur äußersten Spannung des Wesens zu gehen.

Von einem Sessel hat sich eine Katze erhoben, die dort schlief, und kommt heran, schlaff und neugierig, ihr gelbes Auge übermäßig auf die Liebenden öffnend.

Auf der Straße schreit man Zeitungen aus, und schwere Karren fahren vorbei.

Mund an Mund geschmiedet, von Nervenschauern überlaufen, die Hände um den Nacken geschlungen, setzen sie den erstaunlichen Kuß fort.

Der goldene Pfeil der alten Standuhr verfolgt seinen kreisförmigen Lauf, und schon zwei Male hat das Läutewerk geschlagen.

Das Festhaken ihrer Lippen löst sich nicht, das Gespräch ohne Worte verlängert sich wunderbar: dieser einzige Kuß wird unendlich, vernichtet in ihnen den Begriff der Zeit.

Ihr Wille mischt sich in ihre Wollust: sie wollen, daß die einfache Liebkosung, die verzeihliche Sünde sich aus ihrem eigenen Herzen vergrößere und in ihrem Gedanken die Auffassung der Einfältigen herausfordere, welche die Sünde nach Zonen der Oberfläche einteilen.

Wenn sie sich eines Tages eines Kusses auf den Mund anklagen, werden sie lügen; und wenn der Priester die beiden fragt, ob dieser Kuß sie nicht zu einer andern Berührung hingerissen habe, werden sie leugnen, ohne zu lügen. Wo ist also die Sünde? In der Aeußerlichkeit, in der Form, wie Brid'oison Beaumarchais, Figaros Hochzeit. sagen würde, oder vielmehr im Willen und in der Macht des Eindrucks.

Wie gering ist der körperliche Kontakt, der diesen Liebenden genügt: und dennoch strömen die Kräfte der Einbildung, die alle erwacht sind, in ihrem Munde zusammen.

Zwei lange Stunden verfließen in dieser Umarmung der Lippen allein.

Als Tammuz schwach, beinahe ohnmächtig wird, erhebt sich Leonora und fällt zurück, trunken, unfähig, sich zu bewegen; in einer seligen Betäubung betrachtet sie ihren Geliebten, der einem Verwundeten gleicht und kaum atmet.

Mit einer neuen Anstrengung richtet sie sich auf; sich an Möbeln und Wänden haltend, erreicht sie ihr Zimmer.

Ihre Knie beugen sich, sie fällt vor dem Bett nieder, auf dem sie sich ausstrecken will; so niederkauernd wie die Magdalena von Canova, hört sie sich schwach werden. Plötzlich breitet sie die Arme nach dem großen Christus des Bettes aus, und diese Frau, die seit zwanzig Jahren nicht gebetet hat, fühlt eine unendliche Dankbarkeit in ihrem Herzen aufsteigen; die Augen voller Tränen, bricht sie in ein stummes Gebet aus, in das Gebet Tannhäusers:

Allmächt'ger, dir sei Preis!
Groß sind die Wunder deiner Gnade.

Ja, für dieses Wesen der Trostlosigkeit ist die Wollust das Heil. Künftig wird sie beten: Gott wird in ihr Herz einziehen, nachdem die Liebe es geöffnet hat. Sie lebt endlich, und das Gute, sie begreift es. Die Liebe hat ihren Stolz geschmolzen, die Barmherzigkeit enthüllt sich durch die Wollust. Sie wird künftig geben, denn sie hat endlich empfangen. Diese Seele rettet sich auf dem gewöhnlichen Weg vor der Verdammnis.

Sie segnet Gott den Herrn, der ihr auf der Schwelle des vierzigsten Jahres erlaubt hat, ihre Weiblichkeit wiederzufinden, ihr Herz und ihre Sinne.

So bleibt sie, demütig, fromm, kindlich, und ihre von dem großen Kuß angeschwollenen Lippen sprechen das heißeste »Vater unser«, das man hervorbringen kann.

Der Mund des Tammuz war der Weg nach Damaskus, auf dem die Prinzessin von Este, die Tochter des göttlichen Herkules, sich verjüngt wiederfindet, bekehrt durch den geheimnisvollen Dienst der Wollust, die eine doppelte Macht ist: sie stört die Ordnung und heilt die Unordnung.

 

2

Leonora hat sich auf ein Sofa von antiker Form ausgestreckt, in ihrem Ueberkleid aus weißer Seide der Madame Récamier von David ziemlich ähnlich; ihre nackten Arme hat sie Tammuz um den Hals gelegt, der auf Kissen hockt.

– Geliebte, sagt der junge Mann.

– Geliebter selbst: welches Vergnügen kann ich dir bieten?

– Meine ersten Verse feierten den Busen der Sphinx, und ich möchte deine Brüste lieben, wie ich gestern deine Lippen liebte. Ueberschreitet meine Kühnheit deine Güte?

– Das Wenige, was ich dir geben kann, Tammuz, hat nur durch meine Gunst Wert: nimm von mir jede Freude, die du finden kannst.

Und die zögernde Hand des Eingeweihten legt sich auf das seidene Mieder.

– Laß mich, süßer Freund, dich wenigstens bedienen, da du so spät zum Feste meines Körpers kommst.

Mit einer schönen Gebärde zieht sie ihr Hemd von der Schulter und reißt es auf, und ihre beiden Hände umfassen die linke Brust: sie beugt sich und bietet sie dar.

Tammuz betrachtet zuerst diese noch schöne Frucht, die von Azur geädert wird, und deren Warze, wie zurückgetreten, ohne Hof, sich nur durch eine Art unbemerkbarer Narbe anzeigt. Gesammelt und langsam legt er seine Lippen an, um sie nicht wieder fortzunehmen.

Die zarte Liebkosung wird gebieterisch, hartnäckig, der Schmerz dringt in die Lust: doch die Geduldige will diese Angst und sieht darin ein Symbol ihres vergangenen verleugneten Lebens, des neuen beginnenden Lebens.

Ihre Seele erhebt sich unter dem Sehnen dieser wahrhaft schwesterlichen Seele, die sich zu erkennen gibt, ohne sich durch den bloßen und plötzlichen Eindruck der Gegenwart zu entfalten.

Wenn die Anziehung vollständig ist, das heißt, wirklich, werden die leeren Höflichkeiten unmöglich. Was die Galanterie entehrt, sind ihre Umtriebe: was man von Seiten der Männer »den Hof machen«, von Seiten der Frauen »sich verteidigen« nennt. Beweise, daß die Anziehung nicht die richtige ist! Was bedeutet das Werben, wenn die Seelen nicht verwandt sind, anders, als daß die Liebe verpfuscht, verleugnet wird?

Leonora bäumt sich unter der Liebkosung: Tammuz hat etwas Blut auf den Lippen und ihre linke Brust besternt sich mit einem rötlichen Punkt.

Er schreckt auf bei diesem Anblick, überrascht, im Liebestaumel grausam gewesen zu sein.

Sie aber zieht ihn an sich und bietet ihm die andere Brust dar.

Er weicht zurück, bei aller Trunkenheit beunruhigt.

Trotzdem die Tränen aus ihren Augen fließen, seufzt sie:

– Das Gesetz der Symmetrie will es, Geliebter.

 

3

Merodach hatte gebeten, die Prinzessin Este an diesem Morgen sehen zu dürfen. Er wartete in dem großen Salon, die Katze streichelnd, die zu ihm gekommen war und unter seiner Hand schnurrte.

Er erstaunte über die Verwandlung: in weicher Haltung, von schwarzer Seide kaum verhüllt, erschien Leonora mit einer neuen Anmut; die Lippe schwoll üppig und feucht, das Auge glänzte; sie hatte sich verjüngt und war schmachtend geworden.

– Guten Morgen, meine Schwester, ich komme, um Sie zu bitten, Seine Eminenz Crollalanza einzuladen. Nebo will ihm seine Büste anbieten: da dieser Kardinal nicht allein leben und nicht bleiben kann, ohne zu sprechen, persona gratissima, werden die Sitzungen fruchtbar fürs Ohr sein, wenn das Modell auch traurig für das Auge des Künstlers ist.

– Gut, Bruder! Bitte, sagen Sie Alta, daß ich beichten will: er soll mir seine Stunde nennen, denn ich habe das Bedürfnis, mich vorzubereiten: denken Sie, zwanzig Jahre Sünde.

– Das ist ein Gefühl, das mich fröhlich macht.

– Sie werden mit Alta sprechen! Ich verleugne meine Vergangenheit, deren Pracht und deren Werke: aber meine Gegenwart, das ist mein Heil! Sie verstehen mich und Sie werden sprechen, sei es auch als Oberhaupt! Ich will fromm handeln, denn ich bete, Merodach! Seit drei Tagen spreche ich meine Gebete, und heute hätte ich den Rosenkranz gebetet, wenn ich einen gehabt hätte. Ach, mein Bruder, glauben Sie an eine Frau, die immer aufrichtig war: verkennen Sie die Macht der Liebe nicht! Sie haben darauf verzichtet, weil Sie eine Idee anbeten: ein Weib lebt nicht von Ideen, sondern von Küssen, selbst von Wollust. Der Körper ist das Mittel für die Seele. Um sich auszudrücken, braucht ein Beethoven Roßhaar, Holz, Katzendärme: aus all dieser Niedrigkeit entspringt das Konzert der Engel. Ebenso ist es mit dem Körper. Ich verdanke Ihnen, in dem Augenblick gelebt zu haben, als das Leben mich verlassen wollte. Und ich sage Ihnen die Wahrheit, als einem Zeugen: ich fühle mich gut und sanft und einfach werden. Was man unter dem Namen von Wollust verachtet, was man mit dem Namen Begierde beschmutzt, was man entstellt, indem man es Sünde nennt: das führt mich zur Frömmigkeit und zum Guten.

– Sie vergessen, Leonora, daß diese große Wirkung vom kritischen Alter und Ihrer langen Enthaltsamkeit kommt. Sehen Sie doch Madame de Trinquetailles.

Man versteht nur sich selbst, und ich verstehe nicht mehr die Frau, die ich gewesen bin, die kokette und wilde Prinzessin von Paris. Was habe ich verloren, an Zeit und an Freude, unfruchtbar!

– Nein, Sie finden heute den Segen Ihres Witwentums wieder.

– Sie haben nicht gelogen, Bruder Merodach, Sie haben mir das Glück gegeben.

– Wirklich, sagte der Magier, Tammuz erfüllt …

– Wie für Tannhäuser der Stab des Papstes wieder grünt, so sind die toten Früchte unterm Hauch des Bezauberers wieder aufgeblüht.

Ihr Gewand stolz auseinanderschlagend, zeigte sie ihre Brüste mit den belebten und noch blutenden Spitzen.


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