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IV.
Die Zauberflöte

In der »Trattoria della farfalla«, im gemeinsamen Saale, sitzen Ilou und Poudiel, Nebo, Nergal, Tammuz. Ein Stuhl ist leer, und alle blicken dahin mit einer nervösen Ungeduld, die sie schlecht verbergen.

Keiner zweifelt, aber alle beunruhigen sich: die Minuten vergehen langsam.

Endlich tritt der Erwartete in den Rahmen der Tür: mit einem Blick zählt er seine Getreuen und beurteilt die andern Gäste.

Er drückt die Hände, die sich ihm entgegen strecken, und beginnt sofort.

– Es ist mir etwas so Seltsames passiert, daß ich's erzählen muß. Ich grübelte, wo, ist einerlei, als ich mich rufen hörte, nicht bei meinem Namen, sondern durch dieses Wort »Herr«. Ich wende mich um und sehe einen Menschen, der sich beeilt, mich zu fragen, ob ich die schlaueste Sache der Welt tun will. Ohne meine Bejahung abzuwarten, sagt er mir, er kenne einen sehr reichen Greis, den seine Verwandten widerrechtlich einsperren, um die Erbschaft zu mißbrauchen. Er fragt mich, ob ich Klage führen will für den, der Recht hat, und ihm, dem unbekannten Diener, helfen will, seinen Herrn zu retten oder wenigstens ihn sein Testament vollstrecken zu lassen … Ich frage, wo das Testament ist, und er zeigt mir, wo es sich wirklich befinden kann. Bevor ich weitergehe, möchte ich eure Ansicht hören.

– Es handelt sich darum, sagte Tammuz, entweder den Greis zu befreien oder wenigstens die Vollstreckung seines Testamentes zu sichern, das bei dem Notar Tradition niedergelegt ist.

– Da der Greis sich nicht selbst helfen kann, wollen wir uns nur mit dem Testament beschäftigen.

– Man muß die Liste der Verwandten aufstellen, sich ihnen nähern, sie überzeugen.

– Sie können nur von ihrem Interesse überzeugt werden: das Testament zu unterdrücken.

– Kann man diese heilige Familie nicht entzweien?

– Ja, es genügt, eine Mehrheit zu gewinnen.

– Ist diese Abstimmung vorgenommen worden?

– Es gibt nur die Möglichen, denn es gibt keine Wahrscheinliche.

– Der Möglichen sind fünf: ein Erleuchteter, ein Habgieriger, ein Ehrgeiziger, ein Zweifler und ein Neidischer.

– Da ist der Punkt, den Archimedes suchte.

– Jetzt glaubt sich der Erleuchtete von oben heimgesucht.

– Frau Guyon Frau Guyon, Mitbegründerin des Quietismus, 1648-1717. und die Wirbelwinde, sagte Ilou. Quietismus! Gut!

– Der Geizige würde sich auf die hermetische Gaukelei werfen, wenn man ihm einen kleinen Diamanten ausarbeitete.

– Das ist einfach, sagte Poudiel.

– Der Ehrgeizige würde sich damit begnügen, Staatssekretär zu werden.

– Ich habe begriffen, meinte Nergal.

– Der Zweifler wird sich aus Neigung zum Bizarren für das Unternehmen interessieren; er wird zwar nie »ja« sagen aber »warum nicht?«

– Ich werde versuchen, eine noch verrücktere Saite zu entdecken, versicherte Nebo.

– Der Neidische ist neugierig und zänkisch, ein feiger Jago, ein unbeständiger Tändler.

– Das ist ein Canevas von unklarer Zeichnung, bemerkte Tammuz.

– Ich behalte den Dreispitz für mich, schloß Merodach. Wir haben aus diesen Bruchstücken ein Gedicht mit vollem Reim gemacht.

Nergal erzählte das Abenteuer vom Pincio, wo sie den schnupfenden Abt kennen lernten; in vereinfachter Sprache, denn der Saal füllte sich, und die Italiener, die gute Beobachter sind, bemerkten schon die Gruppe dieser sechs Persönlichkeiten mit den eigenartigen Gesichtern.

– Morgen wird jeder seinen Auftragzettel haben, und künftig wird die Beratung an guter Stätte gehalten werden: Casa Estense.

– Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: die aufgezählten Verwandten des Greises sind aus demselben Lande! Könnte man nicht andere Verwandte, ausländische Verwandte interessieren?

– Der Hahn kräht nicht mehr; der Leopard ist auf der Jagd; der Bär zu jung; der katholische Adler hat mit seinem Nest genug zu tun; der andere Adler ist protestantisch. Ich sehe keine Hilfe in dieser Reihe.

– Ich nehme jetzt die mit mir, die für die Fassade passen.

Er bezeichnete Tammuz, Nergal und Nebo.

– Die beiden Andern werden die Handlung vorbereiten: an euch ist es, den Grundsatz aufzustellen.

Er blickte Ilou und Poudiel an.

– Oh, das ist einfach, sagte Poudiel. Hier. Im Rat der Zehn siegt der, welcher sechs hat. Es gibt zwei Arten, die Stimmen zu erhalten. Die gewöhnliche wäre, sie durch ihr eigenes Interesse zu überzeugen, indem man dem Ehrgeiz Versprechungen macht: aber der Ehrgeiz glaubt nur an eine offenbare Macht, und in diesem Falle wird sich die Macht nur dadurch bilden, daß die Interessierten ihr unbewußt anhangen. Man muß also die Wähler des Heiligen Reiches dazu bringen, mitzuarbeiten, durch einen Kontrapunkt, der auf ihre Leidenschaften gut berechnet ist: das ist die zweite Art, die einzig mögliche. Wenn man jede Persönlichkeit psychologisch belagert, kann man nur eine erobern, von vorne und ohne Heuchelei: die das höchste Versprechen erhalten wird.

Ilou machte eine Gebärde:

– Entweder hat der Unsichtbare unsern Plan unterschrieben oder dieser ist verloren. Wir rühren an die Gesamtheit der zweiten Ursachen, die sich in Vorsehung, Schicksal, Notwendigkeit teilen. Das Problem des Gleichgewichts oder die Notwendigkeit ist unlösbar: erst nach dem Ereignis werden wir wissen, ob wir zur festgesetzten Stunde gekommen sind. Die Frage der Bewegung oder das Schicksal erklärt sich besser: wir arbeiten im Sinne unserer Fähigkeiten und sowohl logisch wie durchaus gesetzlich. Endlich die Gleichung der Kraft oder die Vorsehung, die einzig sichere: der Mißerfolg wird nicht einmal einen Skandal verursachen, und der Erfolg wird kein Leben kosten, keine Ungerechtigkeit begehen.

– Diese Betrachtung, schloß Ilou, versichert uns mehr als jede andere, daß wir nichts schädigen und daß unsere Niederlage weder Ruinen noch Stoff zur Reaktion zurückläßt.

Ermüdet von dieser verstellten Sprechweise, verstummten sie, um ihre Mahlzeit schweigend zu beenden, tiefen Ueberlegungen ausgeliefert, die keiner sich bemühte auszudrücken.

Merodach ließ sich eine Zeitung bringen.

– Meine Herren, sagte er, die »Zauberflöte« wird heute gegeben! Für Eingeweihte wird das ein Gottesdienst sein: denn dieses Werk wurde durch unsere Ahnen, die deutschen Rosenkreuzer, bestellt und ihr Wort wird vielleicht durch Mozart zu uns sprechen.

Die fremden Verschworenen kamen auf ihre Plätze beim dreifachen Trompetenruf, der wie ein Geläute von Engeln, ein Wecken der Ewigkeit klingt. Sofort wurden sie von der abstrakten Schönheit des Werkes ergriffen. Durch ihre eigenen Gedanken vorbereitet, fühlten sie zum ersten Male das Genie Mozarts, das unter der Anmut tief und, trotzdem es der Fröhlichkeit nachgibt, geheimnisvoll ist: fühlten den männlichen und mächtigen Mozart des »Requiem« und des »Ave Verum«.

Ein seltsam pathetisches Drama ist es, das vom Orchester gespielt wird. Ist es der Kampf des Gerechten gegen die Schlange des Bösen? Ist es das Entsetzen einer Seele, die sich von der Materie befreit? Es gibt da einen inneren Streit, aus dem der Geist siegreich hervorgeht, und mit welchem Schwung!

Das dreifache Geläut, das den geheimnisvollen Kampf eröffnet hat, feiert den Sieg. Dann klagen sich purpurne Harmonien an. Eine Atmosphäre lächelnder Weisheit und geistigen Friedens verbreitet sich; die sanfte Ausströmung eines Parnasses, wo jeder Heiligenschein sich durch Lorbeer vermehrt; ein hellenisches Paradies, wo Vergil sich mit den Sibyllen und Heiligen verbrüdert.

Beim letzten Akkord sprach Nergal diesen Eindruck aus:

– Das habe ich in meiner Seele gehört, als die Morgenröte dem Parthenon ihren Friedenskuß gab.

– Das ist Licht, dieses Finale, sagte Ilou; das ist abstrakt schön, Gedankenmusik.

– Ja, das ist eine Zauberfuge, und ohne Fieber, sagte Nebo.

Tamino erscheint, der für das Zepter des Nils bestimmt ist; von der Schlange verfolgt, wird er vor Schrecken ohnmächtig. Aber die drei Begleiterinnen der Königin der Nacht treffen das Ungeheuer mit ihrem silbernen Wurfspieß und werden gerührt, als sie den betrachten, den sie gerettet haben.

Als Tamino wieder zu sich kommt, sieht er den Drachen tot zu seinen Füßen; aber die Töne einer Flöte erregen seine Aufmerksamkeit: es ist ein Vogelhändler Papageno, eine Art Sancho.

– Da ist der Fehler des Werkes, sagte Tammuz: das Komische, das Salzburgische, die dumme Konzession ans wiener Zwergfell.

Doch Tamino hat vor Augen das Porträt der Prinzessin der Nacht, das ihm seine Mutter geschickt hat.

– Hat man jemals im Geschmack dieser Melodie begehrt, fragte Nergal: welches Lächeln entstehender Leidenschaft!

Die Königin der Nacht wird ihre Tochter Tamino geben, wenn er sie von einem Dämon befreit, der sie geraubt hat, an einem Maitage, wo sie sich allein in einem Zypressenwäldchen befand. Sie erscheint als wirkliche Isis.

Papageno macht »Hm, hm, hm«, bis man ihm sein Schloß vom Munde genommen hat.

– Wie dumm, rief Nebo.

Dann wird die goldene Flöte, die Syrinx, die Schwester der Lyra, Tamino gegeben.

– Die Kraft ist die niedrige Beschaffenheit der Macht: sie vernichtet, sie schafft nicht. Bezaubern ist das erhabenste Wort der Tat. Jesus, unser Meister, hat das menschliche Herz durch die Töne seines göttlichen Herzens bezaubert. Die Karl V., die Bonaparte werfen die Leidenschaften zu Boden, die ihrem Herzen entgegen sind. Nach einem Satze Pascals sind die Leidenschaften Wege, die wie die Flüsse laufen, und sie allein werden uns dahin führen, wohin wir gehen wollen.

Das Gemach der Pamina, im Palast des Sarastro, zeigt Sklaven, und Monostatos läßt dem jungen Mädchen, das hat fliehen wollen, Ketten anlegen.

Papageno hat Furcht vor Monostatos, weil er Neger ist, und Monostatos erschreckt vor Papageno, weil dieser als Vogelsteller Federn trägt, als sei er auf dem Jahrmarkt. Pamina entschließt sich zu fliehen und gibt dem Vogelsteller ihre Antwort in einem wahrhaft lyrischen Duett.

Jetzt nehmen drei Tempel die Bühne ein: der Tempel der Weisheit in der Mitte, die der Vernunft und der Natur rechts und links. Drei Engel, die den Tempeln entsprechen, tragen silberne Palmen.

Der Held klopft rechts und links. Die Vernunft und die Natur sagen: »Zurück«.

Im Tempel der Weisheit antwortet ihm ein Priester:

PRIESTER
Was suchst du hier im Heiligtum?

TAMINO
Der Liebe und Tugend Eigentum!

Tamino glaubt, Sarastro sei ein Tyrann, der Pamina geraubt habe.

TAMINO
Wann also wird das Rätsel schwinden?

PRIESTER
Sobald dich führt der Freundschaft Hand
ins Heiligtum zum ewigen Band.

Auf Taminos Flöte antwortet Papagenos und dessen zauberhaftes Glockenspiel tut Wunder, indem es Monostatos und seine Schar zum Tanzen zwingt.

– Wieder die Heldin, die mit dem Hanswurst tanzt, rief Nebo, bei dem süßen Duett, das folgt.

Pauken und Trompeten verkünden Sarastro.

Pamina wirft sich ihm zu Füßen, während der Schwarze Tamino herbeiführt: endlich sehen sich die beiden Liebenden und umarmen sich. Man bedeckt sie mit einem Schleier, um sie zu den Prüfungen zu führen.

– Das ist der Termosiris des Telemach Fenelon, Die Abenteuer des Telemach, 1700., bemerkte Nergal.

– Und der »Sethos« des Abtes Terrasson, und noch mehr Wieland.

Im zweiten Akte hätte Poussin die Dekoration malen können: Palmenwald, mit neun Pyramiden, von denen jede einen Sitz aus schwarzem Horn hat.

– Der religiöse Marsch des Idomeneus Fenelon, Die Abenteuer des Telemach, 1700., bemerkte Tammuz.

Die Verschworenen wurden tief bewegt von der Anrufung des Hohenpriesters und von der Uebernatürlichkeit des Chores: »Weisheitslehre sei mein Sieg; Pamina, das holde Mädchen, mein Lohn«.

– Ist es nicht lächerlich, daß Papageno zu den Prüfungen zugelassen wird? Die Komik findet sich nicht in der Natur: das ist eine Krankheit des Geistes, das ist die Häßlichkeit ins Angenehme gewandt.

Die Damen der Nacht vollziehen die Prüfung des Schweigens und der Enthaltsamkeit auf ein Mal.

– Tamino-Mozart gibt die Verteidigung der Freimauerei: man kann sich nicht darin täuschen, bemerkte Ilou. Das Ideal der Freimaurer ist ein Zusatz zum religiösen Ideal; die Feme ist aus dem Christentum geboren, wie die Ritterorden; und wir selbst, was sind wir anders als die Vorläufer, die Gründer vielleicht einer Freimauerei des Lichtes.

– Ja, Papageno ist die gemeine Seite des Lebens, die man knirschend erleidet und die einen aufbringt, wenn man sie in der Kunst wiederfindet.

– »Tannhäuser« beginnt mit dem Liede des Hirten: der Venusberg ärgert mich! Im Theater, das seinem Wesen nach moralisch ist, sobald es ernst wird, weckt das Gefolge der Venus Gedanken an Prostitution und nicht an Wollust.

– Für uns Lateiner und wahre Zivilisierte, die wir unsere Triebe verfeinert haben, ist die Wollust ein bestimmtes Wesen, und nicht ein Busen, ein Schoß. Wer die Frauen begehrt, nicht eine bestimmte Frau, ist ein Tier.

– Wenn Papageno endlich verschlungen sein wird, werde ich aufatmen, sagte Nebo.

Die Morgenröte erleuchtet einen Garten, wo die Genien singen, die über Pamina wachen. Sie entreißen ihr den Dolch, denn Tamino hat sich nicht umgewandt, hat, weiser als Orpheus, nicht zu seiner Eurydike gesprochen.

– Da ist unsere Allegorie, sagte Ilou.

In einer wilden Gegend sieht man auf der einen Seite Wasserfall und auf der andern Feuerglut. Zwei geharnischte Männer singen die Oktave.

– Das ist Luthers Choral: »Ach, Gott, vom Himmel sieh darein.«

– Ah, dieser seraphische Chor, dieser Chor!

– Das ist der zweite Tod, der seelische Tod.

Die Liebenden durchschreiten Feuer und Wasser. Sie triumphieren.

– Da tritt die Gemeinheit auf die Bühne, rief Nebo.

»Papa, papa, papa, papa geno, papa gena.«

Die Königin der Nacht ist verwirrt.

Sarastro erscheint auf der Höhe im Priestergewande, mit Tamino und Pamina.

Man stimmt die Jubelhymne an.

– Die Freude wird immer niedrig ausgedrückt.

– Die Erde trägt nur für Papageno Freude.

– Sakya Mouni allein ist praktisch.

– Weil es einfacher ist, die Begierde zu beschränken, als ihre Befriedigung schrankenlos zu machen.

– Und wenn das Glück im Eros selbst wäre: das ist in Summa die ganze Einweihung.

– Für einige: seien wir die.


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