Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Letzte Sitzung

Das düstere Aussehen Merodachs und Altas, welche die eingeschläferte Nonne führten, erstaunte die anderen Verschworenen nicht. Ohne daß sie den Zwischenfall des Jesuiten und die Wirkung der Hellsicht auf die beiden Kardinäle kannten, war der Lauf der Ueberlegungen, die sie ausgetauscht hatten, schon bei der Gewißheit angelangt, daß der Plan gescheitert war.

Kurz machte Merodach sie mit dem, was sich über ihrem Kopfe zugetragen hatte, bekannt.

– Dies hat eine Fortsetzung, bemerkte Nebo, und da wir eine Somnambule haben …

Der Magier erweckte die Hellsicht der Schwester Maria von Gonzaga.

– Wohin sind die Kardinäle gefahren, als sie den Palast verließen?

– Nicht weit von hier, wo Soldaten, Karabiniere, sind. Sie haben gesagt, ein Klosterbruder, der verkleidet war, um Almosen zu geben, sei angegriffen und verhaftet worden. Um ihren hohen Stand zu ehren, hat der Offizier den Jesuiten herausgegeben … Sie haben ihn mitgenommen, während sie alles Schlechte von der Prinzessin, dem mezzo santo und Mero … Merodach sagten. Der Pater tut den Mund nicht auf … er dankt ihnen nicht, er kennt ihr Gefühl im Grunde.

– Jetzt, mein Kind, sprechen Sie von sich selbst: wohin soll man Sie führen, damit Sie sich wohl fühlen?

– Zu den Karmeliterinnen von Orvieto.

– Dies, Poudiel, ist deine Sache: du wirst morgen ganz früh mit Mercedes hinfahren, dann kannst du um neun Uhr zurück sein. Alle, auch die Frauen, morgen um zehn Uhr bei der Prinzessin.

– Wir sind von einem mittelmäßigen Jesuiten besiegt worden!

– Wie ein Mensch durch ein einfältiges Blei stirbt.

– Nein, sagte Ilou, der Jesuit ist nur die Bewegung eines Gesetzes.

– Diese Nonne kommt zu uns wie die Verstärkung von Pisa, nach der Schlacht, sagte Samas.

– Du täuschest dich, Freund! Ich hätte von Anfang an eine Hellseherin haben können, aber niemand in der Welt regelt die Erscheinung des zweiten Gesichtes: heute ist es fast unfehlbar, morgen würde uns unser eigener Gedanke oder absurde Einbildungen bedienen,

– Hören wir unsere Irrtümer, sagte Samas. Heute besiegt und entmutigt, werden wir uns eines Tages als Ritter einer Idee wiederfinden: empfangen wir die Lehre der höheren Unbewußten.

Merodach fragte:

– Mein Kind, machen Sie eine große Anstrengung, um mir zu antworten. Sie kennen meinen Gedanken, unseren Gedanken: warum sind wir in Rom?

– Um den 264. Papst zu wählen, aber … Seine regierende Heiligkeit hat noch mindestens sechs Jahre zu leben … Sie hätten erst beim Tode des Papstes kommen sollen … da herrscht ein besonderer Geisteszustand, von Fieber, von Unruhe, wo die Kaltblütigen viel Kraft besitzen und sich leicht Gehör verschaffen …

– Wenn der Papst gestern gestorben wäre, hätte unser Wille Aussichten gehabt?

– Ja, weil Lucioli es mit der deutschen Botschaft hielt! Aber er hätte nicht erfüllt, was Sie von ihm erwarteten: ehrgeizig, herrschsüchtig, ohne die Größe, die Sie glaubten … Jetzt ist er mehr Ihr Feind als die Jesuiten, da Sie ihn bloßgestellt haben … Aber er wird sterben.

– Man müßte ihn retten, sagte Ilou, selbst wenn die Somnambule die Wahrheit spricht, selbst wenn unser Vertrauen schlecht angebracht wäre.

– Ich habe die Frage gestellt und es ist in seiner Gegenwart geantwortet worden, daß er Rom auf der Stelle und die Halbinsel für eine gewisse Zeit verlassen müsse. Nun, er wird es nicht tun, im Glauben, sein Ansehen sei in Gefahr; aus Furcht, seinen Feinden den Platz frei zu machen. Er ist mehr als genug gewarnt: in einem neuen Drängen sähe er einen Angriff, der ihn grob machen würde. Solange er unser Mann war, waren wir einander verpflichtet: er verläßt uns, verleugnet uns, ist untröstlich, uns nicht verraten zu können: er möge sich erfüllen, wie Villiers de l'Isle Adam Peladan schätzte Villiers' Mysterium »Axel«. (Deutsch erschienen, Verlag Georg Müller, München.) sagt.

– Es war eine Hellseherin, die unsern Plan beschleunigte, sie sah Leo XIII. sterbend, während diese ihn fast hundert Jahre alt werden läßt.

– Ist es nicht seltsam, bemerkte Ilou: wir haben ein wunderbares Werkzeug, um den Schatten, der uns umgibt, zu durchdringen, und wir finden kaum etwas zu fragen.

Man braucht soviel Wissenschaft, Weisheit und Sorgfalt, um sich der magischen Mittel zu bedienen, daß die Vollkommenheit des Magiers schon eine höhere Macht bedeutet, als der magische Versuch bieten kann.

– Ich habe nie gedacht, sagte Sin, daß die Magie etwas anderes ist als eine wohltuende Täuschung, die unsere Kräfte belebt und unsern Willen stärkt. Jede Wirklichkeit ist in uns; die Erscheinung ist nur ein ungewisser Traum.

– Aber sie durchdringt uns, geht uns zu Herzen und verwirklicht sich durch den Eindruck, den sie auf uns macht.

Fredi, aufmerksam und schweigend, fühlte sich geehrt, daß man ihn zu der geheimen Sitzung zugelassen hatte. Da er kein Wort äußerte, wandte sich Ilou an ihn:

– Und Sie, Abbé, haben Sie nichts zu fragen?

– Was ist aus dem Manuskript des Comiciani geworden?

Merodach stellte die Frage.

– Ich begreife nicht, ich sehe nicht.

Man legte Fredis Hand in die der Seherin.

– Gehen Sie zu mir und sehen Sie, ob jemand während meiner Abwesenheit gekommen ist.

– Zwei Jesuiten sind gekommen; sie haben alles umgedreht, sie haben sogar einen großen Pokal mit Schnupftabak umgeworfen; im Bettstroh haben sie einen Blechkasten gefunden, der ein starkes Manuskript einschloß. Oh, nach den ersten Seiten werden sie nichts mehr verstehen: sie glauben, diese Blätter seien satanisch …

– Wie kann ich dieses Manuskript zurückerhalten?

– Sie dürfen nicht daran denken: man würde Sie zerreißen! Aber in deren Händen ist es ein Pfand des bösen Schicksals; ja, es wird den Jesuiten Unglück bringen.

– Setzt sich der Wille der Toten auf der Erde fort?

– Ja, für die, welche sie lieben.

– Kommen Sie, Alta, sagte Merodach: bringen wir dieses Mädchen in ihr Zimmer. Ich werde sie aufwecken; Sie werden ihr einige priesterliche Worte sagen. Dann kehren wir zu unsern Träumen zurück, da die Wirklichkeit sich unsern Anstrengungen entzieht.

Als sie gegangen waren, rief Ilou aus:

– Wenn wir nicht wären, was wir zu sein glauben, die vollkommenen Werkzeuge der Vorsehung? Wenn unsere Ohnmacht, die wir den Ereignissen zuschreiben, von unserer Unfähigkeit allein käme? Wenn wir dreiste und kindische Entsteller der Wahrheiten wären, zu deren Oberpriester wir uns gemacht haben? Wenn wir nur übermütige Erleuchtete, Irrlichter wären?

– Oh, rief Nergal, entehren Sie unser schönes Gebinde von reinem Willen nicht! Die Ungeduld ist unsere Sünde: wir haben zu früh gesät und wir wundern uns, daß wir nicht sofort ernten.

– In unserm Streben überlegen, sagte Samas, unterliegen wir dem Ereignisse. Stolze Arbeiter, von adeligem Flug, mit vollkommenem Plane, bewirken wir nicht, daß sich das Gesetz des Keimens beeilt. Wir haben in einem Monat ein Werk schaffen wollen, das ein Jahrhundert braucht; haben die Jahre auf Minuten zurückführen wollen.

– Ich werde es nicht vor Merodach sagen, erklärte Sin: was uns sechs Sünder hindert, das plötzliche vernichtende Mißgeschick so lebhaft zu empfinden, kommt daher, daß wir bei der Arbeit an einem großen Plane ein großes Glück gefunden haben. Aber der Magier und der Mönch und der Brahmane sind zu beklagen, denn die »zweiten Ursachen« haben ihnen den Kuß verweigert; und keine andere Liebkosung wird ihren Groll beschwichtigen.

Samas erhob die Arme.

– Das ist keine Lösung, unser würdig. Weder Aufsehen noch Gefahr, nichts als die einfache Bestätigung eines nutzlosen Strebens. Ah, die Wirklichkeit rächt sich: sie macht uns zum Gespött.

– Wir können noch von Glück sagen, erwiderte Ilou, daß unsere Kühnheit nur beiseite geschoben, nicht bestraft wird. Man weiß erst, ob man gewisse Rechte besitzt, wenn man Erfolg gehabt hat: der Mißerfolg ist ein Wahrspruch, und unserer ist schmerzstillend. Danken wir der Vorsehung, daß sie Achtung vor unsern Absichten gehabt hat.

Merodach war wieder eingetreten.

– Die Vorsehung? Ich gebe ihr meinen Willen zurück, den sie zerbrochen hat; ich gebe ihr unsere Willen zurück, die sie beiseite geschoben: Hirten ohne Herde, wollen wir wieder Schäflein werden, das ist leichter und sicherer.

– Merodach entmutigt, welches Schauspiel, rief Poudiel.


 << zurück weiter >>