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IV.
Die Versuchung des Magiers

Zuweilen, nach den geheimen Sitzungen der Nacht, wenn jeder sein persönliches Leben wieder aufnahm, Tammuz in den Armen Leonoras lag, Nergal bei der Gräfin Brigandini weilte, wenn Poudiel, Alta und Ilou schlafen gingen, wanderte Merodach, müde und schlaflos, durch die Straßen von Rom, die Fäden seiner Verschwörung schürzend und lösend.

Einmal war er schon, ohne daran zu denken, bis zum Palast Piccolomini gekommen, wo er sich an die schöne Francesca erinnerte. Was beabsichtigte er? Niemals vor den Augen dieser zweiten Corysandre erscheinen oder seinen Kummer durch irgendeine Freundschaft beschwichtigen?

Während er, müde von seinem Plan, sich eine Erholung von seiner geistigen Anstrengung wünschend, stillstand und träumte, öffnete sich ein Fenster: eine Frauengestalt beugte sich hinaus, um dann zu verschwinden. Obgleich dieses Treiben zufällig sein konnte, erregte es die Aufmerksamkeit des Magiers.

Die Nacht war lau, die Straße verlassen; er wußte nicht, welche Richtung er einschlagen sollte; da rief man ihn durch das Gitter des Erdgeschosses: er erkannte Francesca.

– Sie, fragte er; Sie müßten auf dem Ball der Aguinaldi sein.

– Ich gehe nicht mehr auf den Ball! Ich habe gedacht, daß Sie gegen Mitternacht kommen würden, mechanisch, aus Bedürfnis nach Erholung: für eine Dumme ist das nicht so schlecht gedacht. Biegen Sie um den Palast: ich werde die kleine Pforte der Gasse öffnen.

Bevor er antworten konnte, schloß sich das Fenster wieder. Die Ueberraschung dieses Rendezvous setzte ihn in solches Erstaunen, daß er nicht daran dachte, es abzuschlagen. Er würde zu dem jungen Mädchen sprechen, um ihren romantischen Traum aufzulösen: das würde eine Sorge weniger sein. Der Entschluß war aufrichtig und wurde ohne Hintergedanken gefaßt.

Er bog um die Ecke der Via Sbrigani und ging an der Mauer entlang: die kleine Pforte öffnete sich ihm und er war im Garten der Piccolomini. Francesca, im Nachtgewande, poetisch unter dem Schatten der Bäume, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu einer Bank. Sich gehen lassend, seufzte sie ein »endlich«, das einen Don Juan befriedigt hätte.

Der Magier erwähnte die Seltsamkeit des Abenteuers nicht.

– Es ist wirklich außerordentlich, daß Sie mich bemerkt haben, wie ich im Zufall der Schritte zu Ihren Mauern gelangt bin: ich dachte, nächstens nachmittags zu kommen, nicht nächtlich, als Verliebter oder als Dieb.

– Sie sind nicht zufällig gekommen: als Ihr Wille müde geworden war, hat mein Wille Sie angezogen.

– Magierin?

– Wenn die Jugend und die Zärtlichkeit magische Kräfte sind.

– Francesca, sagte Merodach, ich werde nicht lange in Rom bleiben: ich möchte väterlich zu Ihnen sprechen. Die Fürsorge, welche die Prinzessin Este für Sie hat, habe ich auch. Ich will nicht, daß Sie geopfert werden, wie man nicht möchte, daß ein Meisterwerk in den Besitz eines Pfuschers kommt. Lassen Sie sich von mir die Beichte abnehmen und leiten: ich bin beinahe ein Priester.

– Sie sind kein Priester: neulich Abend haben Sie Leonora toll begehrt, und als Tammuz eintrat, waren Sie eifersüchtig auf ihn.

– Das haben Sie gesehen? Diese schlechte Regung meines Wesens muß ich zugeben. Möge meine Beschämung mich heilen!

– Ich habe mehr getan: ich habe Leonora dringend darauf aufmerksam gemacht. Ich dachte Ihnen damit einen Dienst zu leisten. Aber ich versichere Ihnen: sie hat es nicht geglaubt.

Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit: er konnte Francesca betrachten.

Sie war schön! Ihr Haar war aufgelöst, ihr Gewand offen; die Füße, nackt in den Pantoffeln, sahen unter dem seidenen Mantel hervor; ein Frauenduft atmete zuweilen einen Hauch aus, den Ausströmungen ähnlich, welche die Tuberose von sich gibt.

– Sagen Sie mir: was hat Sie einen Augenblick berauscht?

– Einst wollte die Prinzessin ihren Reiz auf mich ausüben und wurde besiegt: da verfiel sie dem Bösen. Ich habe sie wiedergefunden: sie ist wieder Weib geworden, in einem Alter, da sie bald aufhören muß, es zu sein. Sie ist mir erschienen wie eine Göttin: liebenswert und liebend. Die Regung der Begierde ist eine der Schanden meines Lebens.

– Warum? Sie haben kein Gelübde in Ihrer Religion oder Magie getan. Ihre Schüler sind alle verliebt: warum sind Sie, am besten gegen den Taumel gewappnet, der furchtsamste?

– Ich bin das Haupt: ich kann das Ansehen meiner Person nicht täuschen.

– Wenn sich Ihr Kopf, von großen Gedanken ermüdet, an meine Schulter lehnte, würde er sein Ansehen verlieren? Warum wollen Sie etwas süßen Schatten auf Ihrem Wege fliehen?

– Jungfrau, Sie verdienen, daß man sich Ihnen gibt! Man darf Sie nicht, im Vorübergehen, wie eine Frucht nehmen, die man fallen läßt, nachdem man sie durch einen unreinen Biß welk gemacht hat. Ich gehe vorüber! Während ich in Rom bin und vor Ihnen stehe, kann ich nicht in Ihnen dieses kleine Ding, eine gute Gelegenheit, sehen: dafür sind Sie zu schön, erregen zu sehr mein Erstaunen.

– Nur um mich zu schützen, verteidigen Sie sich vor mir? Meine Jungfräulichkeit beunruhigt Sie, nicht Ihre Keuschheit? Antworten Sie und seien Sie aufrichtig! Nein, Sie verteidigen Ihre eigene Tugend.

– Die Tugend eines Mannes macht die Mädchen lachen, die Dirnen sind: meine Kraft besteht darin, daß ich mich von den Leidenschaften fern halte. Könnte mein Gewissen das große Verbrechen auf sich nehmen, Sie zu beflecken, würde ich noch fürchten, in mir den mühsam gezähmten Gärungsstoff wieder aufleben zu sehen. Denken Sie, daß der, der Ihnen gefällt, wie ein Salamander durch das Feuer der Leidenschaft geht. Ihn besitzen? Er würde durch Sie den Geschmack der Andern annehmen; er würde mehreren Frauen gehören, weil Sie in ihm das Leben der Wollust erweckt hätten. Nein, Francesca, sehen Sie einen Mönch in mir: wenn Sie Alta liebten, würden Sie es ihm sagen?

– Gewiß! Gott verzeiht immer …

Die Italienerin oder vielmehr die Römerin begriff nicht den Schrecken vor der Sünde: als Südländerin und als Prinzessin adelte sie das Liebesvergehen, unterschied es durchaus von andern Pflichtverletzungen.

– Welch seltsames und falsches Ideal haben Sie sich gemacht? Täuscht sich ein großer Geist wie Sie über die Wirklichkeit? Sie stoßen die Liebe im Namen Ihrer Ideen zurück, und Ihre Ideen schulden allen Erfolg der Liebe! Die Prinzessin Este hat Ihnen eine große Hilfe geleistet, im Namen einer alten Liebe, im Namen einer neuen Liebe. Zu dieser Stunde liebkost Nergal die Brigandini, Tammuz Leonora, ist Nebo bei der Amerikanerin. Unterdrücken Sie bei dem Gedanken an Ihr Unternehmen die Liebe, so haben Sie nicht nur verloren, Sie können nicht einmal die Partie beginnen. Während Ihre Schüler sich für den erhabenen Erfolg beflecken, bleiben Sie rein, mitten zwischen diesen verliebten Paaren schwebend. Ihre seraphische Keuschheit lenkt mit einer lilienhaften Güte diese heilige Prostitution. Besorgt, Ihre kostbare Reinheit nicht zu verlieren, haben Sie sich nicht gefragt, ob eine Piccolomini, die mit den ältesten Familien verwandt ist, Ihnen nicht ein Mitglied des Heiligen Kollegiums ausliefern kann. Wieviel Kardinäle sind nötig, um Sie zu verführen, o Merodach?

Der Zorn überflutete die Worte: Merodach war betroffen, daß sich ihr Verstand so entwickelt hatte.

– Ja, erwiderte der Magier, eine Idee, die würdig wäre, von den Engeln erfüllt zu werden, hat nur die menschliche Leidenschaft, um sich zu verwirklichen.

– Bin ich es, die Ihnen das offenbart?

Merodach nahm ihre Hand, die von Erregung feucht und von Zorn geballt war, und sagte mit trauriger Ruhe:

– Der für Sie bestimmt ist, wird bald da sein: er nennt sich Samas.

– Sie haben Vertreter für alle Arten Frauen, Sie …

In einem einzigen Worte warf sie ihm eine grobe Beleidigung ins Gesicht.

Jede Heftigkeit, selbst im Ausdruck, und welche leidenschaftliche Italienerin zeigt sie nicht, reizte Merodach in seinem unversöhnlichen Stolze: der Blitz einer Virago, der in diesem zurückgestoßenen Gefühl erschienen war, hatte ihn ihm selbst zurückgegeben und von seiner einzigen Gefahr, dem Mitleid, befreit.

Die transalpine Liebe ist zänkisch. Die Szene präludiert dem Taumel. Es gibt keinen Frieden in den italienischen Leidenschaften, wie es keine Sicherheit in den spanischen gibt.

Jetzt weinte sie und ließ sich auf die Knie gleiten, mit einer schmeichelnden Demut.

– Daß sich so schöne Augen durch meine Schuld getrübt haben! Francesca! Beweinen Sie keinen Traum: es ist ein Traum, den ich Ihnen eingeflößt habe, ohne es zu wollen!

– Dann lassen Sie mich träumen, an Ihre Knie gelehnt.

– Diese Stellung paßt nicht für Ihre Schönheit.

– Meine Schönheit? Ihre Kälte leugnet sie!

– Je schöner Sie sind, um so mehr weise ich die Freude Ihrer Zärtlichkeit zurück: sonst würde ich die andern Frauen kränken. Tizian hat niemals einer unbußfertigeren Magdalena, als Sie es zu dieser Stunde sind, das Haar zerzaust.

– Ja, ich gleiche ein wenig der im Palazzo Borghese.

Sie warf ihren Nachtmantel zurück, ließ den Batist von ihren schönen Armen gleiten und breitete ihre schwarzen und langen Haare über ihre nackte Büste aus, indem sie sie um ihre Brüste rollte, die in dem Halbdunkel wie geheimnisvolle Früchte auftauchten.

Das war so schön, daß der Magier einen Ausruf tat: bewundernd betrachtete er dieses lebendige Meisterwerk, mit dem Erstaunen eines Mannes, der an seinen Sinnen zweifelt.

Francesca hatte, instinktiv, den Geist, seinen Eindruck nicht zu stören: sie blieb niedergekauert, die Arme ausgestreckt und auf die Knie des Magiers gestützt, dieses Erstaunen wie eine Liebkosung hinnehmend.

Die Reinheit der Linien, der Glanz der braunen Haut, den die Nacht vergrößerte, die Wärme und der Duft dieses jungen Körpers und des üppigen Saftes erfüllten Merodach mit verworrenen und sich widersprechenden Gedanken: wie man sich bemüht, den Schlaf in einem reizenden Traume zurückzuhalten, so hielt er unbeweglich die Hände des jungen Mädchens mit einer köstlichen Erregung.

Ahnend, daß man diesen Willen einschläfern mußte, indem man ihm nichts entgegensetzte; sich bewußt, daß sie einen wirklichen Sieg davontrug, soweit diese seltsame Persönlichkeit zu besiegen war, schlug sie, bevor der Zauber gebrochen wurde, ihren Mantel wieder um sich, neigte ihre Stirn vor, auf die Merodach einen Kuß der Dankbarkeit drückte, und geleitete ihn zu der kleinen Pforte, ohne ihn zu fragen, wann sie ihn wiedersehen würde.


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