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Zweites Buch.
Die Papstidee

 

I.
Römische Gesellschaft

Es war großer Empfang im Palast Este.

Die Prinzessin, die feine und gelehrte Geister liebte, empfing nur die Monsignori und die ausländischen Gesandten. Es war schwerer, zu ihr zu kommen, als im Quirinal vorgestellt zu werden. Junge Frauen und alte Prälaten: das war die Zusammensetzung dieser Abende, auf denen nur die Toilette an einen Ball erinnerte, während man frei plauderte.

Jeder wußte, daß eine Klatscherei mit Ausschluß bestraft wurde, gegen den es keine Berufung gab: Kardinäle hatten es erfahren! Diese Disziplin erlaubte den Mißtrauischesten der Sterblichen, den römischen Prälaten, ihren Haß und ihre Eitelkeit frei zu äußern. Die Vorsicht wurde an gewissen Abenden so weit getrieben, daß man die Dienstboten fortschickte und die Vorzimmer schloß: die jungen Frauen boten dann die Erfrischungen an.

»Bei der Prinzessin Este gibt es immer Monsignori, junge Frauen und Diskretion,« sagte man.

Für den, der die römische Gesellschaft kannte, war dieser Salon unschätzbar: er erlaubte den Prälaten, einige feine Stunden zu verleben, ohne daß sie sich um die öffentliche Meinung zu sorgen brauchten, und ihre Ränke, ihre fixen Ideen mitzubringen. Zusammenstöße kamen nur vor, wenn Leonora irgendeinen bescheidenen Priester einlud: die Würdenträger gruppierten sich dann, nach und nach, in einem zweiten Salon, den man »Kardinalshut« nannte.

Zur Bequemlichkeit der Monsignori begannen diese Empfänge um acht Uhr.

Merodach hatte seine Gefährten etwas früher hingeführt, aus Furcht, diese Gruppe von Laien könnte eine zu lebhafte Neugier hervorrufen.

– Es fehlt einer, und zwar der Interessanteste für Sie, meine Schwester.

– Und warum fehlt er?

– Er bestürmt die Tugend einer Kardinalsnichte.

– Wenn er mich interessieren soll: könnten Sie ihm nicht eine andere Mission geben?

– Eifersüchtig, bevor Sie ihn gesehen haben?

Die Prinzessin blickte ihn an und lächelte.

– Es ist wahr: meine Bemerkung ist sinnlos! … Welchen Zauber haben Sie mit Alta hervorgerufen: ich glaube eine Andere zu sein, eine Andere, die ich vorziehe.

Sie ergriff die Hand des Magiers:

– Ich liebe Sie sehr, Merodach.

Der wurde von diesem Ausbruch bewegt: er zog ihre Hand an seine Lippen. Zärtlich blickten sie einander an: die Augen Leonoras glänzten, besänftigt. Eine gewisse Weichheit der Bewegung ließ die frühere Härte fast verschwinden: mehrere Symptome zeigten eine Verwandlung, die sie reizend machte. Sie errötete sogar: nachdem sie den Stolz wie eine Rüstung abgelegt hatten, fühlten sie sich als Mann und Weib, sahen endlich ihr wahres Gesicht. Warum hatten sie früher einfältig gekämpft, statt sich zu liebkosen?

Ein Blick erleuchtete sie: sie sahen, was sie einander hätten geben können, wenn sie aufrichtig gewesen wären. Roland und Rinaldo Bojardo, Verliebter Roland. (Nicht Ariost, Rasender Roland!) blickten sich nicht anders an, nachdem sie vergeblich und heldenhaft gekämpft hatten. Fünfzehn Jahre hatte es gebraucht, damit sich diese beiden Seelen erkannten. Leonoras Erröten drückte aus, daß sie während einiger Pulsschläge ihre frühere Liebe für Alta verraten hatte.

Alta kam, imposant und müde, in Gedanken versunken. Zuerst sah er nicht, wie die wiedergeborene Frau strahlte, da sich die noch unsichtbare, aber bereits empfundene Liebe näherte.

– Denken Sie daran, Alta, bei den Würdenträgern zu bleiben: wenn Sie mit Ihren Brüdern gingen, würden Sie verdächtig erscheinen. Sind Sie unruhig?

– Nein, meine Schwester! Das Werk, das ausgearbeitet wird, nimmt mich in Anspruch.

– Sie, Sie möchte ich als Papst sehen!

– Das ist unmöglich! Aber ich bin neugierig, den zu sehen, den Merodach bezeichnet hat: ich kenne ihn von Aussehen, aber ich möchte ihm gegenüber stehen.

– Er kommt heute abend! Da ist Rusticoli.

– Welch festlicher Anblick, sagte der Kommende; überall Blumen …

Sein Blick traf die Verschworenen, die in dem weiten Saal verstreut waren.

– Blumen und Unbekannte, schloß er.

– Das sind Archäologen und Künstler.

– Meine liebe Prinzessin, wenn man das Heilige Kollegium hat, bleibt man dabei.

– Eine Szene, Eminenz?

– Ein Vorwurf! Wir sind hier wie zu Hause: wenn Sie unsern Segen nicht brauchen, seien Sie wenigstens froh, uns zur Zerstreuung zu haben. Man mengt den Kardinal nicht unter …

– Schweigen Sie: da ist Ihr rotes Tuch!

– Der Sozius des Generals der Gesellschaft Jesu, flüsterte Leonora Alta zu.

– Hat er nicht den Kopf einer Schlange, sagte Rusticoli zu Alta.

Der T. R. P. Collinet war ein langer Herr, von vornehmer Magerkeit, der eine feine gefärbte Brille trug. Beim ersten Blick sah und hörte er mehr als andere Menschen: eine große Katze mit beherrschter Kühnheit.

– Mein Vater, Ihr Kommen ist eine Gunst: aber ich bin es nicht, die Sie anzieht.

– Ihre Seele, sagte der Pater, ist eine seltene Seele, und da Sie mich die Katze des Ignatius nennen, werde ich nicht aufhören, Ihre Seele zu erspähen, um sie zu Gott zu tragen.

– Mein Vater, meine Seele ist keine Maus! Ich weiß, daß Sie behaupten, auf Löwen und auf Löwinnen zu jagen, aber ich werde erst fromm werden, wenn ich einen Geliebten habe: mein Herz wird sich ganz öffnen und Gott wird mit der Liebe einziehen. Ich glaube ebenso wie Sie, im Geiste: mein Herz jedoch ist hart und wird nicht gerührt.

– Wenn Sie die Uebungen des heiligen Ignatius ausgeführt hätten, wie ich es Ihnen so oft geraten habe.

– Ein schöner Kuß wird diesen Dienst tun, wenn er getan werden muß.

Sie ging Lucioli Spadella entgegen, der stark, fast ungestüm eintrat.

– Eminenz, sagte der Jesuit zu Rusticoli. Die Prinzessin verwandelt sich: sie ist heute abend Frau. Wem schreiben Sie das zu?

– Mein Vater, das heilige Tribunal hat Ihnen einen psychologischen Scharfblick gegeben, der mir fehlt. Ich bin der Freund der Prinzessin, sie lächelt: ich segne die Ursache dieses Lächelns blindlings.

– Das ist ein gewagter Segen … Oh, unterbrach sich der Sozius, Seine Eminenz Lucioli: was will er?

– Er will Sie suchen.

– Hat man Ihnen diese Laien vorgestellt, fragte der Jesuit.

– Ja, es sind Gelehrte.

– Berühren deren Arbeiten die heiligen Materien? Wollen Sie sie fragen, ob sie erlauben, daß man mich ihnen vorstellt?

– Sie verabscheuen ohne jeden Zweifel die Jesuiten, sagte der aufgebrachte Kardinal und ging, um Lucioli die Hand zu drücken.

Dieser wechselte gerade einen seltsamen Blick mit Alta.

– Eminenz, sagte der Dominikaner, die Prinzessin hat mir gesagt, wie sehr sie Ihren hohen Geist schätzt.

– Und ich, mein Vater, ich kenne sowohl Ihren Ruf als Redner wie die einzigartige Hochachtung, welche die Prinzessin für Sie hegt.

– Ich bin nur ein Mönch.

– Soviel der Mann gilt, soviel gilt das Kleid.

– Sie haben das Recht, es zu sagen.

– Vielleicht, aber zu Ihnen sage ich es.

Und sie entfernten sich zusammen, da sie alle beide begierig waren, sich gründlich zu studieren.

– Der Kardinal Rusticoli ist heute abend sehr schlechter Laune, sagte der Vater Collinet zu Leonora.

– Er verabscheut die Fragen, und Sie fragen!

– Diese Laien sind Gelehrte: ich möchte mit ihnen plaudern.

– Mit wem?

– Mit dem, der den ergrauenden Bart trägt und wie ein armenischer Priester aussieht.

– Kommen Sie, sagte Leonora.

– Der T. R. P. Collinet von der Gesellschaft Jesu. Der Brahmane Ilou von der theosophischen Gesellschaft.

– Sehr glücklich, mein Herr, wie soll ich Sie nennen: ich weiß nicht … sehr glücklich, einen Vertreter dieser seltsamen Lehre zu sehen … Sie kommen nach Rom …

– Um den buddhistischen Ursprung des Christentums zu studieren, sagte Ilou.

– Und diese andern Laien: sind sie auch Buddhisten?

– Nein, es sind Künstler!

– Künstler? Ah! Würden Sie mich dem vorstellen, der vorhin mit Ihnen sprach.

– Nebo?

Nebo kam herausfordernd näher und sah sich den Vater Collinet an.

– Sie sind Künstler, sagte der Sozius, nachdem sie vorgestellt waren.

– Und Sie Jesuit, antwortete Nebo.

– Ich habe die Ehre, der heiligen Gesellschaft Jesu anzugehören.

– Welche Schmach sind Ihre Kirchen! Sie haben die Frömmigkeit entwürdigt: der Gesù Sitz der Jesuiten in Rom. ist ein Skandal, eine Lästerung in Stein und in Marmor! Sie haben die Materie entheiligt, haben die Dummheit und die Erotik in der religiösen Kunst verkörpert. Ja, Sie haben die Unanständigkeit ins Heiligtum eingeführt.

– Welche Heftigkeit!

– Die Heftigkeit ist die einzige Waffe gegen Sie. Wenn ich jemals fände, daß die Gesellschaft Jesu um mein Leben herumstreift, würde ich um mich schlagen und schreien. Ihnen gegenüber denke ich, obgleich ich nur ein Künstler bin, nur an die Faust und das Maul.

Der Vater Collinet ging zu Leonora, um sich zu beklagen, während der Kardinal Rusticoli sich sichtlich belustigte: er durchschritt den Salon, kam zu Nebo und reichte ihm die Hand.

– Danke, mein Herr, ich kenne nur einen Haß: die Jesuiten.

Sie plauderten.

– Das ist Ihre Schuld, wiederholte Leonora dem Jesuiten: Sie kommen als Inquisitor, und man empfängt Sie, wie man einen Feind empfangen würde.

– Ah, die Epoche wird abscheulich! Stellen Sie mich diesem großen Braunen vor.

– Nergal: der ist berühmt, das ist ein großer Romancier.

Der Dichter plauderte mit der Contessina Brigandini, die Schultern von einer schönen Mattheit zeigte.

Nergal grüßte und nahm das Gespräch wieder auf.

– Ich möchte Sie fragen, mein Herr, ob man Ihre Romane den Frauen erlauben darf.

– Sehen Sie diese List, Contessina: um Ihre Brüste aus der Nähe betrachten zu können, heuchelt dieser heilige Jesuit, er interessiere sich für meine Bücher! Wie groß muß Ihr Reiz und der Glanz Ihrer Haut sein, wenn sie einem solchen Manne das Gelübde der Enthaltsamkeit nehmen.

Der Vater Collinet drehte sich auf den Hacken um. Aber er hatte noch zwei Neuangekommenen die Stirn zu bieten: er ging auf Poudiel zu, der ihm demütig und zugänglich erschien.

– Mein Herr, ich kenne Sie nicht …

– Ich bin Materialist, erklärte der Gelehrte in einem Ton, der jedes Gespräch abschnitt.

Der Vater Collinet kratzte sich lange das Ohr, verstohlen zur Seite blickend, wo Alta und Lucioli ernst miteinander sprachen. In seiner Befangenheit sah er nicht, daß die Aufmerksamkeit sich auf ihn richtete. Seine Eminenz Rusticoli ging von einem zum andern, auf das ertappte Aussehen des Sozius zeigend, und erklärte, an einen schöneren Abend könne er sich nicht erinnern. Er hätte die Unbekannten umarmen mögen und verließ Nebo nicht.

Merodach hatte sich so viel wie möglich in den Schatten gestellt, um diese Welt, in die er als Neuling eintrat, zu überwachen. Die Fußtritte für den Jesuiten hatte er veranlaßt, weil man dadurch Rusticoli sicher gewann. Auch mußte man jenen mittelmäßigen Geist, der aber außerordentlich geschickt war, von der Spur abbringen. Mit seiner rohen und schablonenhaften Methode würde er irgend einen Angriff wagen, wenn man ihn nicht von Anfang an geduckt hätte: dem Scharfsinn seiner Prüfung schob man ein persönliches und peinliches Gefühl unter.

Jetzt war es nötig, daß zwei Männer dem Jesuiten Genugtuung gaben: Alta und Lucioli. Da die Zeit drängte und der Sozius nicht aufhörte, das verdächtige Gespräch des Kardinals mit dem Dominikaner zu beobachten, ging Merodach auf die beiden zu und sagte kurz:

– Nehmen Sie Collinet auf und messen Sie ihm gute Nichtigkeiten zu. Er hat nichts für seinen Bericht. Eitel wie Beckmesser, beschränkt wie ein Polizist: wenn er seinen Bericht erst gemacht hat, werden wir eingeordnet sein und Ruhe haben.

Leonora kam hinter ihm her.

– Nehmen Sie den Arm dieses Beckmesser.

– Beckmesser ist gut, aber dieser ist tragisch.

– Machen Sie mit ihm einen Gang durch den Salon und führen Sie ihn zum Kardinal und Alta. Sie beide werden ihn einige Minuten ertragen, indem Sie sich den Anschein geben, ein Gespräch mit ihm zu eröffnen und es mit ihm fortzusetzen.

– Sie sind reizend heute abend, Leonora.

– Ich bin von etwas berauscht, das ich nicht getrunken habe, buchstäblich berauscht: ich fühle mich jung und ich fühle mich gut werden. Was geht denn vor in meiner astralen Atmosphäre, wie Sie sagen würden?

Der Vater Collinet hielt die Prinzessin an.

– Würden Sie mich Herrn Merodach vorstellen? Ein alter Name: er steht in der Bibel, aber auf Seite der Heiden.

– Sie kannten Ihre Hoheit, bevor Sie nach Rom kamen?

– Gewiß, erwiderte Merodach, seit fünfzehn Jahren erinnere ich mich an ihre Bälle in der Rue de Varennes: Wunder, mein Vater, Wunder.

– Ich glaube es: sie hat so viel Geschmack.

– Sie sind der Freund dieser gelehrten Laien?

– Ja, wir reisen zusammen, obgleich unsere Neigungen verschieden sind, und ein wenig auch unsere Ideen.

– Ihre Freunde sind ziemlich irreligiös.

– Pah, sie werden nach Damaskus gehen, wie ich.

– Sie sind ein guter Katholik?

– Und ich schulde es einem Jesuiten. Er nannte sich Vater Pascal: es war in einem Zufluchtsort für Männer, zu Lyon, wo ich überzeugt wurde.

– Der Vater Pascal war ein Schüler von Bourdaloue.

– Der erste Logiker der Kanzel.

– Es macht mir viel Vergnügen, Sie dies sagen zu hören. Ja, nicht wahr, in Rom nähert man sich gern dem Sakrament! Sie müssen beichten: ich würde glücklich und stolz sein, erwählt zu werden.

Der Gedanke, Merodach, dem Vater Collinet beichtend, erschien der Prinzessin so toll, daß sie den Ausbruch eines Lachens in einem Husten verbarg, bei dem ihre Brüste im Mieder zitterten.

– Man schwebt etwas in der Luft, wenn man einen Monat in Rom bleibt; das Museum tut der Kirche Abbruch; aber bevor ich abreise …

– Ja, ganz recht, als Wegzehrung, sagte der Jesuit mit einem Willen, fein zu sein. Aber auch außer den Sakramenten stehe ich immer zu Ihrer Verfügung. Die Prinzessin kann Ihnen sagen, daß das Anerbieten meiner Dienste kein eitles Versprechen ist.

Der Magier und der Jesuit drückten sich die Hand.

– Ah, kommen Sie, Pater, sagte die Prinzessin, Sie kennen den Pater Alta noch nicht.

– Ich möchte ihn wirklich kennen lernen; aber Seine Eminenz Lucioli liebt mich nicht.

Sie nahm seinen Arm und führte ihn fort.

– Ich muß Ihnen den Text lesen! Sie benehmen sich schlecht! Sie sehen aus wie ein Gendarm, der einen Vagabunden nach seinen Papieren fragt. Lucioli hat nur einen Wunsch: sich mit Ihnen zu verständigen. Warum haben Sie ihm wieder in der Sache Perugia widersprochen: er hat sich aus dem Skandal herausgezogen und Sie haben ihn irritiert. Aber er wünscht nur, sich mit der Gesellschaft Jesu wieder zu versöhnen.

– Er steht sich schlecht mit dem Quirinal.

– Er nimmt den Mund etwas voll: er will gefürchtet werden, ehe er sich ergibt.

– Ah, Sie können auf die Dankbarkeit … Ihres Dieners zählen.

– Wirklich … wenn ich Ihrer bedarf, werde ich Sie finden …

Sie hielt inne und sah ihm ins Gesicht.

Aufrichtig sagte der Jesuit ja mit dem Kopfe und fügte hinzu:

– Weil alle Welt mich fürchtet, erträgt mich niemand mit solcher Liebenswürdigkeit.

– Mein Wort, ich habe ihm glauben müssen, flüsterte die Prinzessin Merodach zu, der sich in ihrer Nähe befand, als sie den Jesuiten in das Gespräch zwischen der Eminenz und dem Mönch hineingezogen hatte.

– Hier in Rom führt der Ehebruch, sagte die Gräfin Brigandini zu Nergal, zur zweiten Ehe; auch mißtraut man den Franzosen, den unbeständigsten der Männer.

– Jeder Durchreisende bedeutet Unbeständigkeit; aber der Durchreisende hat einen Reiz für die anständige Frau: er nimmt die Sünde mit. Man verzeiht sich selber schneller eine Schuld, deren Gegenstand verschwunden ist.

Die Marquise Zuchetti erschien mit ihrer Tochter Paola: beide blond und dick, mit der zarten Hautfarbe ihres venetianischen Ursprungs.

Die Marquise schuldete der Prinzessin die Aufhebung ihrer Ehe; sonst wäre sie nicht gekommen. Ihr Geliebter war Offizier und Leonora empfing nie Offiziere.

Mit seiner Nichte erschien der Majordomus der heiligen Paläste: Monseigneur Pulpinello della Staccata, ein starker, lustiger Mann, wertvoll für alle, die bei den Feiern des Vatikans einen Platz haben oder an den großen und kleinen Empfängen teilnehmen wollten.

Leonora machte Nebo auf ihn aufmerksam, der Rusticoli verlassen hatte, nachdem er ihn ganz und gar gewonnen für die, welche jener die Pariser nannte, trotzdem sie gerade die Verneinung dessen waren, was dieser Ausdruck bedeutet.

Der Kardinal Altieri hielt seinen Einzug, pomphaft von zwei Prälaten eskortiert, seinen Assessoren Ludovico und Piero Spedalieri, eiteln und geschmeidigen Pfäfflein.

Leonora verschwendete an Altieri ihre Freundlichkeit: Grandseigneur, geringer Theologe, aber ein Feind der Intrigen, trug er seine Soutane gut; unter den weißen und buschigen Haaren war er sehr rot. Die Prinzessin führte ihn zu der Gruppe, die Alta und Lucioli bildeten.

– Ich bemerke den Pater Collinet: könnten Sie uns dieses Gesicht nicht ersparen?

– Ach, ich habe nur einen Jesuiten: den kann man mir wohl durchgehen lassen! Ich habe ihn nur für meine Freunde, wie man einen Blitzableiter für sein Haus hat. Uebrigens werde ich ihn der Marquise de Trinquetailles ausliefern, die mit einem Attaché ankommt, der mir ganz unbekannt ist.

Leonora nahm die Freundin eilig ihrem Kavalier fort.

– Sie sehen diesen Jesuiten, der die Kardinale erschreckt: zerzausen Sie ihm das Haar.

– Er ist kahl.

– Beichten Sie ihm, legen Sie ihm Gewissensfälle vor! Es ist die Stunde seines Scheidens: es wird nicht lange sein.

Und sie zog sie hin zum Pater Collinet.

– Ehrwürden, hier ist eine Seele, die Ihrer Leitung sehr bedürftig wäre, denn sie empört mich, die doch nicht prüde ist.

– Ist das eine Art, mich vorzustellen? Was werden Sie von mir denken, mein Vater?

– Sind Sie verheiratet?

– Ich bin Witwe.

– Die Tugend der Witwen ist dem Herrn besonders teuer.

Rusticoli, unversöhnlich in seinem Hasse gegen den Jesuiten, murmelte:

– Die Uhren schlagen hier nicht: Schlag neun Uhr verschwindet der Reverend. Ich warte auf seine Flucht wie ein Verliebter auf die Schäferstunde. Ja, er hindert mich frei zu atmen.

– Ach, mein Vater, wer kann die Schwäche des Fleisches verstehen? Ich sage mir oft, es ist das letzte Mal, und dann packt es mich im Innern, als wenn ein Dämon mir die Seele kitzelte.

– Ja, der Dämon …

– Ach, die Männer fühlen es, wenn eine Frau so im Innern angegriffen wird, sie greifen auch an: zwischen der Begierde, die man empfindet und die man einflößt, zwischen diesen beiden Begierden …

– Unterliegt man, sagte der Pater.

– Sagen Sie, mein Vater, was ist besser: einen Geliebten zu haben, einen einzigen, oder mehrere?

– Das kommt darauf an, meine Tochter: die Sünde ist schwerer mit dem verheirateten Manne, dem Verwandten und dem jungfräulichen Jüngling; wenn sich der Mann dem Herrn geweiht hat, ist sie noch schlimmer: das ist Frevel.

– Und ist die Sünde doppelt, wenn man an einen Mann denkt und sich einem andern hingibt?

– Aber gewiß … wahrscheinlich: das ist ein Fall, über den ich nicht nachgedacht habe.

– Liegt mehr Bosheit darin, wenn man langsam liebkost oder wenn man schnell sündigt?

– Je mehr Gefallen man daran findet, desto mehr …

In seiner Verlegenheit führte er die Hand an seinen Gürtel, zog die Uhr und wurde bestürzt:

– Kommen Sie, Marquise, in meinen Beichtstuhl, in den »Gesù«, morgens vor elf Uhr.

Die Prinzessin gab ihm das Geleit. Als er zur Tür hinaus war, fühlten sich alle erleichtert.

– Wissen Sie, was er mir gesagt hat, vertraute Leonora Merodach. »Die Gesellschaft wird ihren Frieden mit dem Kardinal machen; was den Dominikaner angeht, so ist das ein Mann allerersten Ranges; wenn ich General wäre, würde er Kardinal sein.«

– Es genügt also, die Persönlichkeit zu begeistern, um sie zu gewinnen.

– Ist es nicht der Dienst der Liebe, das Glück zu geben und zu empfangen? Das sind zwei Rechte, die ich haben möchte.

– Sie sind unterwegs.

– Tammuz wird sich bei seinem Sieg über die Nichte vergessen haben. Ah, da ist meine Nichte.

– Guten Abend, Schönheit, sagte Leonora, Francesca Piccolomini umarmend, die ihren Vater führte, den schönen Typ eines alten Patriziers.

– Du, Tante, du bist verschönt!

Sie wandte sich an Merodach:

– Ich weiß nicht, worin das Können eines Magiers besteht, aber Ihr Kommen hat Leonora zum Aufblühen gebracht: sie ist heute abend nicht dreißig Jahre alt.

– Sie ist unendlich begehrenswert.

– Ein nettes Gespräch: ich bin die verblühte Prinzessin.

– Sehen Sie, ob das nicht einem jungen Mädchen gehört.

Francesca senkte ihr den Rand des Mieders, Brüste zeigend, die in der Form bestimmt und rein waren.

– Brüste einer Jungfrau, sagte Francesca.

– Du weißt nicht, wie wahr du sprichst; doch lassen wir das: da kommt der Kardinal Rodriguez.

Groß, düster, stolz, besaß die spanische Eminenz den lebendigen und despotischen Glauben, den grausamen Bekehrungseifer.

– Mit ihm darf man nicht streiten, sagte Leonora: er begreift nur den Katechismus und das Autodafé. Auf die Tugend einer Nichte ist er eifersüchtig wie ein Hidalgo und führt sie wenig in die Welt.

– In Ihrem Palast liegt ein gefährlicher heidnischer Reiz, der aber bezaubert, Prinzessin: ich komme mit einem Vergnügen hierher, das eine Sünde sein muß.

– Es liegt ein wirklicher Reiz darin, Ihnen ein Kompliment einzuflößen: man fühlt, daß Sie eine wahre Strenge beugen.

– Wenn es sich ums Beugen handelt, so müßte es vor Ihnen sein: trotzdem Sie Entartung zur Schau tragen, sind Sie in der Tat eine Sittenstrenge.

– Werde ich es immer sein?

– Sie wollen an Ihrer Tugend zweifeln?

– Unsere Tugend, Eminenz, ist manchmal die Tugend der Andern Peladan, Das höchste Laster..

Alta und Merodach hörten es.

Es lag für sie in diesem Satz eine solche Kraft der Erinnerung, eine so schöne Huldigung, so viel Offenheit, daß sie davon gerührt wurden; doch während der Mönch aus reiner Freundschaft diese verjüngte Frau ehrte, fühlte sich der Magier von einem so heftigen Bedauern zerrissen, daß Alta ihn fragte, was er empfinde.

– Ein schändliches Gefühl: ich bin augenblicklich rasend in die Este verliebt! Es wird mir schwer, das Kommen des Tammuz nicht zu verhindern: er wird ihr Geliebter sein, und ich möchte es sein.

– Welcher Taumel, Merodach: bedenke, daß du das Haupt des Planes bist! Dies würde keine gewöhnliche Sünde sein, sondern ein Frevel sondergleichen, wenn du dich darin verlieren würdest, die Wollust mit Leonora zu buchstabieren, während du das Heil der Welt entworfen und begonnen hast.

– Ich weiß, ich weiß, erwiderte der Magier nervös. Predige nicht; ich habe meine Aufregung gebeichtet, um sie zu beherrschen; es ist nur ein Gewittersturm gewesen und meine Seele wird wieder ruhig; aber ich habe in einer Minute der Vorsehung eine ungeheure Schuld bezahlt … Also, die Gesellschaft Jesu ist auf falsche Fährte geführt worden, und wir werden schon vier Stimmen im Konklave haben.

An diesem Abend war Leonora wirklich zum Lieben: jung in den Linien, der Arm schlank, ohne mager zu sein, der Hals biegsam, der Schoß der eines Kindes; und darüber hinaus ein Erwachen von köstlichen Dingen, die unter dem Staub der Jahre aufgestapelt waren, die Anmut eines Pastells, mit dem durchdringenden Auge des Leonardo.

– Was haben Sie? fragte Francesca den Magier, mit einem aufrichtigen Interesse, das ihre strahlende Schönheit rührend machte.

Er fühlte sich geliebt! Doch das traurige Schicksal der Corysandre erschien seinem Geist: er sollte wieder das Unglück in eine Seele säen. Da er nicht zu denen gehörte, die sich mit dem Elend abfinden, das sie veranlassen, ohne es zu wollen, wurde er düster gestimmt. Durch seine schmerzliche Aufwallung für Leonora, durch seine Erinnerung an Fräulein von Urfé Peladan, Das höchste Laster. verlor er etwas den Kopf.

Tammuz trat ein: er ging ihm entgegen.

– Die Prinzessin war uns unentbehrlich: ich habe ihre Hilfe erkauft: du bist der Preis.

– Das ist die heilige Prostitution! Aber wie bleich du bist?

Leonora betrachtete Tammuz mit starker Neugier. Etwas Fieber erregte sie. War das ihr Sieger? Jünger als seine geistigen Brüder, geschmeidig, weiblich, war er wie diese Blumen, die nicht sofort ihren Duft hergeben.

Leonora reichte ihm die Hand: er küßte sie, durch die plötzliche Erklärung des Magiers abgelenkt.

– Haben Sie Erfolg gehabt? fragte sie. Die Nichte?

– Ach ja, ja, ich glaube.

– Setzen Sie sich hierher und erzählen Sie mir diese Geschichte, die mich ergötzt.

Und mit dem Freimut ihres Benehmens, über den niemand erstaunte, führte sie den jungen Mann an das äußerste Ende des Salons, zeigte ihm einen Sessel und setzte sich an seine Seite.

Tammuz war über seine Lage etwas entsetzt. Kannte die Prinzessin den Gedanken Merodachs?

– Schauen Sie nicht in sich hinein, schauen Sie mich an, sagte sie.

Er schaute sie wirklich an, mit der Angst seiner Befangenheit; dann entspannte sich sein Gesicht, er lächelte, sein Auge ließ die Seele sehen.

– Ich bedaure, Ihnen soeben zerstreut die Hand geküßt zu haben: ich würde diese Gunst jetzt besser genießen.

– Ich habe sie Ihnen aus Neugier gegeben: ich würde sie Ihnen aus Vergnügen wieder geben, wenn das nicht seltsam erscheinen würde.

– Prinzessin, ich möchte zu Ihren Füßen liegen und zärtliche, einfache und süße Dinge sagen, die nur Wert haben für die, welche sie hört; unendliche Nichtigkeiten, die Liebkosungen sind; diese Worte, die küssen. Wenn ich so den Drachen Ihres Stolzes, der Sie bewacht, einschläferte, würde ich mich auf Ihre so feinen Knie stützen und ich würde meine Lippen lange darauf legen, weil der Körper die stumme Sprache der Begierde versteht und weil meine sich zu Ihnen erhebt, knabenhaft und entartet. Ich würde mein Glück darin finden, mich in einem Ihrer Nägel zu spiegeln. Wenn Sie nackt wären, würde ich Sie noch nicht sichtbar genug finden: ich möchte die Freude, die auf Ihrem Körper geschrieben steht, mit Sorgfalt entziffern. Wenn es eine geduldige und fleißige Liebkosung gäbe, die man die Liebkosung des Malers nennen könnte: ja, ich würde Sie liebkosen, wie ein Kind sich bemüht, den Festbrief an seine Eltern zu schreiben. Sie vereinen nämlich drei Dinge, die selbst getrennt selten sind: die Uebereinstimmung mit den Meisterwerken, die Vollendung des Geistes und eine göttliche Unschuld des Leibes. Mit allen meinen Träumen, die sich plötzlich unter Ihren Zügen verwirklichen, begrüße ich Sie!

Leonora hörte ihn mit Freude, ohne ihn zu unterbrechen, der Beschwörung folgend.

– Francesca! rief sie.

Und die prächtige Italienerin mit dem Fleisch der goldenen Frucht und den übergroßen Augen näherte sich.

– Die Nichte des Kardinals Bibiena, die Verlobte Raffaels, sagte Tammuz.

– Weniger aufgeblüht, jünger und schlanker, bemerkte die Prinzessin und fügte hinzu:

– Die würde ich lieben, wenn ich Mann wäre. Sie erhob sich, um Francesca um die Taille zu fassen.

– Was denkst du von Tammuz?

– Ich, ich denke an Merodach, gestand die Jungfrau.

– Natürlich, das ist, neben Alta, der außerordentlichste Mann, den du gesehen hast: aber, mein Kind, dieser gehört niemandem als den Damen Ideen, den unsichtbaren Herrinnen seines Herzens. Beginne ihn nicht zu lieben: du würdest dein Herz verlieren!

Sie sah Fräulein von Urfé Peladan, Das höchste Laster. und deren Selbstmord wieder, die ganze traurige Geschichte ihrer einstigen Nichte.

– Ich weiß nicht, was Tammuz in der Ehe bedeutet: gefällt er dir?

– Tante, man hat mir zu oft gesagt, ich sei schön, mir damit zu verstehen gebend, daß ich dumm sei. Man nennt es Ergänzung, glaube ich: ich bin in den Geist verliebt.

– Du sprichst gut, Kleine: aber, daraus wird viel Unruhe entstehen!

Sie kehrte zu Tammuz zurück, der wirklich die Probe bestanden hatte: die Frau von vierzig Jahren zog er der Jungfrau vor.

– Da Sie die verblühten Blumen lieben, Tammuz …

Sie nahm die Rose von ihrem Mieder und drückte sie ihm auf die Lippen. Er blieb stehen, betäubt von dieser plötzlichen Liebkosung.

Aber Francesca hatte ihre Tante entführt.

– Merodach hättest du diese Blume geben müssen: er begehrt dich, ich habe es in seinen Blicken gelesen.

– Sieh ihn an, Kind: ist er weit genug von einem Begehren entfernt?

– Er scheint es nur.

– Aber, warum sagst du mir das, da er dir gefällt?

– Weil du ihm gefällst: und er muß allen vorgehen.

– Schon aus Heldenmut! Kind, ich war so froh: jetzt fange ich an, traurig zu werden. Deine Unruhe teilt sich mir mit: es war so süß, ehe du sprachst.

– Du, du hast Furcht vor der Wahrheit?

– Besonders vor der Wahrheit, da ich alt werde.

– Du bist hier die einzig Begehrte, die einzig Geliebte.

Leonora ging auf Merodach zu: er sprach ernst mit Alta und Lucioli. Die Prinzessin betrachtete ihn lange, um ein Zeichen zu suchen, das den Eindruck Francescas bestätigte. Da sie es nicht fand, wendete sie ihren Blick wieder auf Tammuz, der andächtig die Lippen auf die Rose drückte.

Nergal hatte die Gunst der Gräfin Brigandini gewonnen: sie sollte ihn zum alten Kardinal Tecci führen, dem Vizedoyen des Kollegiums.

Ilou hatte es verstanden, die Neigungen von Rusticoli, Altieri und Rodriguez zu entdecken.

Poudiel hatte der Marquise Zuchetti versprochen, ihren Kupferausschlag verschwinden zu lassen.

Das letzte Wort, das Lucioli Spadella an den Dominikaner richtete, war dies:

– Wenn die Kirche mich braucht, werde ich sicher Sie brauchen.

Der strenge Mönch und der sündige Priester hatten sich auf dem Gebiete des Kirchenregiments gefunden und schätzen gelernt: Alta mußte allerdings seine Heiligenseele verbergen.

Merodach kam zur Prinzessin Este.

– Sie haben unendlich viel für das Werk getan.

– Ich habe es für Alta und für Sie getan! Behalten Sie es im Gedächtnis: ich werde Ihnen nie etwas ablehnen.

– Noch ich, antwortete der Magier.

– Ich, ich bin in Person abgelehnt worden.

– Sie wollten sich nicht geben.

– Das ist wahr! Sie überlassen mir Tammuz?

– Ich überlasse ihn Ihnen.

– Gut! Wir sind quitt, Merodach! Nur meine kleine Piccolomini beunruhigt mich: sie ist verliebt.

– Ich habe es gefühlt: ich werde alles tun, um sie zu heilen.

– Seien Sie gut!

– Wie soll ich gut sein?

– Indem Sie brüderlich sind! Die Liebe ohne Nahrung verschlimmert sich.

– Aber genährt, wird sie größer.

– Ersparen Sie ihr den Gram, die furchtbare Kränkung, verschmäht zu werden.

Merodach überlegte einen Augenblick; dann suchte er Francesca entschlossen mit den Augen und begegnete ihrem Blick.

Er ging auf sie zu.

– Wollen Sie, da Sie rein sind, für meine Absichten beten, wie man für die des Papstes betet.

– Beten, ja; und handeln auch.

Dann fuhr sie verlegen fort:

– Wenn Raffael müde war zu schaffen, ging er zur Fornarina, um sich zu erholen.

– Er ging zur Bibiena, um sich zu begeistern.

– Kommen Sie zu der einen oder der andern, denn alle beide werden Sie erwarten.


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