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Viertes Buch.
Das Mittel des Jesuiten

 

I.
Die Versuchung Altas

– Nicht ich habe Sie zu mir gebeten, Alta, sagte die Prinzessin Este, als sie den Mönch empfing, obgleich mir Ihr Anblick stets angenehm ist: Collinet, der die indirekten Mittel vorzieht, hat mich gebeten, Sie zu drei Uhr einzuladen. Mißtrauen Sie diesem Termiten: das ist der Shamir des Talmud. Dieser mittelmäßige Mann hat eine furchtbare, unbegrenzte Macht der Ausdauer; beim ersten Blick sieht er nichts und begreift nicht; aber er fährt fort, die Sache zu betrachten, ohne zu ermüden, und schließlich wird sein durchdringender Verstand fast verhängnisvoll.

– Was kann er von mir wollen? Ich werde mich gewiß in acht nehmen.

– Es ist schade, daß Merodach nicht als dritter dabei ist: man muß Magier sein, um diesen zugleich mittelmäßigen wie schrecklichen Menschen aus der Fassung zu bringen.

Man hörte einen Wagen halten: die Prinzessin ging nach dem Fenster.

– Er behält den Wagen, also nimmt er Sie mit: ich werde Ihnen meinen sicheren Diener folgen lassen.

– Sie scheinen mir heute viel Phantasie zu haben, meine Schwester.

– Wenn man eine Partie spielt wie Ihre, Alta, muß man so vorsichtig spielen, daß kein Zwischenraum den Dolch der Gefahr oder den Strohhalm des Mißerfolges durchläßt.

– Prinzessin, meine Ehrerbietung! Mein lieber Vater, Sie sind die Pünktlichkeit selbst! Ich habe es sehr eilig: wollen Sie in meinen Wagen kommen?

– Wohin fahren Sie denn, fragte Leonora. Sie haben rote Backen und fiebern wie an großen Tagen!

– Es handelt sich um eine Beichte, sagte der Jesuit und zog den Mönch fort.

Collinet gab dem Kutscher keine Adresse, warf ihm nur ein »links, rechts« zu.

In seiner Aufregung vergaß er, daß sein Schweigen dem Dominikaner Zeit ließ, nachzudenken.

Dieser, mehr Denker als Beobachter, erstaunte allerdings über die Fieberhaftigkeit des Jesuiten und dessen entnervendes Schweigen.

Plötzlich wandte sich der Jesuit halb zu Alta.

– Haben Sie je eine Besessene gesehen? Nein? Nun, Sie werden eine sehen! Ich konnte vor der Prinzessin nicht davon sprechen: sie hätte zuviel Neugier gezeigt und ich wäre gezwungen gewesen, es ihr abzuschlagen.

Immer wieder gab er die Anweisung: rechts, links.

Endlich hielt der Wagen in einer Strada, die nichts Besonderes aufwies.

– Steigen wir aus: es sind nur wenige Schritte!

Er bezahlte den Kutscher und führte den Dominikaner quer über mehrere Straßen, um ihn irrezumachen. Vor einer großen Mauer, über die Bäume ragten, machte er halt: es schien die Rückseite eines Klosters zu sein. In eine kleine Tür steckte er einen Schlüssel, den er aus seiner Uhrtasche zog, und führte den Mönch über einen weiten Hof bis zu einem alltäglichen Klostergebäude. Ueber einen langen Korridor, der verlassen war, ohne Zweifel auf vorherigen Befehl, erreichten sie eine Art Sprechzimmer, wo Collinet den Dominikaner verließ, ohne ein Wort zu sagen.

Alta fürchtete nichts für sich selbst; für den Ehrgeiz der Römer bildete er keinerlei Hindernis; daß er an der Verschwörung teilnahm, war nicht einmal eine Gefahr: sobald sie entdeckt wurde, machte die Tatsache selbst sie null und nichtig. Von Merodach und Ilou in die Magie eingeführt, glaubte er nicht an den Teufel, so wie ihn die Geisterbeschwörer und Dämonenbeschreiber gemalt haben; und doch würgte ihn eine unsagbare Angst: er wünschte sich weit fort, ohne sich erklären zu können, welche Gefahr ihn bedrohte.

Collinet erschien wieder: die Backen waren noch mehr belebt, das Auge funkelte unter der Brille.

– Kommen Sie, mein Vater, kommen Sie!

Er führte den Dominikaner in eine Zelle, wo eine Frau, im Gewande einer Nonne, ganz bekleidet, auf dem schlechten Bette ausgestreckt lag: sie hatte die Hände gefaltet und schien zu schlafen, mit Anstrengung atmend.

Alta prüfte die Züge, die in diesem Augenblick ruhig waren, und entdeckte nur Anzeichen von Unterernährung der Lymphen und Nerven; er wandte sich mit fragendem Blick an den Jestaiten.

– Nehmen Sie ihre Hand, sagte Collinet.

Alta tat es.

– Er ist es …, seufzte die angeblich Besessene.

– Sie erkennt Sie!

Die Augen des Jesuiten flammten hinter seinen Gläsern.

Alta begriff nicht, fühlte sich aber unbehaglich.

Mühsam begann die Nonne wieder:

– Er wird nicht lange allein sein … Bis heute abend werden alle da sein … Einer ist darunter, der mich heilen könnte … Ah, man entführt mich, aber das ist nicht meine Schuld … ich bin nicht schuldig … Heilige Jungfrau, ein Kardinal … Oh, das ist furchtbar!

Der Jesuit begriff nicht mehr. Er berührte die Stirn der Kranken.

– Der, dessen Hand Sie halten? …

– Das ist beinahe ein Heiliger: wenn er mir die Beichte abnähme, würde ich befreit sein … Ich bin nicht besessen … ich bin krank … Es wird gut sein, wenn man mich fortführt, aber es wird zu spät sein … für ihn … für jene … Ah, wenn die wüßten …

– Sie schweifen ab, sagte der Jesuit hart. Der, dessen Hand Sie halten, hat Freunde …

Sie zählte an ihren Fingern.

– Es sind … acht … und sind … gut … es ist Licht um sie!

– Was wollen sie tun? fragte der Jesuit.

– Oh, das ist ein sehr großes Geheimnis.

– Wer kennt dieses Geheimnis?

– Eine Frau und ein Priester … nein, es ist kein Priester, es ist ein Kardinal …

– Er nennt sich?

– Ich weiß nicht … er ist groß … seine Haare sind fast weiß und kurz … er hat viel gesündigt … da sind Schatten von Frauen … die ihn vor Gericht fordern …

Der Vater Alta war erbleicht: und als er sich nach Collinet umdrehte, sah er ein so sardonisches Lächeln, daß er bestürzt wurde.

– Diese Frau redet irre, sagte er, und ich frage mich, warum Sie mich zu ihr geführt haben.

– Weil Sie wenigstens durch Ihre Freunde wissen sollten, wie man diese Art der Besessenheit zum Wohle der Kranken lenkt.

Dieses Mal überlief den Dominikaner ein Schauer des Entsetzens bei dem Gedanken, daß die Gesellschaft Jesu im Besitze der schlafwandlerischen Hellsicht war: er sah eine solche Reihe blind begangener Verbrechen voraus, daß die Latinität ihm in Gefahr schien. Doch antwortete er mit Ruhe:

– Merodach allein von meinen Freunden hat diese Fälle studiert.

– Erlangen Sie von ihm, daß er mich darin unterrichtet.

Der Vater Alta wandte sich zur Tür, und Collinet hielt ihn nicht zurück: der eine hatte Eile zu gehen, der andere wußte, was er wollte, nachdem er Alta gezwungen hatte, sich zu verraten.

Durch welchen teuflischen Zufall hatte der Jesuit die Hand auf diese natürliche Hellseherin gelegt? Und was hatte sie ihm schon enthüllt? fragte sich der Dominikaner.

Collinet führte ihn schweigend zurück, öffnete ihm die Tür und sagte trocken:

– Sie werden gewiß Ihren Weg zurückfinden, nicht wahr, mein Vater?

Die beiden Gegner kreuzten ihren Blick, wie man die Degen kreuzt. Alta empfand eine Regung des Hasses, der grenzenlos war.

In der Gasse ging er an der Mauer entlang; an der Ecke wachte der Diener Leonoras.

– Höre, sagte Alta, paß hier auf, folge dem Pater Collinet, wenn er geht; folge ihm besonders, wenn eine Nonne mit ihm fortgeht.

Der Diener machte ein Zeichen, daß er begriffen habe, und sagte:

– Mein Vater, der Kutscher des Jesuiten hält vor der großen Pforte des Klosters. Er hat den Befehl, auch zu folgen. Gehen Sie die Straße San Barnabe, die Piazza Gonsalvi, den Vicolo Gregorio: Sie werden sich zurückfinden. Zwei Schritte von der Chiesa Santa Marguerita halten Wagen.

Als der Mönch nach Verlauf einer halben Stunde im Palast Este ankam, fand er im Erdgeschoß Leonora mit Merodach, Ilou, Poudiel und Nergal.

Alle Blicke überfielen ihn mit einem »Nun?«

– Nun! Der Pater Collinet hat eine besonders hellsichtige Somnambule. Sie hat mir gesagt, daß wir neun seien; daß eine Frau und ein Kardinal unser Geheimnis wissen; daß dieser Kardinal groß ist und weiße und kurze Haare hat … daß Schatten von Frauen ihn anklagen.

Eine gleiche Blässe ging über die Gesichter.

– Sie hat noch gesagt, daß ihr alle bis heute abend dort sein werdet, daß man sie entführen wird, aber zu spät.

– Warum hast du sie nicht unterbrochen? fragte Merodach.

– Ich habe sie nicht einmal auf die Probe gestellt; aber der Jesuit hat meine Verwirrung, die ein Geständnis war, gesehen!

– Dieses Mal sind wir verloren, sagte Ilou.

– Ein Gedanke, der in meinen Augen alles übertroffen hat, ist: der Magnetismus in den Händen der Jesuiten. Dann müßte man sie ausroden.

– Welche Beschwörung des Schreckens, rief Leonora.

Merodach hatte sich gesetzt, den Kopf in seinen Händen bergend. Alle schwiegen. Nach Verlauf einer Minute fragte er mit kurzer, harter Stimme:

– Welches ist der Orden des Klosters?

– Karmeliter.

– Der Kardinal-Protektor?

– Melchior de Castro.

– Wir müssen einen Befehl für die Oberin haben, in dem der Name der Nonne offen bleibt; einen Befehl, sie auszuliefern, damit sie ins Kloster (bleibt ebenfalls offen) geführt wird.

– Ich hole ihn, sagte Poudiel und stürzte hinaus.

– An alle antiklerikalen Zeitungen eine heftige Notiz über die Besessene des Paters Collinet. Nergal, setze sie auf! Morgen früh muß der Jesuit die skandalöseste Person von Rom sein: dann wird er gezwungen, seinen Posten sofort zu verlassen … Nebo? Wo ist er? Ich brauche eine giftige Karikatur: der magnetisierende Jesuit … Für mich schnell eine Kutte, irgendein religiöses Gewand! … Fredi? Man führe ihn her! … Sie, Leonora, lassen anspannen und machen die Besuche, die Ihrem Einfluß auf die öffentliche Meinung am besten dienen: wir werden ihn wahrhaftig nötig haben. Sehen Sie wenigstens Rodriguez, Altieri, Bentivoglio …

– Wenigstens? Es ist vier Uhr!

Die andern Verschworenen kamen, die einen sorglos, die andern ängstlich, weil sie so plötzlich gerufen wurden. Die Erklärung, die er ihnen über die Lage geben mußte, erregte Merodach aufs äußerste.

Während dieser Zeit hatte Poudiel Mercedes gesehen. Ohne ihr etwas zu verbergen, hatte er sie um den Befehl des Kardinal-Protektors angefleht. Dieser verabscheute die Jesuiten, erfüllte sofort den Wunsch seiner Nichte und schrieb, die Nonne sei dem Abgesandten zu übergeben. Mercedes erbot sich sogar, sie im Palast aufzunehmen, wenn man nicht gleich wisse, wohin mit ihr.

Merodach hatte eine Kutte von Alta angezogen und stampfte vor Ungeduld mit den Füßen, als Poudiel keuchend zurückkehrte.

– Oh, rief der Magier, das erleichtert den Kampf!

– Mercedes de Castro hat sich erboten, die Nonne für einige Zeit bei sich aufzunehmen.

– Das ist gut!

Nebo kam dazu.

– Ich brauche den Wagen des Fürsten Odescalchi in einer Viertelstunde.

– Wenn Edith zu Hause ist, wirst du ihn haben, erwiderte Nebo und ging.

– Jetzt seid alle Piazzetta Onophrio.

Der Dominikaner mischte sich ein.

– An einer Ecke ist ein kleines Café; ich habe es bemerkt, als ich vorbeiging; dort könnt ihr warten.

Merodach fuhr fort.

– Ilou, bleiben Sie, bis der letzte erschienen ist, und dann gehen Sie mit ihm nach der Piazzetta.

Ein Diener klopfte.

– Seine Hoheit sendet dies Herrn Merodach.

Es war, in einem Schmuckkästchen, ein prächtiger und furchtbarer Dolch, den Leonora vom Libanon mitgebracht hatte.

Ilous Augen verschleierten sich vor Besorgnis.

– Wenn Collinet eine Falle gestellt hätte? Wenn Sie Gefangener wären?

– Dann wird das Kloster in Brand gesteckt!

Die ruhige und weise Verschwörung änderte sich in ein düsteres Drama, das in einer Zeitungsnachricht und vielleicht als eine cause célèbre zu enden drohte. Ilou fühlte es: da die Partie verloren war, kämpfte man jetzt nur noch um die Ehre, von Leidenschaft zu Leidenschaft wie Wilde.

– Fredi kommt nicht!

Merodach durchlief fieberhaft den weiten Saal, die Arme gekreuzt, die Stirn gesenkt, der Raub einer wachsenden Unruhe.

– Endlich sind Sie da, Gaëtano Fredi! Im Namen des Comiciani, tun Sie für uns, was er befehlen würde, wenn er lebte: erfahren Sie auf der Stelle den Klosternamen der Schwester, die hysterische Krisen hat, angeblich besessen ist, im Kloster des Paraklet, via Leone.

– Auf der Stelle, das kann ich nicht.

– Aber hiermit, sagte Merodach, und reichte ihm eine Karte des Kardinals Lucioli, auf der stand: »Antworten Sie meinem Abgesandten wie mir selbst.«

Ein Pferdegetrappel hielt vor dem Palast.

– Und im Wagen des Fürsten Odescalchi kommend, der für Rechnung des Kardinals handelt.

– Ja gewiß, sagte der alte Priester.

– Auf den Weg also, Fredi: wir steigen etwas vor Ihnen aus.

Alta und Merodach als Dominikaner stiegen in die Kalesche, mit Fredi, der vertraulich fragte:

– Die Jesuiten ärgern Sie?

– Ja, sie haben unser Geheimnis entdeckt.

– Dunque è chiuso Dann ist es aus!, sagte der Greis.

– Ach, Bruder, sagte Alta, ein Gedanke erschreckt mich mehr als unsere Niederlage: die Magie bei den Jesuiten, das wäre die Herrschaft Satans!

– Aber Satan wird es niemals erlauben! Selbst der dunkle Lucem ferrens Lichtbringer, Lucifer. würde es nicht wollen …

– Paolo paßte auf die kleine Tür auf, durch die ich eintrat, und der Kutscher, der den Jesuiten gefahren hat, bewachte die große.

Sie sprachen nicht mehr.

Als sie die Piazzetta erreichten, stiegen die beiden Magier aus und zogen sich in eine nahe Kapelle zurück.

Gaëtano Fredi hatte eine schwierige Aufgabe übernommen. Er läutete. Nachdem er lange gewartet hatte, öffnete sich ein Guckloch und das Gesicht einer Pförtnerin erschien. Einem bejahrten Priester tut sich eine Klosterpforte auf. Fredi fragte nach der Oberin. Wieder verging eine ganze Weile.

Als er die dürre und gallige Aebtissin erblickte, zeigte Gaëtano Fredi ihr die Karte des Kardinals. Die Oberin nahm sie und betrachtete genau die Handschrift, ob sie die nun kannte oder nicht; dann sagte sie trocken:

– Ich folge den Befehlen Seiner Eminenz.

– Diese Schwester, die krank ist … wie man sagt, besessen …

– Schwester Maria von Gonzaga, sagte die Oberin.

– Ist ihr Geist beschworen worden?

– Nur durch den Pater Collinet. Ich habe den ehrwürdigen Vater rufen lassen, als sich die seltsamen Erscheinungen bei ihr zeigten …

– Seine Eminenz läßt Ihnen sagen, daß diese Erscheinungen nicht ruchbar werden dürfen: man sieht das im Vatikan nicht gern.

– Schwester Maria von Gonzaga ist von niemandem gesehen worden. Pater Collinet war vor einem Augenblick hier: er wird Ihnen bessere Auskunft geben als ich.

– Ich muß Ihnen sagen, meine Mutter, daß Unsere Eminenzen solche Geschichten in den Klöstern von Rom nicht wünschen, der Freidenker wegen.

– Der Kardinal-Protektor ist Herr hier, aber der einzige Herr.

– Da diese Besessene niemand gesehen hat, können die Zeitungen nicht davon sprechen: das ist alles, was Seine Eminenz wissen wollte.

Die Oberin hielt die Karte des Kardinals noch in der Hand.

– Geben Sie mir diese Karte zurück, sagte Fredi; wenn der Kardinal gewollt hätte, daß Sie die behalten sollen, hätte er sie an Sie adressiert.

Sie wagte nicht zu widerstreben und begleitete den Priester, der schnell in die Kalesche stieg.

Als er in die Kapelle kam, sprach er triumphierend:

– Schwester Maria von Gonzaga.

– Könnten Sie, sagte Merodach, in den Brief des Kardinals de Castro den Namen einfügen, sowie den entfernten Ort eines Klosters desselben Ordens.

Fredi willigte ein.

Der Dominikaner und der Magier hatten den Wagen bestiegen, als er zurückkam.

– Was soll ich noch tun?

– Danke, Fredi, das ist alles, und das ist viel.

Paolo war auf seinem Posten. Er machte dem Kutscher ein Zeichen zu halten und trat vor.

– Ich habe den Jesuiten in dem Wagen fortfahren sehen, den ich bezahlt hatte, damit er warte; um neun Uhr treffe ich mich mit dem Kutscher auf der Piazza Navona; spätestens um zehn Uhr, mein Vater, werde ich in den Palast Este zurückkehren.

Merodach sagte zu Alta:

– Ich fürchte den Scharfblick der alten Aebtissin, da ich keine Tonsur trage und meine Haltung nicht einstudiert habe: treten Sie allein ein, ich werde Ihr Brevier lesen, während ich Sie erwarte.

– Im Auftrage des Kardinals de Castro, rief Alta durch das Guckloch.

Die priesterliche Ueberlegenheit des Dominikaners machte auf die Pförtnerin Eindruck: sie führte ihn ins Sprechzimmer.

Erstaunten Gesichtes erwiderte die Aebtissin den Gruß des Mönches mit einer Art Ehrerbietung.

– Ist Seine Eminenz bei vollkommener Gesundheit?

– Bei vollkommener Gesundheit, meine Mutter.

Sie schob ihm einen Rohrsessel hin, den er mit einer Gebärde ablehnte.

– Hier ist ein Brief Seiner Eminenz.

Sie entfaltete das Blatt und durchflog es mit sichtbarem Mißvergnügen.

– Mein Vater, könnte dieser Befehl, dem ich gehorchen muß, nicht aufgeschoben werden? Pater Collinet interessierte sich sehr für Schwester Maria von Gonzaga: er hatte Beschwörungen angefangen, denn das arme Mädchen ist in einem Zustande, der diese lange Reise sehr beschwerlich finden wird.

Alta machte eine ausweichende Gebärde.

– Meine Mutter, wir sind beide hier, um zu gehorchen! Ich bin der Ueberbringer eines Befehls: ich kann ihn nicht ändern, ebensowenig wie Sie ihn umstoßen können.

– Nein, gewiß nicht! Wenn ich nur Pater Collinet benachrichtigen könnte.

– Meine Mutter, Sie wissen wie ich, daß Seine Eminenz einen heftigen Charakter hat. Wenn ich zurückkehre, ohne meinen Auftrag erfüllt zu haben, muß ich eingestehen, daß ich Ihrem Drängen nachgab. Dann wird er selbst kommen, mag es auch mitten in der Nacht sein, und Sie werden etwas erleben!

– Ja, der Kardinal kann furchtbar zornig werden: er flucht!

Pater Alta entschloß sich zu lügen.

– Meine Mutter, ich sehe Ihre Verlegenheit, und ich kann Sie daraus befreien! Nichts hindert mich, im Vorbeigehen dem ehrwürdigen Pater ein Wort von Ihnen zu überreichen: in zwanzig Minuten wird er benachrichtigt sein …

– Ach, mein Vater, Sie nehmen eine große Sorge von mir …

Sie schwang eine Glocke mit schrillem Ton.

Eine Schwester erschien.

– Machen Sie den Mantelsack der Maria von Gonzaga fertig und führen Sie die Schwester her.

Sie setzte sich an den Schreibtisch, schrieb zwei Seiten, siegelte sie und gab den Brief dem Dominikaner.

In diesem Augenblick trat die angeblich Besessene ins Sprechzimmer.

– Mein Kind, sagte Alta, umarmen Sie Ihre Mutter und folgen Sie mir in ein Kloster, dessen Luft für Ihre Gesundheit besser sein wird als diese hier.

Sie betrachtete den Mönch lange und antwortete nicht, die Betäubung der schlecht geweckten Somnambule bewahrend.

Die Pförtnerin führte sie am Arm bis zur Tür und half ihr in den Wagen steigen. Alta segnete die Oberin, die im Innern der Halle geblieben war.

– Palazzo di Castro, sagte Alta mit lauter Stimme.

Nachdem sich das Rad zwei Male gedreht hatte, rief Merodach:

– Palazzo Estense.

Triumphierend fügte er hinzu:

– Collinet, wenn du jemals deine Somnambule wiedersiehst, werde ich in der andern Welt sein.

Der Kutscher, einer Uebertragung der Nerven gehorchend, fuhr wie im Fluge dahin.

Als sie die Piazzetta Onophrio querten, bemerkte Merodach die Gruppe der sieben Verschworenen; mit starker Stimme rief er:

Gemmatus.

Ein prachtvolles Resurgam Peladans Wahlspruch: Ad Rosam per Crucem, ad Crucem per Rosam; in ea, in eis gemmatus, resurgam. (Zur Rose durchs Kreuz, zum Kreuz durch die Rose; mit ihr, mit ihnen geschmückt, werde ich auferstehen.) Die Rose bedeutet dichterisches und künstlerisches Schaffen; das Kreuz Christentum. antwortete ihm.


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