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Vorspiel

Eine Herbstsonne ohne Wärme belebt die mit Schildpatt ausgeschlagene Vergoldung der Möbel und erhellt das Fresko der Decke, in dem Giulio Romano durch Szenen aus dem Argonautenzuge das Vorspiel zum »Gigantenkampf« von Mantua gegeben hat.

Der übergroße Saal scheint der eines verlassenen Museums zu sein, und die Poussins, die Sartos, die Guercinos, auf dem verblaßten Damast der Wände ungleich verteilt, weisen den unbewohnten Charakter der Kardinalswohnung.

In dieser Umgebung einer verfallenen Pracht sitzt, allein und düster, die Prinzessin Leonora Malatesta, geborene Este, in dieser schlaffen Haltung des Menschen, der verzichtet, wie sie die griechischen Trauerreliefs ausdrücken.

Keine Hoffnung erquickt diese Seele; keine Regung des Bedauerns bewegt sie. Der unversöhnliche Stolz, der den Traum erschöpft hat, verschmäht die Erinnerung.

Ohne Vergangenheit, die lebhaftesten Schläge ihres Herzens verleugnend, wie der Künstler, der ohnmächtig ist, seine Idee zu verwirklichen, die unfruchtbaren Entwürfe verwirft; ohne Zukunft, sogar den Gedanken zurückstoßend, eine Anstrengung zu machen, um dem einförmigen Leben einige Stunden der Poesie abzugewinnen.

Abgesondert durch ihre Kaste, die sie dem Throne verschwägert; durch ihre Kultur, die sie dem Genie verbindet; durch ihre Nerven, die ihr Gemeinheiten verbieten: bringt diese unglückliche und hochmütige Frau es fertig, ihren letzten Wunsch im lebhaftesten Feuer ihres Stolzes zu verbrennen.

Sie erwartet, nach langen Jahren des Umherirrens, die Ankunft des einzigen Mannes, der ihr eigenes Geschlecht ihr enthüllt hatte, indem er es ablehnte.

Sie ist schwach gegen Gott gewesen: sie hat mit einem Mönch gekämpft und ist besiegt worden.

Wenigstens hat sie ihren Panzer des Stolzes, der sich um ihren jungfräulichen Busen schmiegte, bewahrt, ohne daß eine Masche den Schlägen des Lebens nachgegeben hätte. Aber das Alter ist da, das ihre Haut gelb färbt, das ihre Schläfen runzelt; sie wird aufhören, begehrenswert zu sein, diese Besiegerin der Begierde, und eine kalte Angst durchschauert ihr Herz.

Ohne Liebe, ohne Pflicht, mit den Gütern des Lebens und des Ranges überhäuft, war sie weder Geliebte noch Gattin, weder Mutter noch Schwester, und doch hatte sie nur einmal das Gute gehaßt, weil sie es begehrte. Weder eine Niedrigkeit begehend, noch ein Zugeständnis machend, verkörperte sie so völlig den Stolz, daß die sechs andern Sünden nichts mehr vorfanden. Sie hatte sich für sich selbst gekreuzigt, als Ritterin ihres eigenen Wesens. Durchs Leben erschöpft, fühlt sie, wie ihr verrosteter und spottschlechter Harnisch sich von selbst löst, diese Wehr des Sieges, die nicht einmal zu einem würdigen Kampfe gedient hat.

Sie erwartet den Zeugen ihrer Schönheit, der auch der Gegenstand ihrer Schwäche war; sie hofft für einen Augenblick ihre frühere Persönlichkeit wiederzufinden, dem gegenüber, der ihre Begierde verkörperte.

Beim Geräusch, das die Tür im Oeffnen macht, fährt sie zusammen und erhebt sich, in einem Anfall heftiger Neugier, den die Langsamkeit des Mönches schmerzlich zurückdrängt.

Einen Augenblick stehen bleibend, betrachtet er mit verwirrten Gefühlen diese Frau, die sich einst gegen ihn erhob, mit der Kraft ihrer Schönheit und ihres Ansehens: er sieht die Versucherin von einst wieder, die Beatrice mit den nackten Füßen, nur mit Spitzen bekleidet, in dem runden Boudoir, das der Schauplatz seines Meineides, die Stätte seines Verderbens werden sollte. Peladan, Das höchste Laster (Roman).

Auch sie beschwor den unerschrockenen Geistlichen, wie er der Verführung trotzte, seiner selbst sicher, sich fast brüstend vor Keuschheit und auf der Pflicht beharrend.

Ein gegenseitiges Mitleid entsteht gemeinsam im Herzen dieser Gegner: er verzeiht den Haß angesichts der verwelkten Schönheit und der betrübten Seele; sie verzeiht die Verachtung gegenüber den verfehlten Plänen und vergeblichen Tugenden.

Die schönen Falten der Kutte, die früher kühn und rein waren, sind abgenutzt und düster; das Gesicht des glühenden Kämpfers drückt den Mut aus, ohne die Hoffnung, zu siegen. Wie bei der Prinzessin umschließt der Stolz noch mit seiner Starrheit einen Willen, der erschöpft ist und kein Ziel mehr hat.

Alle beide strahlen von Barmherzigkeit: der Heilige und die Entartete kommen einander mit überfließendem Mitleid entgegen. Innerlich beweint jeder den Glanz, den der Andere verloren hat: zwei schöne Ruinen, die sich ihres Verfalls bewußt sind, würden sich so betrachten.

Sie reichte ihm ernst, beherrscht die Hände.

– Mein Elend grüßt Ihre Niederlage: ich bin jetzt Ihre Schwester in der Verzweiflung. Ach, Sie waren schön, als ich lebendig war; Sie waren Parsifal, als ich Kundry war. Jetzt sind Sie vom Eifer erschöpft, wie ich von Selbstsucht. Sie sind ein schrecklicher Beweis gegen die Vorsehung: Sie wollten das Gute, das Große, das Reine; und das Gute, das Große, das Reine haben nichts von Ihnen gewollt! … Das Nichts, das in mir ist, hatte ich gesäet: ich war der schlechte Feigenbaum, und ich habe nicht geblüht! Aber Sie, der Besieger der Leidenschaften, Sie sind unter dem Schlage dieser höheren Mächte gefallen, denen Sie dienen wollten. Ihr ganzer Geist ist gebraucht worden, damit Sie verzichten: Sie sind ein guter Mönch geblieben, während Sie eine christliche Renaissance hätten einweihen können.

– Ich habe mich weder über den Weg noch über die Mittel getäuscht. Stellen Sie mich wieder in jede Stunde meines Lebens, ich werde die Handlung oder das Wort wieder beginnen: ich bin ohne Irrtum, ohne Sünde und ohne Zweifel.

– Die Idee, welche die Wirklichkeit leugnet, ist ein Irrtum; die Kühnheit, welcher der Erfolg widerspricht, eine Sünde; alles, was nicht zur Reife kommt, ist verwünscht. Der höchste Richter der Idee ist die Tat.

– Vor den Weisen, die den Stern erscheinen sahen: wieviel andere haben ihn verkündet! Ihnen ward nicht die Freude von Bethlehem, aber ihre Erwartung ließ sie geistig dort gegenwärtig sein. Als Johannes zu taufen begann, kannte er Jesus nicht, und doch bereitete er ihm die Wege.

Die Prinzessin leugnete mit dem Kopf:

– Was haben Sie denn vorausgesehen? Was verkündet? Welcher Stern wird Ihre Nachfolger führen? Zu welchem Messias? Trauriger Vorläufer, Sie haben nur mich als Herodias gehabt.

– Wenn Sie nicht eine schmerzliche Erinnerung in Ihre Fragen gemischt hätten, würde ich darauf antworten.

– Schließen Sie die Erinnerung und zeigen Sie mir das neue Geheimnis.

– Die Heiligung, sagte der Mönch mit einer Sammlung, über welche die Prinzessin erstaunte.

Sie wiederholte das Wort, als wollte sie es übersetzen:

– Die Heiligung?

– Das Geheimnis zeigt sich durch drei Wunder: Schöpfung, Erlösung …

– Ach, die Herrschaft des Heiligen Geistes.

– Die Herrschaft noch nicht, aber die Vermittlung.

– Sind Sie sicher, daran mitzuarbeiten?

– Das menschliche Bedürfnis umfaßt die göttliche Gabe: hätte ich nur die Hoffnung in einigen Seelen geschaffen, ich hätte gewirkt. Denn der Segen steigt nicht wie der Blitz herab, er würde auch zerbrechen: die Seelen müssen vorbereitet sein, damit das Göttliche das Menschliche ergreifen kann. Die nicht hoffen, widersetzen sich dem Wunder und stoßen es zurück, denn Gott verletzt niemals sein Gesetz: dieses will für jede Kundgebung von oben das Verlangen des Menschen als Materie.

– Ich Armselige bin also die Gegnerin Gottes.

– Sie sind es noch, aber werden Sie es morgen sein?

– Leider, mein Vater, ist das Licht jeder Frau in ihrem Herzen und es ist Nacht in meinem, düstere Nacht, ohne Traum, ohne Schimmer.

Ob aus Neugier oder aus Güte, der Dominikaner wechselte plötzlich das Gespräch.

– Was haben Sie, traurige Prinzessin, während dieser fünfzehn Jahre gemacht?

– Ich bin gewandert, wie eine Ahasvera, die Gespenster suchend, aus Abscheu vor den Lebenden; ich habe Monate dort verbracht, wo der Gewöhnliche einen Tag verbringt; ich habe an Stätten gelebt, welche die andern durchschreiten; ich habe in den Tempeln von Theben geschlafen, und unter dem Zelte von Baalbek Heliopolis in Syrien: Strindberg, Historische Miniaturen.; ich habe den morgendlichen Kuß Apollos auf dem heiligen Parthenon erspäht; ich habe meinen Körper in die trägen Wasser des Jordan, in die des Ganges getaucht; ich habe Rabbiner gesehen, ebenso Weise wie Salomo, die mich nicht haben interessieren können; ich habe Feuerpriester wiedergefunden und ich habe Mahatmas »Große Seelen«, sanskr., indische Magier. gesehen. Eine Königin von Saba, habe ich die besucht, die für groß und weise gelten; ich habe wahrhaft heilige Derwische und völlig einfältige Franziskaner gesehen; ich habe mich vom Orient in der ungarischen Steppe und im wilden Balkan erholt; ich habe am Weiher Vijver im Haag und vorm Liebessee in Brügge gewohnt; ich habe Tage im Hause Dürers zu Nürnberg, im Hause Plantins Plantin, Buchdrucker, 1514-1589. zu Antwerpen verbracht; ich habe die Vergangenheit gesucht, wie man die Liebe sucht. Als ich die Tempelruinen dieser Welt erschöpft hatte, bin ich dem Eindruck der Kunst nachgejagt: ich habe Europa durchquert, um ein Konzert zu hören; ich habe Bayreuth besucht, wo eine Frühgeburt und ein Bankier das größte Werk des Jahrhunderts entehren. Von Orange nach Oberammergau, von Museum zu Museum, von Ruine zu Ruine, von Oratorien zu Mysterien irrend, habe ich gelebt, ohne Leidenschaft, sogar ohne Lust am Sammeln, am Forschen … Mein Lehrer Sarkis Peladan, Das höchste Laster. ist in dem Augenblick gestorben, wo ich anfing, mich für das alte Aegypten zu interessieren: er ward nach seinem Wunsche in der Ebene von Memphis begraben. Armer großer Geist: du hast mir alles gegeben, nur nicht die Fähigkeit, zu lieben.

– Und jetzt? fragte der Mönch.

– Jetzt bin ich so müde, daß ich nicht einmal sterben möchte: ich fürchte nicht einmal dieses Scheiden. Ich habe alles vom Leben gehabt, Schönheit, Rang, Vermögen, Geist, selbst Wissen; aber ich habe nicht in meiner Erinnerung dieses kleine einzigartige Ding, einen Kuß!

Mit Schmerz sah der Dominikaner dieses seelische Elend, das so vollständig und so stolz in seinem Geständnis war, und sagte sehr gütig:

– Wenn Sie damals mit dieser Herzensangst zu mir gesprochen hätten …

Aber die außerordentliche Frau wies diesen Balsam für ihre Wunde zurück.

– Danke, Alta, Sie verleumden sich aus Barmherzigkeit. Mein Kummer ist meine ganze Poesie, und ich will ihn nicht verkleinern. Sie hätten die Versuchung auf andere Weise zurückgewiesen, nicht aus Tugend, sondern aus einer Fülle des Gefühls. Sie strebten im Geiste nach der Tiara: das war größer als meine Zärtlichkeit! Was ich Ihnen bot, hätte ich es Ihnen geben können? Ich verfolgte Ihren Fall, nicht Ihren Besitz; und heute würde ich weder die eine noch die andere Triebkraft verstehen. Ich habe ein altes Herz, das niemals zärtlich geschlagen hat; aber ich bin ein heller Geist, der jede Größe stets begriffen hat. In diesem Gespräch, das beichtet, lassen Sie mich es Ihnen sagen: ich bin aufrichtiger als Sie: ich weiß, unter welches Schicksal ich falle, was mein Irrtum war. Sie, Alta, Sie sind nicht einmal General Ihres Ordens, was nach Ihrem Wetteifer mit Lacordaire Lacordaire, Briefe über das christliche Leben, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz. verdächtiger ist als Ihre Aufsehen erregende Erscheinung auf der Kanzel von Notre Dame. Sie als Dominikaner donnern gegen die Inquisition und gegen die Demokratie: Sie begleitet also der doppelte Argwohn Ihrer Vorgesetzten und Ihrer Gegner. Ich wiederhole es: Sie kennen nicht den Grund Ihrer Ohnmacht?

– Ich bin in Rom, um ihn zu erfahren.

– Sie wissen, was die Franziskaner aus Gethsemane gemacht haben? Einen Gemüsegarten! Die mit blutigem Schweiße begossene Erde bringt treffliche Salate, heilige Salate hervor. Der päpstliche Stuhl ist eine nominelle Gesellschaft zur Ausbeutung des göttlichen Wortes.

– Kennen Sie die Kardinäle? Haben Sie Beziehungen zu den Prälaten?

– Gewiß, ich habe Gefallen am Priester gefunden, am vornehmen und italienischen Priester: das ziemt sich meinem Alter und meinem Geist. Es sind die letzten Menschen, die Traditionen haben und deren Gedanke, auch wenn er sich nicht erhebt, wenigstens seltsame Katzenart und einen Sinn für Aristokratie zeigt: ich verlange von ihnen nicht den Segen, aber ich habe gern mit ihnen zu tun. Von den Haustieren ist die Katze das diskreteste und dekorativste; sie hat eine Persönlichkeit, die unserer schmeichelt; seit undenkbarer Zeit hat sie in der Nähe der Götter gelebt; der erste Tempel war im Walde, das erste Götzenbild auch. Nun, wenn die Katze das einzige Tier der Vertrautheit, so ist der Monsignore, der italienische Prälat, die gesellschaftliche Katze, verschwiegen und belustigend in ihren uralten Spielen.

– Sie könnten mir also helfen, den Hof von Rom zu richten, zu sichten?

– Ich kann es! Aber das ist nicht so einfach, wie eine Republik durchschauen: es gibt hier Traditionen, das kirchliche Schweigen, einen Umkreis von Ansehen, welche die Untersuchung erschweren; es gibt sogar Wahn. Wer vom Vatikan spricht, kennt ihn nicht; wer ihn kennt, wird niemals von ihm sprechen. Die Unantastbarkeit der Frau ist hier der Charakter des Priesters: und sie lassen sich lieber verleumden, als daß sie sich verraten. Auf jede Anklage, so ungeheuer sie auch sein mag, wird das priesterliche Schweigen antworten. Armer Alta, Sie als einfacher Dominikaner wollen den Hof von Rom erforschen.

– Ich komme nicht allein! Sie kennen einen von meinen Genossen: Merodach.

– Merodach ist in Rom? Das war auch die Persönlichkeit für eine Renaissance … Er hat nichts vermocht … nichts getan; aber er wird sehen, der Magier, was Sie nicht sehen würden. Sie werden ihn zu mir führen! Nicht wahr? Er war auch eine Niederlage für mich … er ist mir also ein wenig teuer … Sie und er, und hier: das ist eines der glücklichsten Dinge, die mir geschehen konnten.

– Andere Persönlichkeiten, die auch hoch stehen, folgen uns. Als Merodach erfuhr, daß Sie hier sind, sagte er: »Diese Verbündete schickt uns die Vorsehung.«

– Wahrhaftig, ich bin fast fröhlich: er hat nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß der Geist Rechte über mich besitzt; er hat darauf gerechnet, daß ich mitmache, ohne mich wiedergesehen zu haben! Dieses Mal schmeichelt es mir. Man vergißt mich also nicht? Aber, welch großer Plan? …

– Es gibt nur einen großen Plan: der Ruhm Gottes und der Friede der Menschen.

– Mehr Einzelheiten, oder ich werde Ihnen schlecht dienen.

– Merodach leitet das Unternehmen: er wird sie Ihnen sagen. Ich bin gekommen, die Seele zu grüßen, die mir feindlich war, weil ich ahnte, daß sie sich beruhigt habe, und weil es zauberhaft ist, in seinen früheren Feinden durch die Zeit bereitete Freunde zu finden.

– Also, sagte die Prinzessin, deren Gesicht sich erhellt hatte, also, man rettet die Welt … Und ich mache diese Rettung mit.

– Wenn die Welt sich retten läßt.

– Sie läßt sich so beständig verderben, daß man sie aus Abwechslung für gelehrig halten kann.

Man pochte leise an die Tür.

– Wer? fragte Leonora den Kammerdiener.

– Seine Eminenz Rusticoli.

– Das ist ein gutes Zeichen! Rusticoli ist der unabhängigste im Kardinalkollegium: er ist gebildet und kommt gern, ohne sich vorher anzumelden, um mit mir zu plaudern, denn die Italienerinnen langweilen ihn, da sie nur mit ihren Liebhabern und dem Hause Savoyen beschäftigt sind.

Der Kardinal war ein feister und feiner Mann; die gerötete Gesichtsfarbe des Feinschmeckers wurde von einem lebhaften und umfassenden Blick erleuchtet; trotz seiner Beleibtheit waren seine Manieren ungezwungen und sicher.

– Man beichtet …, sagte er zu Leonora, die ihm entgegen gekommen war, sie so über den Mönch ausfragend.

– Der Pater Alta, Eminenz, ein Freund.

Als der Dominikaner sich verbeugte, rief der Kardinal:

– Wenn Sie der Freund der Prinzessin sind, behalte ich meinen Segen; wenn Sie ihr Beichtvater wären, würde ich um Ihren Segen bitten … Sie ist eine seltsame Seele: ich besuche sie, wie man gewisse Bilder von Leonardo besucht, um seine Empfindung zu schärfen … Sind Sie schon lange in Rom, mein Vater?

– Seit einigen Tagen, Eminenz.

– Sie haben um Ihre Audienz gebeten?

– Ich werde um keine Audienz bitten, Eminenz.

– Da werden Sie gut tun. Man muß den Papst sehen, wie er auf der Sedia getragen wird und segnet: er ist schön, so schön, daß man Beifall klatschen möchte. Das schönste Bild des Papsttums ist dieser Leo XIII.: kein Bischof, eine Gottheit! Jedesmal, wenn er segnet, scheint seine Gebärde die letzte zu sein, und er segnet seit neunzehn Jahren. Seine Heiligkeit ist wunderbar! Wenn Raffael Sanzio ihn gesehen hätte, welches Meisterwerk wäre geboren worden: Leo XIII., gesehen, wie er vorbeigetragen wird, ist ebenso großartig wie die Sixtina … Wie, Prinzessin, ist der Pater Alta gekommen, um Sie aufzusuchen? Es ist lange her, daß Sie Paris verlassen haben … und er auch, glaube ich. Ihre ersten Predigten in Notre-Dame erregten Aufsehen, mein Vater, glaube ich?

– Zuviel Eifer, das ist seine Geschichte, sagte Leonora.

– Die Geschichte des Savonarola, das ist die Sünde der Heiligen! Ach, wenn man die Heiligen hätte gewähren lassen, würde es keine Kirche mehr geben: sie hätten sie geplündert, um sie zu reinigen, und hysterisch gemacht, um sie zu erhöhen. Die Prinzessin möge Sie auf ihre Art keinem andern als mir empfehlen, denn wenn Sie nicht kommen, um den Pantoffel zu küssen, so kommen Sie um mehr als das.

– Um Befehle und Ratschläge zu holen.

Der Kardinal Rusticoli blinzelte mit den Augen.

– Keine Maske, Ehrwürden, sonst setze ich meine auf! Sie gehören nicht zu denen, die gehorchen, und Sie tragen in den Falten Ihrer Kutte Befehle und Ratschläge: ich lese sie und ich höre sie.

Der Pater Alta, von der Hellsicht Rusticolis angegriffen, entschloß sich zu lügen, als die Eminenz plötzlich ihren Sessel verließ und sich, den Bauch vorstreckend, auf seinen kleinen Beinen aufrichtete.

– Ja, ich erkenne Sie, denn ich habe Sie schon gesehen unter den Zügen des Abtes Letiers, des Paters Bilio, des Dom Piolenc und des Abtes von Fougères: das ist die heutige Familie der Savonarolas, die Ansporner des Papsttums, die halben Luthers, die in ihrer Provinz ungeduldig über die Langsamkeit der Vorsehung werden, die den Großen Monarchen erwarten, die vor Glauben fiebern, vor Barmherzigkeit beben …

– Ich komme einfach, Eminenz, um die Rolle zu studieren, die der Prediger dem Sozialismus gegenüber einnimmt. Wie soll er sich benehmen zwischen dem Volk, das sich befreit, und dem Bürgertum, das vergeht?

Dieses Mal wurde Rusticoli in seinem Verdacht irre geführt.

– Die Wage ist ein symbolisches Werkzeug: die Kirche soll versuchen, die beiden Wagschalen ins Gleichgewicht zu bringen, indem sie ihr eigenes Gewicht unter sie verteilt.

Ohne weiter Interesse für den Mönch zu haben, seit er nicht mehr einer Fährte des Mißtrauens folgte, sprang er auf die kleinen Geschichten der Stadt über.

– Die Gattin des französischen Botschafters ist von Gewissensqual ergriffen worden: man verfolgte sie mit anonymen Briefen … so abgefaßt: »Du teilst das Lager eines Gebannten, du wirst das Bett des Satans in der Hölle schmücken …« Das Bett des Satans, davon kann man träumen, nicht wahr? Allerdings hat dieser Botschafter mehr Mönche hinausgeworfen, als er Haare besitzt; auch ist er so in den Bann getan, wie man nur werden kann; aber zugleich ist er beim römischen Hofe beglaubigt. Kurz, der Gatte hat den Papst gebeten, seiner Frau selbst die Beichte abzunehmen, um sie zu beruhigen. Der Glaube ist schön, aber wer die Ehe eines Botschafters so hat beunruhigen können, der ist jemand.

– Es ist Merodach, sagte Alta.

Ungestüm wandte sich Rusticoli an den Mönch.

– Sie kennen den scharfsinnigen … Verfasser dieser … wie soll ich sagen … Ich ahne, daß Sie gefährlich sind: gestehen Sie, daß ich es ahne! Sie haben das bleiche Gesicht der Reformatoren: die Kirche pflanzt sich durch die Sanguiniker fort.

– Die Jupiterianer, sagte die Prinzessin.

– Ach, die Sterndeutung, und die Weissagung. Lumen in coelo! Er hat einen Kometen im Wappen …

Er vollendete seinen Gedanken nicht: er war nicht ehrerbietig.

– Ignis ardens, gab Alta ein.

Seine Eminenz fuhr zusammen.

– Ein krankhafter Traum, das reinigende Feuer: das ist der blinde und zerstörende Fanatismus! Peter der Eremit, der erste Kreuzzug: »Gott will es«, und keine Ahnung von Erdkunde! Die leuchtende Reihe der Geisterseher: wie wandelbar, wie ungeschickt, wie verrückt! Rom funkelt nicht, aber Rom dauert, und das ist die einzige Pflicht der Kirche.

– Ich wünschte, ich könnte hören, wie Sie die Mystik lehren, sagte Leonora.

– Mein Kind, die Mystik ist ebenso wenig die Religion wie das Leben die Poesie ist, und die Ehe die Liebe. Die Heiligen sind ebenso wenig Muster für die Seele, wie der farnesische Herakles ein Muster für den Körper ist. Das sind Persönlichkeiten, die sich des Glaubens wie eines Sprungbrettes bedienen, statt einen beständigen Boden darin zu finden.

– Eure Eminenz glauben also an den Verfall der Lateiner, weil diese nicht des ernsten Glaubens fähig sind, der den heiligen und starken Epochen eigen war? fragte der Mönch.

– Es bedeutet wenig, daß die Schafe umherirren, wenn nur die Hirten ihre Vernunft behalten haben.

– Aber die höchsten Hirten von Rom müssen den andern Hirten, die für die Seelen zu sorgen haben, das Losungswort geben, sagte Alta.

Die Prinzessin lächelte.

– Das ist das Wort, das der Minister des Aeußeren in Frankreich an sein Personal richtet: »Vor allem macht keine Staatsgeschäfte.«

– Die Losung, mein Sohn, liegt nicht in der Lehre, sondern in den Sitten: predigen Sie die Bibel, ohne sie auszulegen.

– Die Bibel, fragte Alta. Eminenz meinen das Evangelium?

Leonora machte dem Dominikaner ein Zeichen, das bedeuten sollte: »Ich werde Ihre Partei ergreifen, schweigen Sie, oder Sie verraten Ihre Pläne.«

– Pater Alta, begann sie, ist mehr geeignet, zu den Geistigen zu sprechen als zu den Einfachen. Nun, Eminenz, die Inspiration des Alten Testamentes und der Charakter des auserwählten Volkes …

Sie schnitt ein Gesicht, beinahe eine Grimasse.

– Aber nicht einmal die Protestanten haben das gesagt: das ist erschreckend! Sie unterdrücken die Hälfte der Religion.

– Ueberlegen wir, sagte Leonora. Wer das »Credo« bekennt, ist der christlich, katholisch? Ja! Nun, das Credo erwähnt Israel nicht, noch Moses.

– Das mosaische Gesetz ist der Vater des Christentums.

– Nein, des Islams. Mohammed setzt Moses fort und der Koran folgt dem Pentateuch, nicht das Evangelium.

– Welches war denn das Volk Gottes?

Da Gott die Menschheit zum Volke hat, wählt er ebenso wenig unter den Nationen wie ein Vater unter seinen Söhnen.

– Sie sind eine lebende Ketzerei: noch nie hatten Sie mir Ihre Lehren formuliert.

– Eminenz, Ihre Theologie ist eine Fertigkeit: die Wissenschaft ist vorwärts gegangen, seit Ihre Katechismen vervielfältigt wurden.

– Ein Kardinal kann für eine wahre Prinzessin kein Ignorant sein, rief Rusticoli. Sie haben auf Ihren ewigen Reisen den Verstand verloren.

– Nein, Eminenz, während Sie diese Sakristei, die sich Vatikan nennt, verwalteten, ohne Studium, ohne Fleiß, ein Hirt, der die Bewegungen der Herde verfolgt, gibt die Heidenwelt Orakel; die antiken Zivilisationen tauchen auf, mit ihren Tempeln und ihren heiligen Büchern, und Israel nimmt seinen Platz als kleines junges Volk wieder ein, das in Theodizee und Moral allen andern, Aegypten, Babylonien, Indien, China, untergeordnet ist. Die schließlich verachteten und verleumdeten Heiden kommen aus der Erde heraus, die Totenrolle in der Hand, und die Ziegelsteine des Euphrat erheben sich gegen die Eroberungen von Abraham, Isaak und Jakob.

– Ah, Sie empören mich, Prinzessin.

– Sie, Kardinal, könnten für eine Frau, die gelesen hat und gereist ist, nicht den historischen Katechismus machen.

– Das Alte Testament verwerfen? Aber das ist der Eckstein, die Basis! Ah, die Inquisition hatte klar gesehen.

– Die Inquisition hat die Hölle auf der Erde verwirklicht.

– Ein Dominikaner, der die Inquisition verdammt! Wohin gehen wir?

– Wir kehren zum Lamm Gottes zurück.

– Indem Sie sich von der Kirche trennen.

– Nein, Eminenz, indem wir die unverletzbare Kirche von den Sünden ihrer Söhne trennen.

– Man spricht nicht über das, was ans heilige Ansehen rührt.

– Das Jahrhundert spricht darüber und die Kirche würde ihr Ansehen verlieren, wollte sie die in ihrem Schoß begangenen Verbrechen decken. Wenn man sich nicht um die Wahrheit kümmert, die man den Geistern schuldet, schiebt man diese bei Seite. Die Religion führte einst die Zivilisation: heute möge sie ihr wenigstens folgen.

– In ihren Irrtümern?

– In ihren Bedürfnissen.

– Die Jesuiten sind weit gegangen in ihrer Nachgiebigkeit und ihr Einfluß verliert sich.

– Die Jesuiten sind ein Heer von Soldaten ohne Führer: der Geist des Ordens stößt sich an der Epoche, ohne sich ihr zu vermählen, ohne sie zu unterwerfen.

– Der heilige Ignatius war zuerst Militär, sagte Leonora, und dieser Mangel des Ursprungs findet sich in jedem seiner Söhne wieder. Sie sind geborene Werkzeuge, und zwar zweiten Ranges. Die Gesellschaft Jesu hat keine Genies gehabt und liebt sie nicht.

– Die Gesellschaft Jesu, sagte der Kardinal, ist eine Kirche in der Kirche; ist eine Leibwache, die nur ihrem General gehorcht. Unter uns gesagt, ich habe weniger Furcht vor den Carbonari Carbonari, »Köhler«, revolutionärer Geheimbund, in Italien.. Das Netz ihrer Intrigen wird so gesponnen, daß man es nicht bemerkt! Aber man schlägt sie mit Lichtstrahlen: die fürchten sie wie die Hölle, denn diese Söhne eines Soldaten sind die feigsten der Menschen.

– Sie haben ihre Herrschaft über die Frauen verloren, sagte die Prinzessin. Wagner hat ihnen geschadet; ja im Ernst: die Tiefe von »Tristan und Isolde« und die Reinheit des »Parsifal« haben die doppelte Unzulänglichkeit des Jesuiten offenbart.

– Selbst als Erzieher, sagte Alta, sinken sie. Einst bezauberten sie das Kind, jetzt entnerven, tyrannisieren sie es.

Der Kardinal sprach, wie zu sich selbst:

– Der Hof von Rom muß bleiben, was er ist: die kluge Verwaltung eines Familienvaters. Aber ich finde, daß sich der Abstand zwischen dem Geistlichen und dem Gläubigen vergrößert. Es fehlt ein Orden, der aus den heutigen Bedürfnissen, von denen Sie sprachen, entstehen müßte; ein Orden, der den gebildeten Prinzessinnen den Mund stopfen würde.

Und er erhob sich, küßte Leonora die Hand, grüßte den Dominikaner mit den Augen.

– Ach, sagte er, nach der Tür gehend, von Leonora geleitet, in zehn Tagen ist das Fest der Inkoronation. Seine Heiligkeit hält den Gottesdienst und man singt in der Sixtina: wollen Sie kommen?

– Gewiß, und ich werde Sie für den Vater Alta bitten …

– Er kann sich mir anschließen, sagte Rusticoli, wohlwollend und ironisch.

Die Prinzessin drehte sich nach dem Mönch um und beide sahen einander an.

– Das ist ein Bürger der Kirche, sagte der Mönch.

– Sie, der Diener dieses Mannes, Sie, die Schleppe des Rusticoli tragend, ist das nicht wundervoll? Er hat Sie demütigen und mich demütigen wollen, denn er hat empfunden, daß ich Sie unendlich schätze.

– Ich werde diese Huldigung der Kirche darbringen.

– Denken Sie daran, Alta, daß in Rom Geist, Wissen und Eifer keinen Wert haben; daß der Vatikan nur einen Kirchenrat birgt. Wenn Sie sehen wollen, verbergen Sie sich! Sie sind groß, machen Sie sich klein! Schweigen Sie, verhehlen Sie selbst Ihren Glauben: hier wird der Glaube gefürchtet! Man will nur den Gehorsam und das Geld.


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