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V.
Papabile!

Es gibt ein Mobiliar, das man kirchlich, kalt, nackt nennen könnte, ohne Vorhänge, mit Erdkugeln auf den Standuhren, mit Bezügen über den Möbeln, mit Fußkissen bei allen Sitzen: voller Ausdruck des Junggesellen und des Reisenden.

Man findet es wieder sowohl in der Pfarre des Dorfes wie im pariser Pfarrhaus. Mag es Unpersönlichkeit des Priesters, mag es Loslösung von der Aeußerlichkeit sein, der Schmuck, den sich der Gläubige angeschafft hat, setzt immer in Erstaunen: Bilder religiöser Kolportage, die Statue eines christlichen Bazars, Farbendrucke von Schokoladenklöstern.

In Rom wird diese Umgebung oft durch alte Gemälde erhöht, aber man fühlt noch, daß das Innere nicht geliebt wird, daß man darin kampiert, vielleicht das ganze Leben, Glück oder Auszug heftig erwartend.

Der Kardinal Lucioli Spadella stand vor einem ungeheuern Architektentisch, der aus Balken gemacht war, die auf Fußgestellen lagen, ohne Teppich, als Merodach hineingeführt wurde.

Vollblütig, von hoher Gestalt, die grauen Haare kurz geschoren, mit dem Auge eines Podestà Bürgermeister in Italien., sah er den Eintretenden scharf an, indem er ihm den Brief Leonoras zeigte.

– Sie werden der Prinzessin sagen können, daß ihre Empfehlung bei mir allmächtig ist und daß Sie nicht gewartet haben. Was kann ich für Sie tun?

– Nichts, erwiderte Merodach.

Der Kardinal schüttelte den Kopf und wartete.

– Eminenz, sagte der Magier, wir müssen uns setzen.

Lucioli Spadella zeigte ihm mit einer Gebärde einen Sessel aus Mahagoni und blieb selbst stehen.

Merodach folgte seinem Beispiel.

– Glauben Sie, die Prinzessin Este könnte Ihnen mit solchen Ausdrücken einen Journalisten oder einen Narren schicken?

– Sie kennen den Brief?

– Ich habe ihn diktiert. Nehmen Sie an, Eminenz, eine Brüderschaft, unfaßbarer als die »Maffia«, unbekannter in ihrem Ursprung als Kaspar Hauser, ohne Namen, ohne Gestalt, komme, um Ihnen zu sagen: wir wünschen die Tiara für Sie.

– Das Konklave gibt sie, aber der Heilige Geist inspiriert das Konklave.

– Eminenz, Sie treiben die Klugheit bis ins Lächerliche. Es ist übrigens wenig theologisch, die dritte göttliche Person hineinzuziehen. Spiritus fluat ubi vult. Der Geist ströme, wo er will.

– Sie sind also kein Erleuchteter?

– Ebenso wenig wie Machiavelli Harden, Zukunft, 22. Juli 22, offenbart das wahre Wesen dieses Mannes..

– Welches ist also Ihr Interesse?

– In dem Sinne, den Sie darunter verstehen, keines. Sie sind mit Bentivoglio und Altieri einer der drei Papabili: der erste ist der Mann der Jesuiten, der zweite ist der Mann des Kollegiums selbst, Sie allein sind bedrohlich, denn Sie allein sind ein Charakter. Wenn die Tugend nicht den Sinn der Kraft hätte, würden Sie keine Tugend haben; Sie haben den Leidenschaften reichlich den Zoll der menschlichen Schwäche gezahlt; Sie haben auf Ihrem Wege und zu Ihrem Vergnügen schöne Blumen welken lassen; Frauen haben sich getötet, weil Sie sie verlassen haben, nicht weil Sie geflohen sind: Sie sind der wilde Liszt, das Genie abgezogen, die Güte abgezogen. Ich weiß nicht einmal, ob Sie an die wirkliche Gegenwart glauben; aber ich weiß, daß Sie dem Quirinal und der Politik nicht mehr Zugeständnisse machen würden, als Sie Ihren Opfern gemacht haben: daß Sie ein großer Papst sein würden, Sie schlechter Priester. Die päpstliche Leidenschaft würde jede andere Neigung in Ihnen vernichten: Sie gehören zu denen, die, auf den Gipfel gestellt, Licht schaffen, in der Tiefe dagegen Verbrechen und Schatten … Auf Ihrem Schwert ist Blut, aber es ist von satanischer Härte: wie es die Vorsehung braucht. Der Glaube, übrigens, wird Ihnen kommen, an dem Tage, da Sie ihn verkörpern werden! Ein anderer Umstand, wenn auch gering: betrachten Sie Ihr Wappen, den Phönix auf seinem Scheiterhaufen, und wiederholen Sie Ihre Devise »Aut ignis, aut cinis«: Sie sind Asche und unbußfertig, werden Sie Feuer und Papst.

– Daß ich Ihnen zuhöre, ist schon unwahrscheinlich; daß ich antworte, erwarten Sie nicht.

– Nein, denn es würde kindlich sein, eine bekannte Vergangenheit und einen erratbaren Ehrgeiz zu leugnen … Sie sind von plötzlichem Tode bedroht, Eminenz! Durch Gift, denke ich. Die Partei des Quirinals verkennt nicht, daß Sie die Revolution über Italien entfesseln, wenn Sie siegen, und daß Ihre Wahl die Verbannung des Hauses Savoyen bedeutet. Sie hat ihre Fanatiker, nicht nur im Heere, sondern auch im Vatikan selbst. Sie allein in Rom sind kein Patriot, Sie allein würden im menschlichen Sinne handeln, nicht im italienischen! Die Andern sind Vatikaner, Sie allein sind katholisch, das heißt, universell gerichtet.

– Was bedeutet die Herrschaft eines Volkes in der Kirche, wenn es sich um die Herrschaft der Kirche im Weltall handelt, sagte der Kardinal. Italien hat nicht begriffen, daß Rom die Hauptstadt der Menschheit sein müßte: ein einfacher Volkswirt hat es empfunden. Sie haben mir soeben gesagt, daß die Sentimentalität mich nicht hindert: ich würde gegen meine Mitbürger nicht weicher sein als gegen meine Verwandten. Hat ein Mann der Kirche andere Mitbürger als seine Vorgänger, seine Muster? Es gibt Aemter, die den Mann allem entziehen, ausgenommen das erhabene Ziel, das er erreichen will. Die Kirche ist ein solches Wunder, daß es noch das kostbarste Ding dieser Welt sein würde, selbst wenn die andere Welt nicht existierte: man darf nichts mit ihrer Vollkommenheit verbinden, und ihr Kopf soll keine anderen Gefühle mehr empfinden als die der Göttlichkeit, die er offenbart.

Dies wurde mit einer Konzentration des Willens, einer inneren Erregung und einer physischen Spannung gesprochen, die sich in den Muskeln der Hände zeigte.

Ja, dachte Merodach, er wird den Glauben nur haben, wenn er Papst ist, und dann wird er gebieterischer sein als ein Heiliger.

Der Kirchenfürst hatte seine stolze Würde wieder angenommen und zeigte von neuem seine überlegene und verschlossene Maske.

– Sie haben soeben Ihr Gelübde ausgesprochen: ja, die Kirche ist der Weg, das Leben und das Licht! Als wir Sie in unserm Herzen erwählten, haben wir gezeigt, daß wir unterscheiden können. Es handelt sich jetzt darum, Sie beim nächsten Konklave auf den Thron zu setzen! Auf diesem Gebiet hat nur das Ergebnis Wert: ich werde also über unsere Mittel schweigen. Wenn ein Gesuch, was es auch sei, mit diesem Zeichen zu Ihnen gelangt, bewilligen Sie augenblicklich, was man von Ihnen an Nichtigkeiten der Verwaltung verlangen wird. Ferner: denken Sie an den plötzlichen Tod: wir wachen, aber wachen Sie über sich selbst! Vergessen Sie nicht dieses Zeichen!

Merodach zeichnete auf ein Papier, das in seinem Bereich war, zwei Keilschriften, blickte Lucioli Spadella fest an und ging, ohne etwas hinzuzufügen.

Lucioli Spadella überlegte einen Augenblick, dann rief er seinen einzigen Kammerdiener, nahm seinen römischen Mantel und einen einfachen Priesterhut und ging.

– Guten Tag, Eminenz, sagte eine Stimme auf der Straße.

– Ach, du bist es, Gaëtano Fredi! Gut, gehe mit mir.

– Danke für die Ehre, Eminenz! Ich habe Freunde meines guten Meisters Comiciani getroffen.

– Freunde von Comiciani?

– Ja, und das wird Sie interessieren. Sie wissen, was der Siener von Ihnen dachte, Eminenz.

– Ja, den Strang oder die Schlüssel!

Fredi erzählte seine Begegnung mit Nebo, Nergal und Tammuz, und daß am nächsten Morgen Nebo gekommen sei, um zahlreiche Erkundigungen einzuziehen.

– Was hast du ihm gesagt, Fredi?

– Eminenz, alles, was ich weiß.

– Das ist viel, denn du hast viel Geheimnisse, du, der Diener und Priester.

– Ein Priester, der nicht Diener ist, würde mit meinen Geheimnissen reicher sein.

– Das ist wahr, du bist eine rechtschaffene Natur. Kurz, was wollen diese Persönlichkeiten mit den orientalischen Namen? Was suchen sie in Rom?

– Was Comiciani wollte und suchte.

– Comiciani war Alchimist!

– Alchimist?

– Er wollte Gold machen.

– Er hat meinen Lohn nicht bezahlen können. Erinnern sich Eure Eminenz an die Heiligsprechung von Fra Angelico? Es war vor dem Kardinalshut: unter den Anwesenden befand sich eine Französin, eine Künstlerin, die sehr schön war und selbständig aussah. Eminenz haben sie nur angesehen: sie ist Ihnen gefolgt. Was Lucioli in der Leidenschaft kann, das suchte Comiciani in der Allmacht. Für ihn mußte die Religion eine Bezauberung sein, weil der Mensch schlecht ist, und man ihn magnetisieren muß, um ihn dem Guten zuzuführen. Er hätte auf seine Kollegen, auf die Menge den Blick richten mögen, den Sie auf die begehrte Frau warfen. »Wenn ich die physische Kraft von Lucioli hätte,« sagte er.

– Du interessierst mich, Fredi. Hat der, welcher zu dir kam, von mir gesprochen?

– Nein, als ich indirekt Ihren Namen aussprach, sagte er »wir wissen«. Das zeugte von keiner Neugier, und gerade deshalb spreche ich Ihnen davon.

– Dies alles ist seltsam, murmelte der Kardinal.

– Ja, sagte Gaëtano Fredi, man hat nicht fünfzig Jahre römischer Sakristei durchgemacht, ohne eine Witterung erworben zu haben: es liegt eine Verschwörung in der Luft.

– Gegen wen? Zu wessen Nutzen?

– Die sich verschwören, Eminenz, sind sehr stark, und ihre Arbeit gleicht in nichts den Maulwurfsgängen, die wir führen. Das sind Meister: ihre Intrige ist lebendig, rein, nicht zu merken, ein Sommerfaden!

Sie kamen an den Palast der Prinzessin von Este.

– Wenn du etwas erfährst, komm, es mir zu sagen.

– Falls man es mir nicht verbietet.

– Wie, du würdest diesen Unbekannten mehr als mir gehorchen?

– Warum sollte ich Eurer Eminenz gehorchen? Ich bin kein Weib.

– Aber ich bin Kardinal.

Gaëtano Fredi versuchte ein stummes Lächeln, das er unterdrückte.

– Mein Herr und Meister gebietet mir von jenseits des Grabes: ich bin immer der treue Diener des Kardinals Comiciani.

– Ich habe keinen ergebenen Mann, wie du bist.

– Weil es Ihnen an Güte fehlt, Eminenz. Comiciani hat mich durch sein Vertrauen bis zu sich erhoben; er hat mir seelisch viel gegeben, da sein Diener heute Ihren Neid erregt.

Der Kardinal trat, ohne sich zu verabschieden, in den weiten Hof und stieg hinter dem Schweizer hinauf.

– Ihre Hoheit bedauert sehr, Eminenz nicht empfangen zu können.

Der Kardinal runzelte die Augenbrauen und sagte mit harter Stimme:

– Kehren Sie zu Ihrer Hoheit zurück und sagen Sie ihr, daß ich sie auf der Stelle sprechen will.

Der Diener grüßte und gehorchte.

Die Antwort blieb nicht aus: sie war klar und schneidend.

– Hoheit wollen Eminenz nicht empfangen.

Eine Wolke von Zorn lief über das Gesicht des Kardinals. Er wühlte in seiner Tasche, um Leonoras Brief zu suchen. Mit ihm zog er das Papier heraus, auf das Merodach die Keilschriften geschrieben hatte. Er faßte einen plötzlichen Entschluß.

– Bringen Sie dieses Ihrer Hoheit.

Wir wollen doch sehen, welchen Kredit diese Leute bei dieser unerklärlichen Frau haben, dachte er.

Schon kam der Diener zurück und sagte:

– Wenn Eminenz mir folgen wollen.

Leonora, in weiße Seide gehüllt, ruhte sich vom Bade aus.

Sie reichte ihm die Hand.

– Sie hätten dort anfangen sollen, wo Sie geendigt haben: das hätte Ihnen viel Zorn erspart.

– Ich glaubte mehr Kredit zu haben als diese Unbekannten.

– Unbekannt für Sie, nicht für mich.

– Wer sind diese Leute? Was wollen sie?

– Sie haben deren Besuch gehabt?

– Woher kennen Sie die?

– Sie verlangen meine Beichte: ich bin nicht vorbereitet.

– Welchen Glauben soll man von jenen haben?

– Jeden Glauben!

– Sind es Rosenkreuzer, Freimaurer, Carbonari?

– Sie haben keinen Namen.

– Sie wollen?

– Das Gute, um des Guten willen.

– Es sind Heilige oder unglaublich Ehrgeizige.

– Nein, Gläubige, nicht Heilige, ohne Ehrgeiz.

– Sie haben mich erwählt …

– Ja, und das hat mich gewundert, denn ich kenne Würdigere: aber die sind zu weit vom Thron entfernt, während Sie auf den Stufen stehen.

– Ich möchte meine Rivalen kennen.

– An Verdienst sind Ihnen manche überlegen, aber Sie haben keinen Mitbewerber.

– Ich werde niemals zu denen Vertrauen haben, die ihr Interesse so gut zu verbergen wissen.

– Aber, Sie sind der Einzige, den man nirgends braucht. Hat man Sie nach nichts gefragt?

– Man ist gekommen, um sich meiner Annahme zu versichern.

– Das wäre naiv gewesen. Man ist gekommen, um Ihnen zu sagen, daß man daran arbeitet, Sie zu erheben, damit Sie die Bemühungen nicht durchkreuzen.

– Sie gehören zur Brüderschaft.

– Eine wahrhaft geheime Brüderschaft umfaßt keine Frau.

– Sie sind keine gewöhnliche Frau.

– Danke, aber warum fragen Sie mich?

– Ich bin verwirrt, Prinzessin; ich wüte gegen diese Willen, die über meinen verfügen.

– Um ihn zu erfüllen.

– Ueber welche Kraft gebieten diese Unbekannten? Ueber welche Hilfe? …

– Der verstorbene Comiciani aus Siena hätte Ihnen vielleicht antworten können.

– Wieder Comiciani?

– Er war zu stolz, um sich mit Ihnen zu beschäftigen. Ich habe ihn wenig gesehen: er ist einige Monate nach meiner Ankunft in Rom gestorben. Aber ich konnte mich seines Wohlwollens rühmen: er hat mir keine Medaille, aber ein Amulett gegeben.

– Zeigen Sie es mir.

– Nein, das ist ein wahrhaft heiliges Gebiet.

– Ihr Abgesandter hatte mehr Respekt, als Sie mir bezeigen.

– Das kann ich begreifen: Sie sind der König seines Spiels, aber in meinem …

– Ja, was bin ich in Ihrem, Prinzessin?

– Der Ersatz für einen Besseren.

Mit einem unsagbaren Lächeln sah Leonora die Eminenz fortgehen.

– Geh, dachte sie, hochmütige Marionette, die sich einen Augenblick gegen die Hand empörte, welche die Fäden zieht! Geh, Bezauberer der Frauen, schluck deine Demütigung hinunter! Habe ich dich genug fühlen lassen, wie wenig du mir bedeutest, und wie teuer mir jene reinen und guten Männer sind?

Ja, seitdem sie Alta und Merodach wiedergefunden hatte, lebte die Prinzessin wieder auf: sie glänzte und ihr Teint war nicht mehr gelb. Wieder kokett geworden, macht sie sich die Mühe, sich wieder wie einst nach einem künstlerischen Geschmack zu kleiden.

Motive von Wagner summen auf ihren Lippen; sie hat lebhafte Gebärden, und vor einem Spiegel fragt sie sich manchen Augenblick:

– Werde ich wieder aufblühen und einen letzten Glanz strahlen?


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