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An Mistral

Mein lieber Graf der Provence!

So liebe ich Sie zu nennen, wie ich Barbey d'Aurevilly »Herr der Normandie« nannte. Wer die Seele eines Landes und einer Rasse verkörpert und sie unsterblich ausdrückt, ist der nicht der wahre Herrscher? Nun, Sie verkörpern dieses Land: griechisch durch sein Licht, italienisch durch seine Denkmäler, den Weltreichen gleich durch seine Geschichte, seine Legende und seine Ueberlieferungen, in denen Jesus und die Götter sich zu glänzendem Zauber verbinden.

Sie verkörpern es als großer Dichter durch »Mireille«, durch »Calendau«, durch »Nerto«, durch die »Goldinseln«, durch die »Dichtung von der Rhone«.

Sie verkörpern es in Person durch den edlen und milden Stolz Ihres Antlitzes; durch den goldreinen Klang Ihrer Gefühle; durch ein Ausstrahlen von Tugendkraft, das Verehrung erzeugt.

Sie verkörpern es besonders in diesem Speisesaal von Maillanne, der mit blendend weißem Kalk gestrichen, mit Volkstypen der Heimat geschmückt ist: dort entfaltet sich, nach der herzstärkenden Mahlzeit, Ihre sonnige Natur. Ihr wundervoller Optimismus, wie ein Gläubiger und Sänger ihn besitzt, eine Weisheit, die ich instinktiv nennen möchte, wie sie von der Gesundheit Ihres Herzens kommt, ließen mich, als ich vor meiner großen Orientreise Sie besuchte, ausrufen: »Meister, wie sind Sie erwärmend!«

Nach den Forschungen des Lacuria, der in seinem Hundeloch vor Kälte zitterte; nach dem Feuerwerk der leidenschaftlichen Seele des Barbey d'Aurevilly, sind Sie in Ihrem Hause von Maillanne das schönste Schauspiel einer heiteren Seele, die ich gesehen habe.

Und diese Heiterkeit des Menschen erleuchtet das Werk. Lamartine dachte an Vergil, als er Sie las, und er ahnte noch nicht Ihre »Dichtung von der Rhone«. Ich, ich habe sie empfunden: die Rhone war das erste Schauspiel, das meine Kinderaugen erblickten. Ich habe es wiedergefunden in Avignon, wo ich keinen Menschen kannte, wohl aber jeden Stein. Dort habe ich zum ersten Male das Abendmahl genommen; dort habe ich gesehen, wie mein gelehrter Bruder durch den Offizier beschimpft wurde; dort habe ich meine beiden Leidenschaften empfangen: die Liebe zur Kirche, den Abscheu vor dem Morden der Völker.

Je mehr ich wanderte und verglich, desto teurer ist mir die Provence geworden: Avignon war Rom und Florenz; das Theater von Orange ist mein Theater, und ich würde die Provence lieben, wenn sie mich liebte! Ich wenigstens, ich verweile in Tarascon, Ihretwegen – und Tarascons wegen.

Sie haben dem Provenzalischen seinen Rang wiedergegeben unter den Sprachen, durch Ihre Werke; durch den Dichterbund der »Felibres« haben Sie, vielleicht ohne es zu wollen (ich will Sie nicht bloßstellen), gezeigt, daß die ermüdeten Länder nur eine Art haben, ehrenvoll zu altern: indem sie sich vereinigen. Das Vaterland, das ist die Sprache: eine andere Definition kenne ich nicht! Indem Sie die Mundart der Rhone wieder belebten, haben Sie ihr provenzalisches Vaterland aus der Vergangenheit gezogen und in die Wirklichkeit eingesetzt: Sie sind ein großer Bürger.

Als ich das Kloster der Kunst träumte, hatte ich die Ruine von Baux für diese edle Idee gewählt, welche die Pariser so verspottet haben; und wenn das Leben, statt mir zu lächeln, mich besiegt hätte, würde ich mich ans Ufer der Rhone zurückgezogen haben.

Lacuria, Hugo, d'Aurevilly, Villiers de l'Isle Adam, Leconte de Lisle und Hello und Verlaine und Banville sind tot. Allein unter den Großen bleiben Sie, und ich habe Ihnen dieses Buch widmen und meine Freundschaft zeigen wollen.

Die Provence setzt fort, wenn man aus Italien oder Griechenland kommt, und Mistral setzt auch fort, wenn man einen Klassiker gelesen hat.

Wenn ich eines Tages Autorität genieße, bei Generationen, die gebildeter sind als die heutige, soll meine Stimme ein Blatt in Ihrem Lorbeer sein.

Paris 1899.
Sar Peladan.


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