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III.
Das Abenteuer Nebos

Clara Greham, die schöne Amerikanerin, die Nebo in die Sixtina hatte eindringen lassen, war die Tochter eines Multimillionärs von Chicago und die am schlechtesten erzogene Person der Welt. Die Nordamerikaner sind ausschließlich praktisch veranlagt; vor der Frau liegen sie auf den Knien, weil sie das Weib nicht verstehen; an die Kämpfe für das Leben gewöhnt, sind sie nicht fähig, für das Gefühl zu kämpfen: so war die Seele des jungen Mädchens verdorben worden.

Nebo wollte Paula Riazan Peladan, Das Weib des Künstlers (deutsch erschienen). nicht untreu werden, aber der Kampf mit dieser Frau belustigte ihn: deshalb hatte er die Einladung zum Tee angenommen.

– Ich werde künftig, sagte er zu Nergal, ein weniger gutes Stück von Shakespeare spielen. »Die Zähmung der Widerspenstigen«: ich studiere ein sehr schönes Exemplar der Yankee-Frau. Zwei wichtige Faktoren der nächsten Zivilisation werden die Slawin und die Amerikanerin sein: ich kenne die Slawin, ich werde den Typ kennen lernen, der von der lateinischen Rasse am weitesten entfernt ist. Ich werde ein schrecklicher Petrucchio sein, denn im Grunde liebte er Kätchen und mußte mit ihr leben, während ich nichts weiter als ein Spielzeug daraus machen will.

– Du hast unrecht, erwiderte Nergal. Sie ist schön: erziehe sie, latinisiere sie. Das ist eine gute Tat, und ebenso belustigend! Sei ruhig: du brauchst ihr nur die richtigen Ideen darzulegen, um sie aufspringen und Gesichter schneiden zu lassen.

Die Amerikanerin empfing ihn schroff:

– Sie kommen zu spät, Herr Nebo! Ich erlaube das einem Manne nicht; habe es niemals geduldet: die Stunde, die ich bestimme, muß heilig sein.

Nebo blickte hinter sich, um den zu suchen, an den diese Ansprache gerichtet war: der Empfang verdutzte ihn.

– Was suchen Sie? fragte sie rauh und mit lauter Stimme.

– Den Liebhaber, zu dem Sie so in die Kulissen sprechen, denn ich glaube nicht, daß Sie mich so schnell erwählt haben. Eine Stunde ist nur heilig, wenn es die Schäferstunde ist; und man macht solche Vorwürfe nur, nachdem man sie alle verdient hat.

– Sie glauben zu einer Ihrer Französinnen zu sprechen.

– Nein, zu einer wilden Frau.

– Ich, Herr Nebo, bin Doktor der Rechte.

– Mein Packer in Paris ist auch Doktor der Rechte. Sie sind schön: Sie sind nichts anderes! Sie haben Ihre Haut, Ihre Augen und einen fast griechischen Körper, aber Sie sind so schlecht erzogen, daß Sie mit einem Schlage die Wirkung Ihres Bildes durch Ihr Geschwätz verderben, das die fünfte Avenue ausdrückt.

– Mit welcher Art Frauen verkehren Sie?

– Ich verkehre mit geschlossenen Kronen; dort, wo Clara Greham nie empfangen wurde.

– Und dort sind Sie ebenso liebenswürdig?

– Ich bin dort sehr liebenswürdig, weil ich dort zivilisierte Frauen finde, die den geistigen Menschen nicht mit dem Geldverdiener verwechseln, und den Gedanken nicht mit den Geschäften.

– Geistig? Wo lehren Sie? Ihre Diplome? Wirklich, es ist seltsam, sich so über die Andern zu erheben, allein durch die Abschätzung.

– Angenommen, ich stehe tief unten und sei der gewöhnlichste der Sterblichen; Sie haben mir einen Vorwurf zu machen; statt ihn anmutig als Frau zu formulieren, schreien Sie ihn hinaus wie ein Oberst; und da Sie weder über Gefängnis noch über Hinrichtung verfügen, sind Sie lächerlich, denn Sie können keine Furcht einflößen.

– Ich habe meine Anbeter stets auf diese Weise geführt.

– Ihre Anbeter? Die verdienten es ohne Zweifel!

– Weil sie mich anbeteten? Ich wünschte, Sie wären verliebt: wie würde ich Sie dressieren!

Diese mit Kühnheit ausgesprochene Idee versetzte Nebo in einen Anfall toller Freude: er lachte wie besessen. Der kleine Lehnstuhl, auf dem er saß, zerbrach: er glitt auf die Erde, wo er liegen blieb, immer Miß Clara betrachtend, die erblaßte, weil sie nicht begriff.

– Sind Sie toll? Schweigen Sie und stehen Sie auf!

– Sie haben nicht begriffen? Wenn ich mich Ihnen zu Füßen lege, so ist das eine Art, den Blitzstrahl auszudrücken.

– Mir zu Füßen? Wenn ich Ihnen nur Schelte einflöße? Im Vatikan waren Sie ein galanter Mann: jetzt sind Sie nur ein Grobian.

– Wenn das Ihr Urteil ist, Miß, habe ich nichts weiter zu tun, als mich zu empfehlen. Bei der »Incoronazione« waren Sie ohne Einlaßkarte; ich ließ Sie auf die Tribüne der Diplomaten kommen; Sie haben mir eine Tasse Tee angeboten: wir sind quitt! Meinen Gruß!

Und er drehte sich auf den Hacken um: sie rief ihn zurück.

– Monseigneur Nebo, machen wir Frieden! Ich will Sie lieber ertragen als undankbar erscheinen.

– Ich will nicht ertragen werden: ich will empfangen werden.

– Welchen Empfang wünschen Sie?

– Einen zivilisierten.

– Gut! Versuchen wir! Kommen Sie noch einmal herein: ich werde meine Antwort geben.

– Nein, Sie müssen sich entschuldigen.

– Wie?

– Sagen Sie: »Ich habe Sie wie einen Yankee behandelt, ich war dumm.«

Sie überlegte.

– Ich habe Sie behandelt, wie ich die Männer behandle, mit denen ich gewöhnlich verkehre, und das ist keine gute Art. Geht das?

– Ich bin kein Sklave des Buchstabens.

– Setzen Sie sich dorthin, Herr Nebo, und erklären Sie mir, was einen Abgrund zwischen uns gräbt; warum wir verschiedene Sprachen sprechen; worin ich eine wilde Frau bin und Sie ein höherer Mensch.

– Haben Sie bei der »Incoronazione« diesen Papst bemerkt? Dieses lebende Idol, diesen Monarchen der Seelen, das lebendige Skelett, aber von einem eigenwilligen Gedanken bewohnt, der aus seinen schwarzen Augen springt! Haben Sie diese Kardinäle bemerkt: die einen mager, große rote Schatten, die anderen dick und körperlich schlecht gebaut? Doch in deren Benehmen, in deren Kopfhaltung haben Sie nicht einen unerklärlichen Charakter gesehen, der ihren eitlen Prunk echt und ihre Häßlichkeit bedeutend macht? Haben Sie nicht im Gesicht der Prinzessin Este, der Altieri eine Familienähnlichkeit mit den Gestalten des Michelangelo gefunden, die aus dieser Kapelle ohne Architektur, aus diesem einfachen Saal, durch die ausgedrückte Kraft fast etwas Göttliches machen? Nun, vom Auge des Papstes bis zur Würde der Eminenzen, im Charakter einer Prinzessin Este und in den Riesen des Gewölbes gibt es eine Einheit des Ausdrucks: all dies bildet eine und dieselbe Reihe. Dieser Blitze schleudernde Christ ist der Zeus und diese Propheten sind die Titanen dieser selben übermenschlichen Menschheit, die unter dem Augenlid Leos XIII. und in den Zügen der italienischen Prinzessinnen leuchtet: diese Ausstrahlung nennt sich Tradition … Gehen Sie zurück in Gedanken, da Ihre Erziehung, ohne geistig zu sein, stark gewesen ist; sehen Sie noch einmal, auf welche Welt die lateinische Welt gefolgt ist, auf das kaiserliche Rom; dringen Sie mit Ihren Daten zurück bis auf Persien und auf Griechenland und auf Indien und auf die Mongolei, bis auf die Mütter der Zivilisation, bis auf Chaldäa und Aegypten: dann werden Sie den berechtigten Stolz, die wirkliche Bedeutung des lateinischen Geistes verstehen, nicht weil er das in sich selbst ist, sondern weil er die goldene Kette der menschlichen Entwicklung fortsetzt. Die Zivilisation ist nur die Tradition … Sie, als Tochter einer Rasse ohne Vergangenheit, ohne Legende, ohne eigene Religion, eine Art weißer Barbarin, statt Ihre wirkliche Schönheit aufzudrängen und Ihr Gold in die Wagschale zu werfen, wie Brennus sein Schwert: nähern Sie sich fromm dieser Rasse, die erlischt, damit Sie von ihr anerkannt und angenommen werden, damit diese Rasse Ihre junge Kraft in Zucht hält und auf Ihre Schönheit den prächtigen Schmuck legt, den sie nicht mehr tragen kann. Schöne Barbarin, beten Sie in Rom und denken Sie in Athen, damit Ihre töchterliche Frömmigkeit durch einen Segen der Vergangenheit, die der empfindsame Gott des Menschen ist, belohnt wird … Sie sind schön und Sie verzichten auf Anmut; Sie sind reich und Sie vernachlässigen die Güte; Sie sind klug und Sie grüßen nicht die Meister! Zu dem, was Sie haben, fügen Sie, was wir Ihnen bieten: seien Sie unsere Schülerin und, wenn Sie den Geist dazu haben, unsere Nachfolgerin.

Die Amerikanerin hatte andächtig zugehört und Begeisterung strahlte in ihren Augen.

– Sie sind ein edler Geist, Herr Nebo.

– Haben Ihnen diese Männer, Ihre Anbeter, jemals gesagt, daß Sie schöner sein könnten, wenn Sie besser wären? Diese Männer haben Sie nicht interessieren können; Sie haben keinen von ihnen erwählt; Sie haben ihnen niemals eine solche Aufmerksamkeit gewidmet. Das menschliche Wesen, die Frau besonders, enthält verschiedene Personen; plump gesprochen, ein Wesen ist eine Menagerie, die Arche Noah der Kinder; und das Tier, das man reizt, kommt heraus. Aber ich habe den Mut gehabt, Ihre Tiere zurückzustoßen: ich habe Ihre Seele hervorgerufen und Ihre Seele hat mir gelehrig zugehört.

– Ja, Sie könnten mir viel Gutes tun! Wollen Sie?

– Ich will es jetzt; ob auch morgen, weiß ich nicht.

– Um so schlimmer, sagte sie mit einem Schleier von Melancholie. Mein Charakter erschreckt Sie: er ändert sich, sobald ich interessiert bin. Seien Sie aufrichtig; ich werde es sein. Wir amerikanischen Frauen, wir wilden Frauen sind bestimmt und klar in den Dingen, in denen sich die Zivilisierten verwirren.

– Ich werde es selbst zuerst sein, sagte Nebo. Ich habe Ihnen nacheinander drei Eigenschaften beigelegt: Sie sind schön, man ist auf Sie neugierig, ich schließe mit interessant. Ja, es könnte fast eine Leidenschaft werden, Ihnen zu helfen, sich zu vervollkommnen. Meine Begierde biete ich Ihnen nicht: Sie sind mehr wert! Meine Neugier ist von Natur weder andauernd noch stark; und das Interesse geht nicht so weit, daß ich eine andere vergesse, an die ich durch frühere Gefühle gebunden bin, der ich vor mir selbst eine wahre Treue schulde. Peladan, Das Weib des Künstlers (deutsch erschienen).

– Ah, Sie lieben eine Frau, Sie sind innerlich nicht frei, desto schlimmer. Um mein Versprechen, klar zu sein, zu halten: ich habe Sie zuerst in weltlicher Art liebenswürdig gefunden. Man begegnet einer hübschen Frau an der Tür einer Feier, man läßt sie eintreten. Aber die Erklärungen, die Sie mir gaben, haben mich getroffen, weil sie tiefsinnig waren; die Art, in der die Prinzessin von Este Ihnen die Hand reichte, hat mich in Erstaunen versetzt und Ihnen in meinen Augen Ansehen verliehen. Da kam mir der Gedanke, Sie wiederzusehen. Diese stolzen Frauen behandelten Sie als Freund und mit Ehrerbietung: daraus ist mein Interesse geboren … Ich habe es verbergen wollen, dieses Interesse, indem ich Sie schlecht behandelte, weil ich wütend war, daß Ihre Verspätung mich entnervte, mich wirklich ärgerte, daß Sie nicht kamen. Seitdem Sie gesprochen haben, sind Sie für mich wie eine orientalische Waffe, deren Scheide bereits ein Kunstwerk und eine Seltenheit bedeutet, deren Klinge aber noch viel kostbarer ist: eine gefeite Waffe, die nur nach eigenem Willen oder nach den Gesetzen leuchtet. Sie ziehen mich an, indem Sie mich angreifen; indem Sie mir zeigen, wie ich mich ganz anders entwickeln kann. Ich sehe mich geneigt, weniger ich zu sein, ohne ganz eine andere zu werden.

– Es ist schade, daß ich mich Ihnen nicht widmen kann. Die plötzliche Mäßigung, die bei Ihnen eingetreten ist, ehrt Sie sehr!

Nebo nahm ihre Hand.

– Das kleinste Teilchen von Gefühl ist mächtig! Welch unmittelbare Wonne, wenn die Sympathie sich kundtut; wenn die Empfindsamkeit, so vag sie auch sein mag, gleichzeitig aus zwei Wesen hervorbricht!

Clara betrachtete ihn mit Wohlgefallen.

– Seien Sie nicht so sanft: Sie verursachen mir unnützes Bedauern.

– Ich verursache es mir selbst!

– Warum hat dieser erste Augenblick eine Herzensangst des Scheidens: kaum haben wir uns getroffen, müssen wir uns verlassen!

– Wenn dieser feine und zarte Eindruck wächst und stärker wird, werde ich die Hand drücken, die ich halte; werde ich wünschen, die Lippen dieses so frischen Mundes zu berühren; und von Verlangen zu Verlangen werde ich Sie begehren; was so köstlich ist, wird sich verdüstern, weil unsere beiden Schicksale auseinanderstreben. Sie schulden sich dem, der Ihnen seinen Namen und das Glück geben wird.

Sie zuckte die Achseln.

– Sich für den Unbekannten, für den Unwahrscheinlichen, vielleicht für das Nichts bewahren? Ich denke anders! Man muß die glücklichen Stunden leben, aus Furcht, daß sie nicht wiederkommen, wenn man sie von sich stößt. Wir sind durch Pflichten getrennt: Sie, wenn ich Sie verstanden habe, durch eine alte Liebe, ich, durch die künftige Heirat. Wir können uns nur die Hand reichen, indem wir über etwas an sich Edles schreiten, dessen Namen Sie kennen, während ich ihn nicht kenne; und es ist dieser verbrecherische Schritt, dieser entweihende Schritt, welcher der Seltsamkeit unserer Gespräche seine wilde Würde gibt.

– Wie soll man der Frau, die da ist, die man in Gedanken liebkost, die man vielleicht sofort in Wirklichkeit liebkosen wird, sagen, ich bin dein für eine Zeit, ich gebe mich zum Teil?

– Wenn man nur das genießen würde, was man besitzt! Man kann sich berauschen, ohne zu besitzen: die Seele strebt dahin, das aus Liebe und Freude geschaffene Leben zu träumen. Sagt uns die Erfahrung nicht, daß uns allein Bruchstücke von Glück erlaubt sind? Die erlebten Gefühle sind um so lebhafter, wenn man deren Grenze kennt. Es gibt eine Stunde, da der Liebhaber des Meisterwerkes seine Betrachtung aufgibt; es gibt einen Zeitpunkt, da der Enthusiast Italien verläßt, um in irgendein lichtloses Kontor von Birmingham zurückzukehren: er nimmt wenigstens den Eindruck der Visionen mit. Die Erinnerungen sind der Reichtum der Seele; meine Seele ist arm, Sie sind der Schatz: lassen Sie mich einen Augenblick mich schmücken, ich werde alles zurückgeben, wenn es sein muß, und ich werde nur den Widerschein mitnehmen.

– Ich bewundere Sie, Clara, sagte Nebo aufrichtig. Die unendliche Anmut Ihrer Worte ist herrlich. Sie waren also nicht Sie, als Sie die andere waren?

– Mein Freund, ein Funke macht eine Glut aus einem Halm, und der Brand hängt nicht vom Funken ab, sondern von den Stoffen, auf die er fällt. In mir hatte sich eine ungeheure Menge romantischen Stoffes angehäuft; Sie haben aus dem, was Holz und Stroh war, Feuer gemacht; und jetzt überrascht der Glanz der Flamme Sie! Weil ich Ihnen, im Sinn der alten Mythe, das Feuer verdanke, will ich mich nicht so schnell von Ihnen trennen. Es ist fast eine heilige Sache und eine Kunst, in einem verwirrten Gewissen eine klare Flamme anzuzünden … Diese Art, über seine Tugend zu unterhandeln, ist noch recht amerikanisch, aber hier werden Sie diese Art billigen. Wir haben uns auf dem Wege gekreuzt, und dankbar sind wir stillgestanden, um einander unsern Spruch zu sagen und unser Ränzel und unsere Flasche zusammen zu tun. Es ist immer die Stunde einer Rast, wenn der Gefährte günstig ist: der Weg wird morgen den gleichen Staub stäuben, aber wir werden ihn mit besserem Herzen machen, nachdem wir uns einen Augenblick getröstet haben. Und die Aufrichtigkeit der Amerikanerin wird dem lateinischen Geiste ihre Schuld bezahlt haben.

– Oh, Androgyn, rief Nebo, in seiner besonderen Auffassung der Kunst und des Lebens getroffen.

– Der Androgyn, antwortete er auf einen fragenden Blick, ist dieses Wesen, das körperlich beim Menschen in unsern Rassen nicht mehr vorkommt. Er bezeichnet ein plastisches Ideal, das dem Pagen ähnlich ist, dem sehr jungen Ritter, und einen seelischen Typ, bei dem sich die Geliebte durch den Freund, die Mätresse durch den Genossen verdoppelt; es ist der Typ, der geschaffen ist, um die Engel und die heiligen Georgs darzustellen.

– Welch seltsames Zusammentreffen so verschiedener Geister! Auch mich hat immer der unbestimmte Charakter des Geschlechts angezogen, und Ihre Weiblichkeit hat mir gefallen, während die prächtige Muskulatur der Pfeilergestalten mich abstoßen würde. Ich liebe nicht den Turner, den körperlich Starken; ich liebe die seelische Kraft in der körperlichen Trägheit, wie Sie eine gewisse Männlichkeit in der weiblichen Anmut lieben. Ich verkleide mich leidenschaftlich gern. Für mich allein habe ich die Rüstung Lohengrins angelegt, um damit in den Strahlen des Mondes spazieren zu gehen. Ich besitze die Garderobe einer Schauspielerin, aber ich gebe niemandem die Ehre dieses Schauspiels.

– Ich möchte Sie als Schwanenritter sehen.

– Warum? Ah, ich glaube zu verstehen! Nebo, wollen Sie schnell zu Mittag speisen und dann zurückkehren; ich werde meine beiden Zofen mit dem Lakaien ins Theater schicken; und Sie kommen wieder, ohne mich dieses Mal warten zu lassen.

Und sie blickten einander mit tiefem Wohlgefallen an, das noch nicht Liebe, obwohl zärtlich, noch nicht Wollust, obwohl köstlich war: sie empfanden einen so kostbaren Augenblick, daß sie ihn nicht zu bezeichnen wagten.

Nebo wollte ihr die Wange küssen.

– Nein, die Wangen, selbst die Schultern, sind gezwungen worden, fremde Blicke zu erdulden: heute bedauere ich, was eine angreifende Koketterie sich zuzieht. Nein, ich dachte mich für nachher sehr schön zu machen, aber wie sollte ich Ihnen feierlich anbieten, was ich tausenden gezeigt habe! Nein!

– Welches Zartgefühl! Wie wenige denken daran, daß sie sich ärmer machen, wenn sie ihre Schönheit der Betrachtung Gleichgültiger preisgeben.

– Gehen Sie, Nebo, ich habe es eilig, Sie wiederzusehen! Gehen Sie.

Er ging.

Wie es mit seinen Brüdern verabredet war, ging er bei der Casa Estense vorbei, um zu sehen, ob ein Auftrag für ihn da sei.

Wenn sie einander im Laufe der Verschwörung nicht treffen konnten, hinterließen sie in einer gewissen Schublade geschriebene Angaben. Um sein Gewissen zu beruhigen, sah Nebo nach. Er konnte eine Regung des Zornes nicht unterdrücken, als er las.

 

Nebo wird von zehn bis Mitternacht bei der Prinzessin sein. Dringend.

 

Paula Riazan Peladan, Das Weib des Künstlers (deutsch erschienen). untreu, wollte er eine neue Schuld begehen, seinen Schwur brechen, sich dem Dienst des Ideals entziehen, seinen Posten verlassen, um ein Stelldichein nicht zu versäumen.

Gewiß, er konnte es allen verbergen, selbst wenn man ihn hatte eintreten sehen: er brauchte nur zu sagen, er habe die Schublade nicht geöffnet. Aber wie sollte er vor sich selbst seine Schwäche verbergen? Er konnte auf dem Tische ein Wort zurücklassen, das vorbeugte, wie: »Ich gehe heute abend einer neuen Fährte nach«; er konnte einen seiner Genossen aufsuchen, um ihm zu sagen, daß er nicht kommen könne; er konnte mehrere Dinge tun, aber eins war unmöglich: sich selbst seine Fahnenflucht zu verbergen.

Dieser hellsichtige Geist kämpfte nicht einen Augenblick gegen die Vergiftung durch die Leidenschaft. Wie ein Arzt die Entwicklung des Giftes, das er eingenommen hat, berechnet und die Folge der Symptome abschätzt, so fühlte Nebo, daß keine Macht ihn verhindern würde, im nächsten Augenblick zu Clara zu laufen. Er fürchtete sogar, plötzlich einen seiner Brüder zu treffen, der ihn aufgehalten hätte. Der Reiz wirkte so gebieterisch, daß sein Wille nachgab, von dem Schrecken dieser plötzlichen Leidenschaft unterjocht, während er doch in der Nähe des jungen Mädchens nichts besonders Heftiges empfunden hatte. Petrucchio, vor wenigen Stunden noch ironisch, war von Kätchen behext.

Durch eine Eigentümlichkeit ihrer Natur, durch eine innere Vorbereitung, durch den Charakter ihrer Schönheit, durch den instinktiven Willen zu verführen, durch eine Fülle unerklärlicher Elemente verwirklichte Clara die besondere Formel des Platonikers. Deshalb war sie verhängnisvoll geworden: er identifizierte sich sofort mit ihr. Gegen seinen Doppelgänger hätte er kämpfen müssen, würde ein Priester Aegyptens gesagt haben, und sein Doppelgänger, vom geschlechtlichen Willen strahlend, war stärker als er.

Er stampfte durch die Nebenstraßen, bis er annehmen konnte, daß die Ehrenhüterinnen der Amerikanerin gegangen waren: dann kehrte er zurück. Die Zofe führte ihn ohne ein Wort in den Salon. Dort nahm seine Besessenheit ab, er fand seinen Willen wieder, er spornte sich durch verschiedene Betrachtungen. Als das Warten länger dauerte, fand er sich wieder und entschloß sich, seine heutige Pflicht einzugestehen und das Hemd der Dejanira nach und nach abzuwerfen.

Die Dämmerung erfüllte den kleinen Salon, die Gegenstände nahmen diesen triebhaften und ausgleichenden Charakter der ersten Schatten an.

Sein Entschluß befestigte sich, als die deutliche und bestimmte Silhouette eines Mannes sich in der Tür des Hintergrundes abzeichnete: auf ihn zu kam der schönste Page in Kniehosen und einem Wams aus schwarzem Sammet, das Barett auf die Seite gesetzt.

– Zu früh dieses Mal, mein Freund!

– Clara, welch wundervolle Erscheinung!

– Ich bin nicht mehr Clara, ich bin Clarus, dein Genosse, Nebo, dein Androgyn, wenn du willst.

– Du bist ein Traum der Dichtung!

Er betrachtete die fast antike Schönheit dieser fleischlichen Wade, des schmalen Knies, des langen Schenkels, der schönsten Beine der Diana, die der Bildhauer gesehen hatte.

Sie reichte ihm die Hände.

– Komm!

Sie führte ihn ans Fenster, das sich auf den Garten öffnete: die Vegetation strömte ihren Duft aus.

Dort reichte sie ihm ihren Mund. Als er bebend zögerte, an seine frühere Liebe denkend, von seinem Gewissen gequält, drückte sie mit einem freudigen Willen ihre gebieterischen Lippen auf die Nebos. Ein unerklärlicher Schauer rollte seine Ringe in ihnen zusammen und wieder auseinander: sie fühlten Strömungen von Ideen und Gefühlen von dem einen in den andern gehen, wie die Heraldik sagt: es war eine wunderbare Halluzination. Und als ihre fieberhaften und geschwollenen Münder einander losließen, drückte sie das Wunder der Identität aus, das der höchste Punkt des Geschlechtlichen ist.

– Ich habe geglaubt, ich sei verdoppelt und liebe mich selbst.

Die Erotik, im gebräuchlichsten Sinne des Wortes, liebt das Licht, das dem Körper eine Wirklichkeit gibt: der Tag bestätigt den Sinnen ihre Wollust. Die Liebe, das heißt die vollständige Anziehung, die dreifache Magnetisierung, zieht den Schatten vor, weil sich die Einbildungskraft sehr leicht darin entwickelt. Wie auf einem dunklen Hintergrund eine Gestalt Relief annimmt, so bestätigt die Nacht die Seele. In der Schlaflosigkeit gibt es einen Willen, der sich dem Schweigen verbindet, zu dieser Stunde, da die menschliche Tätigkeit aussetzt.

Der Schatten begünstigt die Unbestimmtheit der Wahrnehmungen: er materialisiert und verstärkt die keusche Liebkosung; er verfeinert und verwandelt die deutlichste und vollständigste. Die Nacht nimmt an der Liebe teil; das Licht ist nur der höchsten Schönheit und der höchsten Leidenschaft günstig; meistens bekleidet es die Formen und Bewegungen mit Unzucht und Schande.

Nebo und Clara setzten sich; aber er glitt zu den Füßen des jungen Mädchens und stützte sich auf ihre Knie: diese waren nackt! Die Weiße der Haut hatte im Halbschatten das Trikot vorgetäuscht. Nebo erinnerte sich der Worte des Nachmittages, als sie bedauerte, die Schönheit ihres Busens auf Gesellschaften gezeigt zu haben. Diese Nacktheit der Beine war die »ungedruckte« Gunst, welche sie dem Geliebten bot. Er lehnte sein Gesicht an die kalten Schenkel und träumte glücklich; so fern war er seiner Pflicht, so sehr vergaß er seine Brüder, als habe er aus dem Horn des Vergessens getrunken, das Hagen dem Siegfried eingießt.

– Nebo, sagte sie mit sanfter Stimme, ich bin deinem Herzen zu nahe, um nicht zu fühlen, daß eine Unruhe deine Freude stört. Welche Macht wirkt in dieser Stunde auf dich, während du in meinem Schoße liegst.

Die Uhr eines Klosters schlug acht.

Ein Gedanke entsprang dem Geiste des Platonikers.

– Kannst du dich allein für eine Gesellschaft kleiden?

– Ja, warum?

– Ich muß um zehn Uhr bei der Prinzessin Este sein: ich nehme dich mit.

– Aber, welcher Empfang erwartet mich?

– Der Empfang, der mir selbst bereitet wird.

– Du glaubst dich verpflichtet, auf diese Weise ein Wort vom Nachmittage auszustreichen.

– Nein, Clara, ich muß um zehn Uhr ein Ehrenwort erfüllen; ich wäre in meinen Augen verloren gewesen, wenn ich die Stunde versäumt hätte; aber die Leidenschaft, die mich zu dir zog, war unbesiegbar: so bin ich gekommen. Jetzt will ich nicht, daß du für mich der Anlaß zu einer Schande wirst, daß die Freude dieses Abends von Gewissensqual eingerahmt wird. Ich weiß, daß du mich zwingen würdest, meinem Gewissen zu gehorchen, wenn du wüßtest, bis zu welchem Punkt ich es muß; ich bitte dich, mich dorthin zu treiben, und da ich dich nicht verlassen will, nehme ich dich mit.

– Oh, lieber Nebo, dein Geständnis beweist meine süße Herrschaft und auch ein Vertrauen, das ich mir zu verdienen gedenke. In einer Stunde werde ich mich ankleiden und dich begleiten.

– Und ich werde den Anblick deiner Schultern und deiner Arme haben?

– Wie kannst du erwarten, daß ich meinen Busen der anonymen Neugier ausliefere? Ich will nicht, daß dein Blick sich mit andern Blicken auf meinen Brüsten kreuzt. Nein, schnüre jetzt mein Wams auf! Es gefällt mir, dir wie der heilige Sebastian zu erscheinen, der in Manchester hängt, nackt, nur mit Kniehosen: denn heute abend werde ich Androgyn bleiben.

So zeigte sie sich wunderbar weiß in der Nacht.

– Laß mir diese Gerechtigkeit widerfahren, daß ich dir zuerst meine größte Schönheit angeboten habe, die, auf die ich eifersüchtig gewesen bin, denn ich habe nur zu den Stunden gebadet, an denen die Küsten einsam waren.

– Nein, dein Kuß steige auf die Brüste herab: ich will nicht, daß deine Liebkosung entweihte Stellen berührt. Oh, warum fällt mir das jetzt wieder ein? Diese beweinenswerten Erinnerungen an den Flirt, diese wenigen Küsse des Zufalls, die meine Haltung herausgefordert hat, die auf meine Schultern und Wangen fielen, Raupen gleich, auf dicht gefülltem Balle, hinter einem Pfeiler oder einem Vorhang. Ich wünschte, ich hätte nie eine andere als deine Begierde beben gefühlt! Wenn ich dich wirklich errate: du möchtest nicht das schöne Aufblühen unserer Liebe beschleunigen: du bist meiner Schönheit sicher und meines Willens sicher! Aber damit dein Wille nicht dem gewöhnlichen Laufe folge, wollen wir nicht mit einem Reiben des Fleisches die Melodie betäuben, die unsere Seelen singen. Sei glücklich über diese besondere Beschränkung, welche das Ungestüme unseres Abenteuers ausgleicht.

Ein Strahl des Mondes fiel herein und warf einen silbernen Streifen auf die blühenden Schenkel.

– Sei nicht eifersüchtig: dieser alte himmlische Freund liebt es, mich zu betrachten und seine kalten Küsse sind allein deinen auf meinem Körper vorangegangen.

Sie erhob sich, trat in den Strahl und ließ ihre Schönheit darin spielen. Es war eine feenhafte Phantasie! Auf den Spitzen der Brüste ließ sie Glimmer erglühen, auf der Ausbuchtung des Beines ließ sie metallische Reflexe leuchten; ihre schönen Arme erhob sie, um sie zu bewegen, wie Isolde die Schärpe schwingt, mit der sie dem Geliebten das Signal gibt.

So ließ sie sich bewundern, eine Priesterin ihrer Reize.

Sie berauschte sich so an dieser Liebesfeier, die sie schuf, daß sie schließlich die kurzen Hosen aufriß: ihr Schoß und ihre Lenden, vom Mondschein besprengt, strahlten traumhafte Wollust aus.

Nebo, die Seele ganz in seinen Augen, berauschte sich an dem vollkommenen Bilde, das ihm als Künstler und Geliebten das Leben gab.

Aus dem Strahl heraustretend, verschwand Clara im Schatten.

– In einem Augenblick werde ich bereit sein, dich zur Prinzessin zu begleiten.


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