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V.
Das Abenteuer Poudiels

Mercedes de Castro war verträumt, als sie den Palast Odescalchi verließ; sie blieb auf der Schwelle stehen, mit dem Zögern einer Frau, die das Wort, das sie hergeführt hatte, nicht ausgesprochen oder nicht gehört hatte.

Den scherzenden Fragen, der dringenden Neugier hatte Edith eine verwirrende Würde entgegengesetzt.

– Ich liebe, hatte die Norwegerin gesagt, ich glaube mich geliebt und ich werde dir ebensowenig von meinem Glück sprechen wie ein Sultan von seiner Kadine Gemahlin.. Was zuerst Phantasie war, wird das heiligste Geheimnis. Ich erlebe einen bezaubernden Traum: finde das gleiche, das ist der Wunsch meiner Freundschaft … Wisse, daß die Offiziere, die Prälaten, die Prinzen in der Liebe nichts taugen: sie sind die Sünde nicht wert und hinterlassen nur den Ekel. Die von der Art des Samas würden uns mit der Hölle aussöhnen, wenn deren Liebkosung nicht den Eindruck machte, daß wir erhöht werden; ja, durch die Sinnenlust: man glaubt seine Andacht zu verrichten. Zwischen der päpstlichen Kapelle und einem Froschpfuhl ist weniger Unterschied als zwischen Samas und einem der Männer, die wir erhört haben … Dein erstes Gefühl wird sein, mir meinen Geliebten zu nehmen. Versuche es! Wenn sich eine Frau auf eine gewisse Art hingegeben hat, nicht mit den äußeren Sinnen, sondern mit allen Tiefen des Wesens, hat sie zugleich eine gewisse Herrschaft übernommen und ist nicht einmal mehr eifersüchtig. Besuche mich nur selten: wenn ich mit dir spreche, werde ich von dem Gedanken an ihn abgelenkt. Ich will mich mit meiner Freude zurückziehen und über diese Freude ein stilles Gebet sprechen, das nicht endet.

Die lebhafte und unbändige Nichte des Kardinals de Castro war durch die Aufrichtigkeit dieses überraschenden Geständnisses verwirrt worden: es verschob alle ihre Begriffe.

Man sollte es nicht glauben, aber die Frau erleidet die Ansteckung der Liebe um so eher, als der Neid bei ihr augenblicklich ist. Ediths Glück erfüllte Mercedes mit Melancholie. Sie ging mit kleinen Schritten, wohin der Zufall sie führte: ihr Geist war verstört.

Bei einer Wendung der Straße öffnete eine der dreihundert Kirchen Roms ihre schattige Türöffnung, mit flackernden Wachskerzen besternt. Sie trat mechanisch ein, berührte den Weihkessel, bekreuzte sich aus Gewohnheit und kniete an einem Betpult nieder, den Kopf in die Hände bergend: dem unwiderstehlichen Gebot eines inbrünstigen Gebetes schien sie nachzugeben. Sie überlegte, wie sie einen Samas finden könne, um ebenfalls die von Edith erklärten Freuden zu erleben.

Die Prinzessin de Castro hatte niemals eine Liebschaft gehabt: kokett bis zu den Kunstgriffen der Kurtisane, kühn um einen Offizier aus der Fassung zu bringen, frei im Gespräch, offen bis zur Schamlosigkeit, unbesonnen im Benehmen, war sie noch ein Mädchen mit ruhigem Herzen, mit unentschiedenen Sinnen, trotzdem sie sich wild gab.

Es hatte Küsse auf ihre Wangen, auf ihre Schultern geregnet, aber meist hinter einem Vorhang oder einem Gebüsch, und nur verstohlen und flüchtig. Sie hatte sich auf manches Knie gesetzt, aber wie ein Vogel, ohne sich dabei zu vergessen. Es gab in Rom zwanzig oder dreißig Männer, die, wenn sie Mercedes allein fanden, sie um die Taille fassen konnten, ohne etwas Neues zu tun; die sie auf den Nacken küssen durften, ohne daß sie laut aufschrie: aber keiner hatte sie besessen. Sie belustigte sich über die Begierde, die sie erregte, ohne jemals etwas anderes als eine unbestimmte Freude zu empfinden, daß sie so anziehend war. Es lag etwas vom Kinde in der Anmut ihres entarteten Spiels und ihre feine geschmeidige prickelnde Schönheit machte sie vertraulich, bestimmte sie zu der fast unüberlegten Liebkosung, wie man sie den Katzen antut. Jedoch, ihr gewöhnlich schwankender Wille wurde plötzlich fest, wenn man die Grenze überschritt. So hatte ihre katzenartige Wut Spuren im Gesicht des Generals Cidesci hinterlassen: mit ihren Zähnen hätte sie ihm beinahe die Nase abgebissen. Sie hatte Füße von wunderbarer Feinheit, die sie den Vertrauten zum Kuß reichte, ohne sich zu sorgen, daß sie etwas von ihrem Bein zeigte.

Diese Art, die, welche sich ihr näherten, geschlechtlich anzugreifen, war ihr eine Gewohnheit geworden. Als sie Samas ungestüm vorgeschlagen hatte, nach Tivoli zu kommen, das vierzig Kilometer von Rom entfernt ist, dachte sie nur daran, ihn Edith eine Stunde zu entführen und ihn dann ihr zurückzuschicken.

In der römischen Gesellschaft war es bekannt, daß Mercedes weder Hosen noch Korsett trug und im Sommer den kurzen Halbstrumpf wagte. Das hatte ihr furchtbare Verweise ihres Onkels eingebracht, der ein großer Schreier, sogar Flucher war, der aber im Grunde ganz von dem tollen Leben beherrscht wurde, das seine Nichte in das grämliche Dasein eines Kardinals brachte, der weder Kammerherr noch Staatssekretär noch Papabile noch Präfekt war.

Eminenz de Castro hatte eine starke Stimme und die Neigung zum Brüllen in der flüsternden Welt des Hofes von Rom: man nannte ihn den Kardinal der Markthallen. Stolz, aber den Beifall des Volkes herausfordernd, blieb er mit einem Comtadino Bewohner der Grafschaft Venasque, bei Avignon, die bis 1791 dem Papste gehörte. stehen, oder trank ein Glas Wein unter dem gemeinen Volk, ohne mit der Wimper zu zucken, bereit zu seinen Kollegen grob zu sein. Man fürchtete seine unbeherrschten Ausbrüche und seine Launen: er war ein wahrer Wüterich, ein gutes Herz und ein beschränkter Geist.

Als das junge Mädchen aus der Kirche kam, hatte es einen Entschluß gefaßt. Sie trat bei einem Händler ein, der nachgemachte Antiquitäten verkaufte, und ließ sich einige davon zeigen: dabei überwachte sie die Straße, auf der Samas zu dieser Stunde kommen mußte.

Sie bemerkte ihn bald auf der anderen Seite; mit einem Satz war sie bei ihm.

– Ich lauere Ihnen auf, nicht Ihretwegen, sondern Ihrer Idee halber: gibt es einen unter Ihnen, der … nicht verliebt ist? … Ich will weder Edith stören … noch Leonora … noch Tatania … noch …

– Da ist Poudiel, der freie Zeit hat, sagte Samas, ohne zu überlegen, auf was er antwortete.

Sie fragte:

– Sie behandeln diesen Poudiel als Ihresgleichen: was ist er?

– Gewiß, er ist ein großer Geist, den wir wie unseren Bruder schätzen! Auch ist er lange unglücklich gewesen: er ist das gewohnt und trägt davon die Maske. Aber was er hören wird, gilt mir ebensoviel, als wenn ich anwesend wäre.

– Können Sie mir ihn sofort in den Palast schicken?

– Ja, wenn ich umkehre …

– Tun Sie das … ich werde Ihnen später erklären … Wir haben einen Freundschaftspakt geschlossen: ich mache zuerst davon Gebrauch, aber ich werde mich dankbar zeigen.

Als sie heimkehrte, trat sie bei ihrem Onkel ein, der über die Zeitungen brummte und sie beim Durchlesen zerknitterte.

– Guten Tag, Onkel: bist du zugänglich?

– Was? Du siehst aus wie eine verbrühte Katze!

– Ich bin in eine kleine Kirche eingetreten und ich habe nachgedacht.

– Du, nachdenken? Ueber welche Posse?

– Ich bin vierundzwanzig, mein Onkel.

– Deiner Vernunft nach bist du vier.

– Es handelt sich um eine Gewissensfrage.

– Dein Gewissen ist das eines Vogels!

– Ist es besser, einen Mann zu lieben, als sich von vielen den Hof machen zu lassen?

– Ach, Kind, ich bin nicht Collinet! Willst du mir die kleinen Schamlosigkeiten deiner Einbildung herbringen? Speie Sie in deinen Gemächern aus! Wenn du nicht den Onkel achtest, so achte den Kardinal! Wie, du willst mich mit den Zoten deiner Träumerei unterhalten? Wenn du den Katechismus vergessen hast, um so schlimmer: du hast einen Beichtvater, schütte ihm deine kleinen Schandtaten aus, aber verlange nicht von mir eine Antwort auf deine … Ja, du bist eine freche Dirne, du beschmutzest meinen Hut und entehrst unsern Namen! Wer glaubt in Rom noch an die Tugend der Mercedes von Castro?

– Sie, mein Onkel, und das genügt.

– Ich, ich? Das genügt nicht: du bist ein lebendes Aergernis!

– Mein Onkel, man hat Ihnen eine Unwahrheit erzählt.

– Einfältige Person! Dumme Gans! Albernes Geschöpf: wer würde es wagen, mir etwas über meine Nichte zu erzählen? Beim Hute des Papstes!

Von den Schimpfworten nicht getroffen, sondern gerührt durch diesen Ausbruch der Zärtlichkeit, küßte Mercedes ihrem Onkel die Hand und ging.

Sie zog sich in ihre Gemächer zurück und ließ sich auskleiden.

– Ziehen Sie mir meine Sandalen an, sagte sie zu der Kammerfrau.

– Welches Kleid? fragte diese.

– Ach, ich weiß nicht.

Die Kammerfrau begann wieder:

– Ich würde mir erlauben, Fräulein, Ihnen zu raten, wenn ich Bescheid wüßte. Sie erwarten jemanden: tragen Sie Ihre »Kutte« aus weißem Atlas.

Was die Kammerfrau eine Kutte nannte, war ein Ueberkleid mit Schleppe, ein in einen langen Schweif endender Kittel, mit aufgeschürzten Aermeln.

Samas, der mit seinen Gedanken bei Edith war, hatte nicht verstanden, was Mercedes wollte. So kam Poudiel neugierig in den Palast de Castro, aber ohne zu denken, daß eine Frau ihn erwarte, die ihn lieben wollte.

Er grüßte sehr tief, ohne die kleine und elegante Frau, die sich gegen das Licht gesetzt hatte, zu betrachten oder nur anzusehen, und setzte sich bescheiden.

Diese Haltung zerriß dem jungen Mädchen das Herz. »Teufel, dachte sie, dem muß man alles vorsagen.«

– Mein Herr, ich habe Samas, Ihren Freund, gebeten, Sie an seiner Stelle herzusenden, um einer seltsamen Unterhaltung beizuwohnen. Ihr Freund, den ich bei Edith Odescalchi gesehen habe, horcht die alten Prälaten nach ihren Ansichten aus: nun, ich erwarte zwei interessante und charakteristische. Sie werden mir nicht böse sein, wenn jene sich verspäten und Sie sich einen Augenblick mit meiner Gesellschaft begnügen müssen.

– Im Gegenteil, Prinzessin, ich werde den Herren dankbar sein, wenn sie sich verspäten, da ich so die Ehre habe, mit Ihnen sprechen zu dürfen.

– Oh, die »Ehre«: paßt dieses Wort? Ich würde das »Vergnügen« vorziehen!

– Ist es taktvoll, sein Vergnügen ohne Erlaubnis zu nehmen? Das ist stehlen!

– Die Frau ist diesen Diebstählen günstig gesinnt.

– Nach meiner Ansicht wiegt die geringste Gunst, die man empfängt, alle auf, die man nehmen könnte.

– Sie empfinden mit sehr seltenem Zartgefühl: die Frau, die Ihr Herz besitzt, ist zu beneiden …

– Oh, keine Frau kümmert sich um mein Herz! Es gibt Liebeswesen, die nur zu erscheinen haben, damit sich die Seelen ihnen öffnen. Andere müssen auf die Leidenschaft verzichten: sie sind nicht dafür gemacht! Zu diesen gehöre ich.

Er vollendete seine Worte mit Traurigkeit im Ton und blickte vor sich hin ins Unbestimmte.

Sie hatte ihn zuerst nicht dekorativ gefunden; nach und nach wurde sie mit seinen Zügen vertraut, da sie ahnte: wenn man ihn liebte, würde dieser Mann sich wieder aufrichten, würde seine Stirn sich erhellen. Für diesen Plan begann sie sich schon in Gedanken zu interessieren.

– Warum gehören Sie zu jenen?

– Warum ist man blond oder braun? Wollen Sie einen Beweis? Warum haben Sie mir nicht Ihre Hand zum Kuß gereicht? Für Samas hätten Sie es getan!

– Das ist wahr! Aber wenn ich nicht sofort eine Hand gebe, so gebe ich später alle beide.

Sie streckte sie hin, und ihre nackten Arme hoben sich fein und rund im Lichte ab.

Poudiel erstaunte und blieb sitzen, verlegen, unruhig, ohne zu wissen, was er sagen sollte.

– Was ich gebe, muß angenommen werden.

Sie erhob sich und machte die Schritte, die sie trennten, ihm den Rücken der Hände bietend.

Plötzlich in diese Reihe Ueberraschungen versetzt, betrachtete Poudiel sie bestürzt, aber die Schönheit dieses kleinen und vollkommenen Körpers bemerkend. Kein Wort kam auf seine Lippen und er hielt noch seinen Hut auf den Knien.

Mercedes legte ihm nacheinander mit Würde ihre Hände an die Lippen: und diese Lippen schienen ihr so erstaunt, so schüchtern, so überrascht zu sein, daß ein Mitleid in ihrem Herzen aufging. Sie erhob die Hände wieder und dieses Mal legte sie die Handfläche auf den furchtsamen Mund, der zitterte.

– Ich will nicht, daß Sie so traurig sind: sonst müssen Sie meine zehn Finger, einen nach dem andern, küssen.

Und da er nicht antwortete, bedrückt, bebend, verwirrt, ließ sie ihre Finger über seine Lippen laufen.

– Warum diese Dinge? Aus Mitleid? murmelte er.

Sie ging umher.

– Die Frau hat nur Mitleid mit sich selbst: es ist immer ihre eigene Phantasie, der sie folgt. Nur werden die meisten von Männern angezogen, die einen Federbusch tragen, viel Worte machen und theatralisch sind. Ich schätze nur die verschlossenen, in sich selbst zurückgezogenen Seelen, die das Leben sozusagen verdichtet hat, indem es sie hart mitnahm.

– Ich bin so überrascht über Ihren glücklichen Geschmack, daß ich Ihnen nichts sagen kann.

– Auch, begann sie wieder, bin ich so gewohnt, um mich her zu bezaubern, die Grämlichsten aufzuheitern, daß Ihre widerspenstige Melancholie meine Anmut beleidigt.

– Hat man jemals so tief empfunden?

Sie setzte sich neben ihn.

– Sprechen Sie von sich!

– Ich könnte Sie für alles interessieren, nur nicht für mich! Wollen Sie, daß ich Sie über unbekannte Düfte, wunderbare Schönheitsmittel belehre?

– Ah, Sie kennen diese Dinge? Nun gut, ich möchte diesen Flaum auf meinen Armen verschwinden sehen: sie sollen so glatt sein wie die Arme der Statuen.

– Das läßt sich machen: aber das wäre schade.

– Warum sind Sie nicht aufrichtig? Ja, Sie wagen meine Arme nicht zu berühren, aber Sie wünschen es.

– Ich wage es wirklich nicht.

– Ich erlaube es.

Schmerzlich fragte Poudiel:

– Warum diese Dinge? Ich kann Ihnen doch nicht gefallen haben! Sollte es ein grausames Spiel sein?

– Ich bin niemals so ernst gewesen: man gefällt mir, wenn man mir gehorcht.

Er verlor den Kopf und ergriff ihre Handgelenke mit so fiebernden, so bebenden Händen, daß er eher verzweifelnd als glücklich aussah.

Stolz, so überraschend, so überwältigend zu sein, betrachtete Mercedes ihn mit zärtlichem Interesse. Ihr weiblicher Instinkt enthüllte ihr, wieviel Aufsaugungen, wieviel fieberhafte Schamlosigkeiten, wieviel zurückgedrängte Begierden einer solchen Erregung vorangegangen waren. Dieser Mann, dessen großen Wert sie nicht kannte, der ihr sein ungeheures Wissen nicht hatte zeigen können, verführte sie durch seine Herzensangst. Stolz, wie er war, hätte Poudiel auf Liebe verzichten, sein Herz verschließen, seine Sinne verleugnen müssen! Da kam sie, um ihn zur Liebe und zur Freude zu rufen, und sie wollte, daß er auf diesen süßen Ruf antwortete.

Sie zwang die Hände ihres seltsamen Geliebten, ihren Arm emporzusteigen; sie bebte unter diesen Armbändern, die zugleich zögerten wie zuckten, die sie unbewußt schüttelten, eine unbegreifliche Unruhe der Seele auf sie übertragend.

Plötzlich ließ er diesen betörenden Frauenarm fahren und glitt auf die Knie, sein Gesicht in den Händen verbergend.

– Sehen Sie mich an, Poudiel.

Als er seine Verwirrung noch verhüllte, sprach sie sanft und ernst.

– Wie, als Gleichgültiger zu einer Gleichgültigen gekommen, liegen Sie nach einem Augenblick mir zu Füßen? Habe ich Sie dorthin gebracht? Das ist das Geheimnis des Schicksals! Kein Zauber hat Sie meiner Phantasie angekündigt und Ihr Anblick hat mich nicht bewegt. Plötzlich erklingt ein Ton von Traurigkeit, ein schmerzlicher Schatten huscht über Ihr Gesicht, und Sie sind ein Neuer, Anderer, Verschiedener: dieser Neue interessiert mich, dieser Andere gefällt mir, dieser Verschiedene ist mir schon teuer … Unter Ihren Gefährten sind Sie das Kästchen aus Blei Shakespeare, Kaufmann von Venedig., und kaum sehe ich Sie, so wähle ich Sie. Ich wechsle meine Natur, die üppig und phantastisch ist; ich beruhige mich, mache mich feierlich, um Sie nicht zu verscheuchen. Ich ahne alte Leiden, eine furchtbare Einsamkeit, den Verzicht auf die Liebe: und es gefällt mir, Ihnen Freude zu geben, Ihre Seele zu erfrischen … Seien Sie mir dankbar, daß ich Ihre geistige Ueberlegenheit, die Not Ihrer Seele erraten habe! Je mehr das ungerechte Leben Sie gezwungen hat, sich zu beugen, desto mehr will ich Ihnen den Eindruck des unverhofften Glücks, des schmeichelnden Abenteuers geben. So begleiche ich und tilge ich die Vergangenheit; so mache ich einen edlen Gebrauch von meiner Schönheit; so erobere ich vielleicht ein treues und süßes Herz.

Poudiel betrachtete sie endlich mit der Entzückung in den Augen und mit der tierischen Dankbarkeit des gestreichelten Hundes, des geschlagenen Tieres, dem man plötzlich schmeichelt.

– Ach, mein armer Freund, Ihre Augen geben mir hundertfach meine Liebkosung zurück: so betrachtet ein Frommer die Madonna! Ich bin verwirrt … Jetzt, Freund, binden Sie meine Sandalen auf, deren Schnüre mich belästigen.

Poudiel drückte andächtige Küsse auf die nackten Füße.

– Ich habe niemals einen ehrenvolleren Augenblick gehabt, sagte sie: Ihre Verwirrung macht mich stolz. Ich hätte nie gedacht, daß ich so viel geben könnte: Sie haben mich mir selbst offenbart. Sie weihen mich in das Gefühl ein: ich werde Sie in die Wollust einweihen.

– Ueberhäufen Sie mich nicht mit einer übergroßen Freude, Prinzessin Mercedes: ich bin schwach der Freude gegenüber, da ich sie nicht kenne. Erlauben Sie, daß ich mich an diese erhabene Neuheit gewöhne … Ich kann Ihnen nichts sagen …

– Sage nichts, Poudiel: ich werde dein Schweigen hören. Beschwichtige deine Bewegung! Genieße nur meine Gunst: sie möge dir deinen Stolz wiedergeben. Du erinnerst mich an jenen provenzalischen Dichter, der seine Grabschrift also verfaßte: »Marcabrun, der Sohn der Braunen, der niemals liebte; und niemals geliebt wurde.« Du trugst eine Herausforderung auf der Stirn, Poudiel: ich habe sie gelesen und angenommen! Du wirst glücklich sein: kannst du daran zweifeln, daß du es sein wirst? Schnüre meine Sandalen auf, sage ich dir! Deine Hände tasten und kosen: mögen sie glücklich sein, deine Hände, sie sind mir lieb.

Poudiel wagte die Schnur, die hoch ums Bein geschlungen war, nicht aufzuknoten: sie mußte es tun, und tat es ohne Scheu. In den Augen des geistigen Mannes leuchtete das Geschlecht auf, zum ersten Male während dieser langen Versuchung; bisher hatte die Seele allein gesprochen.

Schwesterlich lehnte sie ihn an ihre Knie; und mit einer unmerklichen Bewegung wiegte sie ihn.

Das war so süß für ihn, der unter der Liebe gelitten hatte, daß ein Schluchzen ihn schüttelte und er zu weinen begann. Lange weinte er, als verließe ihn so der Groll über seine Vergangenheit.

Sie empfing die Tränen auf ihren Händen mit ernster Freude. Sie nahm ihr ganzes Kleid auf, damit sie auf ihre bebende Haut fielen, in diesen von Freude und Schmerz gemischten Tropfen.

Lange weinte Poudiel, ohne daß sie ein Wort sagte, so verstand sie, nach dem gewöhnlichen aber sprechenden Ausdruck, wie dieses Herz seinen Gefühlen freien Lauf lassen mußte, nach einem Leben voll Kummer und zurückgedrängten Gefühlen. Sie empfand eine wunderbare Zufriedenheit mit sich selbst: die Freude, die sie gab; ein gesteigertes Mitleid, das verborgene Frömmigkeit verkörperte; der Eindruck, eine gute Handlung zu tun, die ihr auch lieb war; der Wert dieses Mannes, den sie ahnte; die Schönheit der Liebe, die sie schuf: all das bildete ein Entzücken.

– Poudiel, jetzt mußt du gehen.

Er fuhr auf und erhob sich. Sie war so schön in ihrer Unordnung, daß er stammelte:

– Ist es wahr? Ist es wirklich wahr?

– Es ist wahr! sagte Mercedes ernst. Du weißt, daß ich schön bin und daß ich dir gehöre. Du wirst morgen zu der gleichen Stunde wiederkommen und dann wirst du sprechen. Ich habe dir, dem Schüchternen und Scheuen, bewiesen, daß ich weder kokett noch falsch bin: an dir ist es zu beweisen, daß du meiner würdig bist! Dieses Vorspiel ist nur dazu da, dir den Frieden zu geben. Jetzt wirst du mir den Hof machen, mir von deiner Liebe sprechen. Ich werde dich kommen sehen, ja, ich werde nach dir ausspähen; du hast nicht mehr das Recht, mit gekrümmtem Rücken und gesenkter Stirn dahinzugehen; du wirst von einer Prinzessin, von Mercedes de Castro geliebt; richte dich auf, trage deine Stirn hoch! Das Leben hat dich einen Augenblick besiegt: ich bin die Revanche! Finde deinen Stolz wieder, wenn du mich zärtlich wiederfinden willst: geh und zweifle nicht.

Poudiel kniete nieder, berauscht, strahlend, ohne sprechen zu können.

– Mein Leben würde diesen Augenblick schlecht bezahlen, meine Prinzessin, aber ich widme es Ihnen. Ich segne Sie, ich verehre Sie und ich liebe Sie.

Sie nahm seinen Kopf, blickte ihm lange und sehr nahe in die Augen und küßte ihn mit Feierlichkeit auf die Stirn.


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