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IV.
Perinde baculum ac cadaver So Schläge wie Tod.

Vor der Schlacht schlafen, wenn man ein einfacher Offizier ist, das überrascht die Bewunderung der Handbücher; der Tiger Bonaparte schlief nach Art der wilden Tiere, wann er wollte; aber nach der Niederlage schlafen, wenn der Körper nicht übermüdet ist, beweist die Seelenstärke! Merodach, Ilou und Alta hatten geschlafen, kraft der erhabenen Formeln des »Bhagavad-Gita«: »Gesang des Herrn«, eine Episode des »Mahabharata«, des indischen Epos. Krishna und Arjuna, sein Schüler, sprechen über die höchste geistige Weltbetrachtung. Uebertragung von Franz Hartmann, Lotus-Verlag, Leipzig.

»Gib acht auf die Erfüllung der Werke, nicht auf ihre Früchte; tue das Werk nicht des Verdienstes wegen, aber suche auch nicht das Werk zu vermeiden.«

»Der wahrhaft vernünftige Mensch löst sich hier unten von guten und schlechten Werken.«

Dieses Wort ist schwer an Geheimnis und offenbart, daß die Natur des Geistes unverletzbar ist.

Diese edlen Willenskräfte hatten sich über den Augenblick ihres Strebens, über das Mittel selbst getäuscht, aber nicht über das Ziel: ja, sie hatten sich verirrt, aber auf der Suche nach dem Gral! Das Ereignis enttäuschte sie, ohne sie zu verwirren: sie hatten sich für das Werk Gottes angeboten, aber Gott wollte eine andere Form für sein Werk, die sie nicht kannten. Falken des Ideals, hatten sie geglaubt, sie würden in die Höhe geschleudert: von ihrem nutzlosen Fluge stiegen sie wieder herab, um sich auf der ewigen Faust der Idee auszuruhen.

An diesem letzten Tage wollte die Prinzessin Este alle zu Tisch laden, ebenso sehr aus herzlicher Zuneigung wie aus beständiger Unruhe.

Poudiel allein fehlte, da er Schwester Maria von Gonzaga nach Orvieto brachte.

Während man speiste, wurde Gaëtano Fredi gemeldet. Leonora gab das Zeichen, noch ein Gedeck hinzuzufügen, als der alte Priester, der außer Atem war, wieder genug Stimme gefunden hatte, um zu sagen:

– Der Kardinal stirbt!

Die acht Verschworenen standen so ungestüm auf, daß ein großer Lärm von umgeworfenen Stühlen und zerbrochenem Kristall entstand.

– Bleib, Tammuz, flehte Leonora.

Er antwortete nicht einmal.

Als das Schweigen jäh einsetzte, nachdem der vom Feinde überraschte Posten davongestürmt, blieb die Prinzessin allein an diesem Tische sitzen, der plötzlich verlassen war, durch einen Windstoß verwüstet zu sein schien. Diese niederschmetternde Unordnung erinnerte sie an die Weissagungen der Nonne: von einem nervösen Zittern ergriffen, das sie nicht besiegen konnte, ging sie an ihr Betpult, fiel nieder und betete für ihren bedrohten Tammuz, wie eine gute und einfache Frau.

Als die Wagen der Verschworenen anlangten, ließ die halbgeöffnete Tür Collinet sehen, der unheilvoll aussah und zu entwischen suchte, nachdem er sein Verbrechen begangen hatte.

Ihn packen, die Treppe wieder hinaufstoßen, wie man ein entschlüpftes wildes Tier in den Käfig zurückbringt, war der Blitz einer einzigen Bewegung aller Verschworenen. Der Jesuit wurde in das Zimmer des Sterbenden hineingeworfen, wo der Doktor Spinelli, mit blassem Gesicht, mit unruhigen Augen unter der goldenen Brille, einen Arzneitrank schüttelte.

– Ihnen die Seele, Alta! Euch andern der Jesuit! rief Merodach.

Dann wandte er sich an den Arzt:

– Welches Gift?

Spinelli stammelte:

– Ich weiß nicht: ein schmerzstillendes Mittel in zu starker Dosis.

Merodach beugte sich beobachtend über den Unglücklichen, während Lucioli mit einem Blick dankte, aus dem schon das Bewußtsein schwand. Er fügte sich jedoch der Gebärde, die der Dominikaner über ihn machte.

Da die Pupille sich erweiterte, da Scharlach ausbrach, murmelte der Magier:

– Ich glaube, die Wirkungen von Belladonna zu erkennen.

Doch schon zeigte Lucioli das bezeichnende Flockenlesen: seine krampfhaft zuckenden Hände suchten unsichtbare Fliegen.

– Dies ist eine Vergiftung durch Atropin! Zehn bis zwölf Zentigramm genügen: Lucioli ist verloren! Durchsucht Collinet!

Dieser erschrak und wollte sich wehren; er wurde zu Boden geworfen. Man zog aus seiner Uhrtasche ein kleines Fläschchen und aus der inneren Tasche seiner Sutane ein Rezept über fünfzehn Zentigramm Atropin, unleserlich gezeichnet, aber den Stempel einer Apotheke tragend.

Während dieser Szene ging das Atropindelirium weiter. Lucioli las um sich herum von den Bettüchern Strohhalme auf, die nicht da waren.

Alta begann die Sterbegebete.

Merodach wandte sich an Spinelli.

– Und Sie, was werden Sie tun?

– Ich bin der Arzt der Gesellschaft Jesu, sagte Spinelli.

Das war furchtbar in seiner Einfachheit.

Die Betroffenheit, die er hervorgerufen hatte, nutzte er aus:

– Lucioli, Signor, war nicht Ihr Freund! Die italienische Polizei mischt sich niemals in das, was man die Angelegenheiten der Priester nennt, es müßte denn ein Weltlicher darin verwickelt sein. Was gedenken Sie zu tun? Den Pater Collinet anzuzeigen? Aber glauben Sie, daß die Gesellschaft Jesu untätig bleiben wird? Den Fürsten Odescalchi wird man den Ehebruch seiner Frau fühlen lassen; Piccolomini und de Castro werden erfahren, was Tochter und Nichte geworden sind; die andern Frauen wird man umlauern und verfolgen! Wenn einem von Ihren Genossen ein Unglück zustößt, was bedeutet es da, daß Pater Collinet vor das Schwurgericht kommt? Wenn man sich duelliert, nimmt man Regeln an, die oft verhaßt oder absurd sind: es hat ein Duell stattgefunden zwischen einem Jesuiten und einem Kardinal: dieser ist gefallen. Uebrigens, wenn ich erklärte, daß Lucioli Spadella an einer Belladonnalösung gestorben ist, die er aus Versehen auf einmal getrunken hat, statt sie auf zwanzig Male zu verdünnen, würde ich keinerlei Gefahr laufen. Da ich Sie schätze, obgleich Sie es mir nicht erwidern, sagen Sie mir, was Sie beschließen: ich werde daran glauben. Halt, ich kann es Ihnen ja sagen: einer dieser Herren, der sich Tammuz nennt, würde als erster die Hand der Gesellschaft Jesu spüren, die damit Ihre mächtigste Verbündete trifft.

Alle erinnerten sich der Voraussage vom gestrigen Abend.

Merodach zögerte zu antworten.

Spinelli begann zwei Blätter zu beschreiben.

Der Moderne hat sich an die Gesetzlichkeit gewöhnt, deren Abwesenheit dem Verbrechen gegenüber überrascht und beunruhigt; doch fürchtet auch jeder überlegende Geist die Justiz, selbst als Zeuge, mit viel stärkerem Grunde als Ankläger.

– Hier sind die beiden Totenscheine, sagte Spinelli, wählen Sie.

– Wählen Sie selbst!

– Ich, ich ziehe Blutstockung vor! Sie behalten den Pater?

– Ja, sagte Merodach, um das Verbrechen wiederherzustellen: es wird platonisch sein, aber uns etwas zerstreuen.

Doktor Spinelli warf einen letzten gleichgültigen Blick auf den unbeweglichen Kardinal und grüßte mit großer Höflichkeit.

Alle betrachteten den Kardinal, der röchelte; einer gemeinsamen Regung folgend, knieten sie nieder, um für diese schuldige Seele eines schlechten Priesters zu beten.

– Er ist hinübergegangen, sagte Merodach und suchte mit den Augen den Jesuiten, den er vergessen hatte.

Auch Collinet betete, und zwar mit wirklicher Inbrunst.

Merodach setzte sich und machte eine Gebärde: man warf den Jesuiten vor ihm auf die Knie.

– Collinet, ich würde dich gern auf die Folter spannen (ich begreife, daß sie eine kirchliche Ueberlieferung ist), aber meine Nerven würden es nicht erlauben. Ich werde dich auch nicht anzeigen. Aber ich will wissen, was in deiner Seele vorgeht; ich will dem Geiste eines Jesuiten auf den Grund sehen. Warum hast du Lucioli vergiftet?

Der Jesuit antwortete nicht.

– Collinet, wenn du mich nicht befriedigst: ich habe das Rezept und das Fläschchen und die beiden Totenscheine, die Spinelli in seiner Aufregung zurückgelassen hat.

– Was wollen Sie wissen?

– Wem hast du gehorcht?

– Dem Wohle des Ordens: niemand darf sich um das Papsttum bewerben, ohne daß es die Gesellschaft Jesu billigt!

– Du hast also deine Pflicht getan! Hast du keine Gewissensqual?

Collinet blickte Merodach gerade ins Gesicht, mit einem Glaubensblitz in den Augen.

Merodach wandte sich an seine Jünger:

– Habt ihr diesen Strahl gesehen? Es ist derselbe, der in den Gesichtern der Märtyrer aufleuchtet! Hier blitzt er im Auge eines Mörders! Dieser Mann würde nicht töten, um sich zu verteidigen, aber für die Gesellschaft Jesu würde er seine eigene Mutter erwürgen.

– Ja, rief Collinet mit großer Kraft.

– Es ist sehr selten, meine Herren, daß man eine Rechtfertigung Voltaires hört und ihre Erklärung begreift: dieser Unbewußte gibt sie uns.

Er wandte sich wieder an den Jesuiten:

– Du bist nur der Haschschachin Haschschachin, »dem Haschisch fröhnend«, Assassin, Meuchelmörder, mohammed. Sekte., aber dein General ist wirklich ein General; mit Fedawihs Fedawihs, 5. Grad der Assassinen. deiner Art würde ich die Menschheit wie einen Handschuh umkehren.

– Werden Sie Jesuit und mein Prior: ich werde Ihnen dienen, denn ich fühle, daß Sie groß sind.

Diese Bekehrungssucht war unter solchen Umständen beispiellos!

– Ich bin zu groß, Collinet, um in dein Korps von Soldaten anders denn als Herr und Meister einzutreten: ihr habt eine blinde Kraft; ihr habt einen idiotischen Glauben … Du hast ein Manuskript stehlen lassen: du wirst es in den Palast Este zurücksenden!

– Wenn der General es erlaubt.

– Dummkopf! Erzähle ihm nur deinen Vormittag, und er wird es erlauben. Ah, Collinet, wirst du dieses Verbrechen beichten?

– Ich hätte es nicht begangen, wenn mir nicht die Absolution im voraus erteilt worden wäre.

– Das, meine Herren, ist aufrichtig! Wir werden diesen Morgen etwas gelernt haben; etwas Wichtiges, für uns und für die Kirche; der Tod des Kardinals wird wenigstens dieses Licht geschaffen haben! Die Gesellschaft Jesu wird sterben; denn sie hat nichts mehr von Jesus, sie ist nur noch eine Sekte von Mohammedanern … Geh, Collinet, geh und lies den Koran, du bist nur ein Mann des Islams. Ich, Ritter des Galiläers, achte das Leben, das von Gott kommt, aber verabscheue deinen Willen, der aus der Hölle stammt. Nachdem ich lange gesucht, wie ich dich von der Höhe, auf der ich denke, so treffen kann, daß ich doch die Tiefe erreiche, in der du liegst, habe ich gefunden! Dein Gründer war ein Offizier, und du trägst ein Kreuz um den Hals, das Kreuz des Heils: wie man den Soldaten entehrt, so entehre ich den Jesuiten. Mörder, Vergifter, entartetes Ungeheuer, Schande jeder Religion: ich degradiere dich im Namen des Lammes.

Und der Magier riß das Kreuz ab, das am Halse des Jesuiten hing, und schlug es ihm um die Ohren.

Pater Collinet stieß ein tierisches Geheul aus: diese finstere Seele war endlich gepackt worden, und der fanatische Verbrecher verging unter der Schmach.


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