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Siebzehnter Artikel.
Verschiedene Gedanken über die Religion.

1.

Der Pyrrhonismus hat der Religion genützt; denn schließlich wußten die Menschen vor Jesus Christus weder woran sie waren, noch ob sie groß oder klein waren. Und diejenigen, welche das eine oder das andere behauptet, wußten nichts davon und riethen ohne Vernunft und auf gut Glück zu: und sie glaubten sogar stets daran, indem sie das eine oder das andere verwarfen.

2.

Wer will den Christen vorwerfen, sie könnten nicht Rechenschaft ablegen über ihren Glauben, sie, die sich zu einer Religion bekennen, über welche sie keine Rechenschaft geben können? Sie erklären im Gegentheil, indem sie dieselbe den Heiden vortragen, daß dies Verlangen eine Dummheit sei, eine Thorheit etc. Und dann beklagt ihr euch, daß sie dieselbe nicht beweisen? Wenn sie sie bewiesen, würden sie nicht Wort halten: d. h. indem sie es an Beweisen fehlen lassen fehlt es ihnen nicht an Sinn. Jawohl. Aber wenn dies auch diejenigen entschuldigt, welche sie solchergestalt darbieten, und ihnen den Vorwurf erspart, sie ohne Vernunft vorzutragen, so entschuldigt es doch nicht diejenigen, welche auf ihre eigene Auslegung hin sich weigern daran zu glauben.

3.

Glaubst du, es sei unmöglich, daß Gott unendlich sei ohne Theile? Ja! – Ich will dir ein Ding zeigen, unendlich und untheilbar: das ist ein Punkt, der sich überall mit unendlicher Geschwindigkeit bewegt.

Diese Naturerscheinung, die dir vorher unmöglich erschien, lasse dich erkennen, daß es noch eine Menge andere giebt, von denen du ebenfalls noch nichts weißt. Zieh' nicht aus deinem ersten Versuch den Schluß, daß dir nichts mehr zu wissen übrig bleibt; sondern daß dir zu wissen unendlich viel übrig bleibt.

4.

Die Weisheit Gottes, welche alles mit Milde ordnet, ist es, welche die Religion in den Geist vermittelst der Vernunftschlüsse, in das Herz vermittelst der Gnade einführt. Sie in Herz und Geist mit Gewalt und Drohungen einführen wollen, heißt nicht Religion, sondern Schrecken hineinführen. Beginnt damit die Ungläubigen zu beklagen; sie sind hinlänglich unglücklich. Ihnen ihr Unrecht vorwerfen dürfte man nur, wenn es ihnen dienlich wäre; aber es schadet ihnen. Und ihr habt es ihnen unaufhörlich vorgeworfen. Ihr habt sie behandelt wie Jesuiten! Und indem ihr ihnen ihr Unrecht vorwerft, gesteht ihr, daß die wahren Christen keine Rechenschaft von ihrer Religion ablegen können; daß, wenn sie sie bewiesen, sie nicht Wort hielten; daß ihre Religion eine Thorheit, daß wenn sie wahr sei, sie es eben deshalb sei weil sie eine Thorheit. O Tiefe der Absurdität!

Aller Glaube beruht in Jesu Christo und Adam; alle Moral in der Begierde und der Gnade.

5.

Das Herz hat seine Vernunftgründe, welche die Vernunft nicht kennt: man fühlt es auf tausenderlei Weise. Es liebt das höchste Wesen von Natur, und sich selbst von Natur, je nachdem es sich jenen Vernunftgründen hingiebt; es verhärtet sich gegen dies und jenes, nach eigener Wahl. Ihr habt dies verworfen und jenes behalten: aus vernünftiger Überlegung? –

6.

Die Welt ist da, um Barmherzigkeit und Gericht auszuüben: nicht als ob die Menschen darin umhergingen, wie sie eben aus Gottes Hand hervorgegangen sind, sondern vielmehr als Gottes Feinde, denen er aus Gnade genug Erleuchtung gegeben, um zu ihm zurückgelangen zu können, wenn sie ihn suchen und ihm folgen wollen; um sie zu strafen aber, wenn sie es verschmähen ihn zu suchen und ihm zu folgen.

7.

Man hat gut reden: es ist wahr, die christliche Religion hat etwas Erhabenes! Man wird entgegnen: das kommt, weil ihr in derselben geboren seid; weit gefehlt; gerade aus diesem Grunde bin ich gegen sie, aus Furcht, daß das Vorurtheil mich verführt. Aber obgleich ich in ihr geboren bin, kann ich dennoch nicht umhin sie so zu erkennen.

8.

Es giebt zwei Arten von den Wahrheiten unserer Religion zu überzeugen; erstens durch die Macht der Vernunft, zweitens durch die Autorität dessen, der da spricht. Man bedient sich nicht letzterer, sondern ersterer. Man sagt nicht: man muß das glauben, denn die heilige Schrift, die es ausspricht, ist göttlich; sondern man sagt: man muß es glauben aus dem und dem Grunde – und es sind doch immer schwache Beweisgründe, da die Vernunft alles beweisen kann.

Die scheinbar größten Feinde der Ehre der Religion, sind doch für die anderen nicht unnützlich. Uns dienen sie als erster Beweis dafür, daß etwas Übernatürliches vorliegt, denn eine derartige Verblendung ist nichts natürliches; und wenn ihre Thorheit sie auch zu Feinden ihres eigenen Wohlergehens macht, so wird sie doch den Nutzen haben, andere durch ein so abschreckend beklagenswerthes Beispiel und eine so mitleidswürdige Thorheit davor zu bewahren.

9.

Ohne Jesus Christus würde die Welt nicht bestehen; denn sie müßte dann entweder zerstört sein, oder einer Hölle gleichen.

Der einzige, der die Natur erkennt, sollte er sie nur erkennen um elend zu sein? der einzige der sie erkennt, sollte er der einzig Unglückliche sein?

Es ist nicht nöthig, daß der Mensch gar nichts sieht; es ist auch nicht nöthig, daß er soviel sehe, daß er die Wahrheit zu besitzen glaubt; aber er muß soviel sehen, um zu erkennen, daß er sie verloren hat; denn, um etwas Verlorenes zu erkennen, muß man sehen und nicht sehen; und das ist aufs genaueste der Zustand in dem sich die Natur befindet.

Die wahre Religion mußte die Größe und das Elend lehren, und zu Selbstvertrauen und Selbstverachtung, zu Liebe und Haß anleiten.

Ich sehe die christliche Religion auf eine vorhergehende gegründet, und das ist es, was ich thatsächlich so finde.

Ich spreche hier nicht von den Wundern Mosis, Jesu Christi und der Apostel; denn sie scheinen erstens nicht zwingend, und sodann will ich hier nur diejenigen Grundlagen dieser christlichen Religion klar legen, die unzweifelhaft sind und durch niemanden, wer es auch sei, in Zweifel gezogen werden können.

10.

Die Religion ist etwas so Großes, daß es nur gerecht ist, wenn diejenigen, welche sich nicht die Mühe geben wollen, sie zu suchen, wenn sie verdunkelt ist, ihrer beraubt sind. Worüber beklagt man sich denn, wenn sie so ist, daß man sie finden kann, wenn man sie sucht? –

Der Stolz wiegt alles Elend auf und überwiegt es. Ein sonderbares Unding, und eine nur zu sichtbare Verirrung des Menschen. Er ist von seinem früheren Platz herabgesunken, und sucht sie nun mit Unruhe.

Nachdem das Verderben in die Welt gekommen, muß billigerweise jeder, der in diesem Zustande lebt, ihn erkennen; und zwar sowohl diejenigen, die sich darin gefallen, wie diejenigen, die sich darin mißfallen. Aber deshalb ist es nicht billig, daß alle die Erlösung sehen.

Wenn man behauptet, Jesus Christus sei nicht für alle gestorben, so mißbraucht man einen Fehler der Menschen, die sich sofort an diese Ausnahme anklammern; das begünstigt die Verzweiflung, statt sie davon abzuwenden und die Hoffnung zu begünstigen.

11.

Die Gottlosen, welche sich blindlings ihren Leidenschaften überlassen ohne Gott zu erkennen und ohne sich zu bemühen ihn zu suchen, bewahrheiten durch sich selbst jene Grundlage des Glaubens, den sie bekämpfen: nämlich daß die Natur des Menschen verderbt ist. Und die Juden, welche so hartnäckig die christliche Religion bekämpfen, bewahrheiten ferner jene andere Grundlage eben des Glaubens, den sie angreifen: nämlich daß Jesus Christus der wahre Messias sei, und daß er gekommen sei die Menschen zu erlösen, und sie von ihrem Verderben und ihrem Elende zu befreien; und das bewahrheiten sie ebenso sehr durch ihren heutigen in den Prophetieen vorausverkündigten Zustand, als durch diese Prophetieen selbst, deren Träger sie sind und welche sie unverbrüchlich bewahren als Kennzeichen, an denen man den Messias erkennen soll. So erhalten wir die Beweise für das Verderben der Menschen und für die Erlösung durch Jesum Christum, die beiden Hauptwahrheiten des Christenthums, von den Gottlosen, welche sich gleichgiltig zeigen gegen die Religion, und von den Juden, ihren unversöhnlichsten Feinden.

12.

Die Würde des Menschen bestand in seiner Unschuld, seiner Herrschaft über die Creaturen, und deren Benutzung; aber heutzutage besteht sie darin, sich von ihnen zu trennen und sich ihnen zu unterwerfen.

13.

Es giebt viele, die um so gefahrvoller irren, als das Princip ihres Irrthums eine Wahrheit ist. Ihr Fehler ist nicht der, einer Unwahrheit zu folgen, sondern der einer Wahrheit, mit Ausschluß einer anderen, zu folgen.

Es giebt eine große Anzahl von Wahrheiten des Glaubens und der Moral, welche einander zu widerstreiten und zu widersprechen scheinen, und welche alle in bewunderungswürdiger Ordnung neben einander bestehen.

Die Quelle aller Häresien ist der Ausschluß irgend einiger dieser Wahrheiten: und die Quelle aller Vorwürfe, welche uns die Häretiker machen, ist die Unwissenheit irgend einiger unserer Wahrheiten.

Gewöhnlich aber geht es so: da sie die Beziehung zweier entgegengesetzter Wahrheiten nicht fassen können, und glauben das Bekenntnis der einen bedinge den Ausschluß der anderen, so halten sie sich an die eine und schließen die andere aus.

Die Nestorianer lehrten: es gäbe in Jesu Christo zwei Personen, weil es zwei Naturen gäbe; die Eutychianer dagegen, daß es nur eine Person in ihm gäbe, weil es auch nur eine Natur in ihm gäbe. Die Katholiker sind die Rechtgläubigen, weil sie die beiden Wahrheiten der zwei Naturen und der einigen Person mit einander verbinden.

Wir glauben, wenn die Substanz des Brotes verwandelt ist in die des Leibes unseres Herrn Jesu Christi, daß er dann realiter im heiligen Sacrament zugegen ist. Das ist eine der Wahrheiten. Eine andere ist, daß dies Sacrament zugleich ein Bild des Kreuzes und der Erhöhung und eine Gedächtnisfeier an beides. Das ist der katholische Glaube, welcher diese beiden scheinbar unvereinbaren Wahrheiten verbindet.

Die Häresie von heute begreift nicht, daß dies Sacrament alles zusammen enthält: die Gegenwart Jesu Christi, sein Bild, den Charakter eines Opfers und die Erinnerung an dies Opfer, und glaubt man könne eine dieser Wahrheiten nicht zulassen, ohne die andere auszuschließen.

Aus diesem Grunde halten sie sich daran, daß dies Sacrament bildlich sei; und darin sind sie keine Häretiker. Sie glauben, wir schlössen diese Wahrheit aus; und daher kommt es, daß sie, auf Grund von Stellen der Kirchenväter, die dies sagen, uns soviel Vorwürfe machen. Schließlich läugnen sie die reale Gegenwart; und darin sind sie Häretiker.

Deshalb ist das kürzeste Mittel die Häresien zu verhindern: alle Wahrheiten zu lehren; das sicherste Mittel sie zurückzuweisen ist, sie alle erklären.

Die Gnade wird stets in der Welt bleiben, ebenso die Natur. Es wird stets Pelagianer und stets Katholiker geben, denn die erste Geburt macht jene, die zweite diese.

Die Kirche macht sich mit Jesus Christus, der von ihr nicht zu trennen, verdient um die Bekehrungen aller derer, die nicht der wahren Religion angehören; sodann sind es die Bekehrten, welche ihrer Mutter und Befreierin zu Hilfe eilen.

Der Körper hat kein Leben mehr ohne das Haupt, ebensowenig, wie das Haupt ohne den Körper. Wer sich von dem einen oder dem andern trennt, gehört nicht mehr zum Körper, hat keinen Theil mehr an Jesu Christo. Alle Tugenden, das Martyrium, die Kasteiungen, und alle guten Werke sind unnütz außer der Kirche und der Verbindung mit dem Haupte der Kirche, dem Papste.

Es wird eine der Qualen der Verdammten sein zu sehen, daß sie verdammt werden durch ihre eigne Vernunft, durch welche sie die christliche Religion zu verdammen wähnten.

14.

Das ist dem gewöhnlichen Leben der Menschen und dem der Heiligen gemeinsam, daß sie alle Glückseligkeit ersehnen; nur hinsichtlich des Gegenstandes, worein sie dieselbe verlegen, sind sie verschieden. Die einen wie die anderen nennen diejenigen ihre Feinde, welche ihnen ihr Ziel zu erreichen hinderlich sind.

Über das, was gut und böse ist, muß man urtheilen nach dem Willen Gottes, welcher weder ungerecht noch verblendet sein kann; nicht aber nach unserem eigenen, der stets voller Bosheit und Irrthum.

15.

Jesus Christus hat im Evangelium folgendes Kennzeichen angegeben, woran man die Gläubigen erkennen könne: sie werden eine neue Sprache reden: und in der That, die Erneuerung der Gedanken und Wünsche bewirkt die der Reden. Denn diese Neuheiten, welche Gott nicht mißfallen können, wie der alte Mensch ihm nicht gefallen kann, sind von den Neuheiten der Erde verschieden und zwar darin, daß die Erdendinge, so neu sie sein mögen, durch ihre Dauer veralten: während dieser neue Geist sich um so mehr erneuert, je länger er währt. Der äußere Mensch verweset, sagt St. Paul, (2. Cor. 4, 16.) und der innerliche Mensch wird von Tage zu Tage erneuert; und er wird vollkommen neu nur sein in der Ewigkeit, wo man unaufhörlich singen wird den neuen Gesang, von dem David in seinen Psalmen spricht, d. h. jenen Gesang, der ausgeht vom neuen Geiste der Liebe. –

16.

Als St. Petrus und die Apostel (Act. 15.) über die Abschaffung der Beschneidung berathen, wobei es darauf ankam, gegen Gottes Gesetz zu handeln, fragen sie nicht die Propheten um Rath, sondern einfach die Ausnahme des heiligen Geistes in der Person der Unbeschnittenen. Sie urtheilen mit größerer Sicherheit, daß Gott diejenigen annimmt, welche er mit seinem Geiste erfüllt, als daß es nöthig sei das Gesetz zu beachten; sie wußten, daß das einzige Ziel des Gesetzes der heilige Geist sei; und daß also, da man ihn ganz wohl ohne Beschneidung haben könne, dieselbe nicht nothwendig sei.

17.

Zwei Gesetze genügen, um den ganzen christlichen Staat zu ordnen, besser als alle politischen Gesetze: die Liebe zu Gott, und die Liebe zum Nächsten.

Die Religion ist passend für alle Arten von Geistern. Der große Haufen hält sich an den Zustand und die Einrichtung, in welcher sie jetzt ist; und diese Religion ist so, daß ihr Dasein allein genügend ist, um ihre Wahrheit darzuthun. Andere gehen bis zu den Aposteln. Die Gelehrtesten gehen bis zum Anfang der Welt. Die Engel sehen sie noch besser, und von noch weiter reichendem Standpunkte; denn sie sehen sie in Gott selbst.

Diejenigen, denen Gott die Religion durch das Gefühl des Herzens gegeben hat, sind sehr glücklich und trefflich überredet. Denjenigen aber, die sie nicht haben, können wir sie nicht anders verschaffen, als durch Vernunftschlüsse, in der Erwartung, daß Gott selbst sie ihnen ins Herz prägen wird; ohne das ist der Glaube unnütz zum Heil.

Gott, um sich allein das Recht unserer Belehrung vorzubehalten, und uns die Schwierigkeit unseres Wesens unlösbar zu machen, hat uns den Knoten derselben so hoch, oder besser, so tief verborgen, daß wir unfähig sind ihn zu erreichen: so daß wir also nicht durch die Anstrengungen unserer Vernunft, sondern nur durch die einfache Unterwerfung derselben uns wahrhaft selbst erkennen können.

18.

Die Gottlosen, deren Bekenntnis ist, der Vernunft zu folgen, müssen ganz absonderlich stark in Vernunft sein. Was sagen sie denn? Sehen wir nicht, sagen sie, die Thiere sterben und leben wie die Menschen, und die Türken wie die Christen? Sie haben ihre Ceremonien, ihre Propheten, ihre Gelehrten, ihre Heiligen, ihre Religiösen, ganz wie wir etc. Ist das wider die Schrift, sagt sie nicht alles dieses? Wenn dich so gut wie gar nicht nach der Wahrheit verlanget, so hast du daran genug, um in Ruhe zu bleiben. Wenn du aber von ganzem Herzen dich sehnst sie zu erkennen, so ist das nicht genug; blicke ins Einzelne. – Dies möchte vielleicht genug sein für eine nichtige philosophische Untersuchung; aber hier wo es sich um alles handelt ... Und außerdem nach solchen oberflächlichen Reflexionen, geht man hin und amüsirt sich, etc.

Es ist etwas Furchtbares, beständig all' seine Besitzthümer verrinnen zu sehen; und doch an ihnen hängen zu können, ohne das Verlangen zu haben, nachzusuchen, ob es nicht irgend etwas Dauerndes giebt.

Man muß je nach folgenden Voraussetzungen in der Welt sehr verschieden leben: wenn man immer in ihr sein könnte; wenn man sicher ist, nicht lange darin zu sein; und ungewiß, ob man auch nur noch eine Stunde darin ist. Diese letzte Voraussetzung ist die unsrige.

19.

Um der Chancen willen mußt du dir die Mühe geben die Wahrheit zu suchen. Denn wenn du stirbst, ohne das wahre Princip angebetet zu haben, bist du verloren. Aber sagst du, wenn er meine Anbetung forderte, hätte er mir Zeichen seines Willens geben müssen. Das hat er auch gethan; aber du hast dich nicht darum gekümmert. Suche doch wenigstens; das ist es doch wohl werth.

Die Atheisten müssen vollkommen klare Dinge behaupten. Aber man muß den Verstand verloren haben, um behaupten zu können, die Sterblichkeit der Seele sei völlig klar. Ich finde es ganz in der Ordnung, wenn man die Meinung des Copernicus nicht gründlich erforscht: aber für jedes Leben ist wichtig zu wissen, ob die Seele sterblich oder unsterblich.

20.

Weder die Prophetieen noch selbst die Wunder und die anderen Beweise unserer Religion, sind der Art, daß man sie mathematisch zwingend nennen könnte. Für den Augenblick aber genügt mir das Zugeständnis, daß es kein Verbrechen gegen die Vernunft ist wenn man sie glaubt. Sie haben Klarheit und Verworrenheit, um die einen zu erleuchten, die andern zu verwirren.

Aber die Klarheit ist der Art, daß sie, was vom Gegentheil aus als das Klarste behauptet werden könnte, übertrifft, oder wenigstens erreicht; so daß es also nicht die Vernunft ist, welche darüber entscheiden könnte, ihr nicht zu folgen, sondern daß es vielleicht nur die Begier und Bosheit des Herzens ist. So giebt es genug Klarheit, um die Glaubensverächter zu verdammen, nicht genug sie zu gewinnen; also scheint in denen, die ihr folgen, die Gnade, nicht die Vernunft es zu sein, die dies bewirkt; und in denen, welche sie fliehen, nicht die Vernunft, sondern die Begierde.

Wer muß nicht eine Religion bewundern und sich ihr anschließen, die dasjenige von Grund aus kennt, was man um so mehr erkennt, je erleuchteter man ist.

Ein Mensch, welcher Beweise für die christliche Religion auffindet, ist wie ein Erbe, der die Besitzurkunden seines Hauses auffindet. Wird er sie für falsch erklären oder versäumen sie zu prüfen? –

21.

Zwei Arten von Menschen erkennen einen Gott; die, welche demüthiges Herzens sind, welche Geringschätzung und Erniedrigung lieben, auf wie hoher oder niedriger Stufe geistiger Bildung sie auch stehen mögen; oder diejenigen, welche Geist genug haben, um die Wahrheit zu sehen, so sehr sie ihr auch widerstreben.

Die Weisen unter den Heiden, welche lehrten, es gäbe nur einen Gott, sind verfolgt worden, die Juden gehaßt, die Christen noch mehr.

22.

Ich sehe nicht ein, weshalb es schwieriger sein sollte die Auferstehung des Fleisches, die Empfängnis der Jungfrau zu glauben, als die Schöpfung? Ist es schwieriger einen Menschen wiederzuschaffen, als ihn zu erschaffen? Und wenn man nicht gewußt hätte, was Zeugung ist, würde man es sonderbarer finden, daß ein Kind von einer Jungfrau allein kommt, als von einem Manne und einem Weibe? –

23.

Es ist ein großer Unterschied zwischen Ruhe und Sicherheit des Gewissens. Nichts vermag Ruhe zu geben, als aufrichtiges Forschen nach Wahrheit; und nichts kann Sicherheit geben als die Wahrheit.

Es giebt zwei gleichmäßig beständige Glaubenswahrheiten: die eine, daß der Mensch im Stande der Unschuld oder der Gnade erhaben ist über der ganzen Natur, ein Ebenbild Gottes und Genosse der Gottheit; die andere, daß er im Stande des Verderbens und der Sünde von diesem Stande herabgesunken und ein Ebenbild der Thiere ist. Diese beiden Sätze sind gleich fest und gewiß. Die heilige Schrift erklärt sie uns aufs deutlichste, wenn sie an verschiedenen Stellen sagt: »Meine Lust ist bei den Menschenkindern«. (Prov. 8, 31.) »Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch«. (Joel 2, 28.) »Ihr seid Götter« etc. (Ps. 82, 6.); und wenn sie an anderen Stellen sagt: »Alles Fleisch ist Heu«. (Jes. 40, 6.) »Dennoch können sie nicht bleiben in solcher Würde, sondern müssen davon wie ein Vieh«. (Ps. 49, 13.) »Ich sprach in meinem Herzen von dem Wesen der Menschen, darinnen Gott anzeiget und läßt es ansehen, als wären sie unter sich selbst wie das Vieh«. (Eccles. 3, 18.)

24.

Die Beispiele ruhmreichen Todes bei den Lacedämoniern und anderen berühren uns wenig; denn was kann uns das helfen? Aber das Beispiel des Märtyrertodes berührt uns; denn die Märtyrer sind Glieder von uns. Ein gemeinsames Band verknüpft uns mit ihnen: ihr Entschluß kann den unsrigen bestimmen. Nichts derart gilt von den heidnischen Beispielen: wir haben durchaus keine Verbindung mit ihnen; so macht der Reichthum eines Fremden uns nicht reich, wohl aber der eines Vaters oder eines Gatten.

25.

Man reißt sich niemals ohne Schmerz los. Man fühlt seine Fesseln nicht, wenn man dem, der da zieht, freiwillig folgt, wie der heilige Augustinus sagt. Beginnt man aber zu widerstehen und nach der entgegengesetzten Seite zu gehen, so leidet man wohl; das Band dehnt sich aus, und erträgt alle Gewalt; und dieses Band ist unser eigener Körper, der nur im Tode zerreißt. Unser Herr hat gesagt, daß seit dem Kommen Johannes des Täufers, d. h. seit seiner Einkehr in jeden Gläubigen, das Himmelreich Gewalt leidet, und daß die Gewaltthäter es an sich reißen. (Matth. 11, 12.) Ehe man ergriffen ist, trägt man nur das Gewicht seiner Begierde, und die zieht zur Erde. Wenn aber Gott nach oben zieht, so bewirken diese entgegengesetzten Kräfte jene Gewalt, die Gott allein kann überwinden lassen. Aber wir vermögen alles, sagt der heilige Leo, mit demjenigen, ohne den wir nichts vermögen. Man muß sich also entschließen, diesen Krieg sein ganzes Leben zu ertragen; denn es giebt hier durchaus keinen Frieden. Jesus Christus ist gekommen, das Schwert zu bringen, nicht den Frieden. (Matth. 10, 34.) Trotzdem aber muß man bekennen, daß, wie die heilige Schrift sagt: die Weisheit der Menschen ist Thorheit von Gott (1. Cor. 3, 19.), man auch sagen kann, dieser Krieg, welcher den Menschen hart erscheint, ist ein Friede vor Gott; denn es ist derselbe Friede, den auch Christus gebracht hat. Er wird gleichwohl nur dann vollkommen werden, wenn der Leib zerstört ist; und das macht uns den Tod herbeisehnen, obwohl wir auch das Leben freudig ertragen aus Liebe zu dem, der für uns Leben und Tod erduldet, und der uns mehr Güter geben kann, als wir erbitten können und verstehen, wie der heilige Paulus sagt. (Eph. 3, 20.)

26.

Man muß versuchen sich über nichts zu betrüben, und alles, was geschieht, als das Beste anzusehen. Ich glaube, es ist dies eine Pflicht, und man sündigt, wenn man es nicht thut. Denn der Grund, weshalb Sünden Sünden sind ist einzig der, daß sie dem Willen Gottes zuwider sind: so besteht also das Wesen der Sünde darin, daß man einen Willen hat, welcher dem, den wir in Gott erkennen, zuwider ist, und es scheint mir klar, daß, wenn er uns seinen Willen durch die Ereignisse offenbaren will, es Sünde wäre, sich ihnen nicht fügen zu wollen.

27.

Wenn die Wahrheit verlassen und verfolgt ist, so scheint das ein Zeitpunkt zu sein, wo der Dienst, den man Gott mit ihrer Vertheidigung leistet, ihm besonders wohlgefällig ist. Er will, daß wir die Gnade nach der Natur beurtheilen, und so erlaubt er uns die Erwägung, daß, wie ein durch seine Unterthanen aus seinem Lande vertriebener Fürst die hingebendste Zärtlichkeit für diejenigen empfindet, die ihm in der allgemeinen Empörung treu bleiben, ebenso Gott diejenigen mit besonderer Güte anzusehen scheint, welche die Reinheit der Religion vertheidigen, wenn sie bekämpft wird. Aber es besteht zwischen den irdischen Königen und dem König der Könige dieser Unterschied, daß die Fürsten ihre Unterthanen nicht treu machen, sondern sie so erfinden: während Gott ohne seine Gnade die Menschen nur treulos erfindet, und sie treu macht, wenn sie es sind. Während sich also die Könige denen, die in Pflicht und Gehorsam bei ihnen verharren, gewöhnlich verpflichtet bekennen, geschieht es im Gegentheil, daß diejenigen, welche in Gottes Dienste verbleiben, ihm ihrerseits unendlich verpflichtet sind.

28.

Nicht etwa die Büßungen des Körpers und die Arbeiten des Geistes, sondern die guten Regungen des Herzens sind es, welche Werth haben, und welche die Mühen des Körpers und des Geistes ertragen. Denn zur Heiligung braucht man schließlich zweierlei: Leiden und Freuden. St. Paulus hat gesagt, daß diejenigen, welche zur Seligkeit eingehen wollen, Mühen und Unruhen in großer Zahl finden werden. Das muß diejenigen trösten, die es erfahren, denn, da sie wissen, daß der Weg zum Himmel, den sie suchen, davon voll ist, so müssen sie sich freuen, Anzeichen davon anzutreffen, daß sie auf dem richtigen Wege sind. Aber alle jene Mühen sind nicht ohne Freuden, und werden nur durch Freude überwunden. Denn ebenso wie diejenigen, welche Gott verlassen, um zur Welt zurückzukehren, es nur deshalb thun, weil sie in den Freuden der Welt mehr Süßigkeiten finden, als in denen der Vereinigung mit Gott, und weil diese siegreiche Verlockung sie fortreißt, sie ihre erste Wahl bereuen läßt und sie, nach dem Worte Tertullians, zu Bußfertigen des Teufels macht: ebenso würde man niemals die Freuden der Welt verlassen, um das Kreuz Jesu Christi zu umarmen, wenn man nicht größere Süßigkeit fände in der Verachtung, der Armuth, der Entsagung und dem Abscheu der Menschen, als in den Wonnen der Sünde. Und so darf man, wie Tertullian sagt, das Leben der Christen nicht für ein Leben der Traurigkeit halten. Man verläßt nur Freuden, um andere größere zu erlangen. Betet allezeit, sagt der heilige Paulus, sagt allezeit Dank und seid allezeit fröhlich. Die Freude Gott gefunden zu haben, ist die Ursache der Traurigkeit darüber, daß man ihn beleidigt hat, und die Ursache jeder Lebensänderung. Derjenige, welcher einen Schatz in einem Acker gefunden hat, hat daran eine solche Freude, wie Jesus Christus sagt, daß er all' das Seine verkauft, um ihn zu erwerben. Die Weltmenschen haben ihre Traurigkeit; aber selbst Jesus Christus sagt, sie haben nicht jene Freude, welche die Welt weder geben noch nehmen kann. Die Seligen haben diese Freude ohne irgend welche Traurigkeit; die Christen haben diese Freude, vermischt mit dem traurigen Bewußtsein, anderen Freuden gefolgt zu sein, und der Furcht, sie durch die Verlockungen dieser anderen Freuden, welche uns unaufhörlich versuchen, zu verlieren. So müssen wir ohne Aufhören daran arbeiten, uns diese Furcht zu bewahren, welche unsere Freude bewahrt und mäßigt; und je nachdem man sich mehr nach der einen Seite gezogen fühlt, muß man sich nach der anderen neigen, um gerade stehen zu bleiben. Gedenke des Glückes in den Tagen der Trübsal, und gedenke der Trübsal in den Tagen der Freude, sagt die heilige Schrift, (Eccles. 11, 27.) bis die Verheißung Jesu Christi, uns mit seiner Freude zu füllen, erfüllt ist. Lassen wir uns also nicht zur Traurigkeit niederdrücken, und glauben wir nicht, daß die Frömmigkeit nur in einer Bitterkeit ohne Trost bestände. Die wahre Frömmigkeit, welche nur im Himmel sich vollkommen findet, ist so voll von Freuden, daß sie damit erfüllt beim Eingang, Fortgang und Vollendung. Sie ist ein so glänzendes Licht, daß es über alles leuchtet, was ihr angehört. Wenn ihr einige Traurigkeit beigemischt ist, zumal beim Eingang, so kommt diese aus uns, nicht aus der Tugend; denn das ist nicht die Wirkung der Frömmigkeit, welche in uns zu sein anfängt, sondern der Unfrömmigkeit, welche noch in uns zurückgeblieben ist. Nehmen wir die Unfrömmigkeit fort, und die Freude wird unvermischt sein. Laßt uns also nicht der Frömmigkeit, sondern uns selbst die Schuld beimessen, und in ihr nur durch unsere Besserung Trost suchen.

29.

Die Vergangenheit darf uns nicht fesseln, weil wir nichts anderes zu thun haben, als unsere Fehler zu bereuen; aber die Zukunft darf uns noch weniger berühren, denn was uns anbetrifft existirt sie durchaus nicht und vielleicht erreichen wir sie niemals. Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns wahrhaft gehört, die wir nach Gottes Willen benutzen müssen. Zu ihr sollen unsere Gedanken hauptsächlich in Bezug stehen. Die Welt dagegen ist so unruhig, daß man fast nie an das gegenwärtige Leben und den Augenblick wo man lebt denkt, sondern an den, wo man leben wird. So ist man stets bereit in der Zukunft zu leben, niemals aber in der Gegenwart zu leben. Unser Herr hat nicht gewollt, daß sich unser Blick weiter richten soll, als auf den heutigen Tag. Diese Grenzen lehrt er uns beachten so für unser Heil, wie für unsere eigene Ruhe.

30.

Man bessert sich oft gründlicher durch den Anblick des Bösen, als durch das Vorbild des Guten; und es ist gut, sich daran zu gewöhnen, aus dem Bösen Nutzen zu ziehen, da es so häufig ist, während das Gute so selten vorkommt.

31.

Im dreizehnten Kapitel des Ev. St. Marci hält Jesus Christus seinen Jüngern eine große Rede über seine Parusie: und da alles was in der Kirche vorgeht auch in jedem einzelnen Christen vorgeht, so ist es gewiß, daß dies ganze Kapitel ebenso wohl den Zustand einer jeden Person, welche durch ihre Bekehrung den alten Menschen in sich zerstört hat, vorhersagt, als den Zustand des gesammten Universums, welches zerstört wird, um einem neuen Himmel und einer neuen Erde Platz zu machen, wie die Schrift sagt. Die Verkündigung, welche dort unter dem Bilde der Zerstörung des verworfenen Tempels die Zerstörung des verworfenen Menschen in einem jeden von uns darstellt und von jenem sagt, daß kein Stein auf dem andern bleiben wird: sagt deutlich, daß keine Leidenschaft des alten Menschen übrig bleiben darf; und diese schreckensvollen bürgerlichen und häuslichen Kriege geben ein so vollkommnes Bild des inneren Kampfes derer, die sich Gott hingeben, daß es nicht besser gezeichnet sein kann, etc.

32.

Der heilige Geist ruht unsichtbar in den Reliquien derer, welche in der Gnade Gottes gestorben sind, bis er dereinst bei der Auferstehung sichtbar darin erscheinen wird, und das macht die Reliquien der Heiligen so der Anbetung würdig. Denn Gott verläßt die Seinen niemals, selbst nicht im Grabe, wo ihre Körper, zwar todt in den Augen der Menschen, vor Gott um so mehr lebendig sind, als die Sünde nicht mehr in ihnen ist: während dieselbe in diesem Leben immer in ihnen zurückblieb, wenigstens dem Keime nach; denn die Früchte der Sünde sind nicht immer in ihnen vorhanden; und dieser unselige Keim, untrennbar von ihnen während des Lebens, läßt jetzt noch keine Verehrung zu, zumal sie eher hassenswürdig sind. Deshalb ist der Tod nothwendig, um diesen unseligen Keim ganz zu ertödten; und das macht ihn wünschenswerth.

33.

Die Auserwählten werden ihre Tugenden, die Verworfenen ihre Vergehen nicht kennen. »Herr«, werden die einen wie die anderen sagen, »wann haben wir dich hungrig gesehen?« etc. (Matth. 25, 37. 44.)

Jesus Christus hat durchaus weder ein Zeugnis von Dämonen, noch von Leuten ohne Beruf haben wollen; aber von Gott und Johannes dem Täufer.

34.

Die Fehler Montaigne's sind groß. Er ist voll von unlauteren und schändlichen Aussprüchen. Das sagt nichts. Seine Gedanken über den Selbstmord und den Tod sind schrecklich. Er flößt eine Verachtung des Heils ein ohne Furcht und Reue. Sein Buch war durchaus nicht dazu geeignet zur Frömmigkeit anzuleiten; er war nicht dazu verpflichtet, aber man ist stets verpflichtet nicht von ihr abzuleiten. Wenn man auch seine über manche Dinge allzu freien Gedanken entschuldigen könnte, so würde man doch auf keine Weise seine durchaus heidnischen Gedanken über den Tod zu entschuldigen wissen; denn man muß jeglicher Frömmigkeit bar sein, wenn man nicht wenigstens christlich zu sterben wünscht: er aber denkt in seinem ganzen Buche an nichts anderes, als leicht und bequem zu sterben.

35.

Das was uns täuscht, wenn wir die Ereignisse der Vergangenheit der Kirche mit denen der Jetztzeit vergleichen, ist der Umstand, daß man regelmäßig St. Athanasius, Sta. Therese und die übrigen Heiligen im Strahlenkranze des Ruhmes erblickt. Jetzt, da die Zeit die Sachen aufgeklärt hat, erscheint das in der That so zu sein. Damals aber, als man diesen großen Heiligen verfolgte, war er ein Mensch Namens Athanasius; und die heilige Therese ihrerseits war eine Fromme wie die anderen. »Eli war ein Mensch wie wir, denselben Leidenschaften unterworfen wie wir«, sagt der Apostel St. Jacobus (Jac. 5, 17.), um den Christen jene falsche Idee zu nehmen, welche uns das Beispiel der Heiligen, als für unsern Zustand unmaßgebend, zurückweisen läßt: das waren Heilige, sagen wir, das paßt nicht auf uns.

36.

Denjenigen, welche sich wider die Religion verstocken, muß man zuerst zeigen, daß sie durchaus nicht mit der Vernunft streitet; Seht ihr nicht, Pascal, daß ihr Partei seid und Proselyten zu machen sucht? sodann daß sie verehrungswürdig ist, und Achtung für sie einflößen; darnach sie der Liebe werth erscheinen lassen, und den Wunsch nach ihrer Wahrheit erwecken; dann durch unumstößliche Zeugnisse beweisen, daß sie wahr ist; ihr Alter zeigen und ihre Heiligkeit durch ihre Größe und Erhabenheit, und schließlich daß sie der Liebe werth ist; weil sie das wahre Gut verheißt.

Ein Wort von David, oder von Moses, wie das: »Gott wird die Herzen beschneiden«, (Deut. 30, 6.) befähigt uns über ihren Geist zu urtheilen. Seien alle anderen Aussprüche zweideutig; sei es ungewiß, ob sie von Philosophen oder Christen herrühren: ein Wort von dieser Art entscheidet über alle anderen. Bis dahin reicht die Zweideutigkeit, aber nicht weiter.

Sich irren im Glauben an die Wahrheit der christlichen Religion: dabei kann man nicht viel verlieren. Aber welches Unglück, sich in dem Glauben irren, sie sei falsch. Der Flamen Jovis, die Priester der Cybele, die der Isis sagten ebenso viel. Der Muphti, der große Lama, fragten ebenso viel. Man muß also die Acten prüfen.

37.

Die Lebenslagen, in welchen es sehr leicht ist, weltgemäß zu leben, sind diejenigen, in denen es sehr schwer ist, gottgemäß zu leben; und umgekehrt: weltgemäß ist nichts schwieriger als ein frommes Leben; nichts dagegen leichter als ein solches gottgemäß; nichts ist leichter als hohen Rang und große Güter zu besitzen weltgemäß; nichts dagegen schwieriger als mit ihnen gottgemäß zu leben, und ohne daran Gefallen und Geschmack zu finden.

38.

Das alte Testament enthielt die Bilder der künftigen Freude; das neue enthält die Mittel sie zu erlangen.

Die Bilder sind Freude, die Mittel sind Reue; und nichtsdestoweniger wurde das österliche Lamm gegessen mit wildem, bitteren Lattich, cum amaritudinibus (Exod. 12, 8, ex Hebr.) um stets darauf hinzudeuten, daß man Freude nur durch Bitternis finden könne.

39.

Das Wort von Galiläa, bei der Anklage Jesu Christi vor Pilatus wie zufällig von der Masse der Juden ausgesprochen, gab Pilato Veranlassung Jesum Christum zu Herodes zu senden, worin das Mysterium erfüllt wurde, daß er von Juden und Heiden gerichtet werden solle. Der scheinbare Zufall war die Ursache der Erfüllung des Mysteriums.

40.

Jemand sagte mir eines Tages, daß er mit großer Freude und Zuversicht seine Confession verlassen würde; ein anderer sagte mir, daß er sich davor fürchte. Ich dachte dabei, daß diese beiden einen Guten ausmachen würden, und daß jeder darin fehlte, daß er nicht wie der andere dachte.

41.

Es ist angenehm in einem Schiffe vom Sturm umhergeworfen zu werden, wenn man sicher weiß, daß es nicht untergehen wird. Die Verfolgungen, welche die Kirche betrafen, sind derartig.

Die Geschichte der Kirche muß recht eigentlich die Geschichte der Wahrheit genannt werden.

42.

Wie die beiden Quellen unserer Sünden Stolz und Trägheit sind, so hat uns Gott in sich zwei Eigenschaften offenbart sie zu heilen: seine Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit. Die Eigenart der Gerechtigkeit ist es, den Stolz zu bekämpfen; die Eigenart der Barmherzigkeit, die Trägheit zu bekämpfen durch die Aufforderung zu guten Werken, nach der Stelle:

»Die Barmherzigkeit Gottes ruft zur Reue« (Röm. 2,4.); und der anderen von den Niniviten: »Laßt uns Buße thun, ob er sich unserer vielleicht erbarme«. (Jon. 3, 9.) Weit entfernt also, daß die Barmherzigkeit Gottes die Schlaffheit bekräftigt, giebt es vielmehr nichts, was sie mehr bekämpft; und statt zu sagen: wenn Gott keine Barmherzigkeit hätte, müßte man alle möglichen Anstrengungen machen seine Gebote zu halten; muß man vielmehr sagen: gerade weil Gott barmherzig ist muß man sein Möglichstes thun sie zu erfüllen.

43.

Alles in der Welt ist Begierde des Fleisches, Begierde der Augen, oder Stolz des Lebens: (1. Joh. 2, 16.) libido sentiendi, libido sciendi, libido dominandi. Unglücklich die Erde des Fluches, welche diese drei Feuerströme mehr in Brand setzen als bewässern! Glücklich diejenigen, welche auf diesen Flüssen nicht untergehen, nicht fortgerissen werden, sondern unbeweglich fest bleiben; nicht aufrecht stehen, sondern sitzen auf einer niedrigen und sicheren Schale, von der sie sich nie vor Tage erheben, sondern nachdem sie sich dort in Frieden niedergelassen, die Hand ausstrecken nach dem, der sie aufrichten muß, um sie aufrecht und fest zu halten in den Hallen des heiligen Jerusalem, wo sie die Angriffe des Stolzes nicht mehr zu fürchten haben; und welche jetzt klagen, nicht weil sie alle vergänglichen Dinge dahinschwinden sehen, sondern in der Erinnerung an ihr theures Vaterland, das himmlische Jerusalem, nach welchem sie in ihrer langen Verbannung unaufhörlich seufzen.

44.

Ein Wunder, sagt man, würde meinen Glauben befestigen. So spricht man, wenn man keins sieht. Die Gründe, welche von weitem gesehen unsern Blick zu begrenzen scheinen, begrenzen ihn nicht mehr, wenn man sie erreicht hat. Man fängt an über sie hinweg zu sehen. Nichts hemmt die Beweglichkeit unseres Geistes.

Keine Regel, sagt man, ohne Ausnahme; keine noch so allgemeine Wahrheit, bei der es nicht irgendwo hapert. Ist sie nur nicht absolut universal, so genügt das für den Vorwand, gerade vorliegenden Fall zur Ausnahme zu machen und zu sagen: Das ist nicht immer wahr; es giebt also Fälle, wo dies nicht zutrifft. Nun bleibt nur übrig zu zeigen, daß gerade dieser zu ihnen gehört; und man muß sehr ungeschickt sein, wenn man ihn nicht sehr bald unter ihnen findet.

45.

Die Liebe ist kein bildliches Gebot. Behaupten, daß Jesus Christus, der gekommen ist an Stelle der Bilder die Wahrheit zu setzen, gekommen sei nur das Bild der Liebe zu bringen, ihr aber die Wirklichkeit, die sie früher hatte, zu nehmen: das ist schrecklich.

46.

Wieviel neue Existenzen haben uns die Vergrößerungsgläser entdeckt, die für unsere Philosophen von früher nicht da waren? Man griff keck die heilige Schrift an wegen der großen Zahl der Sterne, die man an so vielen Stellen erwähnt findet. Es giebt ihrer nur tausendzweiundzwanzig, sagte man: wir wissen es.

47.

Der Mensch ist so beschaffen, daß, wenn man ihm im Ernst sagt, er sei ein Narr, er es glaubt; und wenn man sich's im Ernst selbst sagt, man es sich glauben macht. Denn der Mensch hält mit sich allein ein innerliches Gespräch, dessen gute Lenkung wichtig ist: Corrumpunt bonos mores colloquia mala. (1. Cor. 15, 33.) Man muß sich so viel als möglich in Schweigen verhalten, und sich nur von Gott unterhalten; und so überzeugt man sich selbst davon.

48.

Welcher Unterschied zwischen einem Soldaten und einem Mönche in Hinsicht ihres Gehorsams? Denn beide sind gleicherweise gehorsam und abhängig, und in ihren Übungen gleicherweise streng. Aber der Soldat hofft täglich Herr zu werden und wird es nie – denn die Hauptleute und selbst die Fürsten sind stets Sclaven und Abhängige –; aber er hofft doch stets aus Unabhängigkeit und arbeitet stets daran, sie zu erreichen; dagegen legt der Mönch das Gelübde ab, niemals unabhängig sein zu wollen. In dem beständigen Dienste, den beide immer haben, unterscheiden sie sich nicht, aber in der Hoffnung: der eine hat sie immer, der andere nie.

49.

Der eigne Wille würde nie befriedigt werden, wenn auch all' seine Wünsche erfüllt würden; aber man ist befriedigt von dem Augenblicke an, in dem man daraus verzichtet. Mit ihm kann man nur unzufrieden sein; ohne ihn kann man nur zufrieden sein.

Die wahre und einzige Tugend ist sich zu hassen, denn man ist hassenswerth wegen seiner bösen Lust; und ein wahrhaft liebewerthes Wesen zu suchen, um es zu lieben. Da wir aber nicht lieben können, was außer uns ist, so müssen wir ein Wesen lieben, was in uns und doch nicht wir selbst ist. Nun aber ist nur das höchste Wesen so beschaffen. Das Reich Gottes ist in uns; das höchste Gut ist in uns, und ist nicht wir selbst.

Es ist unrecht, daß man sich an uns anschließt, wenn man es auch gern und mit Freuden thut. Diejenigen, denen wir den Wunsch nach uns erwecken, werden wir täuschen, denn wir sind niemandes Zweck, und haben nichts, sie zu befriedigen. Sind wir nicht bereit zu sterben?

Und so würde ja der Gegenstand ihrer Neigung sterben. Wie wir strafbar sein würden, etwas Falsches glauben zu machen, selbst wenn es uns leicht wäre davon zu überzeugen, selbst wenn man es mit Freuden glaubte, und uns damit Freude machte: ebenso sind wir strafbar, wenn wir uns liebenswerth machen und wenn wir Menschen bewegen, sich an uns anzuschließen. Wir müssen denjenigen, welche bereit sind der Lüge beizustimmen, sagen, daß sie sie nicht glauben dürfen, was es uns auch immer für Vortheil bringen möchte. Ebenso müssen wir ihnen sagen, daß sie sich nicht an uns anschließen dürfen; denn sie müssen leben, um Gott zu gefallen, oder um ihn zu suchen.

50.

Man ist abergläubisch, wenn man seine Hoffnung nur auf Formeln und Ceremonien setzt; aber man ist hochmüthig, wenn man sich ihnen nicht unterwerfen will.

51.

Alle Religionen und alle Secten der Welt haben die natürliche Vernunft als Führerin gehabt. Die Christen allein sind gezwungen gewesen, ihre Regeln nicht aus sich selbst zu entnehmen, und sich an denen zu unterrichten, welche Jesus Christus den Alten hinterlassen hat, um sie uns zu übermitteln. Es giebt Menschen, welche dieser Zwang belästigt. Sie verlangen, wie andere Völker, die Freiheit ihren eigenen Vorstellungen folgen zu können. Vergeblich rufen wir ihnen zu, wie einst die Propheten den Juden: »Geht doch mitten in die Kirche; lernt ihre Gesetze kennen, die ihr von Alters überkommen sind und folgt ihren Pfaden«. Sie antworten wie die Juden: »Wir wollen nicht auf ihnen wandeln; wir wollen folgen den Gedanken unseres Herzens und sein wie andere Völker«.

52.

Es giebt drei Mittel zu glauben: Vernunft, Gewohnheit und Inspiration. Die christliche Religion, welche allein die Vernunft besitzt, hält diejenigen nicht für ihre wahren Kinder, welche ohne Inspiration glauben: nicht etwa weil sie die Vernunft und die Gewohnheit ausschließt; im Gegentheil, man muß seinen Geist den Zeugnissen öffnen mittelst der Vernunft, und sich darinnen befestigen mittelst der Gewohnheit; aber sie will, daß man sich mittelst der Demuth den göttlichen Eingebungen eröffne, welche allein im Stand sind das wahrhafte Heil zu bewirken: Ut non evacuetur crux Christi. (1. Cor. 1, 17.)

53.

Nie thut man das Böse völliger und freudiger, als in Folge unrichtiger Gewissensüberzeugungen.

54.

Die Juden, welche berufen waren Nationen und Könige zu beherrschen, waren Sclaven der Sünde; und die Christen, deren Beruf war zu dienen und abhängig zu sein, sind die freien Kinder.

55.

Ist es muthig, einem Sterbenden in der Schwäche des letzten Kampfes einen allmächtigen und ewigen Gott zu zeigen?

56.

Ich glaube gern die Begebenheiten, deren Zeugen sich erwürgen lassen. Die Schwierigkeit ist nicht nur zu wissen, ob man Zeugen glauben kann, welche sterben, um ihre Aussage aufrecht zu erhalten, wie es so viel Fanatiker gethan; sondern auch ob diese Zeugen wirklich dafür gestorben sind, ob man ihre Aussagen aufbehalten, ob sie die Länder bewohnt, wo man sagt, daß sie gestorben; weshalb hat Josephus, geboren zur Zeit des Todes Christi, Josephus, der Feind des Herodes, Josephus, kein großer Freund des Judaismus, kein Wort von alle dem gesagt. Das hätte Pascal mit Erfolg auseinandergesetzt.

57.

Die gute Furcht kommt aus dem Glauben; die falsche Furcht kommt aus dem Zweifel. Die gute Furcht führt zur Hoffnung, weil sie aus Glauben geboren, und weil man auf den Gott hofft, welchen man glaubt; die schlechte führt zur Verzweiflung, weil man den Gott fürchtet, zu dem man keinen Glauben hat. Die einen fürchten ihn zu verlieren, die anderen ihn zu finden.

58.

Salomo und Hiob haben das Elend des Menschen am besten erkannt und am besten davon gesprochen; der eine der glücklichste, der andere der unglücklichste der Menschen; der eine kannte die Eitelkeit der Freuden aus Erfahrung, der andere die Wirklichkeit der Leiden.

59.

Die Heiden sprachen von der Bosheit Israels und der Prophet auch: und doch fehlt viel, daß die Israeliten Recht gehabt hätten, ihm zu sagen: »Du sprichst wie die Heiden«, weil über dem, was die Heiden wie er sprechen, er sich in seiner höchsten Kraft erhebt. (Ezechiel.)

60.

Gott will nicht, daß wir uns ihm im Glauben beugen ohne Vernunftüberlegung, noch uns durch herrischen Zwang unterjochen. Aber er beansprucht auch nicht, daß wir uns von allen Dingen Rechenschaft ablegen; und um diese Gegensätze zu versöhnen, will er uns in ihm so deutlich göttliche Zeichen erkennen lassen, daß sie uns von seinem Dasein überführen; will sich Ansehen verschaffen durch Wunder und Zeugnisse, die wir nicht zurückweisen können; will, daß wir in der Folge ohne Zaudern die Dinge glauben, die er uns lehrt, wenn wir zu ihrer Verwerfung an ihnen keinen anderen Grund finden, als daß wir aus uns selbst nicht erkennen können, ob sie sind oder nicht.

61.

Es giebt nur drei Arten von Menschen: die einen dienen Gott, da sie ihn gefunden haben; die andern suchen ihn, da sie ihn noch nicht gefunden haben; die dritten leben dahin, ohne ihn zu suchen und ohne ihn gesunden zu haben. Die ersten sind vernünftig und glücklich; die letzten sind Thoren und unglücklich; die mittleren sind unglücklich und vernünftig.

62.

Die Menschen nehmen oft ihre Einbildung für ihr Herz; und sie glauben bekehrt zu sein seit sie daran denken, sich zu bekehren.

Die Vernunft wirkt mit Langsamkeit und mit so viel verschiedenen Gesichtspunkten und Principien, die ihr stets gegenwärtig sein müssen, daß sie stündlich ermüdet und irrt, aus Unfähigkeit sie alle zugleich übersehen zu können. Mit dem Gefühl verhält es sich anders: es wirkt in einem Augenblicke, und ist stets bereit zu wirken. Man muß also, nachdem man die Wahrheit mit der Vernunft erkannt hat, sie zu fühlen und unsern Glauben in die Empfindung des Herzens zu setzen suchen; cf. Einleitung. sonst bleibt er stets unsicher und schwankend.

63.

Es gehört zum Wesen Gottes, daß seine Gerechtigkeit ebenso unendlich sei als seine Barmherzigkeit: und doch ist seine Gerechtigkeit und Strenge gegen die Verworfenen noch weniger erstaunlich als seine Barmherzigkeit gegen die Auserwählten.

64.

Der Mensch ist sichtlich geschaffen zu denken; das ist seine ganze Würde und sein ganzes Verdienst. Seine einzige Pflicht ist richtig zu denken; und den Anfang im Denken muß er machen bei sich, bei seinem Schöpfer, bei seinem Endzweck. Indeß an was denkt man in der Welt? Daran niemals; aber daran: sich zu zerstreuen, reich zu werden, Ansehn zu erlangen, sich zum König zu machen, ohne je darüber nachzudenken, was es heißt König sein und Mensch sein.

Das Denken des Menschen ist an sich etwas Bewunderungswürdiges. Es müßte sehr sonderbare Fehler haben, um verächtlich zu werden. Aber es hat ihrer der allerlächerlichsten Art. Wie groß ist es durch sich selbst! wie niedrig durch seine Fehler!

65.

Wenn ein Gott ist, so müssen wir nur ihn lieben, und nicht die Creaturen. Die Gottlosen sprechen im Buche der Weisheit nur deshalb so, weil sie sich einreden es sei kein Gott. Das angenommen, sagen sie, müssen wir uns doch der Creaturen freuen. Aber hätten sie gewußt, daß ein Gott sei, sie hätten grad' das Gegentheil geschlossen. Und das ist der Schluß der Weisen: Es ist ein Gott, also laßt uns nicht der Creaturen uns freuen. Denn alles was uns reizt der Creatur uns hinzugeben ist böse, da es uns entweder hindert, Gott zu dienen, wenn wir ihn kennen, oder ihn zu suchen, wenn wir ihn nicht kennen. Nun aber sind wir voll der bösen Lust. Also sind wir voll des Bösen. Also müssen wir uns selbst und alles das hassen, was uns an etwas anderes fesselt als an Gott allein.

66.

So oft wir unsere Gedanken auf Gott richten wollen, wie vielerlei empfinden wir da, was uns davon abhält und in die Versuchung führt, an anderes zu denken? Alles das ist böse und schon mit uns geboren.

67.

Es ist falsch, daß wir von anderen geliebt zu werden werth seien, daß andere uns lieben: es ist ungerecht, daß wir es wollen. Wenn wir vernünftig geboren würden und mit einiger Kenntnis unserer selbst und der andern, wir würden diese Neigung durchaus nicht haben. Wir werden indeß mit ihr geboren: wir werden also ungerecht geboren. Denn jeder strebt für sich. Das ist gegen alle Ordnung, Das ist aller Ordnung gemäß; es ist ebenso unmöglich, daß eine Gesellschaft sich bilden und bestehen könne ohne Eigenliebe, als es unmöglich wäre Kinder zu zeugen ohne Concupiscenz, an seine Nahrung zu denken ohne Hunger. Unsere Eigenliebe unterstützt die Liebe zu andern; durch unsere wechselweisen Bedürfnisse sind wir dem Menschengeschlecht nützlich: das ist die Grundlage alles Handels; das ist das ewige Band der Menschen; ohne dasselbe wäre keine Kunst erfunden, noch eine Gesellschaft von zehn Personen zu Stande gekommen. Diese Eigenliebe hat jedes Thier von Natur empfangen, die uns ermahnt, die anderer zu achten. Das Gesetz leitet diese Eigenliebe, die Religion vervollkommnet sie. Es ist wahr, Gott hatte Creaturen schaffen können, die einzig an das Glück des anderen dachten. In dem Falle wären die Kaufleute aus Liebe nach Indien gegangen, der Maurer hätte Steine behauen, um seinem Nächsten Freude zu machen, etc. Aber Gott hat die Dinge anders eingerichtet: klagen wir den Trieb, den er uns gegeben nicht an, und gebrauchen wir ihn wie er es befiehlt. man muß fürs allgemeine streben; und die Eigensucht ist der Anfang aller Unordnung, im Krieg, in der Verwaltung, im Haushalt etc.

Wenn die Glieder der natürlichen und bürgerlichen Gemeinen für das Wohl des Ganzen streben, so müssen die Gemeinen ihrerseits für ein allgemeineres Ganze streben.

Wer in sich jene Eigenliebe und jenen Instinkt, sich über alles zu erheben, nicht auf das heftigste haßt, der ist durchaus blind, weil nichts der Gerechtigkeit und Wahrheit mehr widerspricht. Denn es ist falsch, daß wir es verdienten; und es ist ungerecht und unmöglich zu erreichen, da alle ein und dasselbe wünschen. Es ist also eine offenbare Ungerechtigkeit, mit der wir geboren sind, von der wir uns nicht losmachen können, und von der wir uns losmachen müssen.

Und doch hat keine andere Religion als die christliche erkannt, weder daß dies eine Sünde, noch daß wir mit ihr geboren, noch daß wir verpflichtet, ihr zu widerstehen, noch auch daran gedacht, uns Heilmittel dagegen zu geben.

68.

Es besteht im Menschen ein innerer Krieg zwischen der Vernunft und den Leidenschaften. Er könnte einiges Friedens genießen, hatte er nur die Vernunft ohne die Leidenschaften, oder nur Leidenschaften ohne Vernunft. Da er aber beide hat, muß er stets Krieg führen, da er mit dieser nicht Frieden haben kann, ohne mit jenen im Streit zu liegen. So ist er stets gespalten und sein eigner Gegensatz.

Wenn es eine unnatürliche Verblendung ist, dahinzuleben ohne zu erforschen was man ist, so ist es eine noch viel schrecklichere, einen schlechten Lebenswandel führen und dabei an Gott glauben. Fast alle Menschen befinden sich in der einen oder andern Verblendung.

69.

Unzweifelhaft ist die Seele sterblich oder unsterblich. Das muß einen durchgreifenden Unterschied in die Moral bringen; gleichwohl haben die Philosophen die Moral unabhängig davon behandelt. Welch' sonderbare Verblendung!

Der letzte Act ist immer blutig, wie schön auch im Übrigen das Schauspiel sein mag. Schließlich wirft man Erde aufs Haupt und davon dann auf ewig.

70.

Als Gott Himmel und Erde, welche das Glück ihres Daseins nicht empfinden, vollendet hatte, wollte er Wesen schaffen, welche es erkennen und zusammen einen Leib denkender Glieder bilden sollten. Alle Menschen sind Glieder dieses Leibes; und um glücklich zu sein, müssen sie ihren Einzelwillen regeln nach dem Allgemeinwillen, welcher den Gesammtleib leitet. Indeß kommt es oft, daß man sich für ein Ganzes hält und daß man, einen Leib von dem man abhängt nicht zu erkennen vermögend, nur von sich abzuhängen glaubt und sich selbst zum Centrum und Leibe machen will. Aber in diesem Zustande ist man wie ein von einem Leibe losgetrenntes Glied, welches, selbst eines selbständigen Lebensprincipes ermangelnd, sich in der Unsicherheit seines Daseins nur verirren und verwirren kann. Fängt man schließlich an sich zu erkennen, so kehrt man gleichsam zu sich zurück; man fühlt, daß man kein Leib ist; man begreift, daß man nur ein Glied des Gesammtleibes ist; daß »Glied sein« bedeutet, Leben, Sein und Bewegung nur durch den Geist des Leibes und für den Leib zu haben; daß ein von dem Leibe, wozu es gehört, losgetrenntes Glied nur noch ein welkendes und absterbendes Dasein hat; daß man also sich selbst nur um dieses Leibes willen lieben darf, oder vielmehr, daß man nur ihn lieben darf, da man in ihm auch sich selbst liebt, zumal man ja Dasein nur hat in ihm, durch ihn und für ihn.

Um die Liebe, welche man sich selbst schuldet, zu leiten, muß man sich vorstellen ein Leib von denkenden Gliedern zu sein, denn wir sind durchweg Glieder, und erwägen wie jedes Glied sich lieben müßte.

Der Leib liebt die Hand; und die Hand, wenn sie einen Willen hätte, müßte sich ebenso lieben wie der Leib sie liebt. Jede Liebe, welche davon abweicht, ist ungerecht.

Wenn Füße und Hände einen Eigenwillen hätten, würden sie nicht anders in ihrer Ordnung sein, als wenn sie sich dem des Leibes unterwürfen; außerhalb dieses sind sie in Unordnung und Unglück; aber dadurch, daß sie nur das Wohl des Körpers wollen, machen sie ihr eignes Glück.

Die Glieder unseres Körpers fühlen nicht das Glück ihrer Vereinigung, ihrer wunderbaren Anlagen, der Vorsorge der Natur, ihnen Leben einzuflößen, sie wachsen und dauern zu lassen. Wenn sie, dieser Erkenntnis fähig, sich derselben bedienten, die empfangene Nahrung in sich selbst zurückzuhalten, ohne sie den anderen Gliedern zukommen zu lassen, so wären sie nicht nur ungerecht, sondern auch elend, und würden sich eher hassen als lieben: zumal ihre Glückseligkeit so gut wie ihre Pflicht darin besteht, der Führung der allgemeinen Seele, wozu sie gehören und welche sie mehr liebt, als sie sich selbst, zuzustimmen.

Qui adhaeret Domino, unus spiritus est. (l. Cor. 6, 17.) Man liebt sich, weil man ein Glied Jesu Christi ist. Man liebt Jesum Christum, weil er das Haupt des Leibes, dessen Glied man ist: alles ist eins, das eine ist im andern.

Die Begier und die Gewalt sind die Quellen aller unserer rein menschlichen Handlungen: die Begier erzeugt die freiwilligen, die Gewalt die unfreiwilligen.

71.

Die Platoniker und selbst Epictet und seine Schüler glauben, daß allein Gott werth ist, geliebt und bewundert zu werden; und gleichwohl haben sie von den Menschen geliebt und bewundert zu werden begehrt. Sie kennen ihre Verderbtheit nicht. Wenn sie sich getrieben fühlen, ihn zu lieben und anzubeten, und wenn sie darin ihre höchste Freude finden, gut! mögen sie sich dann immerhin für gut halten. Aber wenn ihr Gefühl dem widerstrebt; wenn sie keinen anderen Hang haben, als sich in der Achtung der Menschen zu befestigen, und wenn sie als ganze Vollkommenheit weiter nichts geben, als daß sie die Menschen, ohne sie zu zwingen, ihr Glück darin finden lassen, sie zu lieben, so nenne ich das eine schreckliche Vollkommenheit. Wie? sie haben Gott erkannt, und haben nicht einzig und allein begehrt, daß die Menschen ihn lieben; sie wollten, daß die Menschen sich an ihnen genügen ließen; sie wollten der Gegenstand des selbstgewählten Glückes der Menschen sein!

72.

Allerdings ist es mühevoll, sich in der Frömmigkeit zu üben. Aber diese Mühe kommt nicht von der in uns beginnenden Frömmigkeit, sondern von der Gottlosigkeit, die noch in uns hastet. Wenn unsere Sinne der Buße nicht widerstrebten, und unsere Verderbtheit sich der Heiligkeit Gottes nicht widersetzte, so wäre darin nichts mühevolles für uns. Wir leiden nur in dem Maße, in welchem das uns natürliche Laster der übernatürlichen Gnade widersteht. Unser Herz fühlt sich zerrissen zwischen diesen gegensätzlichen Gewalten. Aber es wäre unrecht diese Gewalt Gott schuld zu geben, der uns anzieht, statt sie der Welt zuzuschreiben, welche uns zurückhält. Es ist wie ein Kind, welches seine Mutter den Händen der Räuber entreißt, und welches in der Pein, die es leidet, die liebereiche und gerechte Gewalt derer, die für seine Freiheit sorgt, lieben muß, verabscheuen dagegen nur die feindliche und tyrannische Gewalt derer, die es ungerechter Weise zurückhalten. Der grausamste Krieg, den Gott den Menschen in diesem Leben zutheilen könnte, wäre, sie ohne diesen Krieg zu lassen, den er zu bringen gekommen ist. »Ich bin gekommen Krieg zu bringen,« sagt er; und um über diesen Krieg zu belehren, »ich bin gekommen Schwert und Feuer zu bringen«. (Matth. 10, 34. Luc. 12, 49.) Vor ihm lebte die Welt in einem falschen Frieden.

73.

Gott sieht nur auf das Innere: die Kirche richtet nur nach dem Äußeren. Gott verzeiht, sobald er Reue im Herzen erblickt; die Kirche wenn sie dieselben in Werken sieht. Gott wird eine innerlich reine Kirche bilden, welche durch ihre innere, durchaus geistliche Heiligkeit die äußere Gottlosigkeit der stolzen Weisen und Pharisäer beschämen wird: die Kirche wird eine Gemeinschaft von Menschen bilden, deren äußere Sitten so rein sind, daß sie die Sitten der Heiden beschämen. Wenn es so vollendete Heuchler giebt, daß sie in ihnen das Gift nicht erkennt, so duldet sie dieselben; denn so lange sie nicht von Gott, den sie nicht täuschen können, ausgenommen sind, sind es nur Menschen, welche sie täuschen. So wird sie durch ihren scheinbar heiligen Wandel nicht entehrt.

74.

Das Gesetz hat die Natur nicht zerstört, sondern unterrichtet; die Gnade hat das Gesetz nicht zerstört, sondern ausüben lassen.

Man macht sich selbst von der Wahrheit einen falschen Begriff. Denn die Wahrheit ohne die Liebe ist nicht Gott; sie ist sein Abbild und ein Idol, welches man ebensowenig lieben wie anbeten darf; noch weniger darf man ihr Gegentheil lieben und anbeten: die Lüge.

75.

Alle großen Zerstreuungen sind gefahrvoll für das christliche Leben; aber unter allen, die von der Welt erfunden sind, ist keine mehr zu fürchten als das Schauspiel. Es ist das eine so natürliche und so zarte Darstellung der Leidenschaften, daß sie dieselben erregt und in unserm Herzen entstehen läßt, zumal die der Liebe, und das vorzugsweise, wenn sie sehr rein und edel dargestellt wird. Denn je unschuldiger sie unschuldigen Seelen erscheint, um so befähigter sind sie, von ihr berührt zu werden. Ihre Macht schmeichelt unserer Eigenliebe und sie faßt sofort das Verlangen, dieselben Wirkungen zu verursachen, die man so wohl dargestellt sieht; zugleich stützt man seine Gewissensberuhigung auf die Edelkeit der vorgeführten Empfindungen und entfernt dadurch die Furcht aus reinen Seelen, die nun meinen, die Reinheit nicht zu verletzen, wenn sie mit einer Liebe lieben, die ihnen so weise erscheint. Und wenn man nun das Schauspiel verläßt, ist das Herz so erfüllt von all' den Schönheiten und Süßigkeiten der Liebe, sind Seele und Geist so überzeugt von ihrer Unschuld, daß man vollständig darauf vorbereitet ist, ihre ersten Eindrücke zu empfangen, oder vielmehr eine Gelegenheit zu suchen, sie in dem Herzen eines andern zu erzeugen, um dieselben Freuden und dieselben Opfer zu empfangen, die man in dem Schauspiel so wohl geschildert gesehn hat.

76.

Laxe Grundsätze gefallen den Menschen von Natur so sehr, daß es sonderbar ist, daß sie ihnen überhaupt mißfallen. Das ist der Grund, weshalb sie alle Grenzen überschritten haben. Noch mehr, es giebt viele Menschen, welche das Wahre sehn, es aber nicht erreichen können. Aber es giebt nur wenig, welche nicht wüßten, daß die Heiligkeit der Religion allzu lockeren Grundsätzen entgegen ist, und daß es lächerlich ist zu behaupten, leichtfertigen Sitten sei eine ewige Belohnung in Aussicht gestellt.

77.

Ich fürchte, schlecht geschrieben zu haben, da ich mich verurtheilt sehe; aber das Beispiel so vieler frommer Schriftsteller läßt mich das Gegentheil glauben. Es ist nicht mehr erlaubt, gut zu schreiben.

Die ganze Inquisition ist verderbt oder unwissend. Es ist besser Gott zu gehorchen, als den Menschen. Ich fürchte nichts; ich hoffe nichts: Port Royal fürchtet und es ist eine schlechte Politik sie zu trennen; denn wenn sie nicht mehr fürchten, werden sie sich umsomehr gefürchtet machen.

Schweigen ist die stärkste Verfolgung. Niemals haben die Heiligen geschwiegen. Allerdings bedarf es des Berufes; aber nicht aus Rathserholungen erfährt man ob man berufen ist; sondern aus dem nothwendigen Drange zu sprechen.

Wenn meine Briefe in Rom verurtheilt sind, so ist das was ich darin verurtheile im Himmel verurtheilt. Wahrlich! der Himmel, der aus Fixsternen und Planeten besteht, wovon unser Erdkörper ein unwahrnehmbarer Theil ist, hat sich nie in die Streitigkeiten Arnaulds mit der Sorbonne, und Jansenius' mit Molina hineingemischt.

Inquisition und Staat sind die beiden Schlagbäume der Wahrheit. Hier läßt sich der Mann der Partei ein wenig fortreißen. Wenn etwas Ludwig XIV. rechtfertigen kann, die Jansenisten verfolgt zu haben, so ist es gewißlich dieser Paragraph.

78.

Man hat mich gefragt, erstens, ob ich nicht bereue die Provinzialbriefe verfaßt zu haben. Ich antworte, weit entfernt es zu bereuen, würde ich sie, wenn ich sie jetzt unter der Feder hätte, noch weit schärfer gestalten.

Zweitens hat man mich gefragt, warum ich die Namen der Autoren genannt, denen ich all' jene verwerflichen, von mir citirten, Propositionen entnommen habe. Ich antworte: wenn ich in einer Stadt wäre, die zwölf Brunnen hätte, und ich wüßte bestimmt, daß einer davon vergiftet wäre, so wäre ich verpflichtet, alle Welt zu warnen, an diesem Brunnen zu schöpfen; und da man glauben könnte, daß es eine reine Einbildung meinerseits sei, so wäre ich verpflichtet, eher den Namen desjenigen zu nennen, der ihn vergiftet, als eine ganze Stadt der Vergiftungsgefahr auszusetzen.

Drittens hat man mich gefragt, weshalb ich in leichtem, witzigem und unterhaltendem Stil geschrieben. Ich antworte: hätte ich in (dogmatischem) lehrhaftem Stile geschrieben, so hätten nur die Gelehrten sie gelesen, und für die war es kein Bedürfnis, da sie über die Sache wenigstens ebenso viel wußten wie ich. Deshalb glaubte ich in einer Weise schreiben zu müssen, welche meine Briefe zu einer geeigneten Lectüre für Frauen und Weltmenschen machten, damit sie die Gefährlichkeit all' jener Maximen und all' jener Propositionen, die sich damals ausbreiteten und von denen man sich so leicht überzeugen ließ, erkennten.

Schließlich hat man mich gefragt, ob ich selbst alle die Bücher gelesen, welche ich citirt habe. Ich antworte: nein. Ich hätte dann sicher einen großen Theil meines Lebens dazu anwenden müssen, sehr schlechte Bücher zu lesen: aber ich habe zweimal den ganzen Escobar gelesen; was die anderen anbetrifft, so habe ich sie durch einige meiner Freunde lesen lassen; aber ich habe keine einzige Stelle davon gebraucht, ohne sie selbst in dem citirten Buche gelesen zu haben, und ohne die Materie, worüber sie vorgebracht ist, geprüft zu haben, und ohne das Vorhergehende und Nachfolgende gelesen zu haben, um nicht Gefahr zu laufen, eine Einwendung statt einer Antwort zu citiren; was verwerflich und ungerecht gewesen wäre.

79.

Die arithmetische Maschine bringt Wirkungen hervor, welche sich dem Gedanken mehr nähern, als alle Handlungen der Thiere; aber sie thut nichts, was die Behauptung rechtfertigte, sie habe einen Willen, wie die Thiere.

80.

Gewisse Schriftsteller sagen, wenn sie von ihren Werken sprechen: Mein Buch, mein Commentar, meine Geschichte. Sie fühlen ihre Angehörigen als Bürger, welche ihr eigenes Haus haben und stets ein »zu Hause« im Munde. Sie thäten besser zu sagen: Unser Buch, unser Commentar, unsere Geschichte etc., in Anbetracht, daß gewöhnlich das meiste Gute darin einem andern gehört und nicht ihnen.

81.

Die christliche Frömmigkeit hebt das menschliche Ich auf, die menschliche Bildung verbirgt und unterdrückt es.

82.

Wäre ich am Herzen ebenso arm, wie am Geiste, ich wäre sehr glücklich; denn ich bin wunderbar tief davon durchdrungen, daß die Armuth ein wirksames Mittel ist, das Heil zu erlangen.

83.

Eins habe ich bemerkt, daß, so arm man auch sein möge, man bei seinem Tode immer etwas hinterläßt.

84.

Ich liebe die Armuth, weil Jesus Christus sie geliebt hat. Ich liebe den Reichthum, weil er ermöglicht den Elenden beizustehn. Ich halte Treue aller Welt. Ich thue denen nichts Böses, die es mir thun; aber ich wünsche ihnen eine Lage gleich der meinen, wo man von den meisten Menschen weder Böses noch Gutes empfängt. Ich versuche stets wahrhaft, ohne Falsch und getreu gegen alle Menschen zu sein. Ich habe eine herzliche Zärtlichkeit gegen diejenigen, welche Gott mir näher verbunden hat. Sei es, daß ich allein oder unter Menschen bin, so habe ich bei all' meinen Handlungen Gott vor Augen als den, der sie richten muß und dem ich sie alle geweiht habe. Das sind meine Empfindungen; und ich segne alle Tage meines Lebens meinen Erlöser, der sie in mich gelegt und der aus einem Menschen voller Schwäche, Elend, Begier, Stolz und Ehrgeiz einen Menschen gemacht hat frei von all' diesen Übeln durch die Kraft der Gnade, der ich alles schulde, da ich von mir selbst nur Elend und Abscheulichkeit habe.

85.

Die Krankheit ist der natürliche Zustand der Christen, weil man dadurch in den Zustand kommt, in welchem man immer sein sollte und in welchem man Leiden erduldet, alle Vergnügen und Freuden der Sinne entbehrt, zugleich aber auch frei ist von allen Leidenschaften, welche unser ganzes Leben lang geschäftig sind, von Ehrgeiz, von Habsucht, in beständiger Erwartung des Todes. Müssen nicht so die Christen ihr Leben hinbringen? Und ist es nicht ein großes Glück, wenn man gezwungen in dem Zustande ist, in welchem man eigentlich sein sollte, und wenn man weiter nichts zu thun hat, als sich demüthig und friedlich zu unterwerfen? Deshalb wünsche ich nichts anderes, als Gott zu bitten, daß er mir diese Gnade erweise.

86.

Es ist sonderbar, daß die Menschen die Ursachen der Dinge haben begreifen und dahin gelangen wollen, alles zu erkennen. Denn ohne Zweifel kann man das nicht als Zweck aufstellen ohne Vorurtheil, oder ohne eine unendliche Fassungskraft, wie sie der Natur eignet.

87.

In der Natur ist Vollkommnes, zum Zeichen, daß sie ein Abbild Gottes; und Fehlerhaftes zum Zeichen, daß sie nur ein Abbild.

88.

Die Menschen sind so durchaus nothwendig Narren, daß es auf eine andere Art von Narrheit Starr sein hieße, kein Narr zu sein.

89.

Nehmt den Probabilismus hinweg, man kann der Welt nicht mehr gefallen; setzet den Probabilismus, man kann ihr nicht mehr mißfallen.

90.

Der Eifer der Heiligen, das Glück zu suchen und zu verwirklichen wäre unnütz, wenn die Weltklugheit sicher wäre.

91.

Um aus einem Menschen einen Heiligen zu machen, dazu braucht es der Gnade; und wer daran zweifelt weiß nicht, was ein Heiliger und was ein Mensch ist.

92.

Man wünscht Sicherheit. Man wünscht, daß der Papst in Glaubenssachen unfehlbar sei und die gelehrten Doctoren in ihren Sitten, damit man doch seine Versicherung hat.

93.

Man darf die Frage, was der Papst sei, nicht nach einigen Aussprüchen der Väter entscheiden, wie die Griechen dies auf einem Concil aussprachen (eine wichtige Regel!), sondern nach den Handlungen der Kirche und der Väter, und nach den Canones.

94.

Der Papst ist der Erste, Welcher andere ist von allen gekannt. Welcher andere ist von allen anerkannt, als der die Macht hat, durchaus den Leib zu beeinflussen, weil er den Hauptast hält, der alles beeinflußt.

95.

Es ist Häresie » omnes« immer mit »alle« zu erklären, und Häresie, es nicht zuweilen mit »alle« zu erklären, Bibite ex hoc omnes: die Huguenotten sind häretisch, wenn sie übersetzen »alle«. In quo omnes peccaverunt: Die Huguenotten sind häretisch, wenn sie die Kinder der Frommen ausnehmen. Man muß den Vätern folgen und der Tradition, um zu wissen wann?, da es Häresie ist beiderseits zu fürchten.

96.

Die geringste Bewegung ist wichtig für die ganze Natur; das ganze Meer wird durch einen Stein bewegt. Ebenso ist in der Gnade die geringste Handlung durch seine Folgen für alles wichtig. Also ist alles wichtig.

97.

Alle Menschen hassen sich von Natur. Man hat, so gut man konnte, die Begier benutzt, um sie dem öffentlichen Wohle dienstbar zu machen. Aber das ist nur eine Finte, und ein falsches Bild der Nächstenliebe; in Wirklichkeit ist es doch nur Haß. Die böse Grundlage des Menschen, figmentum malum, ist nur verdeckt; sie ist nicht aufgehoben.

98.

Wenn man sagen will, daß der Mensch zu gering ist, um Gemeinschaft mit Gott zu verdienen, so muß man sehr groß sein, darüber richten zu können.

99.

Es ist Gottes unwürdig, sich mit dem elenden Menschen zu verbinden; aber es ist Gottes nicht unwürdig, ihn seinem Elend zu entnehmen.

100.

Wer hat es je begriffen! Was für Thorheiten! ... Sünder gereinigt ohne Buße, Gerechte geheiligt ohne die Gnade Jesu Christi, Gott ohne Einfluß auf den Willen der Menschen, eine Prädestination ohne Geheimnis, ein Erlöser ohne Gewißheit.

101.

Einheit, Vielheit. Betrachtet man die Kirche als Einheit, so ist der Papst ihr Haupt wie jeder. Betrachtet man sie als Vielheit, so ist der Papst nur ein Theil von ihr. Die Vielheit, welche sich nicht zur Einheit erhöht, ist Verwirrung. Die Einheit, welche nicht Vielheit ist, ist Tyrannei.

102.

Gott thut keine Wunder in dem natürlichen Gange seiner Kirche. Es wäre aber ein seltsames, wenn die Unfehlbarkeit in einem einzelnen wäre; daß sie aber in der Vielheit ist, das erscheint ebenso natürlich, als daß das Walten Gottes verborgen ist in der Natur, wie in allen seinen Werken.

103.

Daß die christliche Religion nicht die einzige ist, ist kein Grund dafür zu glauben, daß sie nicht die wahre. Im Gegentheil, gerade daraus kann man erkennen, daß sie es ist.

104.

In einem republikanischen Staate wie Venedig wäre es ein großes Verbrechen, einen König einsetzen zu wollen und die Freiheit der Völker zu unterdrücken, denen Gott sie gegeben. Aber in einem monarchischen Staate könnte man die Ehrfurcht, die man ihm schuldet, nicht verletzen, ohne eine Art von Sacrilegium; denn da die Machtübung, welche Gott mit ihm verbunden hat, nicht nur ein Abbild ist, sondern eine Theilnahme an der Machtübung Gottes, so könnte man sich ihr nicht entgegenstellen, ohne offenbar der Ordnung Gottes zu widerstreiten. Mehr, da der Bürgerkrieg, der daraus hervorgeht, eins der größten Verbrechen gegen die Nächstenliebe ist, so kann man die Größe dieses Fehlers nicht genug betonen. Die ersten Christen haben uns nicht Empörung gelehrt, sondern Geduld, wenn die Fürsten ihre Pflichten schlecht erfüllten.

M. Pascal fügte hinzu: Ich bin von dieser Sünde ebenso weit entfernt, als von der, jemanden zu ermorden oder auf den Heerstraßen zu rauben: nichts ist mehr gegen meine Natur, und nichts bringt mich weniger in Versuchung.

105.

Die Beredsamkeit ist eine Kunst die Dinge so zu sagen, daß 1) die Zuhörer sie ohne Mühe und mit Vergnügen verstehen können; 2) daß sie sich derart davon angezogen fühlen, daß ihre Eigenliebe sie um so freiwilliger zu näherem Nachdenken veranlaßt. Sie besteht also in einer Wechselwirkung, welche man zwischen Geist und Herzen der Zuhörer einerseits und den Gedanken und Worten, deren man sich bedient, andererseits herstellen will; das setzt voraus, daß man das menschliche Herz genugsam studirt, um all' seine Instanzen zu kennen, und um in Folge davon die richtigen Maße der Rede zu finden, welche man ihnen mittheilen will. Man muß sich an den Platz derjenigen versetzen, welche uns verstehen sollen und an seinem eignen Herzen die Probe machen, welche Theilnahme man an seiner Rede nimmt, um zu sehen, ob das eine zum andern paßt, und ob man versichert sein kann, daß der Zuhörer gleichsam gezwungen wird sich hinzugeben. Man muß sich, so viel wie möglich, in einfache Natürlichkeit kleiden; nicht Kleines groß machen, noch Großes klein. Es genügt nicht, daß eine Sache schön ist, sie muß zum Zwecke passen, darf nicht zu viel und nicht zu wenig haben.

Die Beredtsamkeit ist Gedankenmalerei; und so machen die, welche, nachdem sie gemalt haben, noch hinzufügen ein Gemälde statt eines Portraits.

106.

Die heilige Schrift ist keine Wissenschaft des Geistes, sondern des Herzens. Sie ist nur denen verständlich, welche das rechte Herz haben. Der Schleier, welcher die Schrift bedeckt für die Juden, bedeckt sie auch für die Christen. Die Liebe ist nicht nur Gegenstand der heiligen Schrift, sondern auch die Pforte zu ihr.

107.

Dürfte man nur für das Gewisse etwas thun, Ihr habt euren Geist erschöpft um ein Argument, uns die Sicherheit eurer Religion zu beweisen, und jetzt versichert ihr uns, daß sie nicht gewiß ist; und nachdem ihr euch so sonderbar widersprochen, fangt ihr wieder von vorne an; ihr behauptet, man kann nicht sagen: »es sei möglich, daß die christliche Religion falsch sei«. Gleichwohl sagt ihr selbst uns, daß es unmöglich ist, daß sie falsch sei, denn ihr habt erklärt sie sei ungewiß. so dürfte man nichts thun für die Religion, denn sie ist nicht gewiß. Aber wie viel thut man für Ungewisses, Reisen zur See, Schlachten! Ich behaupte aber, daß man überhaupt nichts thun dürfte; denn nichts ist gewiß; und es ist mehr Gewißheit in der Religion als in der Hoffnung, daß wir den morgigen Tag erleben. Denn es ist nicht gewiß, daß wir ihn erleben. Aber es ist gewiß möglich, daß wir ihn nicht erleben. Man kann nicht dasselbe von der Religion sagen. Es ist nicht gewiß, daß sie ist; aber wer wird behaupten wollen, es sei gewiß möglich, daß sie nicht sei? Wenn man also für morgen und das Ungewisse arbeitet, so thut man vernünftig.

108.

Die Erfindungen der Menschen schreiten von Jahrhundert zu Jahrhundert fort. Die Tugend und Bosheit der Welt bleibt im allgemeinen dieselbe. Ich möchte, daß man untersucht, welches Jahrhundert an Verbrechen am fruchtbarsten gewesen, und folglich an Unglück. Der Autor der öffentlichen Wohlfahrt hat diesen Gegenstand im Auge gehabt und hat sehr wahre und nützliche Sachen gesagt.

109.

Man muß einen Hintergedanken haben und von da aus alles beurtheilen. In der Rede indessen wie das Volk. Der Autor des Eloge ist sehr discret und zurückhaltend, Schweigen über diese Hintergedanken zu bewahren. Hätten Pascal und Arnauld es bewahrt, wenn sie diese Maxime in den Papieren eines Jesuiten gefunden hätten.

110.

Die Gewalt ist die Königin der Welt, nicht die Meinung; aber die Meinung ist diejenige, welche der Gewalt braucht.

111.

Der Zufall giebt die Gedanken; der Zufall nimmt sie fort; keine Kunst sie zu erhalten, noch sie zu erlangen.

112.

Ihr wollt, daß die Kirche urtheile weder über das Innere, denn das ist Gottes, noch über das Äußere, denn Gott sieht nur aufs Innere; und da ihr ihr also die Auswahl der Menschen raubt, behaltet ihr in der Kirche die Zuchtlosesten und diejenigen, welche sie dermaßen entehren, daß die Synagogen der Juden und die Schulen der Philosophen sie als Unwürdige würden ausgestoßen und verabscheut haben.

113.

Jetzt wird Priester wer es sein will, wie in Jerobeam.

114.

Die Vielheit, welche sich nicht zur Einheit erhöht, ist Verwirrung; die Einheit, welche nicht von der Vielheit abhängt, ist Tyrannei.

115.

Man fragt nur das Ohr um Rath, weil das Herz fehlt.

116.

In jedem Gespräch und jeder Rede muß man denen, die sich daran stoßen, sagen können: Worüber beklagt ihr euch?

117.

Kinder, welche sich über das Gesicht, welches sie eingeseift haben, erschrecken, sind eben Kinder; aber das Mittel sehr schwach bei Kindern sei sehr stark bei Älteren: man wechselt nur die Schwachheit.

118.

Unbegreiflich daß Gott sei, und unbegreiflich daß er nicht sei; daß die Seele mit dem Körper sei, daß wir keine Seele haben; daß die Welt geschaffen sei, daß sie es nicht sei etc.; daß die Erbsünde sei, daß sie nicht sei.

119.

Die Atheisten müssen vollkommen deutliche Dinge sagen; nun aber ist es durchaus nicht vollkommen deutlich, daß die Seele materiell sei.

120.

Ungläubige, die Gläubigsten. Sie glauben die Wunder Vespasians, um nicht die des Moses zu glauben.

Über die Philosophie des Cartesius.

Man muß im allgemeinen sagen: Das geschieht durch Gestaltung und Bewegung, denn das ist wahr. Aber sagen welche Gestaltung und Bewegung, und die Maschine zusammensetzen, das ist lächerlich; denn es ist unnütz, ungewiß und mühsam. Und wenn dies wahr wäre, so halten wir die ganze Philosophie nicht eine einzige Stunde Arbeit werth.


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