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Elfter Artikel.
Über Epictet und Montaigne.

1.

Epictet ist einer derjenigen Philosophen in der Welt, welche die Pflichten des Menschen auf das Trefflichste erkannt haben. Vor allen Dingen verlangt er von ihm, daß er Gott als sein Hauptziel betrachte; daß er sich überzeugt halte, er regiere alles mit Gerechtigkeit; daß er sich ihm willigen Herzens unterwerfe und ihm in allem gern folge, zumal er alles mit größter Weisheit verrichtet; daß also diese Gemüthsverfassung alle Klagen und alle Beschwerden beendigen und seinen Geist befähigen wird, geduldig zu ertragen die trübseligsten Ereignisse. »Saget niemals, sagt er, ich habe das verloren; saget vielmehr, ich habe es zurückgegeben: mein Sohn ist gestorben, ich habe ihn zurückgegeben: mein Weib ist todt, ich habe sie zurückgegeben. Ebenso bei Gütern und allem andern. Aber der es mir raubt ist ein Bösewicht, werdet ihr sagen: weshalb beunruhigt ihr euch, da der, welcher es euch geliehen hat, es bald auch von ihm zurückfordern wird? Solange er euch den Gebrauch davon gestattet, tragt Sorge dafür wie ein Reisender es thut in einem Gasthause. Ihr dürft nicht, sagt er ferner, verlangen, daß die Dinge sich gestalten, wie ihr es wollt; sondern ihr müßt wollen, daß sie sich gestalten wie sie es thun. Erinnert euch, fügt er hinzu, daß ihr hier einem Schauspieler gleicht, und daß ihr in dem Schauspiel diejenige Rolle spielt, welche dem Herrn gefällt, euch zu geben. Giebt er euch eine kurze, spielt sie kurz; giebt er euch eine lange, spielt sie lang: seid auf der Bühne, solange es ihm gefällt; erscheint dort reich oder arm, jenachdem er es bestimmt hat. Euch liegt es ob, die Rolle, welche euch gegeben ist, gut zu spielen; sie auszuwählen aber steht einem andern zu. Habt täglich den Tod und die scheinbar unerträglichsten Übel vor Augen, und ihr werdet niemals etwas niedriges denken und nicht mit Ausschweifung begehren.«

Er zeigt auf tausendfache Art und Weise was der Mensch thun muß. Er will, daß er demüthig sei, Wenn Epictet gewollt, daß der Mensch demüthig sei, so dürft ihr doch nicht sagen, daß die Demuth nur bei euch geboten gewesen. daß er seine guten Vorsätze verberge, zumal in ihren Anfängen, und daß er sie im Geheimen vollende: nichts zerstört sie mehr als wenn man sie sehen läßt. Er wird nicht müde zu wiederholen, daß alles Studium und alles Wünschen des Menschen darauf gerichtet sein muß, den Willen Gottes zu erkennen und ihn zu thun.

So waren die Erkenntnisse jenes großen Geistes, der so trefflich die Pflichten des Menschen erkannt hat: glücklich wenn er auch seine Schwäche erkannt hätte! Aber nachdem er so vollkommen begriffen, was man zu thun verpflichtet, verliert er sich in Anmaßungen dessen, was man kann. »Gott, sagt er, hat jedem Menschen die Mittel gegeben, all' seinen Verpflichtungen nachzukommen; diese Mittel stehen immer in seiner Macht; er braucht die Glückseligkeit nur in den Dingen zu suchen, die stets in unserer Macht sind, denn zu dem Zweck hat Gott sie uns gegeben: man muß dasjenige in sich suchen, was unabhängig ist. Reichthum, Leben, Ehre stehen nicht in unserer Macht und führen nicht zu Gott; aber der Geist kann nicht gezwungen werden zu glauben, was er als falsch erkennt, noch auch der Wille, zu lieben, wovon er weiß, es macht ihn unglücklich: diese beiden Kräfte sind also doch vollkommen unabhängig und durch sie allein können wir uns vollkommen machen, Gott vollkommen erkennen, ihn lieben, ihm gehorchen, ihm gefallen, alle Laster überwinden, alle Tugenden uns aneignen und so uns heilig und Genossen Gottes machen.« Diese hochmüthigen Grundsätze führen Epictet zu anderen Irrthümern, wie zu dem, die Seele sei ein Theil der göttlichen Substanz; Schmerz und Tod seien kein Übel; man könne sich selbst tödten, wenn man so verfolgt werde, daß man glauben könne, Gott rufe uns etc.

2.

Montaigne, in einem christlichen Staate geboren, bekennt sich zur katholischen Religion und in dem Punkte hat er nichts Besonderes an sich; da er indeß eine Moral, gegründet auf die Vernunft, ohne die Erleuchtung des Glaubens hat suchen wollen, so stellt er seine Principien nach dieser Voraussetzung auf, und betrachtet den Menschen als entblößt von aller Offenbarung. Er zieht daher alle Dinge in so universalen und allgemeinen Zweifel, daß seine Ungewißheit, da der Mensch sogar zweifelt, ob er zweifelt, über sich selbst hinwegrollt in beständigem, ruhelosen Kreislauf; denn er widerspricht in gleicher Weise denen, die behaupten alles sei ungewiß, wie denen, die behaupten nichts sei es, weil er gar nichts behaupten will. Eben in diesem Zweifel, der an sich selbst zweifelt, und in dieser Unkenntnis, die sich selbst nicht kennt, besteht das Wesen seiner Anschauung. Er kann sie mit gar keinem positiven Ausdrucke deutlich machen; denn wenn er sagt, er zweifle, so verläugnet er sich, da er ja dann wenigstens versichert, daß er zweifelt; da das aber schnurstracks seiner Absicht zuwiderläuft, so bleibt ihm nichts übrig, als sich fragweise zu erklären; da er also nicht sagen will, ich weiß nicht, so sagt er, was weiß ich? Das hat er zu seiner Devise gemacht und unter die Schalen einer Wage gesetzt, welche die Widersprüche wägend sich in vollkommenem Gleichgewicht befinden. All' seine Reden, all' seine »Essais« beruhen auf diesem Princip; und das ist das einzige, was er gut darzustellen behauptet. Er vernichtet mit einer Sicherheit, welcher allein er feind ist, unmerklich alles, was unter den Menschen als das sicherste gilt, nicht etwa um das Gegentheil hinzustellen, sondern einzig, um zu zeigen, daß man, da der Anschein der Wahrheit auf beiden Seiten gleich groß ist, nicht wisse, was man glauben solle.

In diesem Sinne verspottet er alle Gewißheit; er bekämpft z. B. die, welche in der Menge und angeblichen Richtigkeit der Gesetze ein wirksames Mittel gegen die Processe darzubieten dachten: als ob man den Zweifeln, woraus die Processe entstehen, die Wurzeln abschneiden könnte! als ob es Dämme gäbe, welche den Sturzbach der Unsicherheit hemmen, die Muthmaßungen bezwingen könnten! Er sagt bei dieser Gelegenheit »er wolle ebenso gern seinen Fall dem ersten Vorbeigehenden vorlegen, als Richtern mit jener Anzahl von Verordnungen ausgerüstet«. Er strebt keineswegs darnach die Ordnung des Staates zu verändern; er behauptet nicht, daß sein Gutachten besser sei, er hält überhaupt keins für gut. Er will einzig die Nichtigkeit der giltigsten Meinungen beweisen: indem er nachweist, daß der Ausschluß aller Gesetze die Zahl der Streitigkeiten viel eher vermindern würde, als jene Masse von Gesetzen, die nur dazu dient, sie zu vermehren, da die Schwierigkeiten in demselben Maße wachsen, als man sie betont, die Unklarheiten sich vervielfältigen, als man sie erklärt; und daß das sicherste Mittel, den Sinn einer Rede zu verstehen, sei, sie nicht zu prüfen, sondern sie in der sich zuerst darbietenden Auffassung zu nehmen; denn fängt man nur an zu erwägen, so verflüchtigt sich ihre ganze Klarheit. Nach diesem Muster urtheilt er aufs Gerathewohl über alle Handlungen der Menschen und über historische Dinge, bald auf diese Art, bald auf eine andere, denn er folgt in freier Weise seiner ersten Auffassung und zwingt seine Gedanken nicht unter die Gesetze der Vernunft, die nach ihm nur falsche Maßstäbe darbietet. Entzückt, durch sein Beispiel die Widersprüche des nämlichen Geistes in diesem durchaus freien Kopfe zu beweisen, ist es ihm gleichmäßig recht, ob er sich bei Wortgefechten erzürnt oder nicht, da er stets in diesem oder jenem Beispiel ein Mittel hat, die Schwäche der Ansichten darzuthun: mit soviel Vortheil läßt er sich von diesem universalen Zweifel tragen, daß er sich ebenso sehr durch seinen Triumph als durch seine Niederlage darin verstärkt.

In dieser durchaus schwebenden und schwankenden Stimmung bekämpft er mit unüberwindlicher Festigkeit die Haeretiker seiner Zeit in dem Punkte, daß sie versichern, sie allein kennten den wahren Sinn der Schrift; und ebenfalls von da aus donnert er die schreckliche Gottlosigkeit derjenigen nieder, die zu behaupten wagen, Gott existire nicht. Er greift sie besonders an in der Apologie des Raimundus de Sabunde; und da er findet, daß sie freiwillig auf jede Offenbarung verzichtet haben und allen Glauben bei Seite gesetzt allein auf ihr natürliches Erkenntnisvermögen sich verlassen, so fragt er sie, zufolge welcher Autorität sie es unternähmen über jenes höchste Wesen zu urtheilen, welches nach seiner eigenen Definition unendlich sei: sie die in Wahrheit nicht die geringsten Gegenstände der Natur erkennen könnten! Er fragt sie, auf welche Principien sie sich stützen, und drängt sie, ihm dieselben zu zeigen. Er prüft alle, die sie ihm vorführen können, und vermöge seines ausgezeichneten Talentes schreitet er soweit vor, daß er die Nichtigkeit aller derer beweist, welche für die einleuchtendsten und festesten gelten. Er fragt, ob die Seele irgend etwas erkenne; ob sie sich selbst erkenne; ob sie Substanz oder Accidens, Körper oder Geist sei; was jedes von diesen Dingen sei und ob es nicht etwas gäbe, was nicht in diese Klassen gehöre; ob sie ihren eigenen Leib erkenne; ob sie wisse, was Materie sei; wie sie vernünftig denken könne, wenn sie Materie sei; und wie sie mit einem besonderen Körper vereinigt werden und dessen Leidenschaften mit empfinden könne, wenn sie geistig sei? Wann hat sie angefangen zu sein? mit oder vor dem Körper? endigt sie mit ihm oder nicht? täuscht sie sich niemals? weiß sie, wenn sie irrt? da doch das Wesen des Irrthums darin besteht ihn zu verkennen. Er fragt ferner, ob die Thiere Vernunft haben, denken, sprechen: wer kann bestimmen was »Zeit, Raum, Ausdehnung, Bewegung, Einheit« ist, lauter Dinge, die uns umgeben und durchaus unerklärlich; was »Gesundheit, Krankheit, Tod, Leben, Gut, Übel, Gerechtigkeit, Sünde« sei, wovon wir stündlich reden; ob wir in uns Principien des Wahren haben, und ob die, welche wir zu haben glauben, und die man »Axiome« oder »allen Menschen gemeinsame Begriffe« nennt, übereinstimmen mit der wesenhaften Wahrheit. Da wir einzig und allein durch den Glauben wissen, daß ein allgütiges Wesen uns deren wahrhafte gegeben hat, da es uns schuf, um die Wahrheit zu erkennen: wer kann ohne dieses Licht des Glaubens wissen, ob, wenn wir zufällig entstanden sind, unsere Begriffe nicht unsicher sind, oder ob, wenn wir von einem falschen und boshaften Wesen geschaffen sind, es uns dieselben nicht als falsche gegeben hat, um uns zu verführen? Von da aus beweist er, daß Gott und die Wahrheit untrennlich sind, und daß wenn der eine ist oder nicht ist, wenn er gewiß oder ungewiß ist, die andere es nothwendig auch ist. Wer weiß, ob der gesunde Menschenverstand, den wir gewöhnlich für den Richter der Wahrheit halten, von demjenigen, der ihn geschaffen hat, zu diesem Amte bestimmt ist? wer weiß, was Wahrheit ist? und wie kann man versichern, sie zu haben, ohne sie zu erkennen? wer weiß sogar was ein Sein ist, zumal es unmöglich ist es zu definiren, da es nichts allgemeineres giebt, und man, um es zu erklären, sich des Seins selbst bedienen müßte, indem man sagt, es ist das und das? Da wir also nicht wissen, was »Seele, Leib, Zeit, Raum, Bewegung, Wahrheit, Gut« noch selbst was »Sein« ist, noch auch unsere Vorstellung davon erklären können; wie können wir uns versichert halten, daß diese Vorstellung in allen Menschen dieselbe sei? Wir haben dafür kein anderes Merkmal als die Gleichförmigkeit der Folgerungen, die aber nicht stets ein Zeichen für die der Principien ist; denn diese können sehr verschieden sein und doch zu denselben Schlüssen führen, da jeder weiß, daß das Wahre oft aus dem Falschen folgt.

Schließlich prüft Montaigne die Wissenschaften von Grund aus: die Geometrie, die er als unsicher darzustellen sucht in ihren Axiomen und in den Ausdrücken, die sie nicht definirt, wie »Ausdehnung, Bewegung« etc.; die Physik, die Medicin, die er auf tausenderlei Art herabsetzt; die Geschichte, die Moral, die Jurisprudenz etc. Ohne Offenbarung könnten wir also nach ihm glauben, daß das Leben ein Traum sei, von dem wir im Tode erwachen, und während dessen wir ebenso wenig richtige Erkenntnis des Wahren haben, als während des natürlichen Schlafes. Auf diese Weise setzt er der Vernunft, vom Glauben entblößt, so hart und unbarmherzig zu, daß, da es ihm zweifelhaft erscheint ob sie vernünftig, ob die Thiere es sind oder nicht, oder ob sie es mehr oder weniger sind als der Mensch, er sie von der Stufe der Vorzüglichkeit, auf welche sie sich selbst gestellt, herabzwingt und sie aus Gnaden den Thieren gleichstellt, ohne ihr zu gestatten diese Grenze eher zu verlassen als bis sie von ihrem Schöpfer selbst über ihren Rang, den sie nicht kennt, belehrt ist: indem er ihr zugleich droht, sie, wenn sie murre, unter alle zu stellen, was ihm eben so leicht scheint als das Gegentheil; und indem er ihr inzwischen nichts anderes zu thun erlaubt, als mit ernster Demuth ihre Schwäche zu erkennen, nicht aber sich in thörichter Eitelkeit zu überheben. Man kann es nicht ohne Freude sehen wie in diesem Autor die stolze Vernunft so unwiderstehlich durch ihre eigenen Waffen aufgerieben wird, und wie diese so blutige Empörung des Menschen wider den Menschen ihn von der Gemeinschaft mit Gott, zu der er sich durch die Grundsätze seiner schwachen Vernunft erhob, herabstürzt in die Gesellschaft der Thiere; und man würde von ganzem Herzen den Diener einer so erhabenen Vergeltung lieben, wenn er als demüthiger Schüler der Kirche im Glauben die Gesetze der Moral derart befolgt hätte, daß er die Menschen, welche er in so nützlicher Weise gedemüthigt, angetrieben nicht durch neue Vergehungen denjenigen zu erzürnen, der allein sie aus denen zu befreien vermag, die sie, wie er sie überführt hat, nicht einmal erkennen können. Aber er handelt im Gegentheil wie ein Heide: sehen wir seine Moral.

Von diesem Princip aus, daß außerhalb des Glaubens alles unsicher ist, und aus der Erwägung, daß man schon so lange das Wahre und das Gute suche ohne der ruhigen Befriedigung näher zu kommen, schließt er, daß man die Sorge darum andern überlassen müsse; selbst indessen sich ruhig verhalten, über jene Gegenstände leicht hinweggleiten, aus Furcht darein zu versinken, wenn man sich darauf stützt; das Wahre und das Gute nach dem ersten Anschein hinnehmen, ohne es zu pressen, da beides so wenig fest ist, daß wenn man nur die Hand ein wenig schließt, es zwischen den Fingern vergeht und die Hand leer läßt. Er folgt daher der Überzeugung der Sinne, den allgemeinen Begriffen, weil man sich Zwang anthun müßte, sie Lügen zu strafen, und da er nicht weiß, ob er dabei gewinnt, da er ja gar nicht weiß, wo das Wahre zu finden. Ebenso flieht er Schmerz und Tod, weil sein Instinkt ihn dazu treibt, und weil er ihm aus demselben Grunde nicht widerstehen will. Aber er traut jenen Bewegungen der Furcht nicht allzusehr, und würde nicht daraus zu schließen wagen, daß es in Wahrheit Übel seien: da man ja auch die Regungen des Vergnügens fühlt, das man als schlecht verklagt, obgleich die Natur, sagt er, das Gegentheil aussagt. »Also ist in meiner Lebensweise nichts extravagantes, fährt er fort; ich handle, wie die andern; und alles was sie in dem thörichten Gedanken thun, dem wahren Gut zu folgen, das thue ich aus einem andern Princip, denn da die Wahrscheinlichkeiten auf beiden Seiten dieselben sind, so sind die Gewichte, welche mich bewegen, das Beispiel und die Bequemlichkeit.« Er folgt den Sitten seines Landes, weil die Gewohnheit ihn fortzieht: er besteigt sein Pferd, weil das Pferd es leidet, jedoch ohne zu glauben, daß es recht sei: im Gegentheil, er weiß nicht, ob dies Thier nicht das Recht hat, sich seiner zu bedienen. Er thut sich sogar einigen Zwang an, um gewissen Lastern zu entgehen; er hält die Treue in der Ehe, wegen der Unbequemlichkeiten, die aus der Ausschweifung entstehen: das Gesetz seiner Handlungen ist durchweg die Bequemlichkeit und Ruhe. Er weist daher weit von sich jene stoische Tugend, die man malt mit strenger Miene, menschenscheuem Blicke, mit borstigen Haaren, die Stirne in Runzeln und in Schweiß, in ängstlicher und gezwungener Haltung, fern von Menschen, in tiefem Schweigen und allein auf einer Felsenspitze: ein Gespenst, sagt Montaigne, um Kinder zu erschrecken; eine Tugend, die nichts anderes thut, als mit ununterbrochener Arbeit eine Ruhe zu suchen die sie nicht erreicht; die seinige dagegen ist naiv, vertraulich, gefällig, aufgeräumt und so zu sagen leichtfertig: sie folgt dem, was sie entzückt, und scherzt tändelnd mit guten und schlechten Zufällen, aufs weichste gebettet im Busen ruhiger Muße, von wo aus sie den Menschen, welche das Glück unter so vielen Mühen suchen, beweist, daß sie allein da zu finden, wo sie ruhe, und daß Unkenntnis und Gleichgiltigkeit zwei angenehme Kopfkissen sind für einen gut angelegten Kopf, wie er selbst sagt.

3.

Wenn man Montaigne liest und ihn mit Epictet vergleicht, so kann man sich nicht verhehlen, daß sie sicherlich die beiden bedeutendsten Vertheidiger der beiden berühmtesten Secten der ungläubigen Welt waren, die unter den Secten irreligiöser Menschen zugleich die einzigen sind, welche in gewisser Weise in sich geschlossen und consequent sind. Was kann man in der That ohne Offenbarung anderes thun, als einem dieser beiden Systeme zu folgen? Das erste: Es giebt einen Gott, also hat er den Menschen geschaffen; er hat ihn gemacht für ihn selbst: er hat ihn so geschaffen, wie er sein muß, um gerecht zu sein und glücklich zu werden: also kann der Mensch die Wahrheit erkennen, und es liegt in seiner Macht sich durch die Weisheit zu Gott zu erheben, der sein höchstes Gut ist. Das zweite System: Der Mensch kann sich nicht zu Gott erheben; seine Neigungen widersprechen dem Gesetze; er hat den Trieb sein Glück in sichtbaren Gütern, selbst in dem was es Schändliches giebt zu suchen. Alles erscheint daher ungewiß, und das wahre Gut ist es auch: das scheint uns dahin zu bringen weder bestimmte Gesetze für die Sitten, noch Sicherheit in den Wissenschaften zu haben.

Es ist ein außerordentliches Vergnügen bei diesen verschiedenen Überlegungen, worin die einen und die anderen einige Wahrheit bemerkt haben, wahrzunehmen, daß sie versucht haben zu erkennen. Denn wenn es angenehm ist, den Drang der Natur zu beobachten, Gott zu schildern in all' ihren Werken, in denen man einige Merkmale von ihm erkennt, weil sie Abbilder von ihm sind, um wie viel mehr ist es gerecht in den Schöpfungen der Geister die Anstrengungen zu betrachten, welche sie machen, um zur Wahrheit durchzudringen, und zu sehen, worin sie dieselbe erreichen und worin sie von ihr abirren? Das ist der Hauptnutzen, den man aus seiner Lectüre ziehen muß.

Die Quelle der Irrthümer Epictets und der Stoiker einerseits, Montaignes und der Epicuräer andererseits ist scheinbar die, daß sie nicht gewußt haben, daß der gegenwärtige Zustand des Menschen verschieden ist von dem bei seiner Erschaffung. Die einen, einige Spuren seiner früheren Größe bemerkend und seine Verderbnis verkennend, haben die Natur als gesund und der Wiederherstellung nicht bedürftig behandelt; das führt sie auf den Gipfel des Stolzes. Die andern, sein gegenwärtiges Elend erkennend und seine frühere Würde verkennend, behandeln die Natur als nothwendig schwach und heilungsunfähig; das überliefert sie der Verzweiflung, ein wahres Gut zu erreichen, und dadurch der äußersten Schlaffheit. Diese beiden Zustände, welche man zusammen erkennen mußte, um die ganze Wahrheit zu haben, getrennt erkannt, führen nothwendig zu einem jener beiden Fehler: zum Stolz oder zur Trägheit, denen alle Menschen vor der Gnade unfehlbar verfallen sind; denn wenn sie aus ihren Verirrungen nicht loskommen durch die Schlaffheit, so thun sie es nur durch die Eitelkeit und sind stets Sclaven der Geister der Bosheit, denen man, wie Augustin bemerkt, auf mancherlei Weise opfert.

Aus diesen unvollkommenen Einsichten kommt es, daß die einen die Ohnmacht kennen, nicht aber die Pflicht; sie verzagen in Schlaffheit; die andern erkennen die Pflicht, ohne ihre Ohnmacht zu erkennen; sie überheben sich in ihrem Stolz. Man möchte vielleicht denken, wenn man beide vereinige, könnte man eine vollkommene Moral schaffen: aber statt dieses Friedens würde aus ihrer Verbindung nur ein allgemeiner Krieg und allgemeine Zerstörung hervorgehen; denn wenn die einen die Gewißheit behaupten, die andern den Zweifel, die einen die Größe des Menschen, die andern seine Schwäche, so würden sie sich nicht zu vereinigen noch zu versöhnen wissen; sie können weder allein bestehen, wegen ihrer Fehler, noch vereinigt, wegen der Gegensätzlichkeit ihrer Entgegnungen.

4.

Aber sie müssen sich zertrümmern und vernichten, um der Wahrheit der Offenbarung Platz zu machen. Sie ist es, welche die förmlichsten Gegensätze vermöge durchaus göttlicher Kunst in Einklang bringt. Alles Wahre in sich vereinigend, alles Falsche abwehrend lehrt sie mit wahrhaft himmlischer Weisheit den Punkt, wo die entgegengesetzten Principien, welche in rein menschlichen Doctrinen unvereinbar schienen, zusammenklingen. Folgendes der Grund dafür: die Weisen der Welt haben die Gegensätze in ein und dasselbe Subject verlegt; der eine schrieb der Natur Kraft zu; der andere dieser nämlichen Natur Schwäche: während der Glaube uns lehrt, sie verschiedenen Subjecten zuzutheilen: alle Gebrechlichkeit gehört der Natur, alle Macht dem Beistande Gottes. Das ist die erstaunliche und neue Einigung, die allein ein Gott lehren konnte, die er allein bewirken konnte, und welche nur ein Abbild und eine Wirkung der unaussprechlichen Einigung der beiden Naturen in der alleinigen Person eines Gott-Menschen. So führt die Philosophie unmerklich zur Theologie; und es ist schwer, nicht auf sie einzugehen, welche Wahrheit man auch behandle, weil sie der Mittelpunkt aller Wahrheiten ist; und das wird hier vollkommen klar, da sie so ersichtlich alles das enthält, was in jenen entgegengesetzten Meinungen Wahres ist. Auch sieht man nicht, wie einer von ihnen sich weigern könnte, ihr zu folgen. Sind sie erfüllt von der Größe des Menschen, was haben sie darüber erdenken können, das nicht den Verheißungen des Evangeliums nachstände, die nichts anderes sind, als der würdige Preis für den Tod eines Gottes? Und wenn sie sich darin gefallen die Gebrechlichkeit der Natur zu betrachten, ihre Vorstellung gleicht durchaus nicht der von der wahren Schwachheit des Sünders, für welche derselbe Tod die Heilung gewesen. Jede Partei findet darin mehr als sie begehrt; und was bewunderungswürdig, sie findet dabei eine feste Einigung: sie, die sich auf unendlich viel niedrigerer Stufe nicht vereinigen konnten.

5.

Die Christen haben im allgemeinen wenig Bedürfnis zu dieser philosophischen Lectüre. Gleichwohl besitzt Epictet in bewunderungswürdiger Weise die Kunst, die Ruhe derjenigen, welche sie in äußeren Dingen suchen, zu stören, und sie zu der Erkenntnis zu zwingen, daß sie wahrhafte Sclaven und elende Blinde sind; daß es unmöglich ist Irrthum und Schmerz, die sie fliehen, zu vermeiden, wenn sie sich nicht ohne Rückhalt Gott allein hingeben. Montaigne ist darin unvergleichlich, den Stolz derjenigen zu verwirren, welche ohne Glauben sich auf eine wahrhafte Gerechtigkeit viel einbilden; diejenigen eines Besseren zu belehren, welche an ihrer Meinung festhalten und die da glauben, unabhängig von der Existenz und den Vollkommenheiten Gottes in den Wissenschaften unerschütterliche Wahrheiten finden zu können; und die Vernunft so vortrefflich von ihrer schwachen Einsicht und ihren Verirrungen zu überführen, daß es schwer ist nachdem versucht zu werden, die Mysterien zu verwerfen, weil man Widersprüche darin zu bemerken vermeint: denn der Geist fühlt sich so niedergeschlagen, daß er weit entfernt ist urtheilen zu wollen, ob die Mysterien möglich sind, was gewöhnliche Leute nur zu oft thun. Epictet aber, indem er die Schwachheit bekämpft, führt zum Stolz und kann denjenigen schädlich werden, die nicht von der Verderbtheit aller Gerechtigkeit, die nicht aus dem Glauben kommt, überzeugt sind. Montaigne seinerseits ist absolut verderblich für diejenigen, welche einigen Hang zur Gottlosigkeit und zu Lastern haben. Deshalb muß diese Art Lectüre mit großer Sorgfalt und Vorsicht geregelt werden, und mit Rücksicht auf die Beschaffenheit und die Sitten derjenigen, welche sich ihr widmen. Aber wenn sie die verschiedenen verbinden, so scheinen sie nur Erfolg haben zu können, da die eine sich dem Übel der andern entgegensetzt. Es ist wahr, sie können die Tugend nicht geben, aber sie beunruhigen im Laster: da der Mensch sich bekämpft sieht von Gegensätzen, deren einer den Stolz, deren anderer die Trägheit vertreibt, und da er vermöge seiner Vernunftschlüsse weder in einem dieser Fehler Ruhe finden, noch sie alle fliehen kann.


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