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Zehnter Artikel.
Verschiedene philosophische und literarische Gedanken.

1.

Je nachdem man mehr Geist hat findet man, daß es mehr originale Menschen giebt. Die Menschen des großen Haufen finden keinen Unterschied zwischen den Menschen. Es giebt sehr wenig wahrhaft originale Menschen, fast alle handeln, denken und fühlen unter dem Einflusse der Gewohnheit und der Erziehung. Nichts ist so selten als ein Geist, der auf einer neuen Bahn schreitet; aber in jenem Haufen von Menschen, die zusammen gehen, hat doch jeder in seinem Gange kleine Unterscheidungen, welche scharfe Blicke bemerken.

2.

Man kann einen geraden Sinn haben, und doch nicht in allen Dingen gleichmäßig fortschreiten; denn es giebt Leute, die ihn für eine gewisse Reihe von Dingen ganz gerade haben und sich in andern doch verwirren. Die einen ziehen sehr gut die Consequenzen aus wenigen Principien, die andern verstehen die Consequenzen gut zu ziehen aus Dingen, wo es eine Menge Principien giebt. Die einen z. B. begreifen sehr wohl die Wirkungen des Wassers, wobei es wenig Principien giebt, deren Consequenzen indeß so fein sind, daß nur ein sehr durchdringender Geist sie zu erfassen vermag; und eben diese wären vielleicht keine besondern Geometer, da die Geometrie eine große Anzahl von Principien umfaßt, und da die Natur des Geistes so beschaffen sein kann, daß sie recht wohl wenige Principien bis auf den Grund durchschauen kann, daß sie aber die Dinge nicht zu durchdringen vermag, die auf vielen Principien beruhen.

Es giebt also zwei Arten von Geistern: die eine ist, lebhaft und gründlich die Consequenzen der Principien durchdringen, und das ist der Geist der Richtigkeit; die andere ist, eine große Anzahl von Principien ohne Verwirrung zu begreifen, und das ist der Geist der Geometrie. Die eine ist Kraft und Richtigkeit des Geistes, die andere ist Ausdehnung des Geistes. Das eine aber kann ohne das andere bestehen, denn der Geist kann stark und enge, und ebenso ausgedehnt und schwach sein.

Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Geist der Geometrie und dem Geist der Feinheit. In jenem sind die Principien faßbar aber dem gewöhnlichen Gebrauche fremd; so daß es aus mangelnder Gewohnheit Mühe macht, den Kopf nach dieser Richtung zu wenden: aber wenn man sich nur ein wenig dahin wendet, sieht man die Principien mit Klarheit; und man müßte einen ganz und gar verkehrten Geist haben, um schlecht zu überlegen nach Principien, die so deutlich sind, daß sie fast unmöglich unbemerkt bleiben können.

Aber bei dem Geist der Feinheit sind die Principien in gewöhnlichem Gebrauch und vor aller Welt Augen. Man braucht nicht den Kopf zu drehen, noch sich irgendwie Gewalt anzuthun. Es handelt sich nur um einen guten Blick; der aber muß gut sein, denn die Principien sind hier so fein und so zahlreich, daß es fast unmöglich ist, sie nicht entschlüpfen zu lassen. Das Übersehen eines Princips aber führt zum Irrthum: also muß man einen sehr scharfen Blick haben, um alle Principien zu sehen, und sodann einen richtigen Geist, um nach bekannten Principien nicht falsch zu schließen.

Alle Geometer wären demnach sein, wenn sie den Scharfblick hätten; denn sie schließen nach den Principien, die sie kennen, nicht falsch; und die feinen Geister wären Geometer, wenn sie ihren Blick den ungewohnten Principien der Geometrie unterwerfen könnten.

Der Grund also, weshalb gewisse feine Geister nicht Geometer sind, ist der, daß sie sich überhaupt nicht den Principien der Geometrie zuwenden können: der Grund dagegen, weshalb die Geometer nicht fein sind, liegt darin, daß sie nicht sehen was vor ihnen ist und daß sie sich, an genaue und deutliche Principien der Geometrie gewöhnt, und gewöhnt nicht eher zu schließen, als bis sie ihre Principien genau besehen und befühlt haben, in Sachen der Feinheit verwirren, wo die Principien sich nicht also befühlen lassen. Man sieht sie mit Mühe: man fühlt sie mehr als man sie sieht; es kostet unendliche Mühe sie denen fühlbar zu machen, die sie nicht von selbst fühlen; es sind Sachen so subtil und so zahlreich, daß nur ein sehr feiner und scharfer Geist sie zu fühlen vermag, und meistens kann man sie nicht der Reihe nach beweisen, wie in der Geometrie, weil man nicht die Principien in gleicher Weise hat, und es würde eine unendliche Arbeit sein, es zu unternehmen. Man muß die Sache auf einmal mit einem einzigen Blicke erkennen, nicht aber mittelst fortschreitender Schlußfolgerungen, wenigstens bis zu einer gewissen Stufe. Deshalb sind die Geometer selten scharfblickend, und die Scharfblickenden selten Geometer, weil letztere die feinen Sachen geometrisch behandeln wollen, und sich lächerlich machen, wenn sie mit Definitionen beginnen wollen und mit Principien fortfahren, eine in dieser Art des Denkens falsch angewandte Art des Verfahrens. Nicht etwa als ob der Geist es nicht thäte; aber er thut es schweigend, natürlich, ohne Kunst, denn die Ausdrücke dabei fehlen allen Menschen, das Gefühl davon wird nur wenigen zu Theil.

Die feinen Geister dagegen, gewohnt nach einem einzigen Blicke zu urtheilen, sind so erstaunt, wenn man ihnen mit Behauptungen kommt, wovon sie nichts verstehen, und zu deren Verständnis man sich durch Definitionen und öde Principien, die so im Einzelnen zu betrachten sie nicht gewohnt sind, hindurcharbeiten muß, daß sie davor zurückschrecken und Mißfallen daran empfinden. Aber die verkehrten Geister sind nie weder fein noch geometrisch.

Die Geometer, die nur Geometer sind, haben deshalb doch einen geraden Verstand, aber unter der Voraussetzung, daß man ihnen alles genau nach Definitionen und Principien erkläre: sonst sind sie falsch und unerträglich, denn sie sind nur gerade bei wohl erklärten Principien. Die feinen Geister aber, die nur fein sind, haben nicht genug Geduld, zu den ersten Principien der speculativen und contemplativen Dinge herabzusteigen, da sie sie nie in der Welt und in Gebrauch gesehen haben.

3.

Es geschieht oft, daß man, um gewisse Sachen zu beweisen, derartige Beispiele wählt, daß man eben jene Dinge benutzen könnte, um diese Beispiele zu beweisen: doch verfehlt es nicht seinen Eindruck zu machen; denn da man stets glaubt, die Schwierigkeit liege in dem, was man beweisen will, so findet man die Beispiele viel deutlicher. Ebenso wenn man etwas allgemeines beweisen will, so giebt man zunächst die specielle Regel eines Falles. Will man aber einen einzelnen Fall beweisen, so beginnt man mit der allgemeinen Regel. Man findet stets dunkel das, was man beweisen will, und deutlich das, was man zum Beweise benutzt; denn wenn man eine Sache zu beweisen vornimmt, so erfüllt man sich alsbald mit der Einbildung, sie sei dunkel; und umgekehrt, die, welche zum Beweise dient, sei deutlich; und so begreift man es mit Leichtigkeit.

4.

All' unsere Vernunftüberlegung läuft darauf hinaus, dem Gefühl nachzugeben. Aber die Phantasie ist dem Gefühl ähnlich und entgegengesetzt; ähnlich, weil sie nicht vernünftig denkt; entgegengesetzt, weil sie falsch ist: so daß es sehr schwer ist zwischen diesen Gegensätzen zu unterscheiden. Der eine sagt, mein Gefühl sei Phantasie und seine Phantasie sei Gefühl; und ich behaupte meinerseits dasselbe. Man hätte eine Regel nöthig. Die Vernunft erbietet sich dazu; aber sie beugt sich allen Empfindungen; also giebt es keine.

5.

Diejenigen, welche über ein Werk nach einer Regel urtheilen, sind im Verhältnis zu andern, wie die, welche eine Uhr haben im Verhältnis zu denen, die keine haben. Der eine sagt: wir sind zwei Stunden hier. Der andere sagt: es sind nur drei Viertel Stunden. Ich sehe auf meine Uhr; ich sage dem einen: Ihr langweilt euch; dem andern: Ihr spürt die Zeit kaum; denn es sind ein und eine halbe Stunde; und ich lache über die, welche mir sagen, mir daure die Zeit lang, und ich urtheile darüber mit der Phantasie: sie wissen nicht, daß ich nach meiner Uhr darüber urtheile. In einem Werke des Geschmacks, in der Musik, der Poesie, der Malerei, nimmt der Geschmack die Stelle der Uhr ein; und wer darüber nur nach den Regeln urtheilt, urtheilt schlecht.

6.

Es giebt Leute die gut sprechen, aber nicht ebenso schreiben. Das macht, der Ort, die Zuhörer etc. erwärmen sie und entnehmen ihrem Geiste mehr, als sie ohne diese Erwärmung darin fänden.

7.

Was Montaigne Gutes hat kann vielleicht nur schwer erworben werden. Was er Schlechtes hat – natürlich von den Sitten abgesehn – hätte in einem Augenblicke verbessert werden können, wenn man ihm bemerklich gemacht hätte, daß er zuviel Geschichten erzähle und zuviel von sich selbst spräche.

8.

Es ist ein großes Übel der Ausnahme zu folgen statt der Regel. Man muß gegen die Ausnahme streng und zurückhaltend sein. Dennoch aber, obwohl es sicherlich Ausnahmen von der Regel giebt, muß man darüber streng aber gerecht urtheilen.

9.

Es giebt Leute, die es gern sähen, wenn ein Autor nie über Sachen spräche, von denen schon andere gesprochen; sonst wirst man ihm vor, er sage nichts Neues. Aber wenn auch der Stoff, den man behandelt, nicht neu ist, so ist die Disposition desselben doch neu. Wenn man Ball spielt, so ist es derselbe Ball, mit dem der eine, wie der andere spielt; aber der eine wirft ihn besser. Ich sähe es ebenso gern, daß man ihn beschuldigte, weil er sich alter Worte bediene: als ob dieselben Gedanken vermöge veränderter Disposition nicht einen andern Gesprächsgegenstand bildeten, ebenso gut wie dieselben Worte andere Gedanken bilden in veränderter Anordnung.

10.

Man überzeugt sich für gewöhnlich besser mit Gründen, die man selbst gefunden hat, als mit denen, die im Geiste eines andern entstanden sind.

11.

Der Geist glaubt von Natur; der Wille liebt von Natur; aus Mangel an wahren Gegenständen müssen sie sich daher an falsche anschießen.

12.

Jene großen Geistesanstrengungen, zu denen sich die Seele zuweilen rührt, sind Dinge, woran sie nicht festhält. Sie springt dabei nur empor, aber um sofort zurückzusinken.

13.

Der Mensch ist weder Engel noch Thier; und das Unglück will, daß wer ihn zum Engel machen will, ihn zum Thier macht.

14.

Wenn man die herrschende Leidenschaft jemandes kennt, ist man sicher ihm zu gefallen, und trotzdem hat jeder seine Phantasien, die seinem eigenen Glücke hinderlich sind, gerade in seiner Vorstellung vom Glück: und diese Seltsamkeit verwirrt diejenigen, welche ihre Zuneigung gewinnen wollen.

15.

Ein Pferd strebt durchaus nicht nach der Bewunderung seines Nebenpferdes. Man bemerkt unter ihnen wohl eine gewisse Art von Wetteifer beim Lauf; aber das hat keine weitere Folgen; denn wenn sie im Stalle sind cedirt das schwerste und das schlechtest beschlagene darum nicht seinen Hafer einem andern. Unter den Menschen ist es nicht so: ihre Tugend ist sich nicht selbst genug und sie sind durchaus nicht zufrieden, wenn sie davon nicht andern gegenüber Vortheil haben.

16.

Wie man sich den Geist verdirbt, so verdirbt man sich auch das Gefühl. Man bildet Geist und Gefühl durch Unterredungen. Die guten oder schlechten also bilden es oder verderben es. Vor allen also ist wichtig, richtig wählen zu können, um es sich zu bilden und nicht zu verderben; man könnte aber eine solche Wahl nicht treffen, wenn man es nicht schon gebildet und nicht verdorben hätte. Das giebt also einen Cirkel und glücklich sind die, welche herauskommen.

17.

Da es unter den Gegenständen der Natur, deren Erkenntnis uns nicht nothwendig ist, solche giebt, deren wahres Wesen wir nicht kennen, so ist es vielleicht nicht übel, daß allgemeine Irrthümer den Geist der Menschen beherrschen, wie man z. B. dem Monde den Wechsel des Wetters, die Fortschritte der Krankheiten etc. zuschreibt. Es ist eine Hauptkrankheit der Menschen, voll unruhiger Wißbegierde zu sein nach Dingen, die man nicht wissen kann; und ich weiß nicht, ob nicht der Irrthum, dem er betreffs der Dinge der Natur unterworfen ist, ein geringeres Übel für ihn ist, als jene unnütze Wißbegierde.

18.

Wenn der Blitz niedrig gelegene Örter träfe, würde es den Poeten und denen, die nur über Dinge dieser Natur nachzudenken wissen, an Beweisen fehlen.

19.

Der Geist hat sein Gesetz, das in Principien und Beweisen verläuft; das Herz hat ein anderes. Man beweist nicht, daß man geliebt werden muß, indem man der Reihe nach die Gründe der Liebe auseinandersetzt: das wäre lächerlich.

Jesus Christus und St. Paulus haben weit mehr das Gesetz des Herzens, d. h. der Liebe befolgt, als das des Geistes; denn ihr Hauptzweck war nicht zu belehren, sondern zu erwärmen. St. Augustinus ebenso. Dies Gesetz besteht hauptsächlich in der Abschweifung nach jedem Punkte, der mit dem Ziel in Beziehung steht, um es stets zu zeigen.

20.

Es giebt Leute, welche die ganze Natur maskiren. Es giebt für sie keinen König, sondern einen erhabenen Monarchen; kein Paris, sondern eine Hauptstadt des Königreichs. Die, welche in gutem Französisch zu Nutzen der Eigenthümer dieser Pachtungen in fremden Ländern die Zeitungen schreiben, verfehlen nie zu sagen: »Diese erhabene Familie hörte am Sonntag die Vesper und die Predigt des ehrwürdigen Pater N. Ihre Majestät spielte in höchsteigener Person Würfel. Man operirte Sr. Eminenz die Fistel. Es giebt Stellen, wo man Paris Paris nennen muß, und andere, wo man es die Hauptstadt des Königreichs nennen muß.

21.

Wenn man in einer Abhandlung Worte wiederholt findet, und sie beim Versuch einer Verbesserung als so bezeichnend erkennt, daß man die Abhandlung beschädigen würde, so muß man sie stehen lassen; das ist das Zeichen dafür, und es wäre Sache des blinden Neides, der nicht weiß, daß diese Wiederholung an dieser Stelle kein Fehler ist; denn es giebt keine allgemeine Regel.

22.

Wer Antithesen macht, indem er die Worte zwingt, gleicht denen, die der Symmetrie wegen falsche Fenster machen. Seine Regel ist nicht richtig zu sprechen, sondern richtige Figuren zu machen.

23.

Eine Sprache ist im Verhältnis zu einer andern eine Geheimsprache, in der Worte in Worte verändert sind und nicht Buchstaben in Buchstaben; also ist eine unbekannte Sprache räthselhaft.

24.

Es giebt ein Muster von Anmuth und Schönheit, das in einem gewissen Verhältnis zwischen unserer Natur, schwach oder stark, so wie sie ist, und dem Dinge das uns gefällt, besteht. Alles was nach diesem Muster geformt ist muthet uns an: Hans, Gesang, Rede, Verse, Prosa, Frauen, Vögel, Flüsse, Bäume, Zimmer, Kleider. Alles was nicht nach diesem Muster ist mißfällt denen, die den guten Geschmack haben.

25.

Wie man von poetischer Schönheit spricht, sollte man auch von geometrischer Schönheit und medicinischer Schönheit sprechen.

Indeß man spricht durchaus nicht davon: der Grund davon ist, daß man recht gut weiß, was Gegenstand der Geometrie und was Gegenstand der Medicin ist; aber man weiß nicht, worin die Anmuth besteht, die der Gegenstand der Poesie ist. Man kennt das natürliche Vorbild, welches man nachahmen muß, nicht; und in Ermangelung dieser Kenntnis hat man gewisse seltsame Ausdrücke erfunden wie »goldenes Zeitalter, Wunder unserer Tage, schicksalsvoller Lorbeer, schönes Gestirn« etc.; und diese Ausdrucksweise nennt man poetische Schönheit. Wer sich aber eine Frau nach diesem Vorbild bekleidet denken wollte, würde ein niedliches junges Mädchen erblicken ganz bedeckt mit Spiegeln und Messingketten; und statt sie angenehm zu finden, würde er nicht umhin können, darüber zu lachen, denn man weiß besser, worin die Anmuth einer Frau besteht, als worin die Anmuth von Versen. Diejenigen aber, die sich nicht darauf verstehen, würden sie in diesem Aufputz vielleicht bewundern; und es giebt genug Dörfer, wo man sie für die Königin halten würde; und deshalb giebt es auch Leute, welche Sonette nach diesem Muster Dorfköniginnen nennen.

26.

Wenn eine natürliche Unterhaltung eine Leidenschaft oder eine Wirkung schildert, so findet man in sich die Wahrheit zu dem, was man hört, die in uns war, ohne daß man es wußte, und man fühlt sich bewogen den zu lieben, der sie uns fühlbar macht, denn er giebt uns keine Schau seines Gutes, sondern des unsrigen; und also macht uns diese Wohlthat ihn liebenswürdig: abgesehen davon daß diese Gleichheit des Verständnisses die wir mit ihm haben das Herz nothwendig antreibt, ihn zu lieben.

27.

Es muß in der Beredtsamkeit Angenehmes und Thatsächliches geben; aber eben dies Angenehme muß thatsächlich sein.

28.

Wenn man einen natürlichen Stil antrifft, ist man ganz erstaunt und entzückt; denn man erwartete einen Autor und findet einen Menschen. Leute von gutem Geschmack dagegen, die ein Buch in die Hand nehmen und einen Menschen zu finden glauben, sind ganz überrascht einen Autor zu finden: » plus poetice quam humane locutus est«. Jene ehren geziemend die Natur, und lehren sie, über alles, selbst über die Theologie sprechen zu können.

29.

Das letzte was man bei Abfassung eines Werkes findet, ist, daß man weiß, was man zuerst schreiben muß. Zuweilen. Aber nie hat man eine Geschichte oder eine Tragödie mit dem Ende angefangen, noch irgend eine Arbeit. Wenn man oft nicht weiß, womit anfangen, so ist das bei einer Rede, bei einer Leichenrede, bei einer Predigt, bei allen Werken reinen Pompes, wo man sprechen muß ohne etwas zu sagen.

30.

Man darf in einer Unterredung den Geist durchaus nicht von einer Sache auf eine andere ablenken, wenn man ihm nicht etwa Erholung gönnen will; dann aber zu dem Zeitpunkte, wo es angezeigt ist, und sonst nicht; denn wer den Geist außer der Zeit ausruhen lassen will, ermüdet. Man läßt sich abschrecken und man verläßt alles: so schwierig ist es von dem Menschen etwas anders zu erreichen, als für das Vergnügen, welches gleichsam die Münze ist, für die man alles giebt, was man verlangt. Das Vergnügen ist nicht das Geld, sondern die Waare, wofür man soviel Geld giebt, als man will.

31.

Welch' eitle Kunst die Malerei, die Bewunderung erweckt wegen der naturtreuen Darstellung von Dingen, die man im Original nicht bewundert!

32.

Ein und derselbe Sinn wechselt je nach den Worten, die ihn ausdrücken. Der Sinn empfängt seine Würde von Worten, statt sie ihnen zu ertheilen.

33.

Die, welche gewohnt sind nach dem Gefühl zu urtheilen, begreifen nichts von Sachen der Vernunftüberlegung, denn sie wollen gleich alles mit einem Blicke erfassen und sind gar nicht gewohnt, die Principien aufzusuchen. Die andern umgekehrt, die gewohnt sind, nach Principien zu denken, begreifen nichts von Sachen des Gefühls, da sie dabei nach Principien suchen, und nicht mit einem Blick erkennen können.

34.

Die wahre Beredtsamkeit verspottet die Beredtsamkeit, die wahre Moral verspottet die Moral; die Moral des Urtheils verspottet die Moral des Geistes, welche regellos ist.

35.

All' die falschen Schönheiten, die wir im Cicero tadeln, haben ihre Bewunderer in großer Zahl.

36.

Über die Philosophie spotten heißt in Wahrheit philosophiren.

37.

Viele Leute hören die Predigt geradeso an wie die Vesper.

38.

Flüsse sind gehende Wege, die dahin tragen, wohin man gehen will.

39.

Zwei ähnliche Gesichter, über deren jedes einzeln man nicht lacht, bringen zusammen durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen.

40.

Die Astrologen, die Alchimisten etc. haben einige wahre Principien; aber sie mißbrauchen sie. Mißbrauch von Wahrheiten aber muß ebenso bestraft werden, wie Einführung der Lüge.

41.

Ich kann es Descartes nicht verzeihen: er hätte es gar zu gern gesehen, wenn er sich in seiner ganzen Philosophie ohne Gott hätte behelfen können; aber er hat sich nicht enthalten können, ihm einen Nasenstüber geben zu lassen, um die Welt in Bewegung zu setzen; nachdem hat er nichts mehr mit Gott zu thun.


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