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Dreizehnter Artikel.
Gottes Zweck, weshalb er sich den einen verbirgt, den anderen offenbart.

1.

Gott wollte die Menschen erlösen und das Heil offenbaren, denen, die es suchten. Die Menschen aber machen sich dessen so unwürdig, daß es gerecht ist, den einen wegen ihrer Herzenshärtigkeit zu verweigern, was er den anderen zugesteht in einer Barmherzigkeit, die er ihnen nicht schuldet. Hätte er die Hartnäckigkeit der Verhärtetsten brechen wollen, er hätte es gekonnt, wenn er sich ihnen so deutlich offenbart hätte, daß sie nicht mehr an der Wahrheit seines Daseins hätten zweifeln können; und also wird er erscheinen am jüngsten Tage mit solchem Glanz von Blitzen, und solcher Umwälzung der Natur, daß die Blindesten ihn sehen werden.

Nicht also wollte er sich offenbaren in seinem unscheinbaren Kommen, sondern, da so viele Menschen sich seiner Barmherzigkeit unwürdig erzeigten, wollte er sie eines Gutes beraubt sein lassen, welches sie verschmäheten. Es wäre also nicht recht gewesen, wenn er in vollkommen göttlicher Offenbarungsform erschienen wäre, welche nothwendigerweise alle Menschen hätte überzeugen müssen; aber ebenso wenig wäre es recht gewesen, wenn er in solcher Verborgenheit gekommen wäre, daß er selbst von denen, die ihn in Treuen suchten, nicht hätte erkannt werden können.

Diesen letzteren wollte er sich völlig erkennbar machen; und da er also denen, die ihn von ganzem Herzen suchen, offenbar; denen, die ihn von ganzem Herzen fliehen, verborgen sein wollte; so mäßigt er seine Kenntnis so, daß er sich in solchen Zeichen offenbart, die für diejenigen, welche ihn suchen, sichtbar, für diejenigen, welche ihn nicht suchen, dunkel sind.

2.

Es ist genug Licht vorhanden für diejenigen, welche nur zu sehen verlangen, und genug Finsternis für diejenigen, deren Wünsche von entgegengesetzter Richtung sind. Es giebt genug Klarheit, um die Erwählten zu erleuchten, und genug Finsternis, um sie zu demüthigen. Es giebt genug Finsternis, um die Verworfenen mit Blindheit zu schlagen, und genug Klarheit, um sie der Verdammung anheim zu geben und sie unentschuldbar zu machen. Strenge Theorie der Augustinischen gemina praedestinatio.

Wäre die Welt nur dazu da, den Menschen über das Dasein Gottes zu belehren, so leuchtete seine Gottheit aus allen Theilen in unwiderleglicher Weise hervor. Da sie aber nur durch Jesum Christum und für Jesum Christum existirt, und um die Menschen über ihre Verderbnis und die Erlösung zu belehren; so thut alles in ihr Beweise für diese beiden Wahrheiten kund. Alles was in ihr zur Erscheinung kommt, bezeichnet weder eine gänzliche Abwesenheit, noch eine offenbare Anwesenheit der Gottheit, sondern die Gegenwart eines Gottes der sich verbirgt: alles trägt dies Kennzeichen.

Wenn nie etwas von Gott offenbart wäre, so würde dieser ewige Mangel zweideutig sein, und er könnte ebenso gut die Nichtexistenz jeder Gottheit andeuten, wie die Unwürdigkeit der Menschen ihn zu erkennen. Da er aber bisweilen sich offenbart und nicht immer, so hob dieser Umstand die Zweideutigkeit auf. Wenn er sich einmal offenbart, so existirt er immer; und man kann folglich nichts anderes daraus schließen, als, daß es einen Gott giebt, die Menschen aber seiner unwürdig sind.

3.

Gottes Zweck ist mehr den Willen zu vervollkommnen, als den Geist. Eine völlige Klarheit aber würde nur dem Geiste dienen, dem Willen dagegen schaden. Gäbe es keine Finsternis, der Mensch würde seine Verderbnis nicht fühlen. Gäbe es kein Licht, der Mensch würde nie auf Rettung hoffen.

So ist es also nicht nur gerecht, sondern auch nützlich für uns, daß Gott theils verborgen, theils offenbar ist, zumal es für den Menschen ebenso gefahrvoll ist Gott zu erkennen, ohne zugleich sein Elend zu erkennen, wie sein Elend zu erkennen ohne auch Gott zu erkennen.

4.

Alles belehrt den Menschen über seine Lage; aber man muß es verstehen: denn es ist nicht wahr, daß sich Gott in allem offenbart, ebensowenig wie er sich in allem verbirgt. Aber beides ist zugleich wahr, daß er sich verbirgt, denen die ihn versuchen, und daß er sich offenbart, denen die ihn suchen; denn die Menschen sind beides zugleich: Gottes unwürdig und Gottes fähig; unwürdig durch ihre Verderbnis, fähig vermöge ihrer ursprünglichen Natur.

5.

Es giebt nichts auf der Welt was nicht zu erkennen gäbe: das Elend des Menschen oder das Erbarmen Gottes; die Ohnmacht des Menschen ohne Gott, oder die Macht des Menschen mit Gott. Das ganze Weltall predigt dem Menschen sein Verderbnis, oder seine Erlösung: Alles lehrt ihn seine Größe oder sein Elend. Das Verlassensein von Gott erscheint bei den Heiden; die Gottgemeinschaft bei den Juden.

6.

Den Auserwählten gereicht alles zum Guten, selbst die Dunkelheiten der heiligen Schrift; denn sie ehren dieselben, wegen der göttlichen Klarheiten, die sie darin finden: den Verworfenen gereicht alles zum Übel, selbst die Klarheiten; denn sie lästern dieselben, wegen der Dunkelheiten, die sie nicht verstehen.

7.

Wäre Jesus Christus nur gekommen um zu heiligen, so würde die ganze heilige Schrift und alle Dinge darauf hinweisen, und es wäre leicht, die Ungläubigen zu überzeugen. Da er aber gekommen ist » in sanctificationem et in scandalum«, wie Jesaias sagt (Jes. 8, 14.), so können wir den Widerstand der Ungläubigen nicht brechen; aber das macht nichts gegen uns aus, da wir lehren, daß in der ganzen Leitung Gottes kein überzeugender Beweis vorhanden ist für eigensinnige Geister und solche, welche die Wahrheit nicht in Treuen suchen.

Jesus Christus ist gekommen, damit die, welche noch nicht sähen, sehend würden, und die, welche sähen, blind würden; er ist gekommen die Kranken zu heilen und die Gesunden sterben zu lassen; die Sünder zur Buße und Rechtfertigung zu berufen, und diejenigen, welche gerecht zu sein glaubten, in ihren Sünden zu lassen; reich zu machen die Armen, und leer zu lassen die Reichen.

Was sagen die Propheten von Jesus Christus? Daß er offenbar als Gott erscheinen werde? Nein!! aber daß er in Wahrheit ein verhüllter Gott ist; daß er verkannt sein wird, daß man nicht glauben wird, daß er es sei; daß er ein Stein des Anstoßes sein wird, an dem sich viele stoßen werden etc.

Um den Messias den Guten erkennbar, den Bösen verkennbar zu machen, ließ Gott ihn solchergestalt vorausverkündigen. Wenn die Art der Erscheinung des Messias klar vorausgesagt wäre, so wäre nichts daran dunkel geblieben, selbst nicht für die Bösen. Wäre die Zeit der Erscheinung dunkel vorausgesagt, so wäre sie selbst den Guten dunkel geblieben; denn die Güte ihres Herzens hätte sie nicht erkennen lassen, daß z. B. ein ם sechshundert Jahre bedeutet. Aber die Zeit ist deutlich vorausverkündigt, die Art der Erscheinung bildlich.

In Folge dieses Umstandes halten die Bösen die verheißenen Güter für zeitliche und gehen irre, obwohl die Zeit der Erscheinung deutlich vorausverkündigt; und die Guten gehen nicht in der Irre: denn das Verständnis für die verheißenen Güter hängt ab vom Herzen, welches das ein Gut nennt, was es liebt; aber das Verständnis für die verheißene Zeit hängt nicht ab vom Herzen; folglich täuscht die deutliche Verkündigung an Zeit, die dunkle der Güter nur die Bösen.

8.

Wie mußte der Messias beschaffen sein, da durch ihn der Scepter ewiglich bei Juda sein, und doch bei seiner Ankunft von Juda entwendet werden sollte?

Um zu bewirken, daß sie sähen ohne zu sehen, daß sie hörten ohne zu hören, gab es kein besseres Mittel.

Statt sich zu beklagen, daß Gott sich verborgen, muß man ihm Dank dafür sagen, daß er sich so weit offenbart hat, und ihm Dank sagen ebenfalls dafür, daß er sich nicht den Weisen und Hochmüthigen, die der Erkenntnis eines so heiligen Gottes unwürdig sind, offenbart hat.

9.

Die Stammtafel Jesu Christi ist im alten Testamente unter so viel andere unnütze Sachen gemischt, daß man sie kaum ausscheiden kann. Hätte Moses nur die Vorfahren Jesu Christi registrirt, so würde das sehr klar sein. Aber schließlich, wer genau zusieht erkennt, daß die Stammtafel Jesu Christi sehr wohl durch Thamar, Ruth etc. unterschieden ist.

Die offenbarsten Schwächen sind Stärken für denjenigen, der die Sachen versteht. Z. B. die beiden Stammtafeln bei St. Matthäus und St. Lucas: offenbar ist das nicht verabredeter Maßen geschehen.

10.

Man werfe uns doch nicht mehr den Mangel an Klarheit vor, da wir daraus ja einen Glaubensartikel machen. Vielmehr erkenne man die Wahrheit der Religion gerade in ihrer Dunkelheit, in dem schwachen Licht, was wir davon haben, und in unserer Gleichgiltigkeit für ihre Erkenntnis.

Gäbe es nur eine Religion, so wäre Gott zu offenbar; gäbe es Märtyrer nur in unserer Religion, desgleichen.

Um die Bösen in ihrer Verblendung zu lassen sagt Jesus nicht, daß er nicht aus Nazareth, noch daß er nicht Josephs Sohn sei.

11.

Wie Jesus Christus unerkannt unter den Menschen geweilt, so weilt ebenfalls die Wahrheit ohne äußerliches Kennzeichen unter den gewöhnlichen Meinungen: so die Eucharistie unter dem gewöhnlichen Brote.

Ist die Barmherzigkeit Gottes, selbst wenn er sich verbirgt, so groß, daß er uns über unser Heil belehrt, welches Licht dürfen wir dann erwarten, wenn er sich offenbart.

Man versteht nichts von Gottes Werken, wenn man es nicht als Princip anerkennt, daß er die einen verblendet und die andern erleuchtet.


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