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Achter Artikel.
Die Juden vom Standpunkte unserer Religion aus betrachtet.

1.

Als nach der Schöpfung und Sündflut Gott die Erde nicht mehr zu zerstören, noch auch sie zu schaffen, noch Selbstbezeugungen von ähnlicher Größe zu geben brauchte, begann er ein Volk auf Erden zu bilden, dessen besondere Bestimmung war bis zu dem Volke zu dauern, welches der Messias durch seinen Geist heranbilden würde.

2.

Gott, welcher zeigen wollte, daß er ein heiliges Volk mit unsichtbarer Heiligkeit bilden und es mit ewiger Ehre erfüllen könne, ließ in den Gütern der Natur das geschehen, was er in denen der Gnade wollte geschehen lassen, damit man erkenne, daß er, der Sichtbares gut mache, Unsichtbares vollbringen könne. Deshalb rettete er in Noahs Person sein Volk aus der Sündflut; er ließ es von Abraham geboren werden; er kaufte es wieder los von seinen Feinden und er führte es in die Ruhe.

Gottes Zweck, weshalb er ein ganzes Volk aus der Sündflut rettete und von Abraham ließ geboren werden, war keineswegs nur der, es in ein Land des Überflusses zu führen. Aber wie die Natur ein Gleichnis der Gnade ist, so sind die sichtbaren Wunder Gleichnisse der unsichtbaren, die er thun wollte.

3.

Ein anderer Grund, weshalb er das jüdische Volk gebildet, ist der: da er die Seinigen der fleischlichen und vergänglichen Güter zu berauben beabsichtigte, wollte er durch so viele Wunder zeigen, daß es nicht aus Ohnmacht geschähe.

Dies Volk war versunken in jene irdischen Gedanken, daß Gott ihren Vater Abraham, sein Fleisch und seine Nachkommen liebe; daß er deshalb sie vermehrt und von allen anderen Völkern abgesondert habe, ohne eine Vermischung mit ihnen zu dulden; daß er sie aus Egypten unter all' jenen großen Machterweisen, die ihretwegen geschahen, zurückgeführt habe; daß er sie in der Wüste mit Manna genährt; daß er sie in ein Land des glücklichsten Überflusses geführt; daß er ihnen Könige gegeben und einen herrlichen Tempelbau, damit darin Thiere geopfert, und sie selbst dort durch Vergießung ihres Blutes gereinigt würden; daß er ihnen den Messias senden werde, um sie zu Herren der ganzen Welt zu machen.

Die Juden waren an große und glänzende Wunder gewöhnt, und da sie die großen Thaten am rothen Meere und das Land Kanaan nur gleichsam als einen Auszug der großen Thaten ihres Messias betrachtet hatten, so erwarteten sie von ihm noch viel glänzendere Dinge, von denen alle Thaten des Moses nur Proben waren.

Als sie nun in diesen fleischlichen Irrthümern alt geworden waren, kam Jesus Christus zur vorausgesagten Zeit, aber nicht in dem erwarteten Glanze: in Folge dessen glaubten sie nicht, daß er es sei. Nach seinem Tode kam St. Paulus die Menschen zu belehren, daß all' jene Dinge nur figürlich geschehen seien; daß das Reich Gottes nicht ein fleischliches, sondern ein geistiges sei; daß die Feinde der Menschen nicht etwa die Babylonier, sondern ihre eigenen Leidenschaften; daß Gott nicht in Tempeln von Menschenhand gemacht, sondern in einem reinen und demüthigen Herzen zu wohnen liebe; daß die Beschneidung des Körpers unnütz, die des Herzens aber nothwendig sei etc.

4.

Da Gott dem Volke, das ihrer unwürdig war, jene Dinge nicht enthüllen, und nichtsdestoweniger, damit man sie glaubte, vorherverkündigen wollte, so hatte er die Zeit ihres Eintreffens klar vorherverkündet, ja sie selbst zuweilen klar ausgesprochen, jedoch gewöhnlich in Bildern, damit diejenigen, welche die abbildenden Dinge d. h. die fleischlichen Dinge, die als Bilder dienten. liebten, dabei verweilten, und diejenigen, welche die Bilder d. h. die geistlichen Wahrheiten, abgebildet durch die fleischlichen Dinge. liebten, sie darin sähen. In Folge hievon theilten sich zur Zeit des Messias die Völker: die Geistlichen haben ihn aufgenommen, und die Fleischlichen, die ihn verwarfen, sind geblieben, ihm als Zeugen zu dienen.

5.

Die fleischlichen Juden verstanden weder die Grüße noch die Erniedrigung des in ihren Prophetieen verheißenen Messias. Sie haben ihn verkannt in seiner Größe, von der geschrieben steht: der Messias wird Davids Herr sein, obschon sein Sohn; er ist vor Abraham und dieser hat ihn gesehen. Sie glaubten ihn nicht so groß, nicht, daß er von aller Ewigkeit wäre. Ebenso haben sie ihn verkannt in seiner Erniedrigung und in seinem Tode. Der Messias, sagten sie, bleibt ewig, und dieser da sagt, er würde sterben. Sie glaubten ihn weder sterblich, noch ewig: sie suchten in ihm nur eine fleischliche Größe.

Sie liebten so sehr die abbildenden Dinge und erwarteten so ausschließlich nur diese, daß sie die Wirklichkeit, als sie in vorherverkündigter Zeit und Art kam, verkannten.

6.

Diejenigen, welche sich nur schwer zum Glauben entschließen können, suchen einen Entschuldigungsgrund in dem Unglauben der Juden. Wenn das so klar gewesen wäre, sagt man, weshalb glaubten sie denn nicht? Aber gerade dies Nicht-Glauben-Wollen ist die Grundlage unseres Glaubens. Wir würden weit weniger dazu geneigt sein, wenn sie die Unsrigen gewesen wären. Wir hätten dann einen viel umfassenderen Vorwand zu Unglauben und Zweifel. Ist es nicht wunderbar, daß die Juden große Verehrer der Verheißungen und große Feinde der Erfüllung, und daß selbst diese Abneigung vorherverkündigt ist? –

7.

Um dem Messias Glauben zu verschaffen, mußten vorausgehende Weissagungen vorhanden sein und zwar solche, die von unverdächtigen Personen ausgesprochen waren, von Personen, deren Fleiß, Treue und Eifer außerordentlich und allbekannt war.

Um alles dies ins Werk zu setzen hat Gott dies fleischliche Volk erwählt, hat ihm die Weissagungen anvertraut, welche den Messias als Erlöser und Verwalter der fleischlichen Güter, welche dies Volk liebte, vorausverkündigten; ebenso hegte er eine außerordentliche Liebe für seine Propheten, und ließ der ganzen Welt jene Bücher, die den Messias vorausverkündigen, bekannt werden: also alle Nationen versichernd, daß er kommen werde und zwar in der in ihren Büchern, die vor aller Welt offen dalagen, vorausverkündigten Art. Aber getäuscht durch die schmachvolle und armselige Ankunft des Messias, sind sie seine größten Feinde geworden. So also trägt gerade das Volk, welches in aller Welt am wenigsten in dem Verdachte steht, uns zu begünstigen, doch für uns Sorge, und in seinem Eifer für sein Gesetz und seine Propheten erhält und bewahrt es mit unerschütterlicher Sorgfalt so seine Verdammung wie unsere Beweise.

8.

Diejenigen, welche Jesum Christum, der ihnen ein Ärgernis war, verworfen und gekreuzigt haben, sind ebendieselben, welche die Bücher aufbewahren, die von ihm zeugen und die es aussprechen, daß er verworfen werden und ein Ärgernis sein würde. Durch ihre Verwerfung haben sie also erwiesen, daß er es sei, und er ist gleicherweise bestätigt durch die gerechten Juden, die ihn aufgenommen, wie durch die ungerechten, die ihn verworfen haben: denn die einen wie die anderen waren vorausgesagt.

Deshalb haben die Prophetieen einen verborgenen Sinn, den geistlichen, welchen dies Volk haßte, unter dem fleischlichen, den es liebte. Wenn der geistliche Sinn offen zu Tage gelegen hätte, wären sie nicht im Stande gewesen ihn zu lieben; sie würden sodann, da sie ihn nicht ertragen konnten, sich nicht um die Erhaltung ihrer Bücher und Gebräuche beeifert haben. Wenn sie aber jene geistlichen Verheißungen geliebt und sie unverfälscht erhalten hätten bis auf das Erscheinen des Messias, so wäre ihr Zeugnis ohne Kraft geblieben, da sie seine Freunde gewesen wären. Das der Grund, weshalb es gut war, daß der geistliche Sinn verhüllt war. Umgekehrt aber wäre jener Sinn so vollständig verborgen gewesen, daß er überhaupt nicht zum Vorschein gekommen wäre, er hätte dem Messias nicht als Beweis dienen können. Was war also zu thun? Jener Sinn ist durch den zeitlichen verhüllt in den meisten Stellen, und er ist deutlich enthüllt in einzelnen: zudem ist die Zeit und der Zustand der Welt so klar vorherverkündigt, daß die Sonne nicht klarer sein kann. Und dieser geistliche Sinn ist an einigen Stellen so klar ausgesprochen, daß, um ihn zu verkennen, es einer Verblendung bedurfte, wie sie das Fleisch über den Geist wirft, wenn er ihm unterthan ist.

So also ist die Fügung Gottes gewesen. Dieser geistliche Sinn ist in unzähligen Stellen von einem anderen verhüllt, und enthüllt in einigen, zwar nur selten, jedoch in solcher Weise, daß die Stellen, wo er verborgen ist, zweideutig sind und in jedem Sinne ausgelegt werden können, während dagegen die Stellen, wo er enthüllt ist, eindeutig sind und nur im geistlichen Sinne ausgelegt werden können. Dies konnte also unmöglich zum Irrthum verleiten, und nur ein so fleischlich gesinntes Volk wie das betreffende konnte sich daraus mißnehmen.

Denn wenn die Güter in Fülle verheißen sind, was anders konnte sie hindern die wahren Güter darunter zu verstehen als ihre Begierde, welche keinen anderen Sinn hineinlegte als in Bezug auf die Güter der Erde. Diejenigen aber, welche ihre Güter allein in Gott hatten, setzten sie allein in Bezug zu Gott. Denn es giebt zwei Principien, welche die Willensrichtung der Menschen nach zwei Seiten bestimmen: die Begierde und die Liebe. Es ist nun nicht so, daß die Begierde nicht mit dem Glauben bestehen, und die Liebe nicht mit irdischen Gütern harmoniren könnte; aber die Begierde nutzt Gott und hängt an der Welt, und die Liebe dagegen nutzt die Welt und hängt an Gott.

Der Endzweck aber giebt den Dingen ihre Namen. Alles was uns hindert ihn zu erreichen trägt den Namen »Feind«. In diesem Sinne sind die Geschöpfe, obzwar an sich gut, Feinde der Gerechten, so sie dieselben von Gott abkehren; und Gott selbst ist der Feind derjenigen, deren Genußsucht er stört.

Da so die Bedeutung des Wortes Feind von dem Endzweck abhängt, verstanden die Gerechten darunter ihre Leidenschaften, die Fleischlichen aber die Babylonier: so daß also jene Bezeichnungen nur für die Ungerechten dunkel waren. Das ist es was Jesaias sagt: » Signa legem in discipulis meis« (Jes. 8, 16.)) und daß Jesus Christus sein wird »ein Stein des Ärgernisses« ( Ibid. 8, 14.) Aber »selig sind, die sich nicht an ihm ärgern.« (Matth. 11, 16.) Auch Hosea sagt es deutlich: »Wer ist weise, der dies verstehe und klug, der dies merke? Denn die Wege des Herrn sind richtig, und die Gerechten wandeln darinnen, aber die Übertreter fallen darinnen.« (Hos. 14, 10.)

Und obwohl dies Testament so beschaffen war, daß es die einen erleuchtete während es die anderen verblendete, so bewies es doch gerade an denen, die es verblendete, die Wahrheit, die von den andern erkannt werden sollte. Denn die sichtbaren Güter, welche sie von Gott empfingen, waren so groß und so göttlich, daß vollkommen klar war, er habe die Macht ihnen die unsichtbaren zu geben und einen Messias.

9.

Die Zeit der ersten Ankunft Christi ist vorherverkündigt, die der zweiten keineswegs: denn die erste sollte verborgen sein, während die zweite so glänzend sein soll und so offenbar, daß selbst seine Feinde ihn erkennen werden. Wie er aber in Verborgenheit kommen sollte und nur denen erkennbar, die in den Schriften forschten, so hatte Gott alles so geordnet, daß alles dazu diente ihn erkennbar zu machen. Die Juden bezeugten ihn indem sie ihn aufnahmen: denn sie waren die Verwalter der Prophetieen; und sie bezeugten ihn ebenso indem sie ihn nicht aufnahmen: denn darin erfüllten sie die Prophetieen.

10.

Die Juden hatten Wunder und Weissagungen, deren Erfüllung sie sahen; die Lehre ihres Gesetzes war, nur einen Gott anzubeten und zu lieben; sie war auch beständig. So hatte sie alle Kennzeichen der wahren Religion: sie war es auch. Aber man muß die Lehre der Juden von der Lehre des Gesetzes der Juden unterscheiden. Denn die Lehre der Juden war nicht wahr, obgleich sie die Wunder, die Weissagungen und die Beständigkeit hatte, weil ihr die andere Forderung fehlte nur Gott anzubeten und zu lieben.

Man muß die jüdische Religion verschieden beurtheilen in der Überlieferung ihrer Heiligen und in der Überlieferung des Volkes. Ihre Sitten- und Glückseligkeitslehre sind in der Tradition des Volkes lächerlich, unvergleichlich dagegen in der ihrer Heiligen. Ihre Grundlage ist bewunderungswürdig. Es ist das älteste Buch der Welt und das glaubwürdigste; und während Muhamed, um das seinige zu erhalten, es zu lesen verbot, hat Moses, um das seinige zu erhalten, aller Welt geboten es zu lesen.

11.

Die jüdische Religion ist durchaus göttlich in ihrem Ansehn, in ihrer Dauer, in ihrer Ewigkeit, in ihrer Sittenlehre, in ihrer Einrichtung, in ihrer Lehre, in ihren Wirkungen etc. Sie war in ihren Formen der messianischen Wahrheit ähnlich, und die messianische Wahrheit ward durch die jüdische Religion, die ihr Vorbild war, erkannt.

Unter den Juden existirte die Wahrheit nur bildlich. Im Himmel ist sie enthüllt. In der Kirche ist sie einerseits verhüllt, andererseits im Bilde erkannt. Das Bild gleicht der Wahrheit, und die Wahrheit wird im Bilde erkannt.

12.

Wer die jüdische Religion nach ihren schlechten Repräsentanten beurtheilen wollte, würde sie schlecht kennen. Sie ist zu finden in den heiligen Büchern und in der Überlieferung der Propheten, die hinlänglich gezeigt, daß sie das Gesetz nicht nach dem Buchstaben verstanden. So ist unsere Religion göttlich im Evangelium, in den Aposteln und in der Tradition; aber sie ist völlig entstellt in ihren verständnislosen Vertretern.

13.

Es gab zwei Arten von Juden. Die einen hatten nur heidnische Gesinnungen, die anderen christliche. Nach den Ansprüchen der fleischlichen Juden soll der Messias ein großer weltlicher Fürst sein.

Nach der Auffassung der fleischlichen Christen ist er erschienen, um uns von der Pflicht der Gottesliebe zu dispensiren und uns die Sacramente zu geben, welche alles wirken ohne uns. Weder das eine noch das andere ist die christliche Religion oder die jüdische. Die wahren Juden und die wahren Christen haben einen Messias erkannt, der sie Gott lieben lehrt und durch diese Liebe über ihre Feinde cf. No. 8. zu triumphiren.

14.

Der Schleier welcher über den Büchern der heiligen Schrift liegt für die Juden, ist ebenfalls da für die schlechten Christen, und für alle diejenigen, welche sich selbst nicht hassen. Aber wie sehr ist man geeignet sie zu verstehen und Jesum Christum zu erkennen, wenn man in Wahrheit sich selbst haßt!

15.

Die fleischlichen Juden stehen in der Mitte zwischen den Christen und den Heiden. Die Heiden erkennen Gott durchaus nicht und lieben nur die Erde. Die Juden erkennen den wahren Gott und lieben nur die Erde. Die Christen erkennen den wahren Gott und lieben die Erde durchaus nicht. Die Juden und die Heiden lieben dieselben Güter. Die Juden und die Christen erkennen denselben Gott.

16.

Es ist offenbar ein Volk, geschaffen um Moses als Zeuge zu dienen. Es bewahrt die Schriften, es liebt sie und versteht sie gar nicht. Und alles das ist vorausverkündigt; denn es ist gesagt: ihnen seien die Gerichte Gottes anvertraut, aber als ein versiegeltes Buch.

So lange es Propheten gab, das Gesetz aufrecht zu erhalten, war das Volk nachlässig. Seit es aber keine Propheten mehr gehabt, ist der Eifer erfolgt; das ist eine bewunderungswürdige Vorsehung.

17.

Als die Weltschöpfung immer mehr in den Hintergrund trat, hat Gott für einen zeitgenössischen Geschichtsschreiber Zeitgenössisch: ah! gesorgt, und ein ganzes Volk als Wache über dies Buch bestellt, damit diese Geschichte die glaubwürdigste der Welt sei und damit alle Menschen das zu wissen Nothwendige lernen könnten, und was man nur hierdurch lernen kann.

18.

Moses war ein gewandter Mann: das ist klar. Hätte er also die Absicht gehabt zu betrügen, er würde es so eingerichtet haben, daß man ihn der Täuschung nicht hätte überführen können. Er that das gerade Gegentheil; denn hätte er Fabeln ausgeboten, es hätte keinen Juden gegeben, der den Betrug nicht hätte entlarven können. Ja, wenn er in Wirklichkeit diese Fabeln in einer Wüste geschrieben, für zwei oder drei Millionen Menschen, welche Bibliotheken gehabt hätten. Aber wenn einige Leviten diese Fabeln mehrere Jahrhunderte nach Moses ausgeschrieben haben, wie ist es wahrscheinlich und wahr! ...
Mehr noch, giebt es eine Nation, bei der man nicht diese Fabeln ausgeboten?

Weshalb z. B. läßt er das Leben der ersten Menschen so lang sein, und so wenig Geschlechter? Hinter einer Menge von Geschlechtern hätte er sich verbergen können, nicht aber hinter so wenigen; denn nicht etwa die Zahl der Jahre, sondern die Menge der Geschlechter macht die Dinge dunkel.

Die Wahrheit ändert sich nur durch den Wechsel der Menschen. Und dennoch rückt er zwei Ereignisse, die denkwürdigsten, die je gedacht worden, die Schöpfung und die Sündflut, so nahe an einander, daß man noch fast an sie hinanreicht durch die kurze Reihe von Geschlechtern, die er aufstellt. So mußte zu der Zeit, wo er diese Sachen schrieb, die Erinnerung daran im Geiste aller Juden noch vollkommen frisch sein. Haben Egypter, Syrier, Chaldäer, Indier ihren Heroen nicht Jahrhunderte an Leben gegeben, ehe die kleine jüdische Horde, deren Nachahmerin, aus der Welt existirte?

Sem, welcher Lamech, Adams Zeitgenossen, kannte, hat mindestens Abraham gesehen; Abraham hat Jacob gesehn und dieser diejenigen, welche Moses sahen. Also sind Sündflut und Schöpfung wahr. So schließt man in gewissen Kreisen von Fachmännern.

Das lange Leben der Patriarchen, weit entfernt die alten Geschichten in Vergessenheit gerathen zu lassen, diente im Gegentheil zu ihrer Erhaltung. Denn der Grund, weshalb man häufig so wenig von der Geschichte seiner Vorfahren kennt, ist der, daß man kaum mit ihnen zusammen gelebt und daß sie oft gestorben sind, ehe man zu Jahren gekommen ist. Aber als die Menschen so lange lebten, lebten die Kinder lange mit ihren Vätern und hörten lange deren Erzählungen. Und wovon hätten sie anders erzählt, als von der Geschichte ihrer Vorfahren, zumal alle Geschichte darauf beschränkt war, und sie weder die Wissenschaften noch die Künste kannten, welche einen großen Theil aller Gespräche im Leben für sich in Anspruch nehmen? Auch ist es klar, daß in jener Zeit die Völker eine besondere Sorgfalt darauf verwandten, ihre Genealogieen aufzubewahren.

19.

Je mehr ich die Juden prüfe, um so mehr Wahrheiten finde ich bei ihnen; und dies Zeichen, daß sie weder Propheten noch Könige haben; und wenn sie auch unsere Feinde sind, so sind sie doch bewunderungswürdige Zeugen der Wahrheit dieser Prophetieen, in denen ihr Leben und ihre Verblendung selbst vorherverkündigt. In dieser Umrahmung finde ich diese Religion durchaus göttlich in ihrem Ansehn, in ihrer Dauer, in ihrer Ewigkeit, in ihrer Sittenlehre, in ihrer Einrichtung, in ihren Wirkungen. Und so breite ich meine Arme aus zu meinem Erlöser, der, viertausend Jahre lang vorausverkündigt, in den Zeiten und unter allen voraus verkündigten Umständen erschienen ist, um für mich auf Erden zu leiden und zu sterben; und durch seine Gnade erwarte ich den Tod in Frieden, in der Hoffnung ewig mit ihm vereint zu sein; und doch lebe ich auch mit Freude, sei es in den Segnungen, die es ihm gefällt mir zu verleihen, sei es in den Leiden, die er mir zu meinem Heile sendet, und die er mich durch sein Beispiel tragen gelehrt.

Seitdem verwerfe ich alle anderen Religionen: hier finde ich Antworten gegen alle Einwürfe. Es ist gerecht, daß ein so reiner Gott sich nur denen offenbart, die reines Herzens sind.

Ich finde hier in der That, so weit das Gedächtnis der Menschen reicht, ein Volk, welches älter ist als jedes andere. Es ist den Menschen beständig verkündigt: sie befänden sich in einer allgemeinen Verderbtheit, aber es werde ein Heiland kommen: das hat nicht etwa ein einzelner Mensch gesagt, sondern eine Unendlichkeit von Menschen, und ein ganzes prophezeiendes Volk während vier Jahrtausenden.


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