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Siebenter Artikel.
Elend des Menschen.

1.

Nichts ist geeigneter, uns zu der Erkenntnis des Elends der Menschen eingehen zu lassen, als die Betrachtung des wahren Grundes der beständigen Unruhe, in welcher sie ihr Leben hinbringen.

Die Seele ist in den Körper gelegt zu einem Aufenthalt von kurzer Dauer. Um sagen zu können »die Seele ist gelegt« müßte man gewiß sein, daß sie Substanz und nicht Qualität ist. Das hat fast niemand untersucht und damit müßte man beginnen in der Metaphysik, in der Moral etc. Sie weiß, daß es nur ein Durchgang ist zu einer ewigen Reise, und daß ihr nur die kurze Zeit der Lebensdauer gegeben ist, sich darauf vorzubereiten. Die Bedürfnisse der Natur nehmen davon einen sehr großen Theil weg. Es bleibt ihr nur ein sehr kleiner Rest, über den sie verfügen kann. Aber selbst dies geringe Überbleibsel belästigt sie so stark, und verwirrt sie so sonderbar, daß sie nur daran denkt es zu verlieren. Es ist ihr eine unerträgliche Qual gezwungen zu sein, mit sich zu leben und an sich zu denken. So ist ihre ganze Sorge, sich selbst zu vergessen und die so kurze und so kostbare Zeit ohne Reflexion hingehen zu lassen, indem sie sich nur mit Dingen beschäftigt, die eine solche Betrachtung hindern.

Das ist der Ursprung aller geräuschvollen Beschäftigungen der Menschen und alles dessen, was man Zerstreuung oder Zeitvertreib nennt, wobei man in der That kein anderes Ziel hat, als um in ihnen die Zeit vergehen zu lassen, ohne es zu spüren, oder vielmehr ohne sich selbst zu spüren, und um unter Verlust dieses Theiles des Lebens der Bitterkeit und dem inneren Widerwillen auszuweichen, welche nothwendig die aufmerksame Betrachtung seiner selbst, während jener Zeit, begleiten würde. Die Seele findet in sich nichts, was sie befriedigte; sie sieht dort nichts, was sie nicht betrübte, wenn sie daran denkt. Das zwingt sie nach Außen zu schweifen und den Versuch zu machen, in der Anhänglichkeit an äußere Dinge die Erinnerung ihres wahren Zustandes zu verlieren. Ihre Freude besteht in dieser Vergessenheit; und sie elend zu machen, genügt es, sie zu verpflichten, sich zu betrachten und mit sich zu sein.

Man belastet die Menschen von Kindheit an mit der Sorge für ihre Ehre, für ihre Güter und selbst für das Gut und die Ehre ihrer Eltern und ihrer Freunde. Man überhäuft sie mit dem Studium der Sprachen, der Wissenschaften, der gelehrten Arbeiten und der Künste. Man überbürdet sie mit Geschäften: man giebt ihnen zu verstehen, sie vermöchten nicht glücklich zu sein, wenn sie nicht so durch eignen Fleiß und eigne Sorge bewirkten, daß ihr Glück und ihre Ehre, und selbst das Glück und die Ehre ihrer Freunde in gutem Zustande sei, und daß, wenn nur eins hieran fehle, sie unglücklich sein würden. Also überträgt man ihnen Ämter und Geschäfte, welche sie von Anbruch des Tages an in Unruhe erhalten. Das ist aber, werdet ihr sagen, eine sonderbare Art und Weise sie glücklich zu machen. Was könnte man besseres thun, sie unglücklich zu machen? Fragt ihr, was man thun könnte? Man brauchte ihnen nur all' diese Sorgen zu nehmen; denn dann würden sie sich sehen und an sich selbst denken; und das eben ist ihnen unerträglich. Ebenso, wenn ihnen, nachdem sie sich mit so viel Geschäften belastet, einige Zeit zur Erholung bleibt, so suchen sie noch dieselbe an irgend eine Zerstreuung zu verlieren, welche sie völlig in Anspruch nimmt und sie sich selbst entzieht.

Darum habe ich, wenn ich mich daran machte die verschiedenen Handlungsweisen der Menschen zu betrachten, die Gefahren und die Mühen denen sie sich aussetzen bei Hofe, im Kriege, in der Verfolgung ihrer ehrgeizigen Bestrebungen, woraus so viele Klagen, soviel Leidenschaften und gefährliche und traurige Unternehmungen hervorgehen, wiederholt gesagt, daß das ganze Unglück des Menschen daher kommt, daß er sich nicht ruhig in seinem Zimmer zu halten weiß. Wenn ein Mensch, der genug Vermögen hat um zu leben, zu Hause zu bleiben verstände, er würde nicht fortgehen, um über das Meer zu reisen oder zu der Belagerung einer Festung zu eilen; und wenn man weiter nichts suchte als zu leben, man bedürfte solcher gefährlichen Beschäftigungen nur sehr wenig.

Aber da ich es genauer betrachtete habe ich gefunden, daß diese Angst der Menschen vor der Ruhe und vor ruhiger Selbstbetrachtung einen sehr wirksamen Grund hat, nämlich das natürliche Unglück unserer schwachen und sterblichen und so elenden Beschaffenheit, daß nichts uns trösten kann, wenn wir ungehindert daran denken und nichts sehen als uns selbst.

Ich spreche nur von denen, die sich ohne Rücksicht auf die Religion betrachten. Denn es ist wahr, es ist eins der Wunder der christlichen Religion, den Menschen mit sich selbst zu versöhnen, indem sie ihn mit Gott versöhnt; ihm die Betrachtung seiner selbst erträglich zu machen und zu bewirken, daß manchen die Einsamkeit und die Ruhe angenehmer, sind als Leben und Treiben der Menschen. Auch bringt sie all' diese wunderbaren Wirkungen nicht hervor, indem sie den Menschen auf sich selbst beschränkt. Vielmehr geschieht dies nur, indem sie ihn zu Gott führt und ihn in der Empfindung all' seines Elends aufrecht erhält durch die Hoffnung auf ein anderes Leben, das vollständig davon frei machen muß.

Für diejenigen aber, die nur nach den Regungen handeln, die in ihnen und in ihrer Natur begründet sind, ist es unmöglich in dieser Ruhe, die ihnen Gelegenheit giebt sich zu betrachten und sich zu sehen, zu verharren, ohne sofort von Kummer und Traurigkeit überfallen zu werden. Der Mensch, der nur sich liebt, haßt nichts so sehr als mit sich allein zu sein. Er sucht nichts als nur für sich und er flieht nichts so sehr als sich; denn wenn er sich sieht, sieht er sich nicht so wie er sich wünscht, sondern findet in sich eine Menge unvermeidlichen Elends und eine Leere an wirklichen und wahren Gütern, die er auszufüllen unfähig ist.

Man wähle eine Lage, welche man wolle, und man verbinde damit alle Güter und alle Befriedigungen, welche scheinen den Menschen zufrieden stellen zu können: wenn derjenige, den man in diese Lage versetzt, ohne Beschäftigung und ohne Zerstreuung bleibt, und wenn man ihn Betrachtungen über sein Wesen anstellen läßt, so wird ihm diese ermüdende Glückseligkeit nichts frommen; er wird nothwendig betrübender Betrachtung der Zukunft verfallen, und wenn man ihn nicht mit Außendingen beschäftigt, so wird er nothwendig unglücklich sein.

Ist die königliche Würde nicht an sich hinreichend groß, um denjenigen, der sie besitzt, allein durch die Betrachtung dessen, was er ist, glücklich zu machen? Brauchte es noch, ihn in diesem Gedanken zu zerstreuen, wie Leute des gewöhnlichen Volkes? Ich erkenne wohl, daß es einen Menschen glücklich machen heißt, ihn von der Betrachtung seines häuslichen Elends abzubringen, indem man all' sein Denken auf die Bemühung lenkt, gut zu tanzen. Aber verhält es sich ebenso mit einem Könige? ist er, wenn er sich diesen eitlen Vergnügungen hingiebt, glücklicher als in der Betrachtung seiner Größe? Welch' einen Gegenstand, der mehr befriedigte, könnte man seinem Geiste darbieten? Würde man nicht seiner Freude schaden, wenn man seine Seele damit beschäftigte Bedacht darauf zu nehmen, wie er seine Schritte dem Tacte einer Tonweise anpasse, oder wie er geschickt einen Ball werfe, statt ihn in Ruhe der Betrachtung der majestätischen Glorie, die ihn umgiebt, genießen zu lassen? Man mache die Probe; man lasse einen König allein, ohne irgend welche Befriedigung der Sinne, ohne irgend eine Sorge im Geiste, ohne Gesellschaft ganz nach Muße an sich denken, und man wird sehen, daß ein König, der sich sieht, ein Mensch ist voller Elend, der es ganz wie ein anderer empfindet. Stets dieselbe Sophisterei. Ein König, der sich sammelt, um zu denken, ist alsdann sehr beschäftigt; aber wenn er seine Gedanken nur auf sich beschränkte, indem er zu sich selbst sagte: »Ich herrsche«, und weiter nichts, so wäre er ein Idiot. Auch vermeidet man das sorgfältig, und in der Umgebung der Person des Königs fehlt nie eine große Zahl von Menschen, die darauf achten, den Geschäften Zerstreuungen folgen zu lassen, und die die ganze Zeit ihrer Muße benutzen, um ihnen Vergnügungen und Spiele darbieten zu können, so daß kein leerer Zeitpunkt überbleibt; d. h. sie sind umgeben von Personen, die mit außerordentlicher Sorgfalt Acht geben, daß der König nicht allein und in der Lage sei, an sich zu denken, da sie wissen, daß er unglücklich sein wird, so sehr er König ist, wenn er daran denkt.

Auch ist der Hauptgrund, der die Menschen in hohen Ämtern, die sonst so lästig sind, erhält der, daß sie unablässig gehindert sind an sich zu denken.

Gebt darauf Acht. Was ist es wohl anders Superintendent, Kanzler, Ministerpräsident zu sein, als eine große Anzahl von Menschen zu haben, die von allen Seiten kommen, um ihnen des Tags nicht eine Stunde zu lassen, wo sie an sich selbst denken könnten? Und wenn sie in Ungnade gefallen sind und man sie auf ihre Landhäuser schickt, wo es ihnen nicht an Gütern, noch an Bedienten fehlt, die für ihre Bedürfnisse sorgen, lassen sie nicht ab, sich elend zu fühlen, weil niemand sie mehr hindert an sich zu denken.

Daher kommt es, daß so viel Menschen Gefallen finden am Spiel, an der Jagd und an anderen Zerstreuungen, die ihre ganze Seele erfüllen. Der Grund ist in der That nicht der, daß das was man mittelst dieser Spiele erwerben kann, glücklich mache, noch auch die Einbildung, in dem Gelde, was man im Spiel gewinnen kann, liege die wahre Glückseligkeit, oder in dem Hasen, den man jagt. Man würde ihn nicht wollen, wenn er angeboten würde. Nicht diesen ruhigen und friedlichen Gebrauch, der uns unserer unglücklichen Lage gedenken läßt, erstrebt man, sondern Unruhe, die uns davon abhält daran zu denken.

Deshalb lieben die Menschen so sehr den Lärm und das Geräusch der Welt, deshalb ist Gefangenschaft eine so schreckliche Strafe und deshalb giebt es so wenig Menschen, welche die Einsamkeit zu ertragen im Stande sind.

Das ist alles, was die Menschen haben erfinden können, sich glücklich zu machen. Und diejenigen, deren einziges Vergnügen es ist, die Eitelkeit und Niedrigkeit der menschlichen Zerstreuungen nachzuweisen, kennen in Wahrheit sehr gut einen Theil ihres Elends; denn das ist ein gar großer, an so niedrigen und verächtlichen Dingen Vergnügen finden zu können; aber sie kennen nicht den Grund, weshalb ihnen sogar dies Elend nothwendig ist, so lange sie nicht von dem innern und natürlichen Elend geheilt sind, nämlich davon, daß sie die Betrachtung ihrer selbst nicht ertragen können. Der gekaufte Hase würde sie nicht vor dieser Betrachtung schützen; aber die Jagd schützt sie davor. Wenn man ihnen also vorwürfe, daß das, was sie mit solchem Feuereifer erstreben, gar nicht im Stande sei, sie zu befriedigen, daß es nichts Niedrigeres und Eitleres gäbe, und sie antworteten so, wie sie es müßten, wenn sie richtig überlegten; so würden sie damit übereinstimmen; zugleich aber würden sie sagen, daß sie dabei nur eine aufregende und hinreißende Beschäftigung suchten, die sie von der Betrachtung ihrer selbst abzöge, und aus diesem Grunde suchten sie einen anziehenden Gegenstand, der sie entzücke und ganz in Anspruch nehme. Aber eine solche Antwort geben sie nicht, weil sie sich selbst nicht kennen. Ein Edelmann glaubt völlig im Ernst, daß die Jagd etwas Großes und Edles sei: er nennt sie ein königliches Vergnügen. Ebenso ist es mit anderen Dingen, mit denen sich die meisten Menschen beschäftigen. Man bildet sich ein, daß in den Gegenständen selbst ein wirklicher und wahrhafter Werth liege. Man redet sich ein, wenn man nur erst dies oder jenes Amt erhalten habe, so würde man sich darauf mit Vergnügen zur Ruhe setzen; und man übersieht dabei die unersättliche Natur seiner Begierde. Man glaubt in vollem Ernst die Ruhe zu suchen und man sucht in der That nur Geschäftigkeit.

Die Menschen haben einen geheimen Trieb, eine Folge des Bewußtseins ihres beständigen Elends, der sie antreibt Zerstreuung und äußere Beschäftigung zu suchen. Und sie haben einen andern geheimen Trieb, einen Rest ihrer Größe und ihrer ersten Natur, der sie erkennen läßt, daß das Glück in Wahrheit nur in der Ruhe liege. Und aus diesen beiden entgegengesetzten Trieben gestaltet sich in ihnen ein unbestimmtes Ziel, das sich ihrer Betrachtung auf dem Grunde ihrer Seele verbirgt, und sie antreibt durch Geschäftigkeit zur Ruhe zu streben, und sich stets einzubilden, die Befriedigung, die ihnen fehlt, würde ihnen zu Theil werden, wenn sie erst einige Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen, überwunden hätten und sich von da aus die Pforte zur Ruhe eröffnen könnten. Da dieser geheime Trieb das erste Princip und die nothwendige Grundlage der Gesellschaft ist, so kommt er vielmehr aus der Güte Gottes und ist eher ein Mittel unseres Glückes als die Erinnerung an unser Elend. Ich weiß nicht, was unsere Stammeltern im irdischen Paradiese machten; aber wenn jeder von ihnen nur an sich gedacht hätte, so wäre die Existenz des menschlichen Geschlechtes sehr dem Zufalle ausgesetzt gewesen. Ist es nicht absurd zu denken, sie hätten vollkommene Sinne, d. h. Werkzeuge zu vollkommenen Handlungen nur für die Contemplation gehabt? Und ist es nicht spaßhaft, daß denkende Köpfe sich einbilden können, die Trägheit sei ein Grund der Größe, die Thätigkeit dagegen eine Erniedrigung unserer Natur?

So verrinnt das ganze Leben. Man sucht die Ruhe in der Bekämpfung dieser oder jener Hindernisse; und wenn man über sie glücklich hinweg ist, wird die Ruhe unerträglich. Denn entweder denkt man an das Elend, unter dem man leidet, oder an das, wovon man bedroht ist. Und wenn man sich sogar vollständig von allen Seiten geschützt sähe, so würde die Langeweile, ihrer sie hemmenden Beherrscherin beraubt, unablässig vom Grunde des Herzens emporwachsen, in dem sie ihre natürlichen Wurzeln hat, und den Geist mit ihrem Gifte erfüllen.

Das ist der Grund, weshalb Cyneas, Das Beispiel des Cineas ist gut in den Satiren des Despréaux, aber nicht in einem philosophischen Buche. Ein weiser König kann zu Hause glücklich sein; daß man uns Pyrrhus als einen Narren darstellt, beweist nichts für die übrigen Menschen. als er zu Pyrrhus, der sich vornahm, wenn er erst einen Theil der Welt erobert hätte, mit seinen Freunden der Ruhe zu genießen, sagte, er könne sich sein Glück besser verschaffen, wenn er gleich jetzt der Ruhe genösse, statt sie erst durch so viel Mühsale zu suchen, ihm einen Rath gab, der sehr schwer auszuführen war und der kaum vernünftiger war, als die Absicht jenes jungen Ehrgeizigen. Der eine wie der andere setzte voraus, daß sich der Mensch an sich selbst und seinen gegenwärtigen Gütern genügen lassen könne, ohne die Lücke seines Herzens mit imaginären Hoffnungen auszufüllen; und das ist falsch. Pyrrhus konnte nicht glücklich sein, weder vor noch nach Eroberung der Welt; und vielleicht, daß ihn das gemächliche Leben, zu dem ihm sein Minister rieth, noch weit weniger hätte befriedigen können, als die Unruhe so vieler Kriege und so vieler Reisen, die er sich ausdachte.

Man muß also erkennen, daß der Mensch so unglücklich ist, daß er sich selbst ohne besondere Ursache zur Langenweile langweilen würde, eben vermöge der Art seiner natürlichen Beschaffenheit; Könnte man nicht ebenso wahr sagen, der Mensch sei in diesem Punkte so glücklich, wir seien dem Schöpfer der Natur so sehr verpflichtet, daß er mit der Unthätigkeit die Langeweile verknüpft, um uns dadurch zu zwingen, dem Nächsten und uns selbst nützlich zu sein? und er ist trotzdem so eitel und flüchtig, daß, wenn tausend wesentliche Gründe zur Langenweile vorliegen, die geringste Bagatelle genügt, ihn zu zerstreuen. So ist er, wenn man es ernstlich erwägt, weit mehr zu beklagen um deswegen, daß er sich an so nichtswürdigen und niedrigen Dingen zerstreuen kann, als weil er um sein wirkliches Elend bekümmert ist, und seine Zerstreuungen sind unendlich viel weniger vernünftig, als seine Langeweile.

2.

Woher kommt es, daß jener Mann, der vor kurzem seinen einzigen Sohn verloren, und der überhäuft von Prozessen und Klagen heute Morgen so aufgeregt war, jetzt nicht mehr daran denkt? Gerathet in Erstaunen: er ist ganz davon in Anspruch genommen zu sehen, wo der Hirsch, den seine Hunde seit sechs Stunden mit Hitze verfolgen, herauskommen wird. Mehr braucht es nicht für einen Menschen, wie sehr er auch von Traurigkeit bedrückt sein mag. Wenn man ihn dazu vermag an irgend einer Zerstreuung Theil zu nehmen, so ist er während dieser Zeit glücklich, allerdings vermöge eines falschen und eingebildeten Glückes, das nicht dem Besitze irgend eines wirklichen und wahrhaften Gutes entspringt, sondern einem Leichtsinn des Geistes, vermöge dessen er die Erinnerung an sein wahres Elend verliert, um sich niedrigen und lächerlichen, seiner Zuneigung und noch mehr seiner Liebe unwürdigen Gegenständen hinzugeben. Das ist eine krankhafte und unsinnige Freude, die nicht aus der Gesundheit seiner Seele, sondern aus ihrer Entartung hervorgeht; es ist ein Lachen der Narrheit und des Trugs. Denn es ist ein sonderbares Ding, das zu betrachten, woran die Menschen bei ihren Spielen und Zerstreuungen Gefallen finden. Es ist wahr, daß solange sie den Geist in Anspruch nehmen, sie ihn von der Empfindung seiner Leiden befreien. Aber sie nehmen ihn nur in Anspruch, weil der Geist sich dabei einen imaginären Gegenstand seiner Leidenschaft schafft, woran er sich anschließt.

Was glaubt ihr, sei der Zweck dieser jungen Leute, die Ball spielen mit soviel geistiger Hingabe und körperlicher Beweglichkeit? Der, sich am folgenden Tage bei ihren Freunden zu rühmen, daß sie besser gespielt, als ein anderer. Das ist die Quelle ihrer Hingebung. So schwitzen andere in ihren Studirzimmern, um den Gelehrten zu zeigen, daß sie ein Problem der Algebra, das bisher nicht gelöst werden konnte, gelöst haben. Und manche andere setzen sich den größten Gefahren aus, um sich später der Eroberung einer Festung zu rühmen, eben so thöricht meiner Ansicht nach. Andere endlich arbeiten sich daran ab, alle diese Dinge zu bemerken, nicht etwa um dadurch weiser zu werden, sondern nur um zu zeigen, daß sie ihre Nichtigkeit kennen; und gerade diese sind die Thörichtsten der ganzen Gesellschaft, weil sie es mit Erkenntnis sind; während man doch bei den andern denken kann, sie würden es nicht sein, wenn sie diese Erkenntnis hätten.

3.

Solch' ein Mensch lebt frei von Langerweile, wenn er täglich um etwas spielt, und man würde ihn sehr unglücklich machen, wenn man ihm alle Morgen soviel Geld gäbe, wie er täglich gewinnen kann, mit der Bedingung nicht zu spielen. Man wird vielleicht einwenden, er suche eben das Vergnügen und nicht den Gewinn. Aber man lasse ihn um nichts spielen: er wird sich dabei nicht aufregen, sondern langweilen. Er sucht also nicht das Vergnügen allein: ein langweiliges, leidenschaftsloses Vergnügen wird ihn ermüden. Er muß sich dabei aufregen, und sich selbst reizen mit der Einbildung, er werde glücklich sein zu gewinnen, was er geschenkt unter der Bedingung nicht zu spielen nicht haben wollte, und er muß sich einen Gegenstand der Leidenschaften formen, der seine Begier, seinen Zorn, seine Furcht, seine Hoffnung aufreize.

So sind die Zerstreuungen, welche das Glück der Menschen ausmachen, nicht nur niedrig, sie sind auch falsch und trügerisch; d. h. sie haben Phantome und Illusionen als Grundlage, die außer Stande wären den Geist des Menschen zu fesseln, wenn er nicht Empfindung und Gefühl des wahren Glückes verloren hätte, und wenn er nicht voll wäre von Niedrigkeit, Eitelkeit, Leichtsinn, Stolz und unendlichen anderen Lastern: und sie trösten uns in unserm Elend nur indem sie uns ein wesenhafteres und wirksameres Elend verursachen. Denn gerade dies hauptsächlich hindert uns, an uns zu denken, und dies läßt uns die Zeit unmerklich verlieren. Ohne das würden wir uns langweilen; und diese Langeweile würde uns antreiben, ein besseres Mittel, ihr zu entgehen, aufzusuchen. Aber die Zerstreuung täuscht uns, vergnügt uns, und führt uns unmerklich zum Tode.

4.

Da die Menschen Tod, Elend, Unwissenheit nicht heilen konnten, sind sie, um sich glücklich zu machen, darauf verfallen, nicht daran zu denken: das ist alles, was sie haben erfinden können, um sich über so viele Leiden zu trösten. Aber es ist ein sehr elender Trost, denn er geht darauf hinaus, nicht das Übel zu heilen, sondern es einfach auf kurze Zeit zu verbergen, und wenn man es verbirgt, denkt man nicht daran es in Wahrheit zu heilen. So ergiebt sich vermöge einer sonderbaren Umkehrung der menschlichen Natur, daß die Langeweile, sein fühlbarstes Übel, in einer Weise sein größtes Glück ist, weil sie mehr als alles andere dazu beiträgt, ihn seine wahre Heilung suchen zu lassen; und daß die Zerstreuung, wie er glaubt, sein größtes Glück, in der That sein größtes Übel ist, weil sie ihn mehr als alles andere davon abhält, Besserung seiner Leiden zu suchen: und das eine wie das andere ist ein bewunderungswürdiger Beweis des Elends und der Verderbtheit des Menschen und zugleich seiner Größe; der Mensch langweilt sich an allem und sucht diese Menge von Beschäftigungen nur deshalb, weil er eine Vorstellung hat von dem Glück, das er verloren, und da er dies nicht in sich findet, so sucht er es vergeblich in äußeren Dingen, ohne sich je befriedigen zu können, denn es ist weder in uns, noch in der Creatur, sondern allein in Gott.

5. Die Natur macht uns nicht immer unglücklich. Pascal spricht stets wie ein Kranker, der da will, daß die ganze Welt leide.

Da uns die Natur in jedem Zustande stets unglücklich macht, entwerfen unsere Wünsche einen glücklichen Zustand, indem sie mit dem Zustand, worin wir uns befinden, die Freuden eines solchen verbinden, in dem wir nicht sind; und wenn wir nun jene Freuden erreichen würden, würden wir darum doch nicht glücklich sein, da wir dann wieder andere Wünsche haben würden, die zu einem neuen Zustande paßten.

6. Dieser Vergleich ist sicherlich nicht richtig. Unglückliche in Ketten, die man ein nach dem andern erwürgt, sind unglücklich, nicht allein weil sie leiden, sondern auch weil sie erproben was andere Menschen nicht leiden. Das natürliche Loos des Menschen ist weder in Ketten zu sein, noch erwürgt zu werden; aber alle Menschen sind wie die Thiere, die Pflanzen geschaffen, um zu wachsen, eine gewisse Zeit zu leben, Ihresgleichen hervorzubringen, und um zu sterben. In einer Satire kann man den Menschen so viel man will von der schlechten Seite zeigen; aber wenn man seine Vernunft nur ein wenig gebraucht, so wird man zugestehen, daß von allen lebenden Wesen der Mensch das Vollkommenste, das Glücklichste und dasjenige ist, welches am längsten lebt; denn was man von Hirschen und Raben sagt ist nur Fabel: statt also zu erstaunen und uns zu beklagen über das Unglück und die Kürze des Lebens, müssen wir staunen und uns Glück wünschen wegen unseres Glückes und seiner Dauer. Um rein philosophisch zu schließen, wage ich zu behaupten, daß viel Stolz und Verwegenheit dazu gehört zu behaupten, wir könnten vermöge unserer Natur besser sein, als wir sind.

Man denke sich eine Anzahl von Menschen in Ketten, alle zum Tode verurtheilt, wovon einige täglich vor den Augen der andern hingerichtet würden, während die Zurückbleibenden ihr eignes Geschick in dem ihres Gleichen sähen und sich einander mit Schmerz und Hoffnung anblickend erwarteten, daß sie an die Reihe kämen; das ist das Bildnis der Lage des Menschen.


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