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18. Kapitel

Ein paar Stunden lang hatte sich Herta schlummerlos auf ihrem Lager herumgeworfen. Die verschiedenartigsten Pläne, die sich in ihrem Kopfe jagten, und von denen ihr keiner ausführbar schien, hatten sie nachgerade in eine Aufregung versetzt, der ihr Nervensystem kaum noch länger gewachsen war. Als sie sich bei Tagesanbruch erhob, war sie zu der Erkenntnis gelangt, daß sie unter allen Umständen rasch und rücksichtslos handeln müsse, wenn die Ungewißheit und die Furcht vor den kommenden Ereignissen sie nicht dem Wahnsinn nahebringen sollten.

Noch hatte sie sich ihr Handeln nicht mit voller Klarheit vorgezeichnet, aber sie war wenigstens über die Hauptsache mit sich im reinen, und sie setzte alle Hoffnung auf die Macht ihrer Schönheit, von der sie bisher noch niemals, auch nicht in den kritischsten Lagen, im Stich gelassen worden war.

Nachdem sie sich angekleidet hatte, schrieb sie ein für Doktor Relling bestimmtes Billett und schickte Lisette, die heute eine noch unverschämtere Miene und ein noch schnippischeres Wesen zur Schau trug als sonst, mit dem Briefe, auf den sie ihr sofort Antwort bringen sollte, in die Stadt hinunter. Dann hatte sie eine längere Unterredung mit ihrer angeblichen Tante. Und das Ergebnis derselben war, daß die Geheimrätin, die ebenfalls sehr verstört und übernächtigt aussah, alsbald mit dem Packen eines großen Reisekoffers begann. Inzwischen war auch das Mädchen mit dem Bescheid des Doktors zurückgekehrt. Relling war, wie sie sagte, eben mit einem Patienten beschäftigt gewesen, und er hatte sich nur Zeit gelassen, mit Bleistift eine Zeile auf die Rückseite seiner Visitenkarte zu schreiben.

»Ich erwarte dich also um die angegebene Zeit«, las Herta in seinen großen energischen Schriftzügen. Und sie zerriß die Karte alsbald in kleine Stücke. Wenn sie sich Zeit gelassen hätte, den Briefumschlag zu prüfen, in welchen Relling sie gelegt hatte, so würde sie vielleicht unschwer entdeckt haben, daß er von einer wenig geschickten Hand geöffnet und nur notdürftig wieder verschlossen worden war. Aber sie war jetzt nicht in der Stimmung, auf derartige Dinge Gewicht zu legen. Nachdem sie sicher war, daß Relling im Laufe des Vormittags nicht zur Villa heraufkommen würde, ließ sie Lisette anfragen, ob Mr. Stounton schon in der Lage sei, sie zu empfangen. Die Antwort lautete, wie sie es erwartet hatte, bejahend, und ein paar Minuten später war sie wieder mit dem jungen Engländer allein.

Auch er schien in dieser Nacht wenig Schlummer gefunden zu haben, denn er sah schlecht aus und mußte offenbar seine ganze Energie aufbieten, um ihr zu verheimlichen, wie angegriffen er sich fühlte.

Seine augenfällige Schwäche erfüllte Herta mit Besorgnis; aber unter den obwaltenden Umständen durfte sie nicht mehr daran denken, ihn zu schonen. Denn er allein war es ja, von dem sie die Rettung erwartete.

»Höre mich an, Randolf,« flüsterte sie, indem sie sich zärtlich an seine Seite schmiegte. »Ich kann dir's nicht ersparen, dich schon in dieser Stunde über unsere Zukunft zu entscheiden. Denn es sind Ereignisse eingetreten, die einen längeren Aufschub unmöglich machen.«

Berauscht von dem süßen Zauber ihrer Nähe, hatte er alle seine körperliche Hinfälligkeit vergessen, und in leidenschaftlicher Zärtlichkeit schlang er seinen Arm um ihre schöne Gestalt.

»Aber haben wir denn nicht bereits über unsere Zukunft entschieden, mein Lieb? Gehören wir denn nicht schon untrennbar zueinander?«

»In unseren Herzen – ja! Aber es gibt noch so vieles, das uns auseinanderreißen könnte. Und nur wenn du die Kraft eines mutigen Entschlusses hast, werden wir all dies Feindselige und Widerwärtige mit einem Schlage aus dem Wege räumen.«

»So stelle mich auf die Probe. Sage mir, wozu ich mich entschließen soll. Und sei gewiß, daß es mir weder an Mut noch an der erforderlichen Kraft gebrechen wird.«

»Wir müssen fort von hier, Randolf – weit fort! Jedenfalls bis über die deutsche Grenze. Und es muß sehr bald geschehen, spätestens morgen. Wirst du dich stark genug fühlen, eine solche Reise zu wagen?«

Er fühlte sich wahrlich nicht stark genug dazu. Aber selbst wenn er noch hundertmal hinfälliger gewesen wäre, würde er es nicht über sich gewonnen haben, ihre Frage zu verneinen.

»Noch in dieser Stunde, mein Liebling, wenn du es für notwendig hältst. Aber ich verstehe nicht – –«

»Du darfst mich nicht nach den Beweggründen fragen«, fiel sie ihm hastig in die Rede. »Wenn wir uns auf französischem oder italienischem Boden befinden, werde ich dir alles sagen. Für jetzt muß dir's genug sein, daß wir auf keinem anderen Wege dahin gelangen werden, glücklich zu sein, als auf diesem.«

»Und kannst du denn alles hier im Stich lassen, fürchtest du dich nicht vor dem Gerede der Welt?«

Mit Entschiedenheit schüttelte sie den Kopf.

»Es gibt nur eins, wovor ich mich fürchte. Und es steht bei dir, mich von dieser Furcht zu befreien.«

»Bei mir? Nun so soll sie dich wahrhaftig nicht lange mehr quälen! Was ist es denn, was du von mir besorgst?«

»Ich fürchte, daß du mich vielleicht doch nicht genug liebst, um mir rückhaltlos zu vertrauen. Noch weißt du ja vielleicht nicht alles, was nach der Meinung der Welt gegen mich spricht. Und ich zittere bei dem Gedanken, daß du dich mit Verachtung von mir abwenden könntest, wenn du es erfährst.«

»So sage mir's, Herta – und du wirst noch in dieser Stunde den Beweis erhalten, wie töricht und überflüssig deine Besorgnisse waren.«

Sie küßte ihn so leidenschaftlich, daß ihm fast der Atem verging. Aber seinem Verlangen willfahrte sie nicht.

»Nicht jetzt, nicht heute oder morgen, Randolf! Es gibt eine heilige Pflicht, die mir die Lippen verschließt. Und wenn ich dir angehören soll, so muß ich zuvor dein Versprechen haben, daß du an mich glaubst, und daß du zu mir halten wirst, was man dir auch später von mir erzählen mag.«

Gewiß würde er trotz all seiner Verliebtheit Bedenken getragen haben, ein so gewagtes Versprechen abzulegen, wenn ihn ihre sinnbetörende Schönheit nicht in ihrem Bann gehalten hätte. Aber so lange er in ihre herrlichen Augen sah, so lange er ihre weiche Gestalt zärtlich hingegeben in seinem Arm fühlte, würde er ohne Zaudern auch das Unmögliche versprochen haben.

»Ich schwöre dir's, Herta«, sagte er. »Was kümmert mich alles, was vor diesem Tage geschehen ist! Ich begehre ja nichts anderes, als daß du mich liebst!«

Das war es, was sie hatte hören wollen. Und nun entwickelte sie ihm in raschen Worten ihren Plan. Am nächsten Morgen sollte er in Begleitung der Geheimrätin, die unterwegs alle durch seinen Zustand gebotene Fürsorge aufwenden würde, abreisen, und am darauffolgenden Tage wollte Herta mit ihm in Paris zusammentreffen. Sie hatte offenbar alles reiflich überlegt, denn sie bezeichnete ihm das Hotel, in welchem er absteigen sollte, und er ersah aus ihren Worten, daß sie mit den Verhältnissen der französischen Hauptstadt wohl vertraut sein mußte.

Aber er zerbrach sich darüber, wie über all das Rätselhafte in ihrem Benehmen nicht mehr den Kopf. Widerstandslos wie ein gehorsamer Sklave beugte er sich ihrem starken Willen. Und die einzige Sorge, die ihn beunruhigte, war die Furcht, daß seine physischen Kräfte der Zumutung dieser fluchtartigen Reise nicht gewachsen seien, und der Gedanke an die Hindernisse, die sich der Ausführung des abenteuerlichen Planes noch im letzten Augenblick entgegenstellen könnten.

»Aber hast du auch daran gedacht, daß Ruth hier zurückgeblieben ist?« fragte er beklommen. »Ich kann doch eigentlich nicht fortgehen, ohne mich mit ihr auszusprechen und ihr ein Wort des Abschiedes zu sagen. Außerdem hat meine Mutter mir für einen der nächsten Tage das Eintreffen einer Berliner Freundin in Aussicht gestellt. Es wäre doch wohl gebotene Rücksicht, die Hierherkunft dieser Dame durch eine entsprechende Mitteilung zu verhindern.«

Aber Herta wollte das eine so wenig zugeben wie das andere.

»Wir müssen mit der größten Heimlichkeit zu Werke gehen,« erklärte sie, »wenn nicht alles vereitelt werden soll. Wozu auch sollte eine aufregende persönliche Aussprache mit deiner Kusine frommen? Bist du unwiderruflich entschlossen, deine Verlobung mit ihr aufzuheben, so wirst du ihr die Enttäuschung dadurch nicht erleichtern, daß du's ihr ins Gesicht hinein erklärst. Der schriftliche Weg ist in solchen Fällen für beide Teile immer der bessere. Und dafür, daß sie nicht in die Lage kommt, deine Abreise zu verhindern, werde ich schon sorgen.«

Er widersprach ihr in diesem Punkte nicht weiter. Aber er hatte noch ein anderes Bedenken, mit dem er nur zögernd herauszukommen wagte.

»Ich verfüge in diesem Augenblick nur über verhältnismäßig geringfügige Geldmittel«, gestand er. »Und es müßten mindestens zwei Tage vergehen, ehe ich mich durch meinen Londoner Bankier mit einer genügenden Geldsumme versehen lassen kann. Gibt es wirklich keine Möglichkeit, daß wir das Eintreffen derselben abwarten?«

Herta verneinte diese Frage ebenso entschieden wie die früheren.

»Dazu wird auch von Paris aus noch Zeit genug sein«, sagte sie. »Für den Moment liegt keine Notwendigkeit dazu vor. Denn ich hoffe, du wirst dich nicht sträuben, das Geld für die Reise und für die ersten Tage des Aufenthalts in Frankreich von mir anzunehmen.«

Damit waren nun in der Tat alle seine Bedenken beseitigt, und Herta verließ ihn mit der Bitte, sich während des heutigen Tages möglichst zu schonen, damit er dem morgigen desto eher gewachsen sei.

Sie war eben in ihr Zimmer zurückgekehrt und hatte begonnen, sich zum Ausgehen anzukleiden, da sie nur noch eine halbe Stunde bis zu dem Zeitpunkt hatte, zu welchem sie Doktor Relling ihren Besuch angesagt, als ihr Miß Carewe gemeldet wurde.

Eine Sekunde lang war sie unentschlossen, ob sie die junge Engländerin annehmen oder abweisen solle. Denn sie ahnte nicht, in welcher Absicht Randolfs Braut sie zu sprechen begehren könnte. Und eine Regung des Gewissens wollte ihr verbieten, diesem Mädchen, dem sie das schwerste Herzeleid zu bereiten im Begriff stand, gerade jetzt Auge in Auge gegenüberzutreten. Aber ihre Zweifel waren nicht von langer Dauer. Welches auch immer die Absichten sein mochten, die Randolfs Braut bei diesem Besuch verfolgte, jedenfalls war es für Herta von höchster Wichtigkeit, sie kennen zu lernen. Und sie durfte sich wohl genug Selbstbeherrschung zutrauen, um sich der Rivalin nicht vorzeitig zu verraten.

So ersuchte sie Lisette, die Besucherin, die, wie sie von dem Mädchen gehört hatte, noch nicht bei Randolf Stounton gewesen war, in den Salon zu führen. Und nachdem sie durch die halbgeöffnete Tür des Nebenzimmers eine Minute lang das blasse aber vollkommen ruhige Gesicht des jungen Mädchens beobachtet hatte, trat sie ein.

»Ich bitte um Entschuldigung, Miß Carewe, wenn ich Sie in Hut und Jackett empfange. Aber ich war eben im Begriff, einen notwendigen Gang zu machen, als man mir Ihren Besuch meldete.«

»Um so mehr muß ich mich wegen der Störung entschuldigen. Ich hoffe, daß ich Sie nicht lange werde in Anspruch nehmen müssen, Fräulein von Lindow. Aber mir scheint, daß dasjenige, was wir miteinander zu sprechen haben, nicht länger hinausgeschoben werden dürfe.«

Sie sprach ohne Erregung, mit einer leisen schüchternen Stimme, deren Klang Herta ebenso wie der Ausdruck ihres Gesichtes immer mehr davon überzeugte, daß sie von dieser Gegnerin nicht viel zu fürchten habe. Zögernd folgte Ruth der höflichen Einladung, Platz zu nehmen, und dann schaute sie eine kleine Weile stumm vor sich hin, wie wenn es ihr schwer würde, den rechten Anfang zu finden.

Und Herta hatte kein Interesse daran, ihr behilflich zu sein. Sie war entschlossen, jedes ihrer Worte zehnfach zu überlegen, damit keine unbedachte Äußerung das Gelingen ihres Planes gefährde. So gab es eine kurze peinliche Stille, bis die Engländerin sagte:

»Sie werden nicht darüber im Zweifel sein, daß es Mr. Randolf Stounton ist, über den ich mit Ihnen sprechen möchte. Ich würde trotz der Bitten meiner Tante nicht eingewilligt haben, allein hier zurückzubleiben, wenn es mir nicht um diese Aussprache zu tun gewesen wäre. Ich glaube zu wissen, Fräulein von Lindow, daß Randolf Sie liebt.«

Auf diese unumwundene Erklärung, die aus dem Munde von Randolfs Braut ja nichts Geringeres wie eine schwere Anklage war, war Herta nicht vorbereitet gewesen. Aber sie büßte trotzdem nichts von der Sicherheit ihrer Haltung ein.

»Darf ich fragen, mein Fräulein, woher Ihnen diese Vermutung kommt?«

»Oh, das ist wohl eigentlich gleichgültig. Eine Frau pflegt sich in solchen Dingen selten zu täuschen. Und es wäre großmütig von Ihnen, wenn Sie gegen mich ebenso aufrichtig sein wollten, als ich es gegen Sie bin. Sie sehen ja, daß ich nicht gekommen bin, um Ihnen Vorwürfe zu machen.«

»Aber wenn Sie nicht deshalb gekommen sind, in welcher anderen Absicht haben Sie dann diese Unterredung gesucht?«

»Ich habe sie gesucht, um Ihnen zu sagen, daß ich zu Ihren Gunsten auf meine Ansprüche verzichten würde, wenn es wirklich zu Randolfs Glück dienen würde.«

Herta vermochte ihre freudige Überraschung nicht zu verbergen.

»Wie, mein Fräulein, Sie wollten aus freien Stücken auf Randolf Stounton verzichten? Sie wollten selbst den ersten Schritt tun, um Ihr Verlöbnis zu lösen?«

»Lassen Sie mich bitte erst ausreden, ich möchte nicht, daß Sie mich mißverstehen. Es ist mir durchaus nicht leicht geworden, diesen Entschluß zu fassen. Denn ich habe nicht aufgehört, Randolf zu lieben. Und ich weiß nicht, wie ich es ertragen werde, ihn zu verlieren. Aber ich könnte doch auch niemals glücklich werden, wenn ich mir sagen müßte, daß er nur aus Mitleid oder aus Ehrenhaftigkeit sein Versprechen eingelöst hat. Und wenn ein Opfer notwendig ist, so ist es wohl an mir, es zu bringen.«

Es war etwas tief Ergreifendes in der schlichten Einfachheit, mit der sie das alles sagte. Und bei all ihrem Frohlocken konnte sich Herta beim Anblick dieses unscheinbaren Wesens, das so demütig und doch unverkennbar innerlich gebrochen vor ihr saß, eines Gefühls der Rührung nicht erwehren.

»Und Sie hassen mich nicht, Miß Carewe, Sie hegen keinen Groll gegen mich, die Ihnen doch als die Zerstörerin Ihres Glücks erscheinen muß?«

»Ich würde die Unwahrheit sprechen, wenn ich Ihnen sagte, daß es Zuneigung sei, die ich für Sie empfinde. Aber ich bin auch nicht so blind und so töricht, daß ich nicht alles begriff. Sie sind tausendmal schöner als ich, und ich kann mich recht wohl in die Lage eines Mannes denken, der zwischen Ihnen und mir zu wählen hat. Gewiß haben Sie nichts getan, um mir Randolfs Herz abwendig zu machen. Es ist eben das Schicksal selbst, das es so wollte. Und es ist immer töricht, mit dem Schicksal zu hadern.«

»Was für ein Gänschen sie doch ist!« dachte Herta, »wahrhaftig, sie ist eine von den Frauen, die eigens dazu geschaffen scheinen, um zu leiden und sich in den Staub treten zu lassen.«

Laut aber sagte sie:

»Ich befinde mich Ihnen gegenüber in einer so eigentümlichen Lage, daß ich wirklich in Verlegenheit bin, was ich Ihnen antworten soll. Sie haben mich gebeten, aufrichtig zu sein, und es wäre Ihrer und meiner unwürdig, wenn ich zögern wollte, dieser Bitte zu entsprechen. Ja, Ihre Vermutungen haben Sie nicht getäuscht. Ich liebe Randolf, und ich weiß, daß er diese Liebe erwidert. Aber ich weiß auch, daß er sehr schwer gelitten hat unter dem Bewußtsein seiner Verpflichtungen gegen Sie. Und er wird Ihnen darum von ganzem Herzen dankbar sein für Ihren großmütigen Verzicht. Sein Leben lang wird er in Ihnen diejenige sehen, der er sein Glück zu danken hat. Aber wollen Sie es ihm nicht selbst aussprechen oder ihm vielleicht ein paar Zeilen schreiben?«

»Ich werde den letzteren Weg vorziehen, sobald ich von Ihnen Antwort erhalten habe auf die Frage, wegen deren ich hierhergekommen bin.«

»Sie wünschen mich noch etwas Weiteres zu fragen?«

»Ja. Denn was Sie mir bisher bestätigt haben, bedurfte für mich ja längst keiner Bestätigung mehr. Aber es gibt da noch etwas anderes, das mich beunruhigt und mich in meinem Entschlusse wankend macht. Und Sie dürfen mir nicht zürnen, wenn es Sie verletzen sollte. In einer Angelegenheit, wo für drei Menschen so viel auf dem Spiele steht, darf man sich wohl einmal über die gewöhnlichen Rücksichten hinwegsetzen. Man spricht Übles von Ihnen, Fräulein von Lindow! Und meine Tante, die sonst sehr zurückhaltend ist in ihrem Urteil über andere, hat mir Andeutungen gemacht, die mich fürchten lassen, daß – –«

»Daß ich Ihres Vetters nicht würdig sei? Nicht wahr – so ungefähr ist es doch gewesen? Und nun verlangen Sie, daß ich Ihnen das Gegenteil versichere? Oder ist es Ihnen an meiner Versicherung nicht genug? Fordern Sie vielleicht greifbare dokumentarische Beweise?«

Es gewährte ihr fast eine Erleichterung, daß sie damit aus der Rolle der demütig Beschenkten herauskam, und daß sie jene stolze und trotzige Haltung wieder annehmen konnte, die ihr die ungleich natürlichere war. Je weniger sie die Gegnerschaft dieses Mädchens gefürchtet hatte, desto unerträglicher war ihr diese schier unmenschliche Großmut gewesen. Und mit einer wahren Begierde ergriff sie die erste Gelegenheit, wieder ihre wahre Natur hervorzukehren.

Aber der scharfe und sarkastische Klang ihrer Worte hatte die Engländerin nicht eingeschüchtert.

»Sie mißverstehen mich, Fräulein von Lindow«, erwiderte sie ruhig. »Ich weiß wohl, daß ich nicht im mindesten berechtigt bin, irgendwelche Erklärungen von Ihnen zu verlangen. Aber um Randolfs willen möchte ich Ihnen ans Herz legen, ernstlich mit sich zu Rate zu gehen, ehe Sie es geschehen lassen, daß er sich eine neue Fessel schmiedet. Wenn es in Ihrem Leben irgend etwas gibt, das ihn verhindern würde, Sie in seine Gesellschaftskreise einzuführen, so können Sie ganz sicher sein, daß er früher oder später sehr unglücklich werden würde. Denn er kann nicht außerhalb dieser Kreise leben, auch wenn er sich vielleicht einredet, dazu imstande zu sein.«

»Ich glaube Sie zu verstehen. Sie haben diese Großmutskomödie mit mir aufgeführt in der Erwartung, daß ich nun natürlich an Hochherzigkeit nicht hinter Ihnen zurückbleiben und gleich Ihnen auf Randolfs Liebe verzichten würde. Die Bahn wäre dann ja wieder frei gewesen, und die alte, verwandtschaftliche Liebe würde, wie Sie meinten, schließlich alles wieder ins rechte Geleise gebracht haben. Aber Sie haben meine Klugheit doch ein wenig unterschätzt. Einem solchen Kompromiß würde ich einen offenen Kampf bei weitem vorziehen.«

Ruth hatte sich erhoben.

»Ich kann nur bedauern, daß Sie meinen ehrlich gemeinten Worten eine solche Deutung geben. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, offen gegen Sie zu sein. Aber es ist Ihre Sache, ob Sie meine Mahnung beherzigen wollen oder nicht. Es ist die Verantwortung für die ganze Zukunft eines hoffnungsvollen jungen Mannes und für das Glück einer Familie, die Sie da auf sich nehmen. Ihr Gewissen allein kann Ihnen vorschreiben, was Sie zu tun und zu lassen haben.«

Obwohl sie weder heftig noch hochfahrend gesprochen hatte, war doch eine so unnahbare Vornehmheit und frauenhafte Würde in ihrer Rede gewesen, daß Herta nur zu deutlich fühlte, wie groß der Unterschied zwischen ihnen sei, und wie tief sie in diesem Augenblick unter dem unscheinbaren jungen Mädchen stand.

»Und was gedenken Sie nun weiter zu tun?« fragte sie, »Sie halten natürlich jetzt nicht länger aufrecht, was Sie mir vorhin so hochherzig angeboten?«

»Ich nehme nichts zurück, Fräulein von Lindow, denn mein Entschluß war unwiderruflich, ehe ich hierher kam.«

»Und Sie wünschen nicht, Randolf jetzt zu sehen?«

»Weder jetzt noch künftig. Ich überlasse ihn Ihrer Obhut und stelle Ihnen anheim, wie Sie sich mit seiner Mutter verständigen wollen. Bis zur Ankunft der Frau von Hagen werde ich allerdings noch in der Stadt bleiben müssen, aber ich ermächtige Sie, Randolf noch vor dem Eintreffen meines Briefes von dem Inhalt unserer Unterredung Mitteilung zu machen. Er wird dann begreifen, weshalb ich mich nicht noch einmal persönlich nach seinem Befinden erkundigt habe.«

»Sie ist eine ausgemachte Närrin«, dachte Herta. Und es leuchtete so triumphierend in ihren dunklen Augen, während sie der Besucherin mit einer Art von ironischer Höflichkeit das Geleit bis zur Tür gab, daß Ruth bei ihrem Anblick leicht genug hätte erraten können, wie bequem sie der Rivalin den Sieg gemacht hatte. Aber sie sah der schönen Herrin der Villa Carla nicht mehr ins Gesicht. Mit einem stummen Neigen des blonden Köpfchens verabschiedete sie sich auf der Schwelle, und einige Minuten später sah Herta sie raschen Schrittes aus der Gartenpforte treten.

»Jetzt weiß ich, daß das Schicksal mit mir ist«, sagte sie halblaut vor sich hin. »Und jetzt werde ich auch Mut genug haben, das Schwerste zu vollbringen von allem, was mir noch zu tun bleibt.«

Sie trat vor den Spiegel, um ihren Hut zurechtzurücken, und um sich zu überzeugen, daß sie verführerischer aussah denn je.

Dann verließ auch sie das Haus.


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