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15. Kapitel

Schon ehe Doktor Relling gekommen war, hatte Lady Tarkington die Villa verlassen. Und in brennender Ungeduld hatte Herta eine Botschaft aus Randolfs Krankenzimmer erwartet. Sie wußte ja, daß dort die Entscheidung gefallen sein mußte, aber sie wollte nicht hingehen, ehe er sie rief, um ihm nicht zu verraten, mit wie leidenschaftlicher Spannung sie das Resultat seiner Unterredung mit der Mutter erwartete.

Denn auch für sie bedeutete die Vereinigung mit ihm das Glück ihres Lebens. Sie hatte die Liebeskomödie mit Walter Relling ja aus keinem anderen Grunde aufgeführt, als weil sie darin das einzige Mittel sah, sich seine Verschwiegenheit zu erkaufen. Vielleicht würde sie sich unter anderen Umständen wirklich zu ihm hingezogen gefühlt haben, denn in seiner energischen, zielbewußten Persönlichkeit war etwas, das ihr Vertrauen einflößte und ihr imponierte. Gerade weil er so ganz anders war als die übrigen, hatte er sie schon interessiert, ehe sie ihm zum erstenmal begegnet war. Und trotz der Rauheiten seines Wesens hätte sich dieses Interesse recht wohl in wirkliche Zuneigung verwandeln können, wenn nicht von vornherein jener andere zwischen ihnen gestanden hätte, dem ihre vereinsamte Seele zugeflogen war, sobald sie den ersten Blick auf sein schönes, bleiches Antlitz geworfen hatte.

Um das Leben dieses Jünglings hatte sie wirklich gezittert, wie sie noch nie um eines Menschen Leben gezittert hatte. Und jede Stunde, die sie an seinem Krankenlager zugebracht, hatte die Flamme in ihrem Herzen heißer und wilder emporlodern lassen. Eine so gute Schauspielerin sie war, der Zwang, den sie sich Walter Relling gegenüber auferlegen mußte, war ihr doch von Tag zu Tag unerträglicher geworden. Selbst auf die Gefahr hin, sein Mißtrauen wachzurufen, war sie ihm ausgewichen, wo immer sie konnte. Und diese heutige Szene hatte ihr die furchtbarsten Qualen bereitet. Sie fühlte sich gedemütigt und erniedrigt wie nie zuvor. Alles, was je an freundlichen Empfindungen für Relling in ihrer Brust gewesen sein mochte, hatte sich jetzt in ein Gefühl der Abneigung, ja, des Hasses und des Abscheus verwandelt. Und sie hatte sich gesagt, daß sie nicht stark genug sein würde, eine häufige Wiederholung derartiger Auftritte zu durchleben.

Darüber freilich, was nun geschehen sollte, und wo ein Ausweg aus dieser Wirrnis zu finden sei, war sie sich vollständig unklar. Aber sie dachte in diesem Augenblick auch nicht weiter als bis in die nächste Stunde. Sie wollte sich Randolfs versichern, alles andere galt ihr gleich neben diesem einzigen, verzehrenden Wunsche, der ihre ganze Seele ausfüllte. Wenn es ihm gelungen war, den Widerstand seiner Mutter zu beseitigen, so würde er auch die Kraft haben, alles andere aus dem Wege zu räumen.

Aber dieses Sieges über Lady Tarkington war sie noch keineswegs gewiß. Sie hatte von der ersten Stunde an gewußt, daß diese Frau ihre Feindin sei, und sie hatte sich vor ihren kalten, durchdringenden Augen gefürchtet. Zahllose Beobachtungen hatten ihr bewiesen, wie groß ihre Macht über Randolf sei, und sie durfte ja auch nicht vergessen, daß er noch ein Kranker war, dessen Nerven sich wohl leichter in den Bann einer starken Persönlichkeit zwingen ließen, als die eines Gesunden.

Daß er nicht sogleich nach dem Weggange seiner Mutter nach ihr schickte, obwohl er ja nur auf den Knopf des neben seinem Lehnstuhle befindlichen Telegraphen zu drücken brauchte, um Lisette herbeizurufen, war sicherlich kein günstiges Zeichen für sie. Für eine Weile hatte ja die Unterredung mit Relling ihre Gedanken auf jene andere Gefahr abgelenkt, die wie eine unheilschwere Wolke seit dem Erscheinen ihres Vaters über ihrem Haupte schwebte. Nun aber, da der Doktor gegangen war, kehrte die peinigende Ungeduld bis ins Ungemessene gesteigert zurück, und schon war sie im Begriff, alle Rücksichten der Klugheit beiseitezusetzen und zu ihm zu eilen, als Lisette mit dem gewöhnlichen, verschmitzten und verständnisinnigen Lächeln in der Tür erschien.

»Der Engländer läßt das gnädige Fräulein bitten, auf einen Augenblick zu ihm zu kommen«, sagte sie in der wenig respektvollen, schnippischen Weise, die sie sich seit einiger Zeit ihrer jungen Herrin gegenüber angewöhnt hatte. »Es muß ja was Merkwürdiges mit ihm passiert sein, denn er geht im Zimmer umher wie ein Gesunder.«

Herta erschrak. Was sie da hörte, war ein Beweis mehr für die Berechtigung ihrer Besorgnis, daß Randolfs Gespräch mit seiner Mutter einen Ausweg genommen, der ihre Hoffnungen zerstörte. Sie eilte, dem Rufe zu folgen, aber als sie dann die Schwelle des Zimmers überschritt, wußte sie sich wieder den Anschein vollkommenster Ruhe zu geben.

Und doch machte der Anblick, der ihr zuteil wurde, ihr Herz in rascheren Schlägen klopfen. Randolf Stounton hatte wirklich zum erstenmal ohne fremde Unterstützung seinen Lehnstuhl verlassen, als wenn eine unerklärliche innere Unruhe ihn emporgejagt hätte. Und nun stand er mitten im Zimmer, totenbleich, aber mit roten Fieberflecken auf den Wangen. Etwas geradezu Verzweifeltes war in dem Blick, den er auf Herta richtete.

»Oh, warum taten Sie mir das?« rief er mit halberstickter Stimme. »Wie konnten Sie mir das verschweigen?«

Herta war wohl auf den kläglichen Versuch einer Rechtfertigung vorbereitet gewesen, doch nicht auf einen Vorwurf.

»Was sollte ich Ihnen verschwiegen haben, Mr. Stounton?« gab sie zurück, indem sie den schönen Kopf mit einer stolzen Bewegung in den Nacken warf. »Ich wüßte nicht, daß ich Veranlassung gehabt hätte, Ihnen etwas zu offenbaren, aus dessen Verheimlichung Sie jetzt eine Anklage gegen mich machen dürften.«

Ihre vornehme Ruhe schien den Erregten mit neuer Hoffnung zu erfüllen.

»Aber vielleicht ist es auch gar nicht wahr. Vielleicht ist es doch nur eine zufällige Ähnlichkeit der Namen. Sagen Sie mir, Herta, haben Sie meinen Bruder gekannt?«

»Ihren Bruder?« Sie schüttelte ohne jedes Anzeichen von Betroffenheit den Kopf. »Nein, ich erinnere mich nicht, daß mir jemals ein Herr begegnet wäre, der Ihren Namen trug.«

»Und Sie waren auch nicht vor drei oder vier Jahren in Berlin?« forschte er hastig weiter. »Sie wissen nichts von einer abscheulichen Skandalaffäre, in die mein Bruder damals verwickelt war?«

Nun plötzlich wich doch die Farbe aus Hertas Wangen. Sie hatte soeben die volle Wahrheit gesprochen, denn den Namen des jungen Mannes, dessen Abenteuer der Anlaß gewesen war zu ihrer und ihres Vaters Flucht aus Berlin, hatte sie entweder nie gehört oder er war ihrem Gedächtnis vollkommen entschwunden. Nun aber wußte sie, um was es sich handelte. Und diese Erkenntnis war ihr gleichbedeutend mit der Gewißheit, daß ihr erhofftes Glück für immer in Trümmer gegangen sei.

Und doch lehnte sich ihr liebesehnendes Herz leidenschaftlich gegen diese grausame Gewißheit auf. Wenigstens nicht ohne Kampf wollte sie das tückische Verhängnis über sich siegen lassen.

»Was hat man Ihnen gesagt?« fragte sie. »Ehe ich Ihnen antworten kann, muß ich alles wissen.«

»Mein Bruder hielt sich damals in der deutschen Hauptstadt auf, um Studien für eine wissenschaftliche Arbeit zu machen, mit der er beschäftigt war. Er ist um einige Jahre älter als ich, und ich war damals noch auf der Universität, so daß ich von den Ereignissen nichts weiter erfuhr, als Herberts plötzliche Rückkehr nach England und seinen ebenso unerwarteten Eintritt in die indische Armee. Man ließ mich glauben, daß es sich nur um eine Laune meines Bruders handelte, und heute erst ist mir die ganze Wahrheit bekannt geworden. Er war, wie man mir sagte, in Berlin in schlechte Gesellschaft geraten, hatte unsinnig gespielt und noch Schlechteres getan, so daß man ihn nur mit Mühe vor einer Bestrafung zu retten vermochte. Der Mann aber, den meine Angehörigen für alle diese Verirrungen Herberts in erster Linie verantwortlich machen, – dieser Mann trug Ihren Namen, Herta.«

Während des Gesprächs hatte sie Zeit genug gewonnen, sich zu fassen und mit sich ins reine zu kommen über die Taktik, welche sie zu befolgen habe. Sie sah, wie er litt, und darum gab sie ihn noch nicht für sich verloren. Aber mit einem Ableugnen war hier nichts gewonnen; denn wenn seine Mutter unterrichtet war, so würde es ihr auch nicht schwer fallen, sie Lügen zu strafen. Darum schlug sie ohne Besinnen jenen anderen Weg ein, der ihr der geeignetere schien, um zu seinem Herzen zu gelangen.

»Ja, er trug meinen Namen,« sagte sie, »denn es war mein Vater.«

»O mein Gott, also doch! Und diese schrecklichen Anschuldigungen, sie sollten auf Wahrheit beruhen?«

»Darauf kann ich Ihnen nicht antworten, denn ich weiß es nicht. Oder glauben Sie etwa, daß ich einen Anteil hätte an diesen Dingen? Wenn Sie dies für möglich hielten, Mr. Stounton, so wäre es eine schmachvolle Erniedrigung, wollte ich mich noch weiter darüber mit Ihnen unterhalten.«

Sie machte eine Bewegung, als ob sie gesonnen sei, das Zimmer zu verlassen. Aber er stürzte mit schwankenden Knien auf sie zu und hielt sie mit beiden Händen fest.

»Nein, nein, verzeihen Sie mir, ich habe dies niemals geglaubt. Aber ich weiß ja nicht mehr, was ich denken soll, das alles ist so unbegreiflich, so rätselhaft und es ist vor allem so schrecklich. Mir ist, als müßte ich den Verstand darüber verlieren.«

Der Anblick seiner fassungslosen Verzweiflung schnitt ihr ins Herz.

»Und doch ist die Erklärung ziemlich einfach«, sagte sie mit dem Entschluß, die Sache so schnell als möglich zum Ende zu führen. »Ich kann nichts zur Verteidigung meines Vaters vorbringen. Vielleicht ist alles wahr, was man Ihnen über sein Verschulden gesagt hat, obwohl ich nicht daran zu glauben vermag. Aber ich erinnere mich jetzt, daß irgendein Vorfall mit einem jungen Engländer, dem ich wiederholt in unserm Hause begegnet war, die Veranlassung gegeben hatte zu unserer Abreise von Berlin, und es mag wohl sein, daß dieser Engländer Ihr Bruder war.«

»Sie kannten ihn also doch? Sie haben mit ihm verkehrt? Und meine Mutter hatte recht zu sagen, daß Sie ihm gewesen sind, was Sie jetzt mir sein wollten?«

Mit einer energischen Bewegung machte sie ihre Hände aus den seinigen frei.

»Sie beschimpfen mich, Mr. Stounton!« rief sie, und es war gewiß eine ehrliche Entrüstung, die dabei aus ihren Augen blitzte. »Ich sollte Ihnen auf solche Fragen nicht antworten. Aber da es doch wohl das letztemal ist, daß wir miteinander reden, so will ich Ihnen sagen, daß ich jenem Mann nur wenige Mal und nur ganz flüchtig begegnet bin, daß keinerlei freundliche oder andere Beziehungen zwischen ihm und mir bestanden, und daß ich ihn fast schon vergessen hatte am Tage nach unserem letzten Zusammentreffen.«

Ihre Wangen brannten, und ihr Busen hob sich in stürmischen Atemzügen. Er aber fühlte sich durch ihre Empörung beglückt, denn sie war ihm ja ein Beweis, daß man sie mit Unrecht verdächtigt hatte.

Und es war ihm, als sei nun mit einemmal alles wieder gut. Wenn sie rein und unschuldig war, was kümmerte ihn dann das übrige!

»Vergib mir, Herta,« flehte er, »vergib! Die Vorstellung, daß du mir verloren sein solltest, brachte mich ja von Sinnen!«

»Und doch werden Sie sich damit abfinden müssen, Mr. Stounton, daß ich Ihnen nicht mehr angehören kann, jetzt, nach dem, was in dieser Stunde zwischen uns gesprochen worden ist. Sie müssen das doch selber fühlen.«

»Nein – nein – ich lasse dich nicht. Ich hätte dich ja nicht einmal lassen können, wenn alles Wahrheit gewesen wäre.«

Er hatte sich mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, als wollte er damit gewaltsam verhindern, daß sie ihm unter den Händen entschlüpfte. Herta frohlockte, denn jetzt war sie ihres Sieges gewiß. Aber sie hütete sich wohl, es ihm zu zeigen.

»Aber es ist ja Wahrheit,« sagte sie, »und Sie können unmöglich daran denken, die Tochter eines Mannes zu heiraten, dem man vielleicht mit gutem Grund Übles nachredet. Wie dürfen Sie Ihren Namen einem Mädchen geben, das Sie um ihrer Herkunft willen wahrscheinlich niemals in die Kreise Ihrer Gesellschaft einführen könnten?«

»Oh, was kümmert mich deine Herkunft und was frage ich nach den Vorurteilen meiner Gesellschaft! Ich bin unabhängig und reich genug, um mir mein Leben nach eigenem Gefallen einzurichten. Wir werden nicht nach England gehen, sondern nach Italien oder Frankreich, wo niemand danach fragen wird, wer dein Vater gewesen. Und wenn man es täte, was würde es uns schließlich anfechten! Du und ich, wir werden einander ja genug sein. Und je weniger wir durch die Rücksicht auf andere gebunden sind, desto uneingeschränkter können wir unsere Liebe genießen.«

»Aber Ihre Braut? Und Ihre Mutter? Haben Sie denn nicht Lady Tarkington vorhin versprochen, jeden Gedanken an eine Verbindung mit mir aufzugeben?«

»Ich habe ihr unter den ersten niederschmetternden Mitteilungen versprochen, daß ich dieses Haus verlassen, und von hier abreisen werde. Aber es war eine andere Reise, die ich dabei im Sinne hatte, als die, an welche meine Mutter dachte. Denn es wäre eine Reise aus dem Leben gewesen, Herta. Ein Dasein ohne dich hätte ich einfach nicht mehr ertragen können.«

Es war ihm ohne allen Zweifel heiligster Ernst mit dem, was er sagte. Und nun wußte sie, daß sie aus ihm machen könne, was sie wollte. Nun sah sie mit einemmal auch in voller Klarheit den Weg vor sich, der sie aus den augenblicklichen Bedrängnissen herausführen sollte, in die Freiheit und in das Glück.

Aber sie war klug genug, nicht gleich in diesem Augenblick ihre ganze Macht zu erproben. Auch mußte der Plan, nach welchem sie handeln wollte, bis in die kleinsten Einzelheiten überlegt und erwogen werden, ehe sie seine Zustimmung einholte. Und Walter Relling hatte ihr ja Aussicht darauf gemacht, daß sie noch eine Woche Zeit haben würde. Warum sollte sie sich da von der Gunst der Stunde zu einer Übereilung drängen lassen, die vielleicht nicht mehr gutzumachen gewesen wäre, und die sie auf das bitterste hätte bereuen müssen!

»Nein, Randolf, du sollst nicht sterben um meinetwillen«, sagte sie leise. »Aber woher willst du den Mut nehmen, um deiner Mutter zu sagen, daß du nicht gesonnen bist, dein Versprechen zu halten?«

»Oh, sorge dich darum nicht,« rief er, »ich begreife ja, daß du mich für einen furchtsamen Schwächling hältst, aber ich werde dir beweisen, daß ich es nicht bin.«

»Ich glaube dir, aber ich bitte dich trotzdem, die Dinge nicht sogleich zum Äußersten zu treiben, vielleicht ist es am besten, wenn deine Mutter vorläufig in dem Glauben erhalten wird, daß du bereit bist, dich ihrem Willen zu fügen.«

Mit unverhehltem Erstaunen sah er sie an.

»Ich sollte mich hinter einer Lüge verstecken und du bist es, Herta, die mir dazu rät?«

»Ich tue es deinetwegen und ein klein wenig auch um meinetwillen. Du darfst deine Kräfte noch nicht überschätzen. Und wer weiß, welche Aufregungen uns noch beschieden sein würden, wenn Lady Tarkington sich jetzt gezwungen glaubt, die äußersten Mittel zur Anwendung zu bringen. Sie kann doch schließlich nicht von dir verlangen, daß du diese Reise antrittst, so lange du dich körperlich zu schwach dazu fühlst, und innerhalb einiger Tage werden wir vielleicht die Möglichkeit gefunden haben, sie umzustimmen.«

Diese Hoffnung vermochte er allerdings nicht zu teilen. Und er verhehlte es ihr nicht. Aber ihrer zärtlichen Beredsamkeit konnte er doch nicht widerstehen, um so weniger, als er immer deutlicher zu fühlen begann, daß er seinen wiederkehrenden Kräften in der Tat zu viel zugemutet hatte. Noch während sie sprachen, überkam ihn eine Anwandlung von Schwäche, die ihn nötigte, sein Lager in den Kissen des Lehnstuhls wieder aufzusuchen. Und nun wurde es Herta nicht mehr schwer, seine Einwilligung in ihren Vorschlag zu erlangen.

Und der Zufall kam ihr bereitwilliger zu Hilfe als sie es hatte hoffen dürfen, sie war noch um Randolf beschäftigt, und duldete es eben, daß er ihre Hände, die ihn bequemer gebettet hatten, mit seinen heißen Küssen bedeckte, als sie das klirrende Zuschlagen der Gartenpforte vernahm und bei einem Blick durch das Fenster erkannte, daß es Lady Tarkington war, die dort zurückkehrte.

Hastig teilte sie es Randolf mit, und er verbarg ihr seine Überraschung nicht.

»Es muß etwas Besonderes vorgefallen sein«, sagte er. »Denn meine Mutter hatte mir versprochen, erst am Abend wiederzukommen.«

»Sie darf mich nicht bei dir finden,« erklärte Herta, »und ich bitte dich noch einmal, nicht aufs neue einen Streit mit ihr heraufzubeschwören. Suche nur einen Aufschub von wenigen Tagen zu erlangen, und sei versichert, daß uns die Vorsehung inzwischen behilflich sein wird, den Weg zum Glück zu finden.«

Er neigte lächelnd den Kopf, zum Zeichen, daß er ihrem Willen gehorsam sein werde. Dann räumte Herta der Frau, die sie jetzt als ihre gefährlichste Feindin hassen mußte, das Feld.

Lady Tarkington hatte in der Tat von ihrer Anwesenheit im Zimmer des Sohnes nichts bemerkt und sie glaubte sich ihres Sieges so gewiß, daß sie auch keinen Argwohn schöpfte. Randolfs Vermutung, es müsse sich in der Zwischenzeit etwas Außergewöhnliches ereignet haben, erwies sich als zutreffend, denn seine Mutter zeigte ihm ein vor einer Stunde eingetroffenes Telegramm, das sie mit Rücksicht auf das Befinden ihres Gatten in den dringendsten Worten um sofortige Heimkehr ersuchte.

»Ich würde meine Pflicht auf das schwerste verletzen, wenn ich zögerte, diesem Rufe Folge zu leisten. Wirst du nun aber wirklich imstande sein, uns schon morgen früh zu begleiten?«

»Ich könnte es ja versuchen, Mutter,« erwiderte er, sich trotz seines inneren Widerstrebens zu dem lügnerischen Spiele zwingend, »aber ich fürchte, daß ich nicht sehr weit kommen würde. Denn die Erlebnisse des heutigen Tages haben mich doch arg mitgenommen. Ich fühle mich viel schlechter als gestern und vorgestern, und ich glaube, das Wagnis wäre fast zu groß.«

Lady Tarkington schien durch seine Erklärung nicht sonderlich überrascht. Sie hatte doch wohl selbst schon etwas Ähnliches gedacht, und sie liebte ihn zu sehr, als daß der Gedanke, ihn durch ihren Eigensinn vielleicht einer ernsten Gefahr auszusetzen, nicht etwas Erschreckendes für sie gehabt hätte. Auch mochte sein Aussehen wohl wie eine unzweideutige Bestätigung seiner Worte auf sie wirken. Sie berührte seine Hand, und als sie fühlte, wie heiß seine Finger waren, erklärte sie ihm ihren Entschluß:

»Nun wohl, so reise ich allein. Jetzt, wo dein Verweilen in diesem Hause keine Gefahr für deine Zukunft mehr bedeutet, kann ich es wohl geschehen lassen, daß du bleibst, bis du dich hinlänglich erholt hast, zumal es sich doch wohl nur um wenige Tage handelt.«

»Und Ruth?« fragte er, in einer plötzlich aufsteigenden Besorgnis. »Du wirst sie selbstverständlich mit dir nehmen?«

Aber die Matrone schüttelte den Kopf.

»Nein, ich lasse dich unter keinen Umständen allein. Lieber will ich die Verantwortung für eine kleine Verletzung der Schicklichkeit auf mich nehmen. Ich kenne ja dich und Ruth zur Genüge, um zu wissen, daß dabei nichts zu fürchten ist, und ich werde auf der Durchreise in Berlin meine Freundin, die Baronin von Hagen, ersuchen, von übermorgen ab meine Stelle hier zu vertreten.«

Das war freilich eine unerwartete Wendung, die neue, peinliche Verwicklungen in Aussicht stellte. Aber Randolf konnte keinen entschiedenen Widerspruch erheben, wenn er der mißtrauischen Frau nicht zugleich verraten wollte, daß seine scheinbare Willfährigkeit nur eine Komödie gewesen sei.


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