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11. Kapitel

Der Polizeidirektor Gollmer, dessen Amt bei der Gutartigkeit der zu kriminalistischen Exzessen wenig geneigten Bevölkerung kein allzu aufregendes und anstrengendes war, saß in gewohnter gemächlicher Beschaulichkeit vor seinem aktenbedeckten Schreibtisch, als ihm der diensttuende Unterbeamte die Karte eines Besuchers überbrachte.

 

Bernhardt
Königlicher Polizeiinspektor
Berlin

 

las der Direktor. Und mit einem kleinen Kopfschütteln des Unbehagens fügte er halblaut hinzu: »Ein norddeutscher Kollege! Was in aller Welt hat denn der bei uns zu suchen?«

Aber er erteilte trotz dieser mißtrauischen Regung selbstverständlich den Befehl, den Herrn sofort einzuführen und legte sein rundes, weinrotes Gesicht in die verbindlichen Falten kollegialischer Freundlichkeit, als der Gemeldete eine Minute später auf der Schwelle erschien.

»Grüß Gott, Herr Kollege! Außerordentlich erfreut, Ihre werte Bekanntschaft zu machen. Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Der Eintretende war derselbe lange, hagere Herr, der am gestrigen Nachmittage als magenleidender Privatier Bendemann den ärztlichen Beistand des Doktor Relling in Anspruch genommen hatte, nur daß heute durchaus nichts von Schüchternheit in seinem Wesen war und daß seine Ausdrucksweise ganz und gar nichts Zaghaftes hatte.

Er erwiderte die kollegiale Begrüßung mit einer gemessenen Höflichkeit, die seinem Besuch wohl von Anfang an den amtlichen Charakter wahren sollte, und überreichte dem Polizeidirektor nach den ersten einleitenden Worten ein Schriftstück, das er aus der Tasche gezogen und bedächtig entfaltet hatte.

»Wollen Sie die Güte haben, zunächst von dieser meiner Legitimation Kenntnis zu nehmen?«

Der andere überflog das Dokument, und sagte mit einer kleinen Verbeugung: »Es ist selbstverständlich, Herr Kollege, daß wir diesem Ersuchen Ihrer vorgesetzten Behörde im weitesten Umfange stattgeben werden. Sie können in jeder Hinsicht auf meine Unterstützung rechnen und ich bitte Sie, in allem, was innerhalb meiner Machtbefugnisse liegt, vollständig über mich zu verfügen. Aber Sie sehen mich, offen gestanden, ein wenig erstaunt. Es muß sich ja um ganz außergewöhnliche Dinge handeln, wenn Ihre Behörde es für angezeigt gehalten hat, einen Beamten Ihres Ranges hierher zu entsenden. Darf ich vielleicht um nähere Informationen bitten?«

»Sie haben natürlich vollen Anspruch darauf, Herr Direktor, die Natur meiner besonderen Mission zu erfahren. Aber ich glaube, wir werden dabei leichter zum Ziele gelangen, wenn Sie mir freundlichst gestatten, zunächst meinerseits einige Fragen an Sie zu richten.«

»Bitte, Herr Kollege – ich bin ganz zu Ihren Diensten.«

Der lange Herr zog ein Notizbuch aus der Tasche und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Es wäre mir von Interesse, einige Auskunft über eine Dame zu erhalten, die, wenn wir recht unterrichtet sind, seit etwa Jahresfrist zu den Bewohnern Ihrer Stadt gehört. Es ist ein Fräulein Herta von Lindow.«

»Das dürfte keine großen Schwierigkeiten haben. Die Dame ist mir sogar persönlich bekannt. Sie bewohnt mit einer älteren Verwandten eine Villa oben am Herdweg. Das ist doch wohl die, welche Sie meinen?«

»Ohne Zweifel. Die hiesige Polizeibehörde ist über die Verhältnisse des Fräulein von Lindow des näheren unterrichtet?«

»Soweit wir uns um die Verhältnisse einer neuzuziehenden Persönlichkeit zu kümmern haben, – jedenfalls. Aber ich habe diese Dinge selbstverständlich nicht im Kopf, wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen, kann ich ja die Akten darum befragen.«

Er drückte auf den Knopf des Telegraphen und erteilte den entsprechenden Auftrag. Als der Unterbeamte sich wieder entfernt hatte, fragte der Berliner Polizeiinspektor:

»Da Sie, wie Sie eben erwähnten, die Dame persönlich kennen, können Sie mir doch vielleicht aus eigener Wissenschaft etwas über ihren Ruf und ihre gesellschaftlichen Beziehungen mitteilen; unterhält das Fräulein von Lindow einen lebhaften Verkehr?«

»Soviel ich weiß, führt sie im Gegenteil ein sehr eingezogenes Leben. Man hört von ihr eigentlich nur, wenn es sich um ihre Teilnahme an irgendwelchen Wohltätigkeitsbestrebungen handelt. Und einzig bei solchen Anlässen bin ich mit ihr in flüchtige Berührung gekommen. Aber sagen Sie mir, lieber Herr Kollege, es ist doch wohl nicht das Fräulein von Lindow, wegen dessen Sie hier sind?«

»Teilweise auch ihretwegen, aber die Person, deren Spur ich zu finden hoffe, ist allerdings eine andere. Ich werde mir sogleich erlauben, eine nähere Mitteilung darüber zu machen.«

Der lebhafte kleine Polizeidirektor fand, daß sein norddeutscher Amtsgenosse reichlich zugeknöpft und umständlich sei. Hier zu Lande pflegte man auch die amtlichen Angelegenheiten unter Kollegen etwas gemütlicher zu behandeln. Aber er war es natürlich seiner Würde schuldig, auf den offiziellen Ton des Berliners einzugehen.

»Ich rechne darauf nur insoweit, als Sie es Ihren Zwecken dienlich erachten – aber da haben wir ja die Akten.«

Er schlug das Faszikel auf, das der Bureaudiener vor ihm niedergelegt hatte und hatte bald gefunden, was er suchte.

»Das Fräulein Herta von Lindow ist vor ungefähr dreizehn Monaten hier gemeldet worden. Ihr letzter Aufenthaltsort war Nizza und ihre Papiere befanden sich nach einem ausdrücklichen Vermerk in vollkommener Ordnung. Sie hat damals angegeben, sich dauernd hier niederlassen zu wollen und hat erklärt, daß sie von den Zinsen ihres Vermögens lebe. Über ihre Familienverhältnisse finde ich dann noch die Angabe, daß ihre Mutter gestorben sei, und daß der Vater im Auslande lebe – – unbekannt wo.«

Der Inspektor Bernhardt nickte, wie wenn diese Mitteilung ganz seinen Erwartungen entspräche.

»Aus Nizza also! Das ist immerhin interessant und kann uns vielleicht als Fingerzeig dienen, vorausgesetzt, daß es der Wahrheit entspricht. Die Dame bezog also damals sogleich die Villa, die sie noch heute bewohnt?«

»So scheint es, denn sie ist gleich als Bewohnerin derselben gemeldet worden. Das Haus gehört den auswärtigen Erben eines vor etwa anderthalb Jahren hier verstorbenen, pensionierten Obersten, und es dürfte wohl das einzige gewesen sein, das damals zur Vermietung ausgeboten wurde.«

»Und die hiesige Polizei hat nichts Befremdliches darin gefunden, daß eine alleinstehende junge Dame, deren Vater sich – unbekannt wo – im Auslande befindet, gleich eine ganze Villa für sich in Anspruch nahm?«

»Da sie wie eine vornehme und sehr wohlhabende Person auftrat, und da ihre Papiere in bester Ordnung waren, was hätten wir da Befremdliches darin finden sollen? Außerdem ist sie ja auch nicht lange allein geblieben, sondern hat schon einige Monate später eine ältere Verwandte als Mitbewohnerin und Anstandsdame zu sich genommen.«

»Eine Frau Geheimrätin Bergner, nicht wahr?«

»Allerdings. Wünschen Sie auch über diese nähere Auskunft?«

»Nein, dessen bedarf es nicht; denn ich bin hinlänglich informiert. Der Gatte der Frau Bergner, der es in der Beamtenlaufbahn allerdings bis zum Geheimen Regierungsrat gebracht hatte, war wegen gewisser unliebsamer Vorkommnisse in seiner Amtsführung auf dem Disziplinarwege vorzeitig pensioniert worden. Und er ist dann später auf der schiefen Ebene bedenklich rasch weiter abwärts geglitten. Seine Beziehungen und seine finanziellen Manipulationen waren zum Teil von höchst bedenklicher Art. Und als ihm auf Grund einiger gegen ihn eingelaufener Anzeigen eine strafrechtliche Untersuchung drohte, zog er es vor, sich der Verantwortung für seine Handlungen durch Selbstmord zu entziehen.«

»Ich erinnere mich allerdings, etwas Derartiges gehört zu haben. Aber das ist doch wohl außer Zusammenhang mit der Person des Fräulein von Lindow?«

»Doch nicht so ganz. Vor allem möchte ich bemerken, daß die Geheimrätin Bergner in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnis zu ihrer angeblichen Nichte steht. Soweit wir es feststellen konnten, entspringen ihre Beziehungen lediglich einer allerdings sehr intimen Freundschaft, die zwischen dem verstorbenen Geheimrat und dem Vater des Fräulein von Lindow bestand. Und damit kommen wir auf den springenden Punkt. Denn meine Anwesenheit gilt nicht so sehr der jungen Dame als ihrem angeblich verschollenen Vater.«

»Sie haben also Ursache, an dieser Verschollenheit zu zweifeln?«

»Sehr triftige sogar. Dieser Herr von Lindow kann auf ein außerordentlich bewegtes Leben zurückblicken. Seine Personalakten füllen ein ganz ansehnliches Faszikel in unserer Registratur. Er war nacheinander Offizier, Maler, Badekommissar, Pferdehändler und noch verschiedenes andere, bis er sich eines Tages entschloß, den bequemeren Beruf eines Rentiers zu erwählen. Und es ist merkwürdig, daß gerade dieser Beruf allem Anschein nach für ihn einträglicher war als jeder der vorhergegangenen. Er war plötzlich in der Lage, ein großes Haus zu machen und sich sogar in den Ruf eines freigebigen Kunstmäzens zu bringen. Verschiedene anonyme Denunziationen, in denen man uns auf das Geheimnisvolle seiner Einnahmequellen aufmerksam machte, gaben uns Veranlassung, uns in aller Stille ein wenig mit ihm zu beschäftigen. Aber auch wir vermochten den Schleier des Geheimnisses nicht vollständig zu lüften, der den rätselhaften Ursprung seines Reichtums umgab. Allerdings konnten wir feststellen, daß er ein eifriger Spieler war. Aber der Begriff der Gewerbsmäßigkeit, der uns zum Einschreiten berechtigt hätte, ließ sich nicht konstruieren. Es schien, daß er ebensooft im Verlust war, wie im Gewinn und er trieb es jedenfalls nicht schlimmer als zahlreiche andere Kavaliere der vornehmen Gesellschaft, bei denen die Grenze zwischen gewohnheitsmäßigem und berufsmäßigem Jeu bekanntlich immer sehr schwer zu ziehen ist. Seine offenbar sehr bedeutenden Einnahmen mußten wenigstens zu einem guten Teil unbedingt aus anderen Quellen fließen. Und wir sahen uns trotz aller Bemühungen in dieser Hinsicht immer nur auf Vermutungen beschränkt. Eines Tages aber schien Herr von Lindow doch auf bedenkliche Weise in eine sehr unangenehme Wechselfälschungsaffäre verwickelt. Es handelte sich da um einen jungen Engländer, der zur Tilgung einer beträchtlichen Spielschuld sich eines Wechsels bedient hatte, dessen Unterschrift von dem angeblichen Akzeptanten mit aller Entschiedenheit als unecht bezeichnet wurde. Herr von Lindow hatte den Wechsel in Zahlung genommen, und es lag der dringende Verdacht vor, daß er von der Fälschung nicht nur Kenntnis gehabt, sondern daß er dieselbe sogar begünstigt hatte, um den aus einer sehr reichen Familie stammenden jungen Mann ganz in seine Hand zu bekommen und ihn zu einem dankbaren Erpressungsobjekt zu machen. Wurde er auch in der von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Voruntersuchung zunächst nur als Zeuge vernommen, so mußte er doch schon aus dem ersten Verhör den Eindruck gewinnen, daß sich die Sache leicht auch gegen ihn wenden könnte. Und er mochte wohl fürchten, daß bei dieser Gelegenheit noch mehr Intimes aus seinem Leben in unerwünschter Weise aufgedeckt werden würde. Jedenfalls wurde ihm plötzlich der Berliner Boden zu heiß unter den Füßen, und er zog es vor, seinen Aufenthalt zu wechseln. Seine Verschollenheit datiert von jenem schon um mehrere Jahre zurückliegenden Zeitpunkte an. Allerdings war seine Besorgnis eine überflüssige gewesen, denn infolge besonderer Umstände, die uns hier nicht weiter kümmern, wurde die Untersuchung gegen den jungen Engländer niedergeschlagen und damit entfiel auch die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung des Herrn von Lindow. Wir hatten keine Veranlassung, uns weiter mit ihm zu beschäftigen, und erst eine vor kurzem erfolgte Requisition der Wiener Polizei hat uns Grund dazu gegeben.«

Der Polizeidirektor hörte diesen etwas weitläufigen Darlegungen mit großer Aufmerksamkeit und wachsendem Interesse zu. Bemerkenswerte oder gar sensationelle Kriminalfälle gehörten in seiner Praxis zu den allergrößten Seltenheiten. Und die Wichtigkeit, mit der sein Berliner Kollege allem Anschein nach die hier vorliegende Sache behandelte, hatte allmählich die Ahnung in ihm aufdämmern lassen, daß sich ihm da möglicherweise eine Gelegenheit bieten könnte, seinen bisher viel zu wenig gewürdigten Scharfblick in ein glänzendes Licht zu setzen. Er machte eine Zwischenbemerkung, die seine lebhafte Teilnahme bekunden sollte und mit einem leichten Kopfnicken fuhr der andere fort:

»Wenn nicht alle Anzeichen trügen, hat Herr von Lindow, der nach Angabe seiner Tochter irgendwo jenseits des Ozeans weilen soll, seit seinem Verschwinden aus Berlin unter einem anderen Namen und unter entsprechender Veränderung seiner äußeren Erscheinung mit kurzen Unterbrechungen in der österreichischen Hauptstadt gelebt. Man teilte uns von dort aus mit, daß man seit geraumer Zeit sein Augenmerk auf eine Anzahl von Persönlichkeiten gerichtet habe, die sich in verdächtiger Weise zu irgend welchen lichtscheuen Zwecken zusammengetan zu haben schienen. Zu einem direkten Eingreifen seien die Verdachtsmomente bisher nicht schwerwiegend genug gewesen; wohl aber hätte man Ursache zu glauben, daß von dem betreffenden geheimnisvollen Konsortium gerade für die nächste Zukunft ein großes Unternehmen geplant sei. Und ich brauche Ihnen, Herr Polizeidirektor, nicht zu verschweigen, daß man der Meinung ist, einer Bande von höchst gemeingefährlichen Banknotenfälschern auf der Spur zu sein. Ob die Leute nun etwas von der polizeilichen Beobachtung gemerkt haben, oder ob es ihnen zur besseren Erreichung ihrer Absichten zweckmäßig erschien, sich zeitweilig zu trennen, jedenfalls sind sie plötzlich allesamt aus dem Gesichtskreise der Wiener Polizei verschwunden. Ihre Spuren weisen nach den verschiedensten Richtungen hin, und man hält es für geboten, diese Spuren zu verfolgen. Die wesentlichste Schwierigkeit dabei ist der Umstand, daß wohl kaum eine der in Rede stehenden Persönlichkeiten der Wiener Polizei unter ihrem richtigen Namen gemeldet oder bekannt war. Gewisse Umstände, deren Natur mir fremd ist, haben indessen die österreichische Behörde auf die Vermutung geführt, daß eines der verdächtigen Individuen identisch sei mit dem verschollenen von Lindow. Man hat sich um nähere Auskunft an uns gewendet und um Einsendung einer Photographie gebeten, die wir zufällig besaßen. Danach scheint es in der Tat kaum noch einem Zweifel zu unterliegen, daß die Ansicht der Wiener Polizei über die Identität der beiden Persönlichkeiten eine zutreffende ist. Und da man Veranlassung hat zu glauben, daß sich Lindow nach Deutschland gewendet habe, so sind wir angegangen worden, seinen Aufenthalt ausfindig zu machen und ihn ebenso scharf als unauffällig zu beobachten, damit die Ausführung des allem Anschein nach geplanten Verbrechens rechtzeitig verhütet werden könne.«

»Ich begreife, daß Sie unter solchen Umständen zunächst daran dachten, ihn hier bei seiner Tochter zu suchen. Aber ich glaube offengestanden nicht, daß Sie sich damit auf der richtigen Fährte befinden. Wenn die Wiener Polizei sich nicht dennoch irrt, was ja keineswegs ausgeschlossen ist, so möchte ich nach dem Eindruck, den ich von der Persönlichkeit des Fräulein von Lindow empfangen, der Ansicht zuneigen, daß sie selbst von dem Aufenthalt und von dem lichtscheuen Treiben ihres Vaters keine Kenntnis besitzt. Wie eine Person, die Beziehungen zu Verbrecherkreisen unterhält, sieht die Dame wahrhaftig nicht aus. Und es wäre doch auch schwer zu verstehen, welche Beweggründe sie alsdann veranlaßt haben sollten, gerade unsere kleine Stadt, in der sich bedenkliche Geheimnisse ziemlich schwer bewahren lassen, zu ihrem Aufenthalt zu wählen.«

»Dafür ließe sich vielleicht doch eine Erklärung finden. Aber ich gebe Ihnen gern zu, daß wir vorläufig keine Veranlassung haben, uns allzuweit in das Gebiet müßiger Kombinationen zu verirren. Es liegt bis jetzt nichts positiv Belastendes gegen das Fräulein von Lindow vor. Und wenn sich erweist, daß sie keinerlei Beziehungen zu ihrem Vater unterhält, so wird sie ja auch in keiner Weise behelligt werden.«

»Sie wünschen also, daß ich die Dame vorladen lasse, oder daß ich vielleicht einen tüchtigen Beamten zu ihr sende, um sie in ihrer Wohnung zu vernehmen?«

Für einen Moment zuckte es wie der Ansatz zu einem ironischen Lächeln um die schmalen Lippen des Berliner Polizeibeamten.

»Dieser Weg dürfte sich den Umständen nach kaum empfehlen, Herr Direktor,« sagte er sehr höflich. »Denn wenn da wirklich etwas nicht in Ordnung sein sollte, würden Sie auf eine wahrheitsgemäße Auskunft wohl schwerlich rechnen können, und die Vernehmung dürfte lediglich den Charakter einer rechtzeitigen Warnung haben.«

In so verbindlichem Tone diese Einwendung auch vorgebracht worden war, so empfindlich berührte doch die darin enthaltene Belehrung den Polizeidirektor. Und es klang eine merkliche Gereiztheit aus seiner Erwiderung, da er sagte:

»Und wie, wenn ich fragen darf, haben Sie sich sonst die gewünschte polizeiliche Einmischung vorgestellt? Sofern ich Sie richtig verstanden habe, glauben Sie doch, daß der bewußte Herr von Lindow mit seiner Tochter in ständigem Verkehr steht, oder sich womöglich gar bei ihr verborgen hält. Um das zu konstatieren aber gibt es meiner Ansicht nach doch kaum ein einfacheres Mittel, als das von mir vorgeschlagene, das ja meinetwegen mit einer gleichzeitigen Durchsuchung der Villa verbunden sein könnte. Ich habe in meiner Praxis noch immer dem geradesten und kürzesten Weg den Vorzug gegeben, verehrter Herr Kollege, und ich darf Ihnen auf Grund langjähriger Erfahrung versichern, daß ich mich nicht schlecht dabei befunden habe.«

»Ich würde Ihnen ja auch ohne weiteres zustimmen, wenn wir eine gesetzliche Handhabe für ein so radikales Vorgehen hätten. Aber ich habe in meiner Darstellung vielleicht nicht hinlänglich betont, daß greifbare Indizien nicht vorliegen, und daß auch die Wiener Behörde uns um ein möglichst behutsames Vorgehen dringend ersucht hat. Es darf sich also zunächst lediglich um eine beobachtende Taktik handeln. Und es ist selbstverständlich, daß ich den größeren Teil der Arbeit sehr gern auf mich nehmen werde. Es würde mir vollständig genügen, wenn Sie mir einen tüchtigen Beamten für gelegentliche Verwendung zur Verfügung stellen und mich, falls es notwendig werden sollte, im entscheidenden Augenblicke durch Ihr Eingreifen unterstützen. Denn zur eigenmächtigen Vornahme amtlicher Handlungen bin ich innerhalb Ihres Wirkungskreises ja selbstverständlich nicht befugt.«

»Es bedarf nicht erst der Versicherung, daß ich Ihren Wünschen gern willfahren werde. Aber ich muß Sie allerdings aus dienstlichen Gründen bitten, mich sowohl über Ihre Absichten, wie über das Ergebnis Ihrer Recherchen wenigstens in der Hauptsache stets auf dem Laufenden zu erhalten.«

»Das wird unter allen Umständen geschehen. Da ich schon vor einigen Tagen hier eingetroffen bin, habe ich meine Zeit natürlich nicht verloren, und habe das Terrain sondiert, so weit ich es ohne amtliche Unterstützung als einfacher Privatmann tun konnte. Und ich muß sagen, daß mir da doch schon mancherlei Verdächtiges aufgefallen ist.«

»Das ist ja sehr interessant. Darf ich um eine nähere Aufklärung bitten?«

»Zunächst schien es mir einigermaßen merkwürdig, daß sich die beiden Damen in dem immerhin ziemlich geräumigen Hause mit einem so geringen Dienstpersonal begnügen. Außer einer halbtauben alten Aufwärterin, die für zwei Stunden täglich erscheint, um die gröberen Arbeiten zu verrichten, gibt es in der Villa nur ein einziges Hausmädchen, eine gewisse Lisette Roßmann, die, wie ich höre, schon seit langer Zeit im Dienste des Fräulein von Lindow steht.«

Der Polizeidirektor warf wieder einen Blick in die noch immer offen vor ihm liegenden Akten.

»Die unverehelichte Roßmann ist allerdings schon mit dem Fräulein von Lindow hierhergekommen. Sie wurde von ihr als ihre Kammerjungfer angemeldet.«

»Ich habe Gelegenheit gesucht, mich unauffällig mit dem Mädchen zu unterhalten, und ich habe dabei den Eindruck gewonnen, daß ich es mit einer sehr schlauen und durchtriebenen Person zu tun hatte. Wenn das Fräulein von Lindow etwas zu verheimlichen hat, ist dieses Hausmädchen jedenfalls mit im Vertrauen. Ich bin deshalb sehr vorsichtig gewesen und habe mich wohl gehütet, die listige kleine Kammerkatze durch allzu neugierige Fragen stutzig zu machen. Aber ich habe auf andere Weise herausgebracht, daß zu den wenigen Persönlichkeiten, die häufiger Zutritt in die Villa erlangen, auch ein gewisser Wöhlert gehört, seines Zeichens ein Lithograph. Und es würde mich interessieren zu erfahren, welches der Leumund dieses Menschen ist.«

»Das kann ich Ihnen ohne weitere Erkundigungen sagen, Herr Kollege! Der Mann, mit dem wir uns schon wiederholt befassen mußten, steht im denkbar schlechtesten Rufe. Er ist ein Müßiggänger und Trunkenbold, der seine Familie vernachlässigt, und den wir außerdem im Verdacht haben, daß er nicht immer auf ehrlichen Wegen wandelt.«

»Etwas Ähnliches habe ich schon bei meinen unter der Hand vorgenommenen Nachforschungen gehört. Nun sagen Sie doch selbst, Herr Direktor, ob es nicht recht merkwürdig ist, daß sich zwei alleinstehende Damen mit einem so übel berüchteten Subjekt einlassen. Der Mann kommt sehr häufig in die Villa hinauf, angeblich um dort allerlei Arbeiten zu verrichten, die jedenfalls ganz außerhalb seines eigentlichen Berufes liegen, und es scheinen auch sonst gewisse unaufgeklärte Beziehungen zwischen ihm und den Damen zu bestehen.«

Diesmal war es der Polizeidirektor, der seine Lippen zu einem überlegenen Lächeln verzog.

»Diese Beziehungen erscheinen Ihnen vielleicht etwas weniger befremdlich, Herr Kollege, wenn ich Ihnen mitteile, daß das Fräulein von Lindow eine eifrige Wohltäterin der Armen ist und daß die in ständiger Bedrängnis befindliche Familie jenes Wöhlert sich ihres besonderen Wohlwollens erfreut. Da liegt es doch ziemlich nahe, daß sie dem Mann hier und da Gelegenheit zu geben sucht, auf rechtschaffene Weise etwas zu verdienen. Er soll ein äußerst anstelliger, geschickter Mensch sein, und warum sollte er nicht imstande sein, kleine Reparaturen oder andere Verrichtungen, wie sie in solchem Haushalte vorkommen, zur Zufriedenheit auszuführen, auch wenn sie außerhalb des von ihm erlernten Berufes liegen?«

Der Polizeiinspektor hielt es nicht für nötig, weiter auf diesen Punkt einzugehen. Er überflog noch einmal mit raschem Blick die Aufzeichnungen, die er sich in seinem Notizbuch gemacht hatte und warf dann wie beiläufig die Frage hin:

»Der Doktor Relling, der augenblicklich den verunglückten jungen Mann in der Villa Carla behandelt, erfreut sich eines guten Ansehens – nicht wahr?«

»Des allerbesten, Herr Kollege! Vielleicht wäre es nicht unzweckmäßig, wenn Sie ihn ins Vertrauen zögen und ihn um seine Unterstützung bei der Beobachtung der Damen bäten.«

»Davon möchte ich doch lieber absehen, und zwar aus mancherlei recht triftigen Gründen, die eigentlich mehr privater Natur sind und deren Angabe Sie mir vielleicht vorläufig erlassen. Auch ich bin allerdings der Meinung, daß ein Hausarzt mehr Gelegenheit hat als irgendein anderer, von den Vorgängen in einer Familie Kenntnis zu erhalten. Aber abgesehen davon, daß er ja zur Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses verpflichtet ist, scheint mir dieser Doktor Relling, dessen persönliche Bekanntschaft ich bereits gesucht habe, nicht gerade zu den mitteilsamen Naturen zu gehören. Ich habe indessen durch einen günstigen Zufall Gelegenheit gefunden, eine mir nahestehende und unbedingt zuverlässige weibliche Person als Wirtschafterin in seinem Hause unterzubringen. Vielleicht läßt sich auf diese Weise manches erfahren, was durch direkte Befragung schwer zu ermitteln sein würde.«

Der Polizeidirektor runzelte ein wenig die Stirn. Der Berliner Kollege und seine Taktik wollten ihm immer weniger gefallen. Auch fürchtete er, daß sein eigenes kriminalistisches Talent in dieser Angelegenheit doch vielleicht nicht zu der ihm gebührenden Geltung gelangen würde. Und wenn er dem Inspektor auch nochmals versicherte, daß er in allen Stücken unbedingt auf ihn zählen dürfe, so war die Art, wie er ihn verabschiedete, doch wesentlich kühler als der Empfang, und als sich die Tür hinter dem Fortgehenden geschlossen hatte, murmelte er etwas von übereifrigen und neunmalklugen Leuten vor sich hin, das der norddeutsche Amtsgenosse schwerlich als eine Schmeichelei für seine Person hätte deuten können.


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