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17. Kapitel

»Sie können sich denken, Herr Wöhlert, daß ich Sie nicht hätte rufen lassen, wenn ich nicht etwas sehr Wichtiges und Dringendes mit Ihnen zu besprechen hätte. Darf ich Ihnen vielleicht ein Glas Wein anbieten?«

Die Versuchung war für ihn gewiß nicht gering. Aber er kannte sich gut genug, um zu wissen, wie wenig Gewalt er über sich hatte, wenn die Geister des Alkohols erst einmal die Herrschaft über ihn gewonnen; und weil ihm Lisettes Drohungen noch immer im Ohre nachklangen, blieb er standhaft und lehnte ziemlich kurz die dargebotene Erfrischung ab.

»Ich danke, Fräulein von Lindow, ich habe kein Verlangen, etwas zu trinken. Übrigens – wie geht es Ihrem Vater?«

»Es geht ihm so gut, Herr Wöhlert, als er sich's selbst nur immer wünschen konnte.«

Der Lithograph horchte hoch auf.

»Was heißt das? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß er –«

Herta nickte mit trauriger Miene.

»Ja, er hat es überstanden. Ich weiß, daß Sie meinen Schmerz teilen. Denn Sie sind ihm ja seit Jahren treu und anhänglich gewesen. Und er behandelte Sie wie einen Freund.«

»Nun, was die Freundschaft betrifft, so wollen wir nicht weiter darüber reden. Aber, daß es so gekommen, ist freilich schlimm genug für mich. Was, in aller Welt, soll denn nun werden?«

»Um das mit Ihnen zu besprechen, habe ich Sie eben rufen lassen«, sagte Herta, die Mühe hatte, ihre Entrüstung über das brüske Benehmen des Menschen zu unterdrücken und ihm den Widerwillen zu verbergen, den sie gegen ihn empfand.

»Vor allem handelt es sich ja darum, es geheim zu halten.«

»Ja, wie wäre denn das möglich? Sie müssen doch Anzeige beim Standesamt machen und ihn begraben lassen.«

»Ich hoffe, daß es sich vermeiden lassen wird. Und dazu sollen Sie mir behilflich sein, Wöhlert. Nicht nur in meinem Interesse, sondern nicht weniger auch in dem Ihrigen.«

Er glotzte sie an, ohne sie zu begreifen.

»Ich? Was kann ich denn dazu tun?«

»Hören Sie mich an«, sagte sie mit aller Freundlichkeit, die sie noch aufzubringen vermochte, indem sie zugleich ihren Stuhl ganz nahe an den seinigen rückte, um im leisesten Flüsterton sprechen zu können. »Sie wissen, was bei einer Entdeckung für uns alle auf dem Spiele steht. Mein Vater lebte in Wien unter einem fremden Namen, aber ich kann nicht versuchen, ihn unter diesem Namen hier bestatten zu lassen, da die Täuschung unzweifelhaft an den Tag kommen würde. Wenn man aber erfährt, wer der Dahingeschiedene ist, so wird man behördlicherseits natürlich bis auf den Grund der Dinge zu dringen suchen. Man wird ohne allen Zweifel mein Haus bis in den letzten Winkel durchforschen, und da wir doch nicht alles beiseiteschaffen können, was auf meines Vaters und Ihre gemeinsame Tätigkeit hindeutet, so wird die ganze Wahrheit sehr bald ans Licht kommen. Ich weiß ja nicht, womit Sie sich da unten beschäftigt haben; denn mein Vater hat es mir nicht gesagt, und ich hatte keinen Grund, ihn darum zu befragen. Aber es bedarf keines großen Scharfsinns, um zu erraten, daß es etwas Verbotenes gewesen sei. Sie wünschen nicht, daß die Polizei und die Gerichte Kenntnis davon erhalten – nicht wahr?«

»Den Teufel auch – ob ich es wünsche?« fuhr Wöhlert etwas unüberlegt heraus. »Meinen Sie, daß ich Lust habe, als der Gehilfe eines Banknotenfälschers ins Zuchthaus zu wandern? Es war eine Dummheit, daß ich mich noch einmal darauf eingelassen habe, besonders, da man es ihm eigentlich schon am ersten Tage ansehen konnte, wie es um seine Gesundheit stand. Übrigens –« er schien sich plötzlich daran erinnert zu haben, daß er von Lisette den Auftrag erhalten hatte, diplomatisch zu Werke zu gehen, – »es kann mir doch am Ende niemand etwas nachweisen. Und Sie werden sich doch wohl hüten, mich zu verraten.«

»Davon kann selbstverständlich keine Rede sein. Wir sind ja durch die Gemeinsamkeit unserer Interessen darauf angewiesen, uns beizustehen. Auf mich und meine Verschwiegenheit dürfen Sie unbedingt zählen. Beweisen Sie mir nun auch, daß ich mich Ihnen gegenüber in der gleichen Lage befinde.«

»Na also, was ist es denn eigentlich, das Sie von mir erwarten?«

»Wir müssen den Toten beiseiteschaffen, ohne daß irgend jemand etwas davon merkt.«

Wöhlert zählte gewiß nicht zu den gefühlvollen und zartbesaiteten Naturen. Aber die Ruhe und Entschiedenheit, mit der hier eine Tochter davon sprach, die irdische Hülle ihres Vaters beiseite zu schaffen wie den Kadaver eines Hundes, weckte doch selbst in seiner Seele eine Empfindung des Abscheus.

»Das haben Sie sich wohl nicht recht überlegt, Fräulein von Lindow«, sagte er. »Und Sie stellen es sich jedenfalls auch leichter vor als es ist. Denken Sie denn gar nicht an den Doktor?«

»O ja, ich habe auch an Doktor Relling gedacht. Und Sie können sicher sein, daß ich alles reiflich überlegt habe. Ich werde den Doktor unter irgendeinem unverdächtigen Vorwande ein paar Tage fernhalten und werde ihn dann glauben machen, daß ich meinen Vater inzwischen auf sein Verlangen an einen andern Ort hätte transportieren lassen.«

»Und Sie meinen, daß er sich damit zufriedengeben würde. Gerade der, dem nicht so leicht einer etwas vormacht? Wenn's noch der Medizinalrat oder Doktor Hellwig wäre, aber mit dem Doktor Relling ist nicht zu spaßen. Davon kann ich ein Liedchen singen.«

»Und doch versichere ich Ihnen, daß Sie sich seinetwegen keine Sorge zu machen brauchen. Doktor Relling wird alles glauben, was ich ihm sage, und er wird alles tun, um was ich ihn bitte.«

Wöhlert schien zwar keineswegs überzeugt, aber Hertas Ansinnen dünkte ihn noch aus so vielen anderen Gründen als ganz ungeheuerlich und unausführbar, daß er es für überflüssig hielt, noch länger bei diesem ersten Einwand zu bleiben.

»Wenn's auch in Gottes Namen so wäre,« meinte er, »damit hätten wir ihn doch noch nicht aus dem Wege geräumt. Wie hatten Sie sich denn das eigentlich vorgestellt?«

»Ich dachte, daß Sie ihn in einer der kommenden Nächte an einer abgelegenen Stelle im Walde begraben könnten. Hier oben ist des Nachts doch kein Mensch, von dem Sie eine Überraschung zu fürchten hätten. Und es sind nur ein paar Dutzend Schritte bis zum Rande des Forstes.«

Aber der Lithograph schüttelte mit großer Entschiedenheit den Kopf.

»Darauf lasse ich mich nicht ein – nie und nimmer. Dazu müssen Sie sich schon einen anderen suchen. Soll ich mich etwa in den Verdacht bringen, daß ich den Mann umgebracht hätte?«

Aber Herta gab trotz der Bestimmtheit dieser Erklärung den Versuch nicht auf, ihn ihren Wünschen gefügig zu machen. Und es schien in der Tat, daß sie die Ausführung ihres so wenig pietätvollen Planes bis in die kleinsten Einzelheiten überlegt hatte. Ihre eindringliche Beredsamkeit und vielleicht auch der Zauber ihrer Persönlichkeit, dem sich ja noch nie ein Mann hatte entziehen können, machte ihn wirklich schwankend. Aber er war nicht so betört, daß er auch nur einen Moment daran gedacht hätte, das Wagnis um ihrer schönen Augen willen zu unternehmen.

Es klang vielmehr so brutal als möglich, da er fragte:

»Und wenn ich es täte, was soll mir die Sache eintragen?«

»Ich würde Ihnen alles geben, was ich im Augenblick verfügbar habe. Es sind vielleicht 3000 Mark.«

Mit einer Gebärde der Entrüstung stand Wöhlert auf.

»Was denken Sie von mir, daß Sie mir eine solche Lumperei anzubieten wagen? Überhaupt wäre es wohl besser, wenn wir erst mal von dem Geschäftlichen sprächen. Wissen Sie, was mir Ihr Vater zugesagt hatte?«

»Nein, ich weiß es nicht; denn er hat, wie ich Ihnen schon sagte, niemals mit mir darüber gesprochen.«

»Nun, so will ich es Ihnen sagen. Und es ist mir gleichgültig, ob Sie es glauben oder nicht. Bare fünfzigtausend Mark sollte ich haben, wenn die Arbeit fertig wäre. Und damit habe ich gerechnet. Ich will nach Amerika, und dazu braucht man Geld, besonders wenn man vorher hier noch einiges in Ordnung zu bringen hat. Dafür, daß Herr von Lindow vor der Vollendung der Arbeit gestorben ist, bin ich doch nicht verantwortlich, und darunter kann ich nicht leiden. Es ist Ihre Sache, mich schadlos zu halten für meinen Verlust.«

Er hatte sich immer mehr in seine moralische Entrüstung hineingeredet, und Herta mußte fürchten, daß in der tiefen, nächtlichen Stille der laute Klang seiner Stimme bis zu Randolf Stounton dringen könne. Darum versuchte sie ihn zu beschwichtigen.

»Sie sollen gewiß keinen Schaden erleiden, Herr Wöhlert! Es ist mir allerdings bekannt, daß mein Vater Ihnen dazu behilflich sein wollte, später nach Amerika auszuwandern. Und ich betrachte diese seine Absicht als ein Vermächtnis, dessen Erfüllung ich Ihnen verspreche. Aber Sie müssen mir Zeit lassen. Die Summe, die ich Ihnen vorhin nannte, ist tatsächlich alles, was ich gegenwärtig besitze.«

»Und wenn ich Ihnen glauben soll, daß es so ist, woher wollen Sie dann später das viele Geld nehmen? Haben Sie so ergiebige Einnahmequellen, weshalb hätte dann Ihr Vater sich mit derartigen Dingen befassen müssen?«

Herta war einen Augenblick unentschlossen, was sie ihm antworten sollte. Aber der brutale Ausdruck auf dem Gesicht des Menschen flößte ihr Furcht ein. Sie konnte nicht mehr daran zweifeln, daß er sich mit leeren Redensarten nicht würde abspeisen lassen. Und sie war auf seinen Beistand angewiesen. Von keinem anderen drohte ihr so furchtbare Gefahr als von diesem plebejischen Helfershelfer ihres Vaters.

»Ich werde binnen kurzem Mr. Stountons Gattin sein«, sagte sie. »Und dann bin ich reich genug, um die Zusage meines Vaters einzulösen.«

Wöhlert gab sich gar keine Mühe, seine beleidigenden Zweifel zu verbergen.

»Erlauben Sie mal, der Engländer ist doch, so viel ich weiß, verlobt. Und dann dachte ich immer, daß zwischen Ihnen und Doktor Relling etwas im Gange sei. Läßt sich denn das alles so einfach rückgängig machen?«

Sie hätte dem Unverschämten am liebsten ins Gesicht geschlagen oder ihm mit einem herrischen Wort die Tür gewiesen. Aber sie durfte weder das eine noch das andere; denn sie befand sich ja rettungslos in seinen Händen.

»Es wird geschehen, wie ich Ihnen sagte. Und es wird um so schneller und sicherer geschehen, je vernünftiger Sie sich benehmen. Helfen Sie mir, das einzige Hindernis aus dem Wege zu räumen, das meine Verheiratung vereiteln könnte. Und ich stehe Ihnen dafür ein, daß Sie innerhalb dreier Monate im Besitze Ihres Geldes sind.«

»Das ist Zukunftsmusik, Fräulein von Lindow. Und damit kann ich mich nicht abspeisen lassen. Aber ich bin kein Unmensch und ich will Ihnen entgegenkommen. Zahlen Sie mir binnen heute und drei Tagen zehntausend Mark in barem Gelde, und ich verspreche Ihnen, Ihren Wunsch zu erfüllen. Davon ist aber nichts mehr abzuhandeln, und darüber ist nicht weiter zu reden. Stehen Sie sich so gut mit dem reichen Engländer, so können Sie sich's ja von ihm geben lassen. Mir ist es gleich, woher Sie's nehmen. Aber ehe ich nicht die zehntausend Mark bis auf den letzten Pfennig erhalten habe, rühre ich keinen Finger.«

Herta war zu Ende mit ihrer Kraft. Sie fühlte, daß sie nicht länger imstande sein würde, sich diesem Schurken gegenüber zu beherrschen. Und sie hegte auch keine Hoffnung mehr, daß es ihr gelingen werde, seinen Sinn zu ändern. Deshalb entschloß sie sich, dieser entsetzlichen Demütigung ein Ende zu machen.

»Wenn das Ihr letztes Wort ist, Herr Wöhlert, so hat es ja allerdings keinen Zweck, daß wir jetzt noch weiter darüber reden. Ich werde mich bemühen, das Geld zu beschaffen, und ich werde Sie durch Lisette benachrichtigen lassen, wenn es mir gelungen ist. Bis dahin allerdings rechne ich auf Ihre unverbrüchliche Verschwiegenheit, und ich bitte Sie dringend, sich in der Zwischenzeit nicht zu betrinken, – es geschieht in Ihrem eigenen Interesse, daß ich Sie darum bitte.«

Der Lithograph verzog sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen.

»Für meine Interessen lassen Sie mich getrost selbst sorgen, Fräulein von Lindow! Ich weiß schon, was mir gut ist, und was mir nicht taugt. Also drei Tage! Wir haben uns doch ganz richtig verstanden?«

Sie konnte ihm nur noch durch ein Neigen des Kopfes antworten. Und als er dann mit einem kurzen Gruße das Zimmer verlassen hatte, brach sie an der Stelle zusammen, wo sie gestanden, und ein krampfartiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.


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