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5. Kapitel

Ein großer, hagerer Mann von vielleicht fünfzig Jahren, mit scharf geschnittenem Gesicht, unruhigen, tiefliegenden Augen und spärlichem Haarwuchs saß bei Hertas Eintritt in dem altväterischen Sofa. Seine Stirn war gefurcht wie die eines in zorniger Erregung befindlichen Menschen und schon die ersten Worte, mit denen er sie begrüßte, gaben hinlänglich kund, in welcher Stimmung er sich befand.

»Schöne Geschichten, die ich da hören muß. Was in aller Welt kommt dir da in den Sinn? Hast du denn alles vergessen, was ich dir nicht einmal, sondern hundertmal eingeschärft?«

Herta war vor ihm stehen geblieben, vollkommen ruhig, aber mit einem scharf ausgeprägten Zug des Trotzes an den Mundwinkeln.

»Nein. Aber für so außergewöhnliche Umstände galten deine Instruktionen doch wohl nicht. Sollte ich diesen Unglücklichen etwa hilflos vor der Schwelle unseres Hauses liegen lassen?«

»Ach, es gibt hier herum Leute genug, die sich seiner hätten annehmen können. Jedenfalls mußt du ihn uns morgen vom Halse schaffen. Denn es ist meine Absicht, einige Wochen hier zu verweilen.«

»Das ist unmöglich. Der Arzt sagte mir vorhin, daß jeder Transport an einen anderen Ort seinen sicheren Tod bedeuten würde.«

»Nun, so wird er eben sterben. Was kümmert es uns? Soll ich etwa meine persönliche Sicherheit, soll ich meine und deine Existenz aufs Spiel setzen, nur um deiner menschenfreundlichen Launen willen? Wer ist er denn übrigens – dein Schützling?«

»Er heißt Randolf Stounton, der zweite Sohn des Lord Tarkington und Sekretär bei der britischen Botschaft in Berlin.«

Der andere hatte hoch aufgehorcht. Der Klang des Namens, den er da gehört hatte, schien eine merkwürdig besänftigende Wirkung auf ihn zu üben.

»Tarkington? Die Familie ist mir nicht ganz unbekannt. Bist du auch sicher, daß du dich über seine Person nicht im Irrtum befindest?«

»Ich weiß es aus dem Munde des Dieners, der ihn begleitete. Und er führte auch eine Anzahl Visitenkarten bei sich. Soll ich dir eine davon holen?«

»Nein – laß nur,« wehrte Herr von Lindow ab. »Es wird schon seine Richtigkeit haben. Und er wird sterben?«

»Die Ärzte hoffen, daß es bei sorgfältigster Pflege gelingen wird, ihn am Leben zu erhalten. Aber dazu ist es vor allem notwendig, daß er hier bleibt. Und ich würde mich deshalb jedem Versuch, ihn zu entfernen, auf das Entschiedenste widersetzen.«

Nachdenklich war ihr Vater ein paarmal im Zimmer auf und nieder gegangen.

»Tarkington –« wiederholte er, anscheinend mehr zu sich selbst als zu Herta redend, »es ist eine der reichsten englischen Familien. Ich kenne das Schloß in Sussex, das sie bewohnen. Und der zweite Sohn hieß Randolf – ich erinnere mich jetzt ganz genau. Wie seltsam doch der Zufall manchmal mit den Menschen spielt.«

»Du hast nichts mehr dagegen, daß er hier bleibt – nicht wahr?«

»Wenn es sich mit der Rücksicht auf meine Sicherheit vereinigen läßt – meinetwegen. Aber wir werden dann natürlich doppelt vorsichtig sein müssen. Du hast doch hoffentlich außer ihm keinen fremden Menschen ins Haus genommen?«

»Niemand außer der Krankenpflegerin, einer stillen, ernsten Person, die sich um nichts anderes kümmert, als um ihre Pflicht.«

»Trotzdem ist es gewagt – fast zu gewagt, als daß ich meine Zustimmung geben dürfte. Es kommen natürlich auch Ärzte ins Haus. Und wenn er sterben sollte –«

»Ich bin sicher, daß er nicht sterben wird, Papa! Und wenn du seine Familie kennst, sollte dir doch daran gelegen sein, sie uns zu Dank zu verpflichten.«

»Oh, das hätte in diesem Augenblicke für mich keinen Wert. Aber immerhin – ich will nicht ohne die zwingendste Not schuld sein an seinem Tode. Wenn die Umstände es gestatten, mag er meinetwegen so lange bleiben, bis er transportfähig geworden ist. Aber ich verspreche nichts. Es wird alles davon abhängen, wie sich die Verhältnisse gestalten. Denn ich sagte dir schon, daß ich mehrere Wochen, vielleicht einen Monat lang hier bleiben muß und daß diesmal noch weniger wie bei meinen früheren Besuchen irgend jemand von meiner Anwesenheit erfahren darf.«

»Und du glaubst, daß sich das wirklich durchführen lassen würde? Es ist wahrlich schon schwer genug gewesen, das Geheimnis auch nur für wenige Tage zu bewahren. Wie man es der Neugier dieser Kleinstädter gegenüber wochenlang hüten sollte, ist mir in der Tat unerfindlich.«

»Und doch muß es geschehen. Es steht zu viel auf dem Spiele. Denn diesmal gedenke ich einen Hauptschlag zu tun – einen Schlag, der uns für immer aus der Misere dieses gehetzten und versteckten Daseins heraushebt.«

Es hatte nicht den Anschein, als ob diese Verheißung ein Gefühl freudiger Zuversicht in Herta geweckt hätte und sie machte kein Hehl aus ihren Zweifeln.

»Mit solchen Hoffnungen hast du dich schon oft getragen, und noch immer haben sie sich als trügerisch erwiesen.«

»Diesmal aber muß es gelingen. Die Vorbereitungen sind zu gut getroffen, und ein paar Wochen ungestörter Arbeit bringen mich sicherlich ans Ziel. Es handelt sich um Hunderttausende, Mädchen – vielleicht um eine Million. Begreifst du jetzt, daß ich nicht gesonnen bin, mein ganzes Unternehmen durch die Rücksicht auf irgendeinen wildfremden Menschen zu gefährden?«

Sie vermied es, ihm auf diese letzte Bemerkung zu antworten. Und sie fragte statt dessen:

»Und wenn es gelänge, – wenn du die Million gewännest, was würde dann geschehen? Würde ich endlich aus dieser entsetzlichen Verbannung befreit werden? Würde ich endlich wieder frei sein – ganz frei?«

»Aber das ist doch ganz selbstverständlich. Für wen anders arbeite ich denn, als für dich? Wenn es gelingt, steht uns die ganze Welt offen. Und wir werden natürlich nicht nach dem langweiligen Berlin zurückgehen, sondern nach Paris oder London, oder Nizza, wohin immer uns gerade die Laune treibt. Dann sollen alle Türen sich weit vor dir auftun und du sollst endlich alle die Triumphe genießen, auf die deine Jugend und deine Schönheit dir Anspruch geben.«

Er hatte mit gesteigerter Wärme gesprochen und seine Augen leuchteten. Offenbar war er selber vollkommen überzeugt von dem, was er sagte. Aus dem Antlitz seiner Tochter aber wich keinen Augenblick der Ausdruck kühler, skeptischer Ruhe.

»Willst du anfangen, mir Schmeicheleien zu sagen? Es sind freilich die ersten, die ich seit langer Zeit gehört habe. Denn hier ist es bis jetzt noch keinem in den Sinn gekommen, meiner angeblichen Schönheit zu huldigen.«

Herr von Lindow ergriff ihre Hand.

»Du wirst alles nachholen, Herta, worauf du jetzt um meinetwillen verzichtest. Und weil es sich doch bei alledem viel mehr um dein Glück handelt, als um das meine, darum mußt du mir jetzt auch nach Kräften behilflich sein. Ich weiß, daß ich deiner Klugheit vertrauen darf und deinem feinen, weiblichen Instinkt, der tausendmal zuverlässiger ist, als der schärfste männliche Verstand. Du wirst dafür sorgen, daß ich ungestört arbeiten kann und daß keine menschliche Seele etwas von meinem Hiersein erfährt.«

»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht. Aber du darfst nicht vergessen, daß nicht ich allein das Geheimnis zu wahren habe. Es hat zu viel Mitwisser, als daß wir nicht stündlich auf einen absichtlichen oder unabsichtlichen Verrat gefaßt sein müßten.«

»Oh, in dieser Hinsicht hege ich keine allzu großen Befürchtungen. Des Schweigens der Rätin bin ich gewiß. Und außer ihr kommen doch nur noch Lisette und Wöhlert in Frage.«

»Ja. Und gerade diese beiden sind es, an die ich dachte. Wöhlert wird von Tag zu Tag mehr eine Beute seines abscheulichen Lasters und wenn er betrunken ist, kann man sich des Schlimmsten von ihm versehen. Ich hoffe, daß du während deines diesmaligen Hierseins seine Dienste nicht wieder in Anspruch zu nehmen brauchst.«

»Ich bedarf ihrer dringender denn je. Ohne seinen Beistand würde ich überhaupt nichts beginnen können. Aber ein Gelegenheitstrinker war er doch schon immer. Und ich habe bisher nicht gefunden, daß er im Rausch gefährlicher sei als im Zustande der Nüchternheit.«

»Es ist in den letzten Monaten mit Riesenschritten bergab mit ihm gegangen. Seine Frau kommt beinahe täglich zu mir herauf, um mir ihr Leid zu klagen. Und sie weiß recht gut, daß ihr Mann im Besitz eines wertvollen Geheimnisses ist, wenn sie auch von seiner Natur bis jetzt keine Kenntnis haben mag. Denn sie hat es wiederholt für nötig gefunden, mich zu warnen.«

»Dich zu warnen?« fragte er in sichtlicher Betroffenheit. »Wovor?«

»Vor der Schwatzhaftigkeit ihres Mannes, dem jetzt viel leichter als früher die Zunge durchgehe, sobald er etwas getrunken habe. Sie gab mir zu verstehen, daß es gefährlich sei, ihn ins Wirtshaus gehen zu lassen, wo er eines Tages leicht das Opfer eines geschickten Ausfragers werden könnte. Um es zu verhindern, mußte ich ihm also die Möglichkeit gewähren, in den eigenen vier Wänden nach Gefallen seiner widerwärtigen Leidenschaft zu frönen. Und da hier kein Sperling vom Dache fällt, ohne daß alle Welt es erfährt, so stehe ich bei allen moralischen Gemütern dieser Stadt in dem ehrenvollen Rufe, durch die Art meiner Almosen der Völlerei und Arbeitsscheu Vorschub zu leisten.«

Sichtlich beunruhigt hatte Herr von Lindow begonnen, im Zimmer auf und nieder zu gehen.

»Dieser Halunke! Es ist schändlich, daß ich ihn nicht entbehren kann. Es steht doch nicht etwa zu fürchten, daß er sich schon verdächtig gemacht hat – daß etwa gar die Polizei auf ihn aufmerksam geworden sei?«

Herta zuckte mit den Achseln.

»Ich halte das keineswegs für unmöglich. Jedenfalls hat man mich unter der Hand darauf aufmerksam gemacht, daß meine Wohltaten an einen Unwürdigen verschwendet seien, da Wöhlert sich schon öfter nachweislich im Besitze großer Summen befunden habe, über deren Herkunft allerlei üble Gerüchte im Umlauf seien.«

»Das ist äußerst fatal. Aber es gibt für mich nun einmal keine Wahl. Und so lange ich persönlich auf ihn wirken kann, werde ich schon dafür sorgen, daß er kein weiteres Unheil anrichtet. Du mußt Lisette morgen in aller Frühe zu ihm schicken und ihn heraufbescheiden lassen.«

»Wenn es nicht anders sein kann – ja. Aber ich warne dich nicht nur vor ihm, sondern auch vor dem Mädchen. Sie gefällt sich neuerdings darin, mich ihre Macht fühlen zu lassen. Und mehr als einmal schon habe ich mich nur mit Mühe bezwingen können, wenn ihre Dreistigkeit meinen Unwillen reizte.«

»Wenn es dir bisher gelungen ist, wirst du wohl auch für die kurze Zeit, die wir noch vor uns haben, mit ihr auskommen können. Sobald wir diese Kreaturen nicht mehr bedürfen, befördern wir sie mit einer angemessenen Abfindungssumme nach Amerika. Und da mögen sie dann schwatzen, so viel sie wollen.«

Er sah auf seine Uhr und erklärte, daß er sehr müde sei und jetzt zur Ruhe gehen wolle. Herta ging hinaus, um nach einer Weile mit dem Bescheide zurückzukehren, daß sein Schlafzimmer für ihn bereit sei. Und sie selbst geleitete ihn in dasselbe, das seltsamerweise trotz der Geräumigkeit der Villa nicht im Erdgeschoß oder im oberen Stockwerk, sondern im Keller lag und zu dem man auf einem schmalen, schwer auffindbaren und mit allerlei Hausgerät halb verstellten Wege gelangte.


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