Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Die Sclaverei in Amerika.

Balduin Möllhausen.

Der Text wurde 1892 in Universum, Illustrierte Zeitschrift für die deutsche Familie, veröffentlicht.

Die Sclaverei in Amerika hat, im Vergleich mit der des Orients wie des classischen Alterthums, eine nur kurze Geschichte. Ihre Einführung entfällt auf jene Tage, in welchen mit der Entdeckung des neuen Continentes dem seit undenklichen Zeiten blühenden afrikanischen Sclavenhandel sich ein neues weites Feld eröffnete, wo alle Bedingungen vorhanden, demselben einen frischen und nachhaltigen Aufschwung zu verleihen. Als deren Urheber wird Las Kasas genannt, ein spanischer Geistlicher, welcher Columbus schon auf seiner ersten Entdeckungsreise begleitete. Diese Behauptung erscheint dadurch gerechtfertigt, daß der menschenfreundliche Priester, um dem Aussterben der zu schweren Arbeiten nicht geschaffenen Eingeborenen rechtzeitig vorzubeugen, seiner Regierung vorschlug, Ackerbauer aus der Heimath zu Colonisationszwecken über's Meer zu senden – Versuche, die übrigens mißlangen – außerdem aber die Verwendung von Negersclaven, mit welchen auf der iberischen Halbinsel lebhafter Handel getrieben wurde, in den Bergwerken wie auf den zu begründenden Zuckerplantagen empfahl. Damit war der Weg zur amerikanischen Sclaverei angebahnt. Schon 1517, also ein Vierteljahrhundert nach der Entdeckung des neuen Continentes, verkaufte gewissermaßen Kaiser Karl V. den Holländern das Privilegium, jährlich sechstausend Neger nach den neuen Besitzungen zu befördern, eine Zahl, die bei dem, reichen Gewinn abwerfenden Geschäft schwerlich jemals inne gehalten wurde.

Fünfzig Jahre erfreuten die Holländer sich dieses Vorzuges; dann ging der sogenannte Assientohandel (nach dem spanischen »Assiento«, Contract) je nach den der Krone am günstigsten erscheinenden Bedingungen in die Hände anderer seefahrender Nationen über. Franzosen, Engländer, Dänen und endlich Amerikaner, nachdem sie ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, betheiligten sich an diesen einträglichen Unternehmungen, bis der amerikanische Sclavenhandel schließlich, trotz aller Eifersüchteleien Frankreichs und in den Weg gestellter Hindernisse, bis zu einem gewissen Grade Monopol der listig berechnenden Briten wurde. Die Unterdrückung dieses scheußlichen, allen menschlichen und göttlichen Gesetzen Hohn sprechenden, von den unerhörtesten Gräueln begleiteten Handels mit menschlicher Waare, an dessen Spitze die angesehensten Firmen in Liverpool und London standen, wurde schon zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts von den Quäkern angeregt. Der darauf bezügliche Antrag gelangte indessen erst 1807 im Parlament zur Annahme, um ein Jahr später zum Gesetz erhoben zu werden. Laut dessen wurde der britische Negerhandel endgültig aufgehoben. Andere Nationen folgten diesem Beispiel binnen längerer und kürzerer Frist. Ganz unterdrückt konnte er indessen nicht werden, weil es Unternehmer im Ueberfluß gab, die heimlich Schiffe ausrüsteten und, trotz der ihnen drohenden Gefahren, Amerika mit immer neuen, eben erst den heimathlichen Wildnissen entrissenen Sclaven versahen. Wie dabei verfahren wurde, ist bekannt. Alle Ungeheuerlichkeiten, welche beim Einfangen der Schwarzen und auf dem Wege zur Küste verübt wurden, stehen wohl noch zurück hinter der Art von deren Beförderung über den Ocean, wie der Verpackung und Behandlung an Bord solcher Sclavenschiffe. Ereignete es sich doch nicht selten, daß man, wenn auf der Flucht vor Kreuzern, die ganze Ladung des lebendigen Ebenholzes einfach über Bord sandte, um dadurch, auf Grund mangelnder handgreiflicher Beweise, einer Aburtheilung zu entgehen und alsbald einen neuen Versuch zu machen. War der Gewinn, welchen der Sclavenhandel abwarf, doch ein derartiger, daß nur ein mäßiger Procentsatz der den gräßlichsten Leiden unterworfenen Unglücklichen an seinem Bestimmungsort gelandet zu werden brauchte, um immerhin noch von einem erträglich günstigen Geschäft sprechen zu können.

Obwohl der Sclavenhandel gesetzlich aufgehoben war, stieß die Freigabe der vorhandenen Sclaven in den britisch-amerikanischen Staaten und Colonien auf große Schwierigkeiten und konnte daher nur langsam vermittelt werden. Erst nachdem 1833 die Regierung die Kronsclaven ihrer Fesseln entledigt hatte und die Emancipation aller auf britischem Gebiet lebender Farbigen erfolgte, schlossen die Pflanzer sich an, und zwar gegen eine Entschädigungssumme von zwanzig Millionen Pfund Sterling oder einhundert Millionen Mark. In den französischen Colonien fiel die Sclaverei erst im Jahr 1848.

Wenn nun England die ersten und wuchtigsten Schritte zur Abschaffung der Sclaverei that, so steht dem gegenüber, daß es gerade England war, welches Nordamerika mit Schwarzen gleichsam überschwemmte. Die nördlichen freien Staaten protestirten vielfach gegen dieses von der Krone begünstigte System, durch welches die Rohproduction der südlichen ein bedrohliches Uebergewicht über die industriellen Anfänge des Nordens erlangten, und verboten zunächst die Einfuhr der Schwarzen, mit welchen England nebenbei besondere, jedoch durchsichtige politische Zwecke verfolgte. Es machten sich also schon damals in der Sclavenfrage die Gegensätze zwischen dem Süden und Norden geltend, welche endlich zu der Spaltung der Union und dem furchtbaren Bürgerkrieg führen sollten, dessen Ergebniß Freiheit für Millionen bedeutete. Bezeichnend ist die Art, in welcher Jefferson, der dritte Präsident des jungen Staatenbundes, in der Unabhängigkeitserklärung der Colonien die perfide britische Politik hinsichtlich der Sclaveneinfuhr schilderte: »Der König von Großbritannien hat einen grausamen Krieg gegen die menschliche Natur selbst geführt, als er Angehörige eines fern wohnenden Volkes, die ihm nie ein Leid zufügten, einfangen ließ, um dieselben nach einer anderen Erdhälfte in die Sclaverei oder zu einem jämmerlichen Tode während der Ueberfahrt fortzuschleppen. Es ist ein Seeräuberkrieg, selbst ungläubigen Mächten zur Schande gereichend, welchen der christliche König von Großbritannien führt. Und dieser Menge von Gräueln, wodurch die Thatsachen erst in's volle Licht gestellt werden, die Krone aufzusetzen, stachelt jener Monarch die Neger unter uns auf, die Waffen zu ergreifen und ihre Freiheit, deren er sie eben berauben ließ, durch Ermordung desselben Volkes zu erkaufen, dem er die Neger aufdrang.«

Auf einer anderen Stelle erklärte Jefferson, der selbst Sclavenbesitzer war, wogegen General Washington testamentarisch seine Sclaven freigab, prophetisch: »Der ganze Verkehr zwischen Herren und Sclaven ist ein ewiges Gewebe der wildesten Leidenschaften. Auf der einen Seite grenzenloser Despotismus, auf der anderen herabwürdigende Unterwerfung. Die Kinder sehen alles und gehen denselben Weg; denn der Mensch ist ein nachahmendes Geschöpf. Welche Verwünschungen würde ein Staatsmann verdienen, der es duldet, daß die eine Hälfte der Bürger die Rechte der anderen mit Füßen tritt, in ihnen alle Moral und Vaterlandsliebe vernichtet! Mit der Moral werden aber auch Handel und Industrie untergraben. Wer wird arbeiten, namentlich im heißen Klima, wenn er einen anderen zwingen kann, für ihn zu arbeiten? Auch sehen wir die Eigenthümer von Sclaven selten arbeiten. Wer die Gesetze der Natur bricht – nach diesen Gesetzen sind alle Menschen gleichberechtigt – zieht sich ihre Rache zu. Ich zittere, wenn ich an die Gerechtigkeit Gottes denke. Sollte sie nicht einstmals Verwirrung, Bürgerkrieg, ja, einen vollständigen Umsturz in unseren Ländern erzeugen?« So lauteten des Präsidenten Jefferson Worte. Sie erfüllten sich, wenn auch erst nach beinahe siebenzig Jahren.

Schon zu jener Zeit, also bald nach der Unabhängigkeitserklärung der vereinigten Staaten, wurde in's Auge gefaßt, durch Gesetze über Freikauf der bereits auf 800 000 Köpfe angewachsenen Negerbevölkerung die Sclaverei gänzlich zu beseitigen. Diese Idee scheiterte indessen daran, daß gerade auf Grund eines solchen Planes die Sclaven unverkäuflich waren. Man berief sich darauf, daß in dem heißen Klima die Neger nicht durch weiße Arbeiter ersetzt werden könnten, der Schwarze dagegen, nachdem seine Fesseln gefallen, aus freiem Willen sogar gegen Lohn sich nicht zu anstrengender Arbeit verstehen würde. Und so wuchs die Sclaverei in demselben Grade, in welchem der Plantagenbetrieb an Umfang gewann und einen nie geahnten Aufschwung nahm. Es sprach dabei mit, daß neben der Einfuhr, auch der Züchterei erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Unter solchen Bedingungen konnte es nicht überraschen, wenn binnen verhältnißmäßig kurzer Zeit der dritte Theil der südstaatlichen Bevölkerung aus Negern bestand, der bei Ausbruch des Krieges bis beinahe auf die Hälfte sich gesteigert hatte. Doch nicht allein auf den Plantagen fanden die Sclaven ihre Verwendung, sondern auch in den größeren Städten des Südens, wo der Besitzer sie, je nach ihrer Arbeitskraft und Fähigkeit, tage- und wochenweise nach allen Richtungen hin vermiethete. Sogar an sie selbst verkaufte er ihre Zeit, wobei ihnen allerdings die Möglichkeit geboten war, durch das Sparen der über den ausbedungenen Miethpreis hinausreichenden Ueberschüsse sich allmählich frei zu kaufen. Und wenn nicht gerade in zu naher Nachbarschaft der freien Staaten, brauchten die Vermiether das Flüchten der einer schärferen Beaufsichtigung enthobenen Sclaven kaum zu fürchten, indem ihre lebendige Waare ihnen durch das Gesetz über flüchtige Sclaven mehr oder minder gewährleistet wurde. Dasselbe ermöglichte sogar, daß man in freien Staaten sich freier Sclaven als entlaufener Sclaven bemächtigte, wozu nur irgend eine eidliche Zeugenaussage nothwendig, welche jeder Bundesbeamte zu respectiren gezwungen war.

So hatte der Süden in seinem unablässigen Trachten, die Sclaverei nicht nur zu befestigen, sondern ihr auch weitere Verbreitung zu verschaffen, es verstanden, durch schwerwiegende Einflüsse und unter Beihülfe gleichgesinnter Präsidenten zu erwirken, daß jeder Bundesbeamte vorkommenden Falls sich zum Sclavenjäger herabwürdigen mußte. Diese Intiguen wurden um so energischer betrieben, weil die, namentlich durch den Zuzug von Deutschen schnell anwachsende republikanische Bevölkerung der nördlichen freien Staaten dem demokratischen Süden ernste Besorgnisse einflößte. Kein Mittel wurde unversucht gelassen, um die aus den Indianerterritorien hervorgehenden neuen Staaten, nachdem die erforderliche Einwohnerzahl erreicht war, durch künstlich erzeugte Mehrheit bei der Selbstabstimmung dem Süden zuzuführen und diesen dadurch im Congreß immer mehr zu stärken.

Ursprünglich hieß es in der Verfassung, daß die Sclaverei in den nordwestlichen Territorien und den aus diesen zu bildenden neuen Staaten auf immer verboten sei. Damals hatten nur sechs Staaten die Sclaverei beibehalten. Kurz vor Ausbruch des jüngsten Bürgerkrieges zählte man dagegen fünfzehn Sclavenstaaten, ein Beweis, mit welchem rücksichtslosen, keine Schranken anerkennenden Eifer der Süden einem bestimmten Ziele zustrebte.

Es folgte darauf 1820 ein Gesetz, bekannt unter dem Namen Missouricompromiß, daß mit Ausnahme des eben zu bildenden Staates Missouri alle nördlich vom 36. Grad nördlicher Breite gelegenen Territorien der Sclaverei verschlossen bleiben sollten. Dieser Abschwächung des ursprünglichen Gesetzes zu Gunsten der ihrer Machtfülle bewußten Südstaaten folgte im Jahre 1854 eine andere, noch weit frechere, die sogenannte Nebraskabill, dahin lautend, daß in jedem neu hinzutretenden Staate, also auch nördlich vom 36. Grad, die Bevölkerung über die Frage: ob Sclaven- oder freier Staat, selbst zu entscheiden habe. Damit wurde dem Süden ein neues freies Feld zu den schamlosesten Ränken geboten. Sogar unter Anwendung von Waffengewalt suchten erkaufte ruchlose Banden die in Masse zuziehenden freien Arbeiter zu überflügeln, die Mehrzahl der entscheidenden Stimmen auf ihre Seite zu bringen und dadurch die Einführung der Sclaverei zu sichern.

Dieser, die freie Arbeit schwer bedrohenden demokratischen Strömung wirkte die republikanische oder Freibodenpartei (Freesoilers) allerdings mit allen Kräften entgegen; allein erst mit der Wahl des Präsidenten Lincoln (1860) gewann sie einen festeren Rückhalt. Die Anschauungen Lincolns über die Sclaverei erhalten den klarsten Ausdruck in seinen eigenen Worten:

»Ich bin zwar mit den Fürsprechern der Sclaverei darin einverstanden, daß es manche Punkte giebt, in welchen die Neger uns Weißen nicht gleichstehen, jedenfalls nicht in Betreff der Hautfarbe« – Lincoln liebte es, seine Reden mit heiteren Streiflichtern und satyrischen Bemerkungen zu würzen – »und vielleicht auch nicht in Rücksicht einzelner Gaben des Herzens und des Verstandes. Aber in dem natürlichen Rechte, sein Brod, das er mit eigenen Händen verdient, ohne die Erlaubniß anderer zu essen, steht uns der Neger gewiß gleich, und nicht minder unseren Gegnern (Seccessionisten) wie jedem Menschen in der Welt.«

Ueber den Sclavenhandel brach er den Stab in der herbsten Weise:

»Unter den Anhängern der Sclaverei giebt es eine besondere Classe geborener Tyrannen, die unter dem Namen Sclavenhändler bekannt sind. Ein solcher Sclavenhändler überwacht die Bedürfnisse der Sclavenhalter, um diesen im Nothfalle ihre Sclaven zu einem für ihn selbst vorteilhaften Preise abzukaufen. So gern er in den Tagen der Noth bei ihnen gesehen wird, so verächtlich wird er dagegen von ihnen in den Zeiten des Wohlstandes behandelt. Sie erkennen ihn nicht als einen ehrenhaften Mann an, noch weniger wollen sie ihn zum Freunde haben. Ihre Kinder dürfen mit den seinigen nicht verkehren, und obwohl wir unseren Kindern freies Spiel mit den Negerkindern gestatten, so halten wir doch des Sclavenhändlers Kinder fern von unseren Familien. Hat man nothgedrungen mit dem Sclavenhändler zu thun, so sucht man auch dann noch den Verkehr so viel als möglich abzukürzen und jedes weitere Geschäft zu meiden. Man scheut sich nicht, mit Jedermann, dem man begegnet, den Händedruck zu wechseln, doch vor der Hand des Sclavenhändlers hält selbst den strengsten Sclavenhalter ein instinctives Gefühl zurück. Selbst wenn der Sclavenhändler reich geworden und sich vom Geschäft zurückzieht, bleibt ein Flecken auf seiner Ehre haften, der den Verkehr mit ihm und seiner Familie besudelt. Hier muß ein tiefer Grund des sittlichen Gefühls vorwalten; denn nie und nirgend trennt uns solche Scheu von irgend einem anderen Geschäftsmanne, mag er mit Vieh, Getreide, Tabak oder sonstigen Artikeln handeln.«

Und doch möchte man diesen ehrlichen Worten gegenüber fragen: »Wo hört der Sclavenhalter auf, und wo beginnt der Sclavenhändler?« Man brauchte nur eine Auctionshalle zu besuchen, wo über Sclaven und Sclavinnen jeglichen Alters und jeder Schattirung, vom dunkelsten Schwarz bis zum leicht gelblich angehauchten Weiß durch den Hammer entschieden wurde, um auf den ersten Blick zu entdecken, daß Sclavenkäufer oder Verkäufer von denselben Regungen beseelt waren, wie die gewerbsmäßigen Händler, nämlich von dem Verlangen, den denkbar größten Vortheil aus der menschlichen Waare zu ziehen.

Die Wahl Lincoln's zum Präsidenten war gewissermaßen das Signal zur Rebellion. Nachdem die Sclavenstaaten sich von dem Norden losgesagt hatten, schafften sie zunächst für sich eine neue Verfassung, deren Basis die Sclaverei bildete, und bald darauf wurde durch die Beschießung des Fort Sumter durch die Seccessionisten der vierjährige Bürgerkrieg gleichsam eingeläutet. Es war ein furchtbares Ringen, aus welchem indessen die Freiheit für vier Millionen Sclaven hervorgehen sollte. Mögen auf beiden Seiten die unerhörtesten Opfer an Leben und Eigenthum gebracht worden sein: Mit dem Blute von Hunderttausenden wurde eine dem großen Continent, dem Lande der bürgerlichen Freiheit seit Jahrhunderten anhaftende Schmach abgewaschen. –

Das Verhälniß, in welchem die schwarzen und farbigen Sclaven zu ihren Herren standen, ist vielfach als ein patriarchalisches geschildert worden. Derartigen Eindrücken war auch der Fremde unterworfen, wenn er beim Besuch gut verwalteter Plantagen beobachtete, wie eine gewisse Vertraulichkeit zwischen Sclaven und Gebieter sich geltend machte, die Kinder der Letzteren unter den farbigen Altersgenossen ihre Spielgefährten suchten, und die schwarzen Physiognomien, gleichviel ob alt oder jung, bei der geringsten Veranlassung in zwanglosester Heiterkeit strahlten. Jene Vorstellung erhielt indessen schon dadurch eine Erschütterung, wenn vielleicht ein schwarzer Bursche, der Gefallen an dem Ausländer fand, zu ihm herantrat mit den Worten: »Master, ich mag Sie leiden; kaufen Sie mich.« Es war dies zugleich eine ernste Mahnung daran, daß er, gleichsam eine Sache, Eigenthum eines über Leben und Tod frei verfügenden Gebieters und in seinem Range kaum über den nützlicher Thiere hinausreichte. Selbst da, wo die Behandlung der Sclaven als eine milde bezeichnet werden durfte, erinnerte sie doch nur an die Sorgfalt, mit welcher der Viehzüchter seine Heerden überwacht. Wie dieser seinen Ueberschuß an ausgesuchten wohlgepflegten Thieren oder unbrauchbar gewordenen auf den Markt bringt, so stand demselben Burschen möglicher Weise bevor, schon in den nächsten Tagen durch den Auctionshammer von Eltern und Geschwistern, wohl gar von seiner jungen Frau auf Nimmerwiedersehen getrennt zu werden. Mit einer solchen Lage und allen mit derselben geeinten Möglichkeiten waren die Sclaven sicher so lange vertraut, wie sie Verständniß für die Sprache und das um sie her Vorgehende besaßen. Bewahrten sie trotzdem ihre gute Laune, die allerdings meist in kindischer Weise zu Ausdruck gelangte, so durfte dies zunächst auf die Eigentümlichkeiten des Racencharakters zurückgeführt werden. Sie unterschieden sich darin himmelweit von den amerikanischen Eingeborenen. Wie der Indianer nie zu einem Sclaven hätte herabgewürdigt werden können, vergaß er auch nie den tief gewurzelten Haß gegen die Weißen, von welchen er seit frühester Zeit Unbilden erfuhr, wie solche selbst dann, nachdem der letzte freie braune Jäger sich schlafen legte, ein Schandfleck der nordamerikanischen Nation und in ihrer Geschichte bis in die Ewigkeit hinein bleiben werden. Die Negersclaven wußten dagegen so gut wie nichts von der Geschichte ihrer Vorfahren. In Vergessenheit versanken sehr bald die Verbrechen, welche deren Uebersiedelung nach dem neuen Continent begleiteten. Und wie hätten ihnen die Erinnerungen daran bewahrt bleiben sollen, da ihnen zunächst die Gabe ernster Uebertragungen fehlte, wie eine solche unter den meisten indianischen Stämmen, so weit sie nicht ausgerottet wurden, heute noch fortlebt, außerdem aber Lesen und Schreiben unter ihnen verboten war? Hatte doch Derjenige, der vielleicht wagte, ein wenig Gelehrsamkeit und Aufklärung unter den Sclaven zu verbreiten und sie dadurch gewissermaßen zu entwerthen, die empfindlichsten Strafen zu gewärtigen. Der letzten Möglichkeit fern gehalten, ihr Wissen etwas zu bereichern, konnten die Wünsche der Sclaven sich nur in den allerengsten Kreisen bewegen. Wünsche, deren Erfüllung für sie unerreichbar, kannten sie kaum. So mag der Wunsch der Befreiung von den Sclavenketten ihnen in ihren Träumen nicht gerechtfertigter erschienen sein, als der einer weißen Hautfarbe. Ihr ganzes Sinnen und Trachten drehte sich zunächst darum, einen milden Herrn zu besitzen, bei dem die Peitsche eine weniger hervorragende Rolle spielte; dann wiederholte sich von einem Tage zum anderen die Hoffnung, mit Arbeit nicht überlastet zu werden. Für Kleidung, Obdach und Brod brauchten sie ja nicht zu sorgen; das war Sache ihres Herrn, genau so, wie bei Arbeitsthieren, deren Munterkeit von der ihnen zu Theil werdenden Pflege abhängig. Erfüllten sich diese Bedingungen nur einigermaßen, so fanden sie keinen Grund zur Unzufriedenheit. Wohl mochte hier eine schwarze Mutter vor Sehnsucht nach dem von ihr genommenen, schon etwas mehr entwickelten Kinde sich die Augen aus dem Kopfe weinen, dort ein Vater heimlich mit den Zähnen knirschen über den an ihm begangenen verbrecherischen Raub, oder die Schwester nach dem auf ewig verlorenen Bruder bangen, und umgekehrt: Unter dem Bewußtsein der Unabänderlichkeit des grausamen Schicksalspruches vernarbten die geschlagenen Wunden bald. Die Sclavenhalter und Sclavenzüchter dagegen, was galten ihnen die Familienbande ihres lebenden Eigenthums? Was konnten sie nur da gelten, wo bei der anbefohlenen Begründung eines kleinen Hausstandes nicht nach Neigungen gefragt wurde, sondern vorzugsweise nach kräftiger Race, wie in einem Gestüt oder in einer Bockschäferei. Und um den schwarzen menschlichen Hausthieren Familienfreuden zu gönnen, brauchte ja nicht einmal ein Hausstand begründet zu werden. Denn ob das Paar Eigenthum desselben Herrn, oder ob zwei Nachbarn sich in dasselbe theilten: für die leicht wieder zu lösende Ehe, was oft genug Aufgabe des Auctionators, war das ja kein Hinderniß. Erwägt man aber Angesichts solcher Zustände, daß von den beinahe vier Millionen Sclaven, welche bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges die Südstaaten belebten, ein sehr beträchtlicher Theil durch Abstufung der Hautfarbe seine Verwandtschaft mit der weißen Race zur Schau trug, so liegt die Frage gewiß nahe, worauf dieser Umstand zurückzuführen. Unwillkürlich drängt sich der Verdacht auf, daß es nicht zu den Seltenheiten gehörte, wenn Geschwister auf sie vererbte Geschwister für blanke Dollars hingaben, der Vater die Peitsche über seine eigene Nachkommenschaft schwingen ließ.

Solche Fragen entzogen sich selbstverständlich den Erörterungen der Sclaven. Ihnen war mit weitsichtiger Berechnung ein zu beschränkter Gesichtskreis abgesteckt worden, als daß ein gewisses Sittlichkeitsgefühl unter ihnen zur rechten Blüthe hätte gelangen können. Im Allgemeinen nie in Sorge um's tägliche Brod, hatte scharf ausgeprägte Leichtfertigkeit durch Generationen hindurch sich bei ihnen ausgebildet. Um ihre erträgliche Zufriedenheit bis zur tollsten Glückseligkeit zu steigern, gehörte daher nur dazu, daß ihnen Gelegenheit zu Tanz, Gesang und Spiel geboten wurde, worin die meisten sich eine eigentümlich barocke Fertigkeit angeeignet hatten. Klangen bei ihren geselligen Zusammenkünften das Banjo – ein Instrument, halb Mandoline, halb Tambourin – die Geige und die Klapperknochen, so geriethen sie außer Rand und Band, und je fröhlicher sie wurden, um so schwermüthiger ertönten ihre seltsamen Weisen, in welchen sie des Sclaven Leid und Freud, vor allem aber die Liebe besangen, wobei das Sterben und Trauern nicht zu kurz kam. Und heute wird es unter den freien Negern und Farbigen nicht anders sein. Zu tief wohnt die eigentümliche Neigung in ihrem Fleisch und Blut, als daß sie im Laufe einer Generation abgeschwächt oder ganz verwischt werden könnte.

Als Lincoln am 22.September 1862 in einer Botschaft die Emancipation der Sclaven in Aussicht stellte und dabei die für die Sclavenbesitzer mildeste Form der Befreiung zu Grunde legte, schüttelte man selbst im Norden die Köpfe. Manche fürchteten in der freien Arbeit die Concurrenz der hinfort auf sich selbst angewiesenen Neger; wogegen anderen das Gespenst der Conscription vorschwebte, auf welchem Wege die furchtbaren Lücken in den Reihen der Armee wieder ausgefüllt werden sollten, und daher ihren Haß gegen die Neger kehrten, die man als die alleinige Ursache des mörderischen Krieges und alles damit verbundenen Elends betrachtete. Und als im Juli 1863 die Conscription wirklich angeordnet wurde, so erreichte die Wuth des Pöbels in New-York einen so hohen Grad, daß er sich in ruchloser Weise an dort lebenden Farbigen vergriff und eine größere Anzahl gräßlich hinmordete, bevor herbeigerufenes Militär einzuschreiten vermochte.

Solche Ereignisse dienten indessen dazu, die längst erörterte Idee, die Neger in die Lage zu versetzen, sich des um ihre Freiheit tobenden Kampfes würdig zu zeigen und selbst mit in denselben einzutreten, zur Reife zu bringen.

Diejenigen, welche aus voller Ueberzeugung und getragen von den wohlwollendsten Gesinnungen für die Neger, auf die sofortige Bildung schwarzer Regimenter und deren Einstellen in die Armee drangen, hatten keine leichte Aufgabe. Zu tief gewurzelte Vorurtheile waren zu besiegen, und in den südlichen Feldlagern hätten kaum mehr Bedenken gegen die militärische Gleichberechtigung der Farbigen erhoben werden können, als in der Bevölkerung der nördlichen Staaten. Man erwog, daß die Berechtigung des Negers, Seite an Seite mit dem weißen Soldaten sein Blut im Kampfe gegen einen gemeinsamen Feind zu vergießen, andere im Gefolge haben müsse; zunächst die Berechtigung, in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Pflichten gemeinsam mit den Weißen vor die Wahlurne hinzutreten, wohl gar selbst zu diesem oder jenem Amt gewählt zu werden.

Man konnte sich eben nur schwer daran gewöhnen, in dem Schwarzen mehr zu sehen, als eine Arbeitsmaschine, deren Bewegungen durch den Willen anderer gelenkt werden mußten, eines Thieres, dessen dürftige geistige Fähigkeiten sich höchstens in dem Ausbruch kindischer Launen wie in tollen Possenreißereien offenbarten, und welches, wenn sich selbst überlassen, in träges, dumpfes Hinvegetiren versank und jedem, der ihm begegnete, als ein Stein des Anstoßes erschien.

Doch die Ungläubigen sollten eines Besseren belehrt werden. Nach langem Schwanken und Zögern selbst in Regierungskreisen ging man endlich an's Werk, durch Bildung schwarzer Regimenter nicht nur die Kriegsmacht des Nordens zu verstärken, sondern auch einen neuen und den denkbar schwersten Schlag gegen die Seccessionisten zu führen. Man hatte es nicht zu bereuen. Von einem gewissen Stolz beseelt, zeigten die Neger sich anstelliger, als zuvor jemand geahnt hätte. Das Ausexerciren mochte wohl ein wenig länger dauern, dann aber erwies sich, daß sie unter dem Commando geeigneter Offiziere nicht nur im Feuer standen, sondern auch todesmuthig vorgingen, wo es galt, den Vorkämpfern ihrer bis zur Raserei erbitterten Urfeinde das Feld streitig zu machen. Indem aber die bisher so verachtete Race den unwiderleglichen Beweis lieferte, daß sie dennoch von der natur zu Höherem bestimmt sei, als man aus ihr gemacht hatte, indem sie vor Augen führte, daß sie fechtend für die Freiheit des Vaterlandes zu sterben verstand, wurden zunächst die gegen sie herrschenden Vorurtheile erschüttert. Wohlwollende Gesinnungen keimten allerwärts, namentlich in den Reihen der weißen Kameraden, während man im Süden sich zähneknirschend vor den vollendeten Thatsachen beugte.

Die Befürchtungen, welche man daran knüpfte, daß nach Beendigung des Krieges die Millionen befreiter Sclaven sich selbst überlassen sein würden, sollten sich nicht erfüllen. Wohl ereignete es sich, daß Rachedurst diesem oder jenem Farbigen den Mordstahl in die Hand drückte, er das Leben desjenigen forderte, der ihm einst die theuersten Angehörigen auf Nimmerwiedersehen entriß; wohl mag auch Raublust zu Ausschreitungen auf den verödenden Plantagen geführt haben; dagegen zeigten im Großen und Ganzen die nach Brod und Arbeit suchenden Massen sich harmlos. Von den Schrecken wüster Negeraufstände verlautete nie etwas.

So hat sich das prophetische Wort des Präsidenten Jefferson erfüllt: Die frühzeitig angeregte, nie verjährende Sclavenfrage erzeugte Verwirrung, Bürgerkrieg und einen vollständigen Umsturz auf dem nordamerikanischen Continent. Die Freiheit aber, welche aus diesem hervorging, war eine verdiente, eine gerechte. Das beweisen die Erfahrungen der beinahe dreißig Jahre, welche nach jenem brudermörderischen Kriege verstrichen. Verwischt sind die Spuren des erbitterten Ringens. Neues Leben grünt auf den blutgedüngten Schlachtfeldern. An Stelle der mit dem Lauf der Dinge Unzufriedenen ist eine neue Generation getreten, hinter der die Vergangenheit versank. Mögen immerhin die Gegensätze sich noch nicht vollständig ausgeglichen haben: Neben den Weißen in Städten und auf dem Lande bewegen sich friedlich die freien schwarzen und farbigen Bürger desselben großen, gemeinsamen Vaterlandes. –

Von einer besonderen Art von Sclaven auf dem nordamerikanischen Continent, und zwar in den ursprünglich mexicanischen Provinzen, den sogenannten Peons, kann hier nicht die Rede sein. Durch kleine Schulden von ihren Gläubigern abhängig geworden und gezwungen, alle Lebensbedürfnisse von ihnen zu entnehmen, wird dafür Sorge getragen, daß sie nie, höchstens durch einen besonderen Glücksfall, aus dem Verhältniß der Leibeigenschaft herausgerathen. Es ist eine Leibeigenschaft, die noch fortbestehen wird, nachdem der letzte Sclave auf Erden seine Fesseln abschüttelte – eine Sclaverei, die sich überall und vorzugsweise in den Metropolen der Gesittung vertreten findet – eine Sclaverei, die nicht ausstirbt, so lange es noch Leute giebt, welche das Unglück, die Genußsucht und die Einfalt ihrer Mitmenschen sträflich auszubeuten versteht.


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