Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Sechstes Kapitel.

Eine liebliche Sternennacht hatte sich auf die Prairie gesenkt. Es war gerade so dunkel, daß man aus mäßiger Entfernung eine lagernde Rinderherde nicht von Strauchwerk oder kleinen Bodenerhebungen zu unterscheiden vermochte. Feierliche Stille herrschte auf der unbegrenzten Ebene, feierliche Stille in den mit Hainen und Baumgruppen geschmückten Thälern der kleinen Nebenflüsse, die von der großen nördlichen Biegung des Arkansasstromes bis in die Nachbarschaft des Smoky- Hill-Fork hinaufreichten. Das Tierleben schwieg. Nur die nimmersatten Prairiewölfe ließen bald hier, bald dort, vereinzelt oder im Chor ihre kläffenden und jauchzenden Stimmen vernehmen. Zuweilen drang der schrille Ruf eines wandernden Regenpfeifers aus Wolkenhöhe nieder.

Kaum vernehmbar war das Geräusch, mit dem zwei kräftige Gäule einen leichten, jedoch festgebauten Planwagen über den weichen Rasen zogen. Ein unbelastetes Reservepferd, an kurzer Leine befestigt, schritt neben dem Handpferde einher. Von kundiger Hand gelenkt, verfolgten sie ihren Weg an einer von Wolkenniederschlägen gerissenen Furche hin. Sie vertiefte und erweiterte sich allmählich zu einer Schlucht mit schroffen Uferwänden. Die Bewegungen der Pferde zeugten von einem langen und heißen Tagesmarsch. Zugleich erheischten die Dunkelheit wie die Nähe des hie und da durch Regengüsse zerwühlten Erdbodens Vorsicht.

Das Ziel der unterhalb des gewölbten Leinwandverdecks sitzenden beiden Reisenden war ein matter, rötlicher Schein, der, einem im Thal des in den Arkansas mündenden Pawnee-Fork geschürten Feuer entströmend, oberhalb desselben in der Atmosphäre lagerte. Bald nach Einbruch der Dunkelheit hatten sie ihn entdeckt und seitdem im Auge behalten. Ein anderer hellerer Schein zeigte sich gegen anderthalb englische Meilen weiter stromaufwärts, und ein dritter, kaum zu unterscheidender, abermals um so viel weiter. Von dem nächsten befanden sie sich vielleicht noch fünfhundert Schritte entfernt, als abseits eine Anzahl schwarzer Unebenheiten, anscheinend Stauden, Gestrüpp oder Hügel einer Prairiehundekolonie ihre Aufmerksamkeit erregte. Wie weit die mutmaßlichen Hindernisse reichten, verhüllte die Dunkelheit. Die äußeren Formen gingen in dem dort hohen Grase vollständig verloren.

Plötzlich, als die Räder das nächste Hindernis beinahe streiften, begannen die Pferde heftig zu schnauben. Wie der Blitz schnellte die schwarze, unförmliche Masse empor, um als gescheuchtes Rind das Weite zu suchen. Andere folgten seinem Beispiel, und gleich darauf erdröhnte der Erdboden unter dem Stampfen Tausender von flüchtigen Hufen. Beinahe gleichzeitig drangen Bellen, Heulen, Fluchen und Peitschengeknall aus größerer Entfernung herüber, begleitet von dem schärferen Getöse zum tollen Rennen unbarmherzig gestachelter Pferde. Es war, als ob die Hölle sich geöffnet und die wilde Jagd zum Kreuzen über die Ebene ausgespieen habe.

Die Reisenden hielten an. Sie begriffen, daß sie längst von den Hirten an der Fortsetzung der Fahrt gehindert worden wären, hätten diese die unzugängliche Schlucht wie den schroffen Abhang des Flußhals nicht als sichere Einfriedigung betrachtet und daher den beiden anderen Seiten um so schärfere Aufmerksamkeit zugewendet.

»Da sind wir in eine richtige Falle geraten, bei Gingo!« meinte Frau Hickup verdrossen, »und wir mögen noch von Glück sagen, wenn wir halb so komfortabel herausschlüpfen, wie wir hineinpilgerten, behaupte ich.«

»Umkehren wäre wohl am ratsamsten,« erwiderte Bertrand nachdenklich; denn aus den Stimmen, wie dem fortdauernden Gepolter ließ sich heraushören, daß zügellose Wut sich der Hirten bemächtigt hatte und die nach vielen Hunderten, sogar Tausenden zählenden Rinder durch den von ihnen selbst erzeugten Lärm nur noch unbändiger wurden.

»Umkehren, mein junger Mann?« fragte Frau Hickup geringschätzig, »das röche nach feiger Flucht vor dem Feinde und würde obendrein als Schuldbewußtsein ausgelegt. Denn keine zehn Minuten dauerte es, bis ein halbes Dutzend von der Sorte uns umringten und mit den Pistolen vor unseren Nasen herumfuchtelten, als handelte es sich darum, mit 'nem Ladiesfächer die Fliegen von einem gesunden Stück Fleisch abzuwehren. Nein, hier bleiben wir. Menschenfresser sind es nicht, die uns stellen. Gehört die Herde aber zu denen King Bobs, wie sie ihn beim Howitt nannten, giebt's überhaupt nichts zu fürchten.«

Bertrand antwortete nicht, und wie er, lauschte nunmehr auch seine mannhafte Gefährtin auf die bedrohliche Bewegung, die durch sie ins Leben gerufen worden war. Deutlich unterschieden sie, daß der Lärm sich mit großer Schnelligkeit entfernte, erst nach einiger Zeit wieder wuchs, und das Bellen und Peitschengeknall von Minute zu Minute schärfer hervortrat. Man war mithin der Flüchtlinge wieder Herr geworden, aber eine Weile dauerte es noch, bevor dem dumpfen Getöse zu entnehmen war, daß sie in ihren Winkel zurückkehrten. Endlich ertönte das Gepolter, unter dem zwei zur äußersten Eile gegeißelte Pferde der Regenschlucht zustürmten. Dann schoß es klirrend, schnaubend und keuchend herbei, daß es wie ein Wunder erschien, wenn die Tiere auf dem schwarzen Erdboden nicht stolperten und samt ihren wilden Reitern das Genick brachen.

»Hier sind sie, bei allen zehntausend Heiligen!« brüllte eine Stimme, in der sich unbezähmbare Wut verriet, und vor dem grausamen Griff in die Zügel gelangte das eine Pferd aus dem Rennen neben dem Wagen zum plötzlichen Stillstand. »Hier heran, Antonia, und die Hölle über jeden, der Miene macht, seinen niederträchtigen Unfug noch zu rechtfertigen!«

Ein zweiter Reiter sprengte , um ihm den Weg zu verlegen, vor den Wagen hin, und grimmig schrie der zuerst eingetroffene unter das aufgeschürzte Wagenverdeck:

»Mille Caramba! Was in des Satans Namen bewog euch, mit eurer verdammten Karrete mitten in die Herde hineinzufahren und eine Stampede zu erzeugen, die uns die Hälfte der Tiere kosten kann?!«

»Hölle und Verdammnis über euch selber,« erwiderte der weibliche Korporal unverzagt, »seid ihr eselhart genug, eure Herde auf der einen Seite unbeaufsichtigt zu lassen, so verdient ihr's nicht besser, als daß euer Viehzeug bis auf den letzten Schweifbüschel zum Henker geht, ohne daß es uns zur Last gelegt werden dürfte!«

»Ein Frauenzimmer!« rief der alte Vaquero verwundert aus. »Caramba! Das schützt dich dagegen, die eigenen Zähne zu verschlucken! Wärst du aber das hübscheste Mädchen, das je einen verliebten Burschen um eine Stunde Nachtschlaf prellte, so hinderte das nicht, dich samt deinem Partner da für allen Schaden verantwortlich zu machen!«

»Bei Gingo! Die Verantwortlichkeit wollen wir gern auf unser Gewissen nehmen, ohne daß wir schwerer daran trügen, als ich hier an meinem Pfeifenstummel,« versetzte Frau Hickup herausfordernd. »Die Prairie wurde für jedermann unter dem Himmel ausgebreitet, und denjenigen möchte ich sehen, der uns wehrte, zu fahren, wohin wir gute Lust haben.«

»Zum Fahren sind die alten Geleise da, die führen nicht in eine abseits lagernde Herde hinein. Mit solcher Ausrede rettet ihr nicht ein Haar auf euren verdammten Schädeln.«

»Meint ihr?« höhnte Frau Hickup. »So zeigt mir den Weg zu dem, den ich suche, und der heißt King Bob. Der ist der Mann dazu, euch Augen und Ohren aufzuknöpfen, daß ihr zeitlebens daran zu denken habt!«

»Zum King Bob? Hol's der Teufel! Dergleichen kann jeder sagen, dessen Zunge zum Lügen zugespitzt wurde.«

»Könnt ihr mit euren Blechschädeln das nicht fassen, so führt uns der Sicherheit halber selber zu ihm, und ihr werdet Wunder erleben.«

»King Bob ist überhaupt nicht hier,« hieß es etwas weniger feindselig zurück, »den habt ihr auf 'ner anderen Stelle zu suchen; da weiter oben, wo der Feuerschein in der Luft schwebt. Doch zuvor müssen wir hier miteinander fertig werden – verdammt! da kommen die Rinder! Fort mit euch in gerader Richtung auf den Creek zu, und langsam und ohne Hallo, oder die Stampede bricht von neuem los.«

Während Frau Hickup die Pferde antrieb und zügelte, ritten die beiden Vaqueros ihnen zur Seite, fortgesetzt die von schweren Drohungen begleiteten Warnungen wiederholend.

»Das scheint eine heitere Gesellschaft zu sein, in die wir gerieten,« wendete Bertrand sich an die alte Gefährtin, »ich selbst komme mir vor, wie ein Junge, der eben erst lernte, sich an der Schürze seiner Mutter aufrecht zu erhalten.«

»Durchaus reglementsmäßig,« erklärte Frau Hickup sorglos lachend, »ein Weib kann dem Gesindel schon eher ein kräftiges Wort an den Hals werfen, als ein Mann, und wären ihm die Haare faustdick auf den Zähnen gewachsen. Ich kenne die Sorte. Die ist gerade wie ihre tückischen Katzen von Gäulen. Verspricht man denen Zuckerbrot, so schlagen und beißen sie um sich, wogegen ein ordentlicher Fußtritt ihnen Achtung einflößt.«

»Auf alle Fälle ist King Bob nicht weit.«

»Ob weit oder nahe, bei Gingo! Was hilft's, wenn die Esel uns nicht von dannen lassen, behaupte ich. Und denen ist alles zuzutrauen. Die fühlen sich nämlich auf der Prairie so frei und unabhängig, wie die Geier, die so hoch fliegen, daß die feinste Büchsenkugel sie nicht erreicht.«

Schweigen folgte. Nur die beiden Reiter sprachen zu einander, indem sie aus dem von der Herde erzeugten Geräusch Schlüsse auf deren Bewegungen zu ziehen suchten und mehr Verwünschungen mit einflochten, als zur Bekräftigung ihres Grimmes unumgänglich notwendig. So erreichte der Wagen den Uferrand des Thales zu derselben Zeit, zu der hinter ihm die vordersten Mitglieder der Herde durch die Regenschlucht aufgehalten wurden und in der Richtung nach dem Flüßchen zu sich ausbreiteten.

Nachdem Frau Hickup und Bertrand einen Blick in die Niederung hinabgesendet hatten, wo zwei oder drei Hirten als Wachen vor einem lodernden Scheiterhaufen sich zu schaffen machten, wendete die tapfere Korporalswitwe sich an den älteren Vaquero mit den Worten:

»Da möchten wir also stromaufwärts fahren und den Uferrand halten, um zum King Bob zu gelangen.«

»Und ich will verdammt sein, wenn ihr das nicht bleiben laßt, und wäre ich gezwungen, einen eurer Gäule über den Haufen zu schießen,« lautete die bedrohliche Erwiderung; »wollt ihr zum King Bob, dann gebraucht eure eigenen Beine. Pferde, Wagen und Inhalt bleiben hier, und ihr mögt darauf schwören, daß wir uns schadlos daran halten, sollte durch eure Schuld auch nur ein Huf zum Teufel gegangen sein. Zieht ihr vor, da unten bei uns zu übernachten, seid ihr willkommen dazu.«

»Da suchen wir lieber den King Bob auf, vorausgesetzt, ihr bürgt dafür, daß von unserem Eigentum nichts verloren geht.«

»Nicht 'n verwünschter Radnagel oder ein Haar aus den Mähnen eurer Bestien,« höhnte der Vaquero, »es soll sogar für die Tiere gesorgt werden, als wären sie bereits die unserigen.«

Sich aus dem Sattel schwingend, begaben die beiden Reiter sich ans Werk, die Pferde aus den Geschirren zu lösen.

»Eine andere Wahl giebt es freilich nicht, sagte der hungrige Fischreiher zum Frosch, da schluckte er ihn herunter,« meinte Frau Hickup, indem sie mit dem Gefährten den Wagen verließ, und die Büchsen auf die Schultern werfend, schritten sie davon.

Eine größere Strecke legten sie schweigend zurück, ohne daß sie von den mit der Herde beschäftigten Männern weiter belästigt worden wären. Plötzlich lachte Mutter Hickup vor sich hin.

»Was meinen Sie, mein junger Mann, wenn der Schlingel, der Bob, überhaupt nicht zur Hand wäre?« fragte sie gut gelaunt.

»So müßten wir uns in das Unabänderliche fügen und das Beste davon machen,« antwortete Bertrand in demselben Ton; um Ihretwillen würde ich es beklagen.«

»Gut gesprochen, mein junger Mann, obwohl ich das Beklagtwerden von jeher verabscheute, selbst damals, als sie meinen seligen Knockhimdown mit ganz unvorschriftsmäßig verschnittenem Skalp ins Lager trugen. Daran zu denken ist übrigens früh genug, wenn wir erst in der Falle drinnen sitzen,« und weiter wanderten sie auf dem Uferrande dem Lichtschein zu, der offenbar einem mächtigen Feuer entströmte.

Indem die Strecke bis dahin sich allmählich verringerte, schallte Jauchzen, Bellen, Singen und Kreischen deutlicher zu ihnen herüber. Eine Höllenorgie schien daselbst gefeiert zu werden, vertrauenerweckend klang es am wenigsten. Die beiden Wanderer wurden einsilbiger, bis sie sich endlich dafür entschieden, anstatt sogleich ins Thal hinabzusteigen, zuvor einen Blick auf das unheimlich belebte Lager zu werfen.

Vorsichtig einherschleichend, gelangten sie auf einen Punkt, von dem aus sie es bequem zu überschauen vermochten. Gerade vor ihnen und durch eine gegen vierzig Fuß hohe Erdwand von ihnen getrennt, war es aufgeschlagen worden. Was sie aber da unten gewahrten, war wenig geeignet, ihnen einen hohen Begriff von Bobs Königswürde und der guten Sitte der von ihm Beherrschten zu verschaffen.

Ein mit halben Baumstämmen genährtes Feuer beleuchtete die Stätte in weiterem Umkreise. In dessen flackerndem Schein erblickten sie vierzehn oder sechzehn Männer, die sich in lebhaftem Gewirre um den Scheiterhaufen herumbewegten. Leute der verschiedensten Altersstufen waren es, vom schlanken Burschen, dem der Bart erst ums Kinn wachsen sollte, bis zum alten Vaquero, der in einem langen Leben der Mühe und Entbehrungen ergraute. Doch diese wie jene trugen im Aeußeren dieselben Merkmale der Verwahrlosung. Räubergestalten veranschaulichten sie in den verschiedenartigsten Aufzügen, je nachdem man Gelegenheit gefunden hatte, abgetragene Kleidungsstücke durch die seltsamsten Zutaten zu ergänzen oder zu ersetzen. Unordentlich, wie es kaum anders zu erwarten, lagen ihre Habseligkeiten umher. Deren Hauptbestandteile bildeten die sowohl als Mäntel wie als Betten dienenden gestreiften Wolldecken. Nur die in Säcken und Fässern geborgenen Lebensmittel waren sorgfältig übereinander geschichtet oder in künstlich aus Zweigen hergestellten Lauben untergebracht worden. Doch welcher Art die Erscheinungen der einzelnen Männer sein mochten, von welcher Art die Umgebung: die allgemeine sorglose Stimmung konnte dadurch nicht beeinflußt werden. Es verriet sich in dem Gesänge, dem taktmäßigen Händeklatschen und dem Rasseln eines Tamburins, womit man die Tanzbewegungen eines halben Dutzends der wilden Gesellen begleitete.

Sich so niederlassend, daß der Lichtschein sie nicht verräterisch streifte, sahen die beiden Gefährten auf das tolle Treiben nieder. Vergeblich aber sucht Frau Hickup nach demjenigen, den sie auf den ersten Blick als King Bob bezeichnet hätte. Was sie dachte, prägte sich verständlich in ihren verwitterten Zügen aus. Eine gewisse Begeisterung hatte sie angesichts der grell beleuchteten Scene ergriffen und in die glücklichsten Tage ihres bewegten Lebens auf den Außenposten der Zivilisation zurückversetzt.

Bertrand schaute, wenn auch überrascht durch das Fremdartige, doch ernst darein. Welcher Art seine Betrachtungen sein mochten, in den Vordergrund trat immer wieder das Bewußtsein, den jungen Pardelstein in Verhältnissen suchen zu müssen, die so himmelweit verschieden waren von allem, was seiner Gönnerin, als sie ihn zum Träger einer abenteuerlichen Aufgabe erkor, nur vorschweben konnte.

In seinem planlosen Sinnen störte ihn ein ungeahnter Wechsel des vor seinen Blicken sich entwickelnden Bildes. Wie häufig bei solchen Gelegenheiten, brachen auch heute Zwistigkeiten aus. Anfänglich in bösen Hohnreden und Schmähungen sich ergehend, erhitzten die Gemüter sich schnell mehr und mehr, bis endlich die Messer aus den Scheiden flogen und man sich anschickte, den fröhlich begonnenen Abend in einen blutigen umzuwandeln. Zwei der an dem Streit Beteiligten zeichneten sich besonders dadurch aus, daß sie zu ihren Decken griffen, sie um den linken Arm wanden und mit dem geschwungenen Messer auf den geeigneten Zeitpunkt harrten, dessen Schneide dem Gegner durchs Gesicht oder über die Brust zu ziehen.

Die übrigen Anwesenden waren ruhiger geworden. Zurücktretend, gaben sie den Kämpfern freien Raum, abwechselnd durch Spottreden sie reizend, oder sie warnend, die Spitzen der Klingen nicht zum Stoß zu benutzen, während andere wieder das Feuer schürten, daß die Flammen hoch emporloderten.

Doch wie im Kreise der Vaqueros lebhafte Spannung erwacht war, sah auch Mutter Hickup regungslos auf die beiden ergrimmten Gegner nieder. Ihr sonst holzähnliches Gesicht war braunrot angelaufen; Begeisterung leuchtete aus ihren ehrlichen Augen. Sie hatte vergessen, daß jemand neben ihr saß, der sie mit einem eigentümlichen Ausdruck des Erstaunens und Unglaubens betrachtete. Und so entschlüpfte ihr auch hin und wieder unbewußt, je nachdem das Vorspiel des Kampfes sich abspann, eine darauf bezügliche kurze Bemerkung.

»Bei Gingo! gut gegeben und noch besser pariert,« hieß es da gedämpft aus übersprudelndem Herzen. »Diese Finte – bei Gott, würdig eines Korporal Knockhimdown, behaupte ich – nicht zu hitzig – der Satan über die Schlingel – sie packen die Messer zum Stoß –«

Und so geschah es. Bis dahin hatte King Bob in einer grünen Reisiglaube auf dem Rücken gelegen. Den Oberkörper etwas erhöht, die Arme unter den Kopf geschoben und gemächlich eine Zigarette rauchend, beobachtete er gleichmütig die beiden Gegner. Sobald er aber gewahrte, daß der Kampf eine Wendung über die gewöhnlichen, wenigstens nicht lebensgefährlichen Grenzen hinaus nahm, schnellte er auf die Füße empor. In drei, vier sprungartigen Schritten erreichte er die plötzlich von zügelloser Mordgier Befallenen. Ebenso schnell packte er sie im Genick, und sie mit den Köpfen zusammenstoßend, schleuderte er sie unter dem Beifallsgejauchze aller Anwesenden mit einer Gewalt den einen rechts, den anderen links, daß sie sich überschlugen und eine Weile liegen blieben, bevor sie sich herumwälzten und nach ihren Messern suchten.

»Bei Gingo! King Bob selber,« entwand es sich in verhaltenem Triumph gepreßt den Lippen der mannhaften Korporalswitwe im Selbstgespräch. »King Bob, wie er leibt und lebt, und Gentleman vom Kopf bis zu den Zehenspitzen herunter. Ich sagte schon immer, der Schlingel sei nicht für 'nen Stickstrumpf oder für 'ne Tintenflasche geschaffen.«

Die letzten Worte galten Bertrand, der seinen Augen und Ohren kaum trauen zu dürfen glaubte. Dann kehrten beide ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den beiden Gegnern wieder zu. Diese standen einander gegenüber, abwechselnd sich gegenseitig und King Bob mit funkelnden Blicken messend, als wären sie in Zweifel gewesen, gegen wen sie zunächst ihren Angriff richten sollten. Zugleich erhoben sich vermittelnde Stimmen, deren einzelne für diesen, andere für jenen sprachen oder ihn als Urheber des vom Zaun gebrochenen Streites bezeichneten.

»Danach frage ich nicht,« schnaubte King Bob sie an, »sie trachteten einer nach des anderen Leben, und das ist gegen unser Gesetz. Seid ihr erst wieder auf dem heimatlichen Rancho, dann schlitzt euch gegenseitig die Bäuche auf, daß die Sonne klar durch euch hindurchscheint; hier aber dulde ich dergleichen nicht. Und was hätten die Dummköpfe davon, läge der eine mit durchstochener Lunge da, und der andere wartete darauf, gehangen zu werden? Baumäste die Fülle hier herum, die stark genug, solche unreife Frucht zu tragen. Und euren ausstehenden Lohn – wer hätte den im Winter auf den Fandangos verjubeln sollen? Danken solltet ihr mir es, daß ich euch vor dem Aergsten bewahrte, anstatt auf mich zu stieren, als möchtet ihr am liebsten beide über mich herfallen. Ist euch daran gelegen, so versucht's doch einmal mit mir, in der Hölle Namen.«

»Wenn freie Männer in Streit geraten, ist's ihr gutes Recht, die Sache auszurichten,« versetzte der eine Kämpfer ingrimmig.

»Ja, solange die Messerschneide entscheidet,« wendete Bob leidenschaftslos ein, »denn solcher Schnitt ist bald ausgeheilt mit Salzwasser und 'nem Talglappen. Aber da kuriere einer, wenn die ganze Klinge zwischen den Rippen verschwindet, und dergleichen dulde ich nicht, das wiederhole ich. Zu eurem König habt ihr mich erwählt, und euer König bleibe ich bis zum letzten Augenblick, oder ihr mögt alle zur Hölle fahren, und ich selber reite meines Weges.«

»Wer erlebte je, daß um solche Kleinigkeiten zwei gesunde Burschen kopfüber gesendet wurden und eine Woche vergeht, bevor sie ihre Glieder wieder ordentlich rühren können,« meinte der andere bereits versöhnlicher unter dem Beifallslachen der Genossen.

»Das klingt schon anders,« versetzte King Bob leichtfertig, »es hätte euch auch ein paar Rippen kosten können, ihr mögt also noch euer Glück preisen. Caramba! Trotzdem will ich euch 'ne Einreibung geben, die kuriert euch in einem Tag und 'nem halben,« und er kehrte in seine Laube zurück. Dort öffnete er einen wohlverschnürten Ballen, und demselben eine Korbflasche entnehmend, trat er wieder ins Freie heraus. »Kommt hierher alle,« rief er über das Feuer hin, »bringt eure Blechtassen zu 'nem Schluck für jeden. Die beiden Rowdies zuerst, um sich das Fell einzubalsamieren. Ihr anderen könnt's halten, wie ihr wollt.«

Kurzes Gewirre folgte. Jeder empfing ein Mäßchen Whisky, das unter tollen Scherzreden hinuntergespült wurde. King Bob warf sich unterhalb des Laubdaches auf sein Lager, und alsbald glimmte die Zigarette zwischen seinen Zähnen. Gleichmütig, als hätte es sich nur um eine Kurzweil gehandelt gehabt, beobachtete er die bestaubten, zottigen Gesellen, deren eine Hälfte ans Werk ging, ihre Schlafstätten herzurichten, während die andere Pferde herbeiholte und sich rüstete, die oben bei der Herde weilenden Wachen abzulösen.

»Das war er selber,« brach Frau Hickup das Schweigen, sobald unten sich die Gemüter zu beruhigen begannen. »Sie sahen ihn, mein junger Mann, ein Bursche, wie er nicht stattlicher und kraftvoller von unserem Herrgott auf die Erde entsendet wurde, um sogar unter den verrückten Mexikanern militärische Ordnung und Disziplin zu verbreiten, behaupte ich.«

Bertrand, noch immer unter dem vollen Eindruck des Erlebten, antwortete nicht. Wohl gestand er sich, daß man lange hätte suchen können, um einen zweiten zu entdecken, der, wie King Bob, alle Eigenschaften eines auch äußerlich bevorzugten jungen Centauren in sich vereinigte; allein sein Bild verzerrte sich ebenso schnell, wie er sich geistig über das Weltmeer in das Heimatland zurückversetzte, liebe, freundliche Gestalten ihn grüßten, ihn gewissermaßen an die ihm zugefallene schwere Aufgabe mahnten.

Als hätte Mutter Hickup an seine Betrachtungen anknüpfen wollen, bemerkte sie unzufrieden: »Und dieser King Bob, von dem auserwählt zu werden der Tochter eines Senators zur Ehre gereichte, dieser querköpfige Taugenichts, wie konnte der nur darauf verfallen, mit einem Squattermädchen anzubändeln, um obenein von deren Vater schnöde abgewiesen zu werden? Bei Gingo! Ein hübsches kerniges Ding ist die Bell allerdings, allein ich mein', der Bob sei doch zu etwas Höherem bestimmt –«

Aus dem Thal tönte der Galopp eines scharf getriebenen Pferdes zu ihnen herauf.

»Es erscheint jemand, uns anzumelden,« erklärte Mutter Hickup gelassen, »da wär's überflüssig, länger hier oben zu verweilen,« und sich erhebend, schritt sie Bertrand voraus auf dem Uferrand einer Stelle zu, wo der niedergespülte Abhang ihnen das Hinuntersteigen ermöglichte.

Auch im Lager waren alle auf das Geräusch aufmerksam geworden. Mit reger Spannung sah man der Ankunft des Reiters entgegen. Die meisten griffen zu den Waffen, um gerüstet zu sein, im Falle von räuberischen Eingeborenen ein Auseinanderjagen der Herde geplant wurde. Nur King Bob, der wieder ins Freie hinausgetreten war, bewahrte seine zuversichtliche Ruhe. Erst als ein schwarzbärtiger bräunlicher Vaquero in den Schein des Feuers sprengte, dort sein anscheinend nur aus Sehnen, Muskeln und Knochen bestehendes Pferd mit heftigem Zügeldruck anhielt, blickte er erregter unter den gerunzelten Brauen hervor.

»Hallo, José!« rief er dem Eintreffenden zu, dessen schlanker Körperbau an den seines Mustangs erinnerte, »ist der Teufel los bei euch da unten, daß du's so eilig hast?«

»Caramba! Der Teufel nicht,« lautete die trotzige Antwort, »aber zwei Fremde, die der Teufel besser schon vor Stunden geholt hätte. Mitten in die Herde fuhren sie mit ihrer Karrete hinein und verursachten eine Stampede, als wäre ein Rudel Wölfe eingebrochen. Die Tiere haben sich jetzt noch nicht ganz beruhigt.«

»Waret ihr nicht Mannes genug, sie zur Hölle zu senden?« fragte King Bob gleichmütig. »Brauchtet ihr doch nur ihre Gäule zu wenden und ihnen auf 'ne halbe Legua Weges Peitschen und Lassos mit 'nem gehörigen Nachdruck auf den Rücken zu legen. Traf der eine oder der andere Hieb die Reisenden, war's kein Unglück.«

»Das wäre sicher geschehen, aber da saß ein Frauenzimmer auf dem Wagen und erkundigte sich nach dem King Bob.«

»Ein Frauenzimmer?« fragte dieser bestürzt, denn er gedachte Bells und der ihr erteilten Ratschläge. »Wie sah es aus? Sag's schnell und sinne nicht lange. Ein junges hübsches Ding, vermute ich.«

»In der Dunkelheit mag der Henker ein hübsches Mädchen herauserkennen; aber alt genug war's, um deine Großmutter zu sein, das hörte man aus der Stimme heraus, und unverzagt und großmäulig genug, um's im Finstern nicht von einem handfesten Dragoner zu unterscheiden.«

»Wo blieben sie?«

»Hierher schickten wir sie. Wagen und Gäule behielten wir als Pfand zurück. Brachen sie nicht das Genick in 'ner Regenfurche, hätten sie längst hier sein müssen.«

»Ist sonst alles in Ordnung bei euch?«

»In Ordnung so weit, daß wir uns die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Der Schrecken will nicht heraus aus dem verdammten Viehzeug.«

»So reite dahin, wo du nötiger bist, als hier.«

Der Mexikaner warf sein Pferd herum, und bald darauf verhallte dessen Hufschlag in der Ferne.

King Bob sah nachdenklich ins Feuer. Beunruhigte es ihn nicht, so befremdete ihn doch, daß ein weibliches Wesen, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen, seinen Weg so weit auf die Prairie heraus gefunden hatte. In seinen Betrachtungen störten ihn die Hirten. Mit den Blicken der Richtung ihrer Bewegung folgend, wurde er zweierlei Gestalten ansichtig, die, am Fuße des schroffen Uferabhanges hinschreitend, zum Teil noch von dem Schatten einzelner höheren Sträucher bedeckt wurden. Sobald sie aber ins Freie traten, wo die volle Beleuchtung des Feuers sie überströmte, war es, als ob er zu Stein erstarrte sei. Namenloses Erstaunen prägte sich in seinem Gesicht aus. Er schien die Wirklichkeit nicht fassen zu können. Erst als Frau Hickup, auf dem Kopf einen zerknitterten grauen Filzhut, auf der Schulter die Büchse, um die Hüften den Ledergurt mit Revolver und Messer, an einem breiten Trageriemen Pulverhorn und Kugeltasche, bis auf einige Schritte vor ihm eingetroffen war, rief er schallend aus:

»Verdammt meine Augen, wenn das der alte Hausdrache nicht selber ist! Bei Gott! das muß ein böser Wind gewesen sein, der dich hierher wehte!«

»Ja, ich selber, Bob, oder King Bob, wie die Leute hier herum dich heißen,« bestätigte Mutter Hickup aufgeräumt. »Ob ein guter Wind mich hierher fegte, oder einer von der schlechtesten Sorte, bei Gingo! wenn ich nur leibhaftig da bin, um dir 'nen schönen Gruß von deinem Vater zu bestellen.«

Und mit einer gewissen Herablassung streckte sie ihm die Hand entgegen.


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