Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Elftes Kapitel.

Bedrückten Gemütes bogen Howitt und seine Begleiter um den Vorsprung des Gehölzes herum. Nur Rabbit schaute so gleichmütig drein, als hätte der furchtbare Gang dem Ausräuchern eines Waschbären aus hohlem Baum gegolten. Der Anblick der heimatlichen Farm hatte den erheiternden Reiz für jeden einzelnen Bewohner verloren. Trauer herrschte in den engen Räumen der Blockhütte: Trauer umwebte die Baulichkeiten, lagerte auf den grünenden Saatfeldern, eine Trauer, von der niemand ahnte, ob sie allmählich gemildert werden oder noch eine Steigerung erfahren sollte.

Bevor sie die Einfahrt des Hofes erreichten, ließ Howitt seine trüben Blicke über Felder, Wiesen und die weidende Herde hinschweifen. Indem sie die Stelle auf dem Prairierande suchten, wo sein Sohn Adam der Ewigkeit entgegenschlummerte, fesselte eine unbestimmte Bewegung seine Aufmerksamkeit. Schärfer hinüberspähend, entwickelte sich vor seinen Augen ein anscheinend mit drei Pferden bespannter Wagen, der auf dem steilen Abhang sich vorsichtig ins Thal hinabwand. Das Gefährt Bertrands und Mutter Hickups erkannte er. Hoffte er nicht auf Hilfe von außerhalb, so beschlich ihn angesichts der freundlich gesinnten Menschen doch ein Gefühl der Erleichterung. Als er sich aber vergegenwärtigte, daß sie, wenn sie ihn überhaupt fanden, von King Bob kamen, verfinsterte sein Antlitz sich wieder. Doch welcher Art die Erfahrungen sein mochten, die sie während ihrer Abwesenheit sammelten: für ihn gab es keinen Grund, ihnen anders als mit aufrichtiger Befriedigung zu begegnen. Um sie zu erwarten, blieb er in der Einfahrt stehen. Im scharfen Trabe führten die Pferde den Wagen näher. Noch bevor er zum Stillstand gelangte, tönte der tapferen Korporalswitwe rauhes Organ mit dem Ausdruck ungeheuchelter, schmerzlicher Teilnahme zu ihm herüber.

»Um Gottes willen – Daniel Howitt!« rief sie aus, daß es weit über den Hof hinschallte, »wir kamen da oben an einem frisch aufgeworfenen Grabe vorbei –«

»Still, still!« beschwichtigte Howitt, neben den Wagen hintretend, um der alten Freundin zur Erde zu helfen, »was ich vorhersah, es ist eingetroffen. Noch vor dem anberaumten Termin ist Blut geflossen. Mein Sohn Adam endigte sein junges Leben unter der Hand eines Meuchelmörders –«

Mutter Hickup war, jede Unterstützung veschmähend, unter Benutzung des Vorderrades neben Howitt hingelangt. »Arme, arme Eltern!« sprach sie, seine beiden Hände ergreifend, tröstlich, »ich kenne dergleichen und gedenke der Stunde, in der sie meinen seligen Knockhimdown mit geschundenem Schädel herbeitrugen; aber wir bezahlten die Missethäter, und so wird es auch hier den Schuldigen treffen –«

»Es traf ihn, Frau Hickup,« unterbrach Howitt sie düsteren Blickes, »es traf ihn des Himmels Rache in einer Weise, daß er schon auf Erden einen Vorgeschmack der ewigen Verdammnis erhielt.«

»Das ist herzerhebend, das ist tröstlich, bei Gingo!« erwiderte Mutter Hickup förmlich begeistert, und abermals ergriff sie Howitts Hände, sie mit festem Druck haltend. »Gedenkt man doch eines lieben Toten, nachdem er gerächt wurde, um so beruhigter, als wenn der Verbrecher noch auf Erden umherstrolchte und auf neue Schandthaten sänne.«

Nachdenklich sah Howitt in ihre ehrlichen Augen. Er verstand sie, wie sie ihn. Die glänzendste, salbungsvollste Ansprache hätte keinen wirkungsvolleren Eindruck auf ihn ausgeübt, als die dem goldenen Herzen gleichsam entsprudelnden ungekünstelten Worte.

Einige Sekunden verharrten sie in Schweigen, worauf Frau Hickup wieder anknüpfte: »Und hier ist Herr Bertrand, der gemeinschaftlich mit mir zu Ihnen steht auf Tod und Leben, wenigstens so lange, bis hier alles entschieden ist.« Und weiter sprach sie zu den jungen Männern, während Bertrand den alten Squatter freundschaftlich begrüßte: »Munter, Jungens, fahrt den Wagen in 'nen sicheren Winkel, spannt die Gäule aus und jagt sie auf die Weide. Nehmt auch die Gewehre herunter, aber vorsichtig. Sie sind geladen, sag' ich, und solch Ding geht zuweilen los, wenn man nur einen schärferen Blick drauf legt, und die Kugel fliegt ihren eigenen Kurs.« Dann wieder zu Howitt gewendet: »Ich gehe zu Ihrer Frau, um ein gottgefälliges Wort mit ihr zu reden, daran sie sich aufrichten soll.«

Ueber den Hof bewegte sie sich festen Schrittes auf die Blockhütte zu, wo Bell und ihre Mutter sie bereits erwarteten. Die Hälfte des Weges hatte sie zurückgelegt, als Bell ihr entgegentrat. In ihrem abgehärmten Antlitz verriet sich schmerzliche Spannung. Eine ergreifende Frage offenbarte sich in ihren Augen.

»Er lebt, ist gesund und sendet dir tausend Herzensgrüße,« raunte Mutter Hickup ihr zu, indem sie das Mädchen in die Arme schloß. »Er ist nicht weit, und droht ein Unglück, läßt seine Hilfe nicht auf sich warten. Also Mut, Bell! Was in meinen Kräften steht, das soll geschehen, um alles zu einem guten Ende zu führen. Gieb mir nur Gelegenheit, heimlich mit dir zu reden. Hab' viel zu erzählen von dem Schlingel, dem Bob, und manches, das du gern hörst,« und gleich darauf stand sie vor der trauernden Mutter, deren Augen bei ihrem Anblick Thränen entstürzten.

Howitt näherte sich mit Bertrand der Hütte zögernd. »Wären wir nur früher gekommen,« bemerkte letzterer, als Howitt die Schilderung der jüngsten Ereignisse abschloß; »wir fußten eben auf dem festgesetzten Termin.«

»Wären Sie überhaupt nicht fortgegangen, so hätte das nichts geändert,« wendete Howitt ein, »und wer weiß, was uns noch bevorsteht. Denn die Sorte, die da stromabwärts kampiert, wird nicht abziehen, ohne wenigstens den Versuch unternommen zu haben, sich der Farm zu bemächtigen. Die Hinrichtung eines ihrer vornehmsten Genossen diente am wenigsten dazu, ihr Ruchlosigkeit einzudämmen, rechne ich. Eine Schmach ist's für die Menschheit, aber auch für eine Regierung, die nicht einschreitet, wenn eine Gesellschaft der verworfensten Spekulanten unser Territorium mit ihren Bluthunden überschwemmt. Müssen wir schließlich dennoch weichen, soll es indessen sicher nicht geschehen, ohne das ausgeführt zu haben, wozu der gewaltsame Tod meines Sohnes uns berechtigt.«

»Sie sehen zu schwarz,« versetzte Bertrand vorsichtig, »Sie vergessen, daß gerade oft dann, wenn die Not am höchsten, die Hilfe am nächsten.«

Howitt warf ihm einen Blick des Argwohns zu. Eine Erwiderung schwebte ihm auf den Lippen, die Frage, woher ihm Hilfe kommen solle; doch, wie die Antwort darauf fürchtend, meinte er gelassen: »Sie sind also gesonnen, noch einige Zeit mein Gast zu bleiben?«

»Vorausgesetzt, Sie sind einverstanden damit.«

»Aber wie, wenn das Pfeifen von Kugeln in Aussicht stände?«

»So befände ich mich an der Seite meines Gastfreundes.«

»Gesprochen wie ein Mann, dem an der Achtung von Männern mehr gelegen, als an Weiberthränen, rechne ich,« erwiderte Howitt und drückte Bertrands Hand. »Bleiben Sie nur eingedenk, daß das Ende jedes einzelnen jener Mordbande, Baxter und Margin in erster Reihe, eine Wohltat für die Menschheit. Wie giftiges Gewürm müssen sie zertreten werden, die da kommen, um des Fluches der Sklaverei willen rechtschaffene freie Bürger in ihrem Besitz zu stören.«

Die Hausthür lag dicht vor ihnen. Summen drangen zu ihnen heraus. Bedachtsam lenkten sie das Gespräch auf andere, weniger beunruhigende Dinge über.

Der Abend war hereingebrochen. Ein Teil der Bewohner weilte in der Blockhütte. Andere versahen den Wachtdienst bei der Herde, die der Sicherheit halber auf das nächste eingefriedigte Feld getrieben worden war. Unter den letzteren befand sich Bell. Schweigend hatte sie die Hütte verlassen. Dort, wo dumpfe Stille herrschte, tiefe Sorgen den Pulsschlag des Blutes regelten, war ihre Entfernung nicht beachtet worden. An ihre düstere Wortkargheit gewöhnt, hätte keiner sie um ihre Absicht befragt. Noch weniger sprach sie selbst zu jemand. Seit dem heimlichen Verkehr mit der Frau Hickup war sie zwar unruhiger, aber auch noch verschlossener geworden. Nur kurze Zeit leistete sie Ben Gesellschaft. Eindringlich sprach sie zu ihm. Dann suchte sie Rabbit auf und drang mit ihm hinter dem Gehöft in den dort beginnenden Wald ein. Zehn Minuten später erreichten sie die Heimstätte Arrowmakers.

Der vereinsamten Hütte zuschreitend, hatten sie die Hälfte des Weges über die Lichtung zurückgelegt, als neben dem seltsamen Bau aus der durch die Bäume verdichteten Dunkelheit ein schwarzer Schatten auftauchte. Gleich darauf fühlte Bell sich von den Armen King Bobs umschlungen. Seine kosenden Worte vermochte sie nur mit heftigem Schluchzen zu beantworten. Erst nachdem er erklärte, durch Rabbit bereits von allem Vorgefallenen unterrichtet zu sein, sprach sie mit vor Wehmut bebenden Lippen:

»Ja, Bob, wir erlebten Schreckliches, so Schreckliches, daß es mir schwer würde, es vor dir zu wiederholen. Was ich aber außerdem erduldete, war genug, mich um den Verstand zu bringen.«

»Und der Vater,« fragte King Bob, »hat der furchtbare Schlag, der euch traf, sein Herz nicht erweicht, ihn nicht versöhnlicher gestimmt? Erwachte in ihm nicht die Regung, einen ehrlichen Mann, der nichts gegen ihn verbrach, als daß er seine Tochter ins Herz schloß, in seine Familie aufzunehmen?«

»Er blieb hart wie ein Fels. Vor der blutigen Leiche unseres armen Adam rief ich seine Barmherzigkeit an, und er verwies es mit grausamen Worten.«

King Bob knirschte mit den Zähnen. »Und das um alter, vergessener Dinge willen, die nur in den Augen eines Herzlosen mir zum Vorwurf gereichen,« hob er erbittert an.

Flehentlich fiel Bell ein: »Nicht doch, Bob. Er ist und bleibt doch immer mein Vater, für den ich auch heute noch mein Leben bereitwillig opfere. Er besitzt eben eine störrische Natur, die zwingt ihn, an einem einmal gefaßten Entschluß festzuhalten. So war es von jeher mit ihm, und das ist entscheidender, als sein böser Wille gegen deine Person.«

»Liegt es so, dann läßt er sich nie und durch nichts besänftigen,« wendete Bob heftig ein, daß Bell vor ihm zitterte.

»Das mag sein,« gab sie klagend zu, »und doch will ich dir angehören über alle Feindseligkeiten und Hemmnisse hinweg. Denn fernerhin unter seinen Augen zu gehen und an meinem Gram zu zehren, ertrage ich nicht länger. Lieber lege ich mich freiwillig ins Grab. Bin ich ihm aus dem Wege und er sieht mich nicht mehr, wird auch seine Stimmung eine andere. Denn unter der haben meine Brüder sowohl, wie die Mutter unablässig zu leiden, und ich trage die Schuld daran. Ich kann mir das Herz nicht aus der Brust reißen und dafür ein unempfindliches Felsstück einfügen. Nennt der Vater es unkindlich und gewissenlos, wenn ich das elterliche Haus ohne seinen Willen verlasse, so gewöhnt er sich bald an meine Abwesenheit. Bin ich ihm doch nur ein Stein des Anstoßes. Sage also, wann ich mit dir ziehen soll: zu jeder Stunde, ob Tag oder Nacht, bin ich bereit.«

»So will ich denn nicht ohne dich von hier scheiden,« versetzte King Bob leidenschaftlich, »wie lange es aber bis dahin dauert, kann ich nicht vorhersagen. Zuvor muß ich einen letzten Versuch wagen, den Vater zu einer Aenderung seines Sinnes zu bewegen, und dazu wird mir in den nächsten Tagen sicher Gelegenheit geboten. Wie ich es anstelle, darum befrage mich nicht. Weiß ich es selbst doch kaum. Nur so viel: Nach dem Vorausgegangenen ist nicht zu bezweifeln, daß man gewaltsam gegen ihn vorgeht, und damit ist die Zeit zum Handeln gekommen. Eine gute halbe Stunde stromaufwärts im Thal des Smoky-Hill-Fork habe ich mein Lager aufgeschlagen. Bei mir befinden sich acht gewandte Burschen, die jederzeit bereit sind, mit dem Leben für mich einzutreten. Das zu wissen, muß dir genügen. Das weitere ist von den Bewegungen der verruchten Raubbande abhängig. Entschlage dich daher aller Sorgen. Die Deinigen vor schwerem Mißgeschick zu bewahren, ist meine nächste Aufgabe. Ist die erfüllt, dann führt unser Weg südlich, gleichviel, wie dein Vater denkt und entscheidet.«

»Bob, mein Bob,« klagte Bell unter hervorbrechenden Thränen, und fester schmiegte sie sich an seine breite Brust, »ich kann nicht ohne dich leben, nicht atmen, wenn ich dich fern und in Gefahr weiß. Und einen gefährlichen Weg willst du betreten – ich errate es – das gönnt mir keine Ruhe. Und ich will es nur eingestehen: Schon seit Wochen verfolgen mich schwere Träume des Nachts, wenn ich auf Stunden die Augen schließe; die schrecklichsten Ahnungen lasten am Tage auf mir. Mir ist, als bedrohe mich ein furchtbares Verhängnis. Bob, ich schwör' dir's, ergeht es dir wie dem armen Adam, dann sollen sie mich an deiner Seite verscharren. Ich kann nicht, ich will nicht ohne dich auf Erden zurückbleiben –«

»Was sind Träume, was Ahnungen?« beschwichtigte King Bob einfallend. »Beides wiegt nicht halb so schwer, wie der Nagel deines kleinen Fingers. Fasse daher Mut, streife ab die leeren Sorgen. Was ich thue, was ich unternehme, es geschieht für dich und für mich, aber auch für alle deine Angehörigen.«

»Lieber Bob,« fuhr Bell wieder fort, »solange ich dich reden höre, kenne ich keine Angst, keine Not. Bist du aber aus meinen Augen, bricht es mit verdoppelter Gewalt auf mich herein. Und doch muß ich nach Hause jetzt, mich zufrieden geben mit dem Gedanken, dich überhaupt gesehen zu haben. Ich muß zurück sein, bevor der Vater mich vermißt. Er würde die Wahrheit sofort erraten, wissen, wo er mich zu suchen hätte.«

»So beeile dich,« versetzte King Bob zärtlich, »auch mir genügt vorläufig, mich überzeugt zu haben, daß du gesund und wohlbehalten. Das weitere ist meine Sorge. Gern begleite ich dich bis an eure Lichtung, fürchtete ich nicht, deinem Vater zu begegnen. Mit Rabbit sprach ich; er wird mir zur Seite bleiben, damit ich einen zuverlässigen Boten zur Hand habe, sofern es Wichtiges zu melden giebt. Und so gehe denn, ja, gehe. Bevor ich dich nicht auf dem Hofe weiß, finde ich keine Ruhe.«

Er küßte sie, und wie einem höheren Gebot folgend, begab Bell sich unverweilt auf den Heimweg.

Auf ein Zeichen King Bobs gesellte Rabbit, der so lange auf dem Flußufer gesessen hatte, sich ihm wieder zu. Nur wenige Worte wechselten sie; dann folgten sie dem Uferpfaden, der nach dem Lager der südstaatlichen Sendlinge führte. Der Mandane schritt voraus. Vertraut mit jedem Fußbreit des Bodens, beschleunigte er anfänglich seine Bewegungen. Erst als Sie den wüsten Lärm unterschieden, mit dem die zu Scheinansiedlern bestimmten Freibeuter unter sich verkehrten, mäßigten sie ihre Eile. Vorsichtiger schlichen sie einher, und aufmerksamer achteten sie auf ihre Umgebung, bis endlich hie und da Lichtstreifen zwischen Bäumen und Buschwerk hindurch ihnen entgegenschimmerten. Dort legten sie sich nieder, und behutsam nach vorne gleitend, erreichten sie nach kurzer Zeit den Waldessaum, der, einen unregelmäßigen Halbkreis beschreibend, die unheimlich belebte Lichtung auf drei Seiten begrenzte.

Der noch junge Mond war eben aufgegangen. Schwarz erschienen die hohen Waldmauern im Gegensatz zu dem gestirnten Himmel, zu den Kochfeuern in dem gegenüberliegenden Winkel und dem von ihnen über die Wiese entsendeten rötlichen Schein. Träge schlich der Rauch über die Bäume hinaus. Mit dem den beiden Kundschaftern zuwehenden Lufthauch einte sich der Duft brennenden Holzes und röstenden Fleisches, ein Beweis, daß es den dort Lagernden gelungen war, aus einer anderen Richtung geraubtes Vieh herbeizuschaffen. Nicht an eine bestimmte Zeit gebunden, gaben sie sich ihren Genüssen hin, wie und wann sie geboten wurden. Sie schienen die ganze Nacht hindurch schwelgen zu wollen.

Mindestens fünfundzwanzig Männer waren es, die dort kauerten, lagerten oder sich mit den allereinfachsten Küchengeräten beschäftigten. Zugleich wurde von Feuer zu Feuer über kleinere und größere Zwischenräume hinweg eine geräuschvolle Unterhaltung geführt. King Bob gewann den Eindruck, daß man sich in Gruppen voneinander gesondert habe, je nachdem Gleichgesinnte auf Grund der mehr oder minder tiefen Stufe der Gesunkenheit sich vereinigten. Abenteuerliche Gestalten der verschiedensten Art waren es, vom ungetreuen Buchhalter und bankerotten Kaufmann bis herunter zu dem im Verbrechen verhärteten Gauner und Pferdedieb. Doch welcher Grad von Sittenlosigkeit und Verworfenheit ihren Wert bestimmen mochte: Hatten sie ihre Aufgabe erfüllt, dann konnten sie gehen, wohin es ihnen gefiel, oder bleiben, bis sie schließlich als gefährliche oder auch nur lästige Nachbarschaft einen Fußtritt erhielten und verjagt wurden. Wie aber ihre hinterlistigen Brotherren die Lust zu dem sträflichen Werk in ihnen rege zu halten verstanden, das bewiesen die Flaschen, die fortgesetzt kreisten und bereits eine von Raubgier getragene kriegerische Stimmung erzeugt hatten.

Wie King Bob zu erraten glaubte, handelte es sich um Meinungsverschiedenheiten, die eine Einigung als ausgeschlossen erscheinen ließen. Deutlicher klang bei allen mehr oder minder Erbitterung hervor, als deren Ursache hie und da die Hinrichtung eines Mitgliedes der Bande in Begleitung des Namens Howitt hervorgehoben wurde.

Bevor King Bob zum weiteren Kundschaften die Lichtung umschlich, begab er sich nach einem Zelt hinüber, das in geringer Entfernung auf dem äußersten Rande der Lichtung hart am Saume des Gehölzes aufgeschlagen worden war. Der durch die Zeltwand hindurchdringende Lichtschein verriet, daß dessen Bewohner sich in das Innere zurückgezogen hatten. Näher kriechend, bemerkten die Gefährten ein vor dem Zelt gepflöcktes, gesatteltes und aufgezäumtes Pferd. Innerhalb des Zeltes sprachen zwei Männer zu einander, jedoch nicht laut genug, um von King Bob verstanden zu werden. Er meinte indessen, die Stimmen Baxters und Margins zu erkennen, derselben Reisenden, die ihn bei seiner letzten Anwesenheit in dem Thal anredeten. In der Hoffnung und dem dringenden Verlangen, wenn auch nur das Geringste über ihr geplantes Treiben zu erfahren, schlich er so nahe an das Zelt heran, wie es ohne die Gefahr des Entdecktwerdens angänglich. Dort hatte er nicht lange auf der Lauer gelegen, ohne mehr als einzelne zusammenhanglose Worte zu erlauschen, als die beiden Bewohner plötzlich ins Freie heraustraten und dort ihre Unterhaltung fortsetzten. Da der eine sich nach dem Pferde hinüberbegab, waren sie gezwungen, ihre Stimmen zu erheben. Nur kurze Bemerkungen wechselten sie, sie genügten aber, King Bob Schlüsse auf ihre ferneren Absichten zu ermöglichen.

»Die Nacht ist kühl, da schaffe ich in einer Stunde mehr, als in drei unter sengender Sonnenglut,« erklärte Baxter, während er sich mit dem Sattelzeug zu schaffen machte. »Reite ich scharf, so bin ich übermorgen in Fort Riley, und nach abermals zwei Tagen kann ein Kommando Dragoner hier sein.«

»Ob der Kommandant auf Ihr Anliegen eingeht, ist eine andere Frage,« erwiderte Margin zweifelnd.

»Er muß. Schon allein des Beispiels wegen ist es notwendig, das erste Auflehnen gegen das Gesetz niederzuschlagen. Es darf keine Schwäche verraten werden, keine Nachsicht, oder die Leute verlieren den Glauben an unser Unternehmen. Das nächste wäre, daß sie auseinanderliefen, und das darf nicht geschehen. Setze ich mich persönlich mit dem Kommandanten in Verkehr, erziele ich eine andere Wirkung, als durch briefliche Benachrichtigung.«

»Unter den Leuten gärt es,« meinte Margin; sie sind aufgebracht über den Verlust ihres besten Mannes. Ich selbst besitze nicht hinlänglich Einfluß, sie zu zügeln, sollten sie die Sache selbst in die Hand nehmen.«

»Die Einsichtsvolleren werden klug genug sein, sich daran zu erinnern, daß der begangene Mord den Squatter und die Seinigen zu der Gegenwehr berechtigte.«

»Wir wollen's hoffen. Schließlich wäre nichts daran gelegen, würden etliche der Lumpen, die uns über den Kopt zu wachsen drohen, niedergeschossen, ginge nicht mit jedem eine Stimme zum Teufel, die am Wahltage gerade so viel wert ist, wie die eines Gouverneurs.«

»Als auf Wiedersehen,« versetzte Baxter, indem er das Pferd bestieg und davontrabte.

Sobald Margin sich in das Zelt zurückgezogen hatte, erhob sich King Bob. Schweigend betrachtete er das Zelt eine Weile, bevor er, von Rabbit geführt, im Waldessaum um die Lichtung herumschlich. Vor ihrem Ziel eingetroffen, befanden sie sich dem Lager gerade gegenüber. Kaum dreißig Schritte von dem Gehölz brannten die beiden nächsten Feuer. Sie durften daher furchtlos wagen, bis zur äußersten Grenze vorzukriechen, wo, selbst überdacht von Zweigen, ein freier Ueberblick über die ganze Lichtung sich vor ihnen eröffnete. Außerdem schützte sie gegen Entdeckung die branntweinselige Stimmung der verrohten Horde, wie der Lärm, den sie im zügellos leidenschaftlichen Verkehr erzeugte.

»Ich bleibe dabei,« hieß es vor dem nächsten Feuer, laut genug, um auch von den anderen verstanden zu werden, »warten wir, bis das Militär hier ist, so geht uns der Profit verloren. Die Squatterbrut hat auf leeren Verdacht hin den Doktor gelyncht, da hindert uns nichts, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und den Howitt mindestens zu einer ordentlichen Entschädigungssumme zu zwingen. Dazu entfällt ein gutes Schmerzensgeld auf Jim für die ausgestandene Todesangst. Wie sich herumsprach, soll der alte Bursche einen ziemlichen Vorrat Silberdollars autgespeichert haben.«

»Und ich stimme dafür, daß ich selber an des Doktors Stelle trete,« brüllte ein anderer über den wüsten Lärm hinaus, »und verdammt will ich sein, wenn ich nicht einen Farmer ausspiele, wie nur je ein Mäßigkeitsapostel, der sich im stillen an klarem Whisky beduselte. Daher rate ich, so bald wie möglich ans Werk zu gehen. Bevor Baxter zurück ist, muß ich auf dem Gehöft installiert sein, oder er gaunert wieder um den Preis für unsere Mühe.«

»Ich lasse die Hände davon,« erklärte Jim, derselbe Strolch, der mit genauer Not dem Richterspruch des erbitterten alten Squatters entschlüpfte, »hab' übermäßig genug von dem Geschäft. An meine Stelle mag treten, wer Lust dazu hat!«

»Das Gewinsel eines alten Weibes,« höhnte einer von dem benachbarten Feuer herüber.

»Und ich möchte denjenigen sehen,« beteuerte ersterer wieder, »der Verlangen nach mehr trüge, nachdem der Teufelskerl von Squatter mit seinen boshaften Augen ihn gründlich betrachtete. Verdammt! Ich sage euch, in denen glüht die lebendige Hölle samt der ganzen Satanssippschaft. Der schneidet euch die Kehlen mit demselben Gleichmut durch, wie unsereins sein Priemchen von 'nem Tabakpflock.«

»Bevor er auf die Gelegenheit dazu wartet,« hieß es aus einer anderen Richtung, »zieht er mit Sack und Pack ab, und hängen will ich, wenn ihm nicht mehr daran gelegen, mit den Seinigen gesund zu entkommen, als sich viel Blei um die Ohren fliegen zu lassen.«

»Knallen ihrer sechs, sieben Büchsen nur einmal zwischen dem Pfahlwerk hindurch, so kommt auf jede Kugel einer von uns, und zu denen möchte ich nicht zählen,« höhnte wieder ein anderer, »denn diese Squatter zielen wie die leibhaftigen Teufel. Lernten sie doch nichts anderes, als die Axt schwingen und ein Gewehr hantieren. Daher mein letztes Wort: Ich beteilige mich nicht an dem Trick!«

»Ich auch nicht! Ich auch nicht!« brüllte es auf verschiedenen Seiten.

»So verliert ihr das Anrecht an die Entschädigung und mögt verdammt sein obenein!«

»Die Dollars gönne ich euch, wenn mir dafür das Mädchen nicht streitig gemacht wird. Ein verhenkert feines Ding. Ich sah's mit meinen lebendigen Augen. Steht es doch auf seinen nackten Füßen wie eine Porzellanpuppe im Schaufenster.«

»Wenn der Margin dir nicht zuvorkommt. Der hat nämlich ein Auge auf das Frauenzimmer. Ich hörte es aus seinem eigenen Munde, als er mit Baxter drüber redete.«

In dem nunmehr folgenden Brüllen, Lachen, Fluchen und Heulen ging das Geräusch verloren, mit dem King Bob die Büchse vor sich hin schob und fester packte. Es war, als ob ein zur Wut gereizter Panther zum Sprunge auf seinen Gegner sich zusammengekrümmt habe. Doch nur auf Sekunden konnte die Besonnenheit ihm versagen, nur auf so lange, wie der grauenhafte Lärm dauerte, dann lag er wieder regungslos, und weiter lauschte er auf die in die Nacht hinausgesendeten Kundgebungen der vertierten Horde.

»Sind wir unserer fünfzehn, achtzehn beisammen, jagen wir den Teufel aus der Hölle,« ließ sich eine kreischende Stimme vernehmen, »die anderen Jungens mögen hier bleiben und schlafen, bis die Augäpfel ihnen am Gehirn festtrocknen. Verdammt! Wer 'ne Hand mit drinnen haben will im Geschäft, mag's ausschreien,« und das darauf folgende Gejohle und Gebrülle war kaum verhallt, als es weiter hieß: »Rund, rund, rund die Flasche und ein frommes Lied dazu:

He, Landlord, füll' die Bowle auf
Und laß sie strömen über.
Heute woll'n wir lustig, lustig sein,
Heute woll'n wir lustig, lustig sein,
Und nüchtern morgen lieber!«

schallte es im grausigen Chor, und der Redner fuhr alsbald wieder fort: »Die ewige Verdammnis über jeden gesunden Gesellen, der in dieser gesegneten Nacht 'ne Minute Schlaf sucht. Wir befinden uns gerade in 'ner Heldenstimmung, da wäre es sündhaft, die unausgenutzt verrauchen zu lassen. Rund, rund, rund die Flasche und herzhaft gerüstet! Bevor der Tag anbricht, müssen wir zur Stelle sein, damit die Sonne ein fertiges Werk beleuchtet.«

Mehr hörte King Bob nicht. Nachdem er sich durch ein Zeichen mit dem Mandanen verständigt hatte, glitten sie so weit rückwärts, wie die Vorsicht gebot, dann sich aufrichtend, begaben sie sich ungesäumt auf den Weg, den sie gekommen waren.

Eine Viertelstunde waren sie eilfertig einhergeschritten, als King Bob sich mit den Worten an Rabbit wendete: »Hast du verstanden, was sie beabsichtigen?«

»Ich hörte es. Zwei Stunden mag es noch dauern, und sie ermuntern die auf der Farm.«

»Gut, Rabbit. Das heißt, wenn sie nicht schon munter sind. Jetzt vernimm: Du gehst zum Daniel Howitt und sagst ihm, er hätte einen Besuch zu erwarten, der von der Hölle entsendet worden. Verrate aber nicht, daß du mich sahst. Er darf überhaupt nicht wissen, daß ich in der Nachbarschaft weile, oder mit seinem Eigensinn verdirbt er im letzten Augenblick alles.«

»Ich sage, was ich sah.«

»Mehr braucht's nicht, Junge. Dann haltet euch tapfer; kein Schuß darf umsonst knallen, und laßt euren Mut nicht ausgehen, sollte ich nicht pünktlich zur Hand sein. Ein langer Weg liegt nämlich vor mir, und der will abgeschritten sein. Kehre ich zurück, schafft's freilich schneller.«

Weiter wanderten sie auf dem Ufer des Flusses, bis sie Howitts Farm gegenüber eingetroffen waren. Dort trennten sie sich voneinander.


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