Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Zweites Kapitel.

Als die beiden Landspekulanten um das vorspringende Gehölz herumbogen, lagen vor ihnen eingefriedigte Felder mit grünenden Saaten, und im Hintergrunde ein kleines Gehöft. Da nach beendigter Frühjahrsbestellung die Ackerarbeit ruhte, hatten die Bewohner der Farm sich einer anderen Beschäftigung unterzogen, welche die beiden nahenden Reiter mit heimlichem Argwohn erfüllte. Man war nämlich ans Werk gegangen, die Zwischenräume zwischen Blockhütte, Stall und Schuppen durch starke Palissaden abzuschließen, ebenso den Vorplatz bis auf eine schmale Einfahrt fest einzufrieden.

»Wie gefällt Ihnen das?« fragte Margin gehässig. »Hat es nicht den Anschein, als rüste man sich, irgend welchen Angriffen zu begegnen? Es müssen doch wohl beunruhigende Gerüchte hierher gedrungen sein.«

»Den Anschein hat es allerdings,« gab Baxter zu, »allein um einen Angriff abzuschlagen, muß er zuvor unternommen werden. Ist der Mann erst darüber aufgeklärt, daß er auf meinem Grund und Boden haust, also nur noch geduldet ist, wird er sich schon bekehren. Gesetz bleibt Gesetz, oder das ganze Weltall ginge aus den Fugen.«

Mißmutig betrachtete Margin ein halbes Dutzend älterer und jüngerer Burschen, die munter ihre Aexte schwangen und Löcher für die Pfähle gruben.

»Er soll eine wilde, störrische Natur sein,« erwiderte er, »einer von jener granitenen Sorte, die keinen Herrn über sich anerkennt. Da seine Begriffe von Recht und Gesetz andere sind, als die der Mehrzahl vernünftiger Menschen, ist schwerlich viel Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten.«

»Auch der Störrischeste muß sich zum Schluß vor der Gewalt beugen,« meinte Baxter, der sich als Herr auf seinem Eigentum fühlte, leichtfertig; »und er wäre nicht der erste, der, um seine Heimstätte zu einem mäßigen Preise zu retten, für Einführung der Sklaverei stimmte, sogar seinen Einfluß bei den Nachbarn, und den soll er in hohem Grade besitzen, ausnutzte, daß sie sich ihm anschlössen.«

»Was heißt Nachbar, wenn es eine Stunde guten Reitens erfordert, um den nächsten zu besuchen?«

»Um so besser. Säßen sie so nahe bei einander, wie die Bienen in ihrem Bau, möchten sie sich zusammenrotten und bald hier, bald hört den Unserigen das Leben sauer machen.«

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Um so aufmerksamer beobachteten sie, wie die jugendlichen Arbeiter in eine Gruppe zusammentraten. Die noch offene Seite des Palissadenzaunes lag gerade vor ihnen und damit die Vorderseite einer umfangreicheren Blockhütte. Es konnte ihnen also nicht entgehen, daß ein höchstens vierzehnjähriger Knabe die Axt zur Seite warf und ins Haus eilte.

Gleich darauf trat aus der Thür ein hochgewachsener Mann, eine echte Kentuckygesalt, um deren breiten Oberkörper ein weites blaues Hemd schlotterte. Ihm auf dem Fuße folgten mit dem Knaben zwei Frauen, deren eine sichtbar ebenfalls eine reiche Zahl von Jahren auf dem Rücken trug, wogegen die andere ein großes, kräftig herausgewachsenes Mädchen war.

Die Brauen finster gerunzelt, betrachtete der alte Mann die Ankömmlinge nachdenklich, dann schritt er ihnen bis zu der durch die Befestigungsarbeiten bezeichneten Hofgrenze entgegen. Der Knabe begleitete ihn, während die beiden Frauen in der Hausthür zurückblieben. Als er bei den jungen Leuten eintraf, lauter wettergebräunten, zum Teil barfüßigen Burschen, deren kraftvolle Körper durch schwere Arbeit gestählt waren, sahen diese mit ehrerbietiger Spannung zu ihm auf. Keiner hätte gewagt, mit seinem Urteil dem des Vaters vorzugreifen oder auch nur auf das hinzuweisen, was ihm selbst vor Augen lag. Dieser beachtete sie nicht, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Fremden, die zur Zeit kaum noch hundert Ellen weit entfernt waren. Sein hageres, von Runzeln tief gefurchtes und verwittertes Gesicht mit dem dünnen ergrauten Bart und den vorspringenden Backenknochen blieb dabei so unbeweglich, als wäre es aus dem härtesten Hickoryholz geschnitzt gewesen. Einen ähnlichen Eindruck erzeugte der lange, anscheinend nur aus Knochen und Sehnen bestehende Körper, dessen Nacken wohl etwas gebeugt, der aber noch immer eine Kraft verriet, um die ihn jüngere Männer hätten beneiden können.

Je näher die Reiter kamen, um so mehr verhärteten sich seine Züge, um so spitzer und durchdringender schauten seine blauen Augen. Es war, als hätte eine Ahnung ihm gesagt, daß er mit Menschen in Verkehr treten sollte, die störend in sein patriarchalisches Leben einzugreifen gedachten und daher ihm als Todfeinde galten.

»Besten Gruß euch allen,« redete Baxter ihn und seine Söhne endlich freundschaftlich an, »ich müßte mich sehr irren, wäre es nicht der ehrenwerte Daniel Howitt, den ich auf eine Stunde um seine Gastfreundschaft ersuche.«

»Daniel Howitt heiße ich,« antwortete dieser ausdruckslos, »und was die Gastfreundschaft anbetrifft, da wurde sie auf dieser Stätte noch nie einem Fremden verweigert, sofern er sich deren nicht als unwürdig erwies. Steigt ab und überlaßt die Gäule den Burschen. Jung, wie sie sind, wissen sie doch, daß unvernünftiges Vieh ebenso berechtigt zu 'ner gastlichen Aufnahme, und wohl noch berechtigter, als mancher, der den Rock eines Gentleman auf den Schultern trägt, rechne ich.«

»Und das Herz eines wahren Gentleman in der Brust,« fügte Baxter, anscheinend gut gelaunt, hinzu, und wie Margin, schwang auch er sich aus dem Sattel.

»Das mag der Henker jemand ansehen, bevor man ein paar Prisen Salz mit ihm aß,« meinte der alte Squatter mit unerschütterlichem Gleichmut. »Es geschieht übrigens nicht of, daß jemand hier vorspricht, der nicht in 'nem Hickoryhemd und mit der Axt in den Fäusten groß geworden. Die letzten waren Feldmesser, die im verflossenen Herbst mit ihren Ketten Linien in der Nachbarschaft schlugen.«

»Vereinigte-Staaten-Beamte,« versetzte Baxter wie beiläufig, und gleißnerisch fuhr er fort, indem er auf die jungen Männer wies, deren zwei sich mit den Pferden entfernten: »Eine verheißende Nachkommenschaft, bei Gott! Angehende Hünen. Ich beschwor's, Daniel Howitt, Sie haben Ursache, stolz darauf zu sein.«

»Gut genug sind sie,« bestätigte Howitt kühl, »wuchsen die Jüngsten noch nicht ordentlich heraus, so verstehen sie doch, ihren hundertjährigen Baum binnen kurzer Frist umzulegen und 'nem Eichhorn auf hundert Ellen 'ne Kugel durch den Kopf zu jagen. Ben,« kehrte er sich dem zunächst stehenden Sohne zu, »geh ins Haus und sage der Mutter und Bell, sie möchten eine gehörige Mahlzeit anrichten. Du selber stelle die Korbflasche auf den Tisch und lege ein paar gesäuberte Hammelhörner daneben. Ich rechne nämlich, wenn jemand den weiten Weg über die Ebenen hier heraus nicht scheut, muß er auch 'ne richtige Ursache dazu haben.«

»Sicher, Freund Howitt,« versetzte Baxter, während er und sein Gefährte an des Alten Seite sich auf die Blockhütte zu bewegten, »nebenbei bezweifle ich nicht, daß, wenn wir die Köpfe der Pferde heimwärts wenden, Sie mit unserem Besuch hier ebenso zufrieden sind, wie wir selber. Ich erstaune übrigens, Sie bei einem Werk zu finden, das die Vermutung der Unsicherheit in diesem Teil des Landes wachruft. Hoffentlich sind die schuftigen Eingeborenen, dieses Ungeziefer, nicht aufsässig geworden.«

»Die nicht,« erklärte Howitt gelassen, »denn mit denen läßt sich's schon leben, sofern man sie den Hunden nicht gleichstellt. Aber da giebt es andere, die für die Ruhe eines friedliebenden Ansiedlers gefährlicher sind, als die verschlagenste Rothaut, die je von Rachedurst auf den Kriegspfad gedrängt wurde. Da kann es sich freilich ereignen, daß wir die Palissaden dazu benutzen, hinter ihnen hervor unser Eigentum zu verteidigen.«

Baxter wechselte mit Margin einen bezeichnenden Blick, worauf er erwiderte:

»Ueberflüssige Vorsicht! Es stehen allerdings mancherlei Veränderungen im Territorium bevor, jedoch nicht solche, die notgedrungen Hader und Feindschaft im Gefolge haben müssen.«

»Die Nachrichten, die hierher gelangten, lauteten anders,« versetzte Howitt etwas entschiedener, »schon die Kettenträger redeten von Dingen, die in den Ohren eines rechtschaffenen Farmers nicht wie Drosselschlag klingen.«

»So waren die Nachrichten gefälscht oder mindestens übertrieben.«

»Weisen sie sich als gefälscht oder übertrieben aus, soll die Mühe des Verpalissadierens mich nicht gereuen. Ein Dummkopf erster Klasse, der sich von den Ereignissen überraschen läßt, rechne ich, und jetzt rücken Sie heraus mit der Sprache. Ein ehrlicher Mann braucht keine Umwege zu beschreiben, wie 'n Oppossum, das 'nen Hühnerstall im Auge hat. Doch beim Sitzen redet sich's leichter, und dieses hier ist eine Bank, auf der ich schon vor siebzehn, achtzehn Jahren den Schweiß auf meiner Stirn trocknen ließ.« Dann, nachdem alle drei auf dem vor der einen Haushälfte hinlaufenden, aus sechs eingerammten Pfählen und einer roh bearbeiteten Plankenlage hergestellten Gerüst sich niedergelassen hatten, nahm Baxter wieder das Wort.

»Vor allen Dingen bauen Sie auf meine Versicherung,« hob er an, »daß ich die weite und nicht unbeschwerliche Reise einzig und allein zu dem Zweck unternahm, um über etwaige Meinungsverschiedenheiten mich freundschaftlich mit Ihnen zu einigen. Klingt die erste Ankündigung wirklich hart in Ihren Ohren, so beweist das nicht, daß Sie auch nur im geringsten geschädigt oder übervorteilt werden sollen. Es stände das in häßlichem Widerspruch mit der Achtung, die ich aus vollem Herzen jedem schwer ums Dasein arbeitenden Ackerbauer zolle. Ich muß Sie nämlich in Kenntnis davon setzen, daß ich hier, Ihre Farm mit eingeschlossen, sechs Quadratmeilen Land ankaufte und im Begriff stehe, es in Parzellen abzuteilen und diese für zuziehende Ansiedler mundgerecht herrichten zu lassen.«

»Von wem kauften Sie das Land?« fragte Howitt wie von ungefähr.

»Von der Regierung. Hier ist der Kontrakt. Auch die Karte will ich Ihnen vorlegen.«

»Also vom Uncle Sam« meinte der alte Squatter ruhig, das Dokument durch eine nachlässige Handbewegung zurückweisend, »verhandelte der aber Land, ohne die darauf angesessenen Squatter an ihr Vorkaufsrecht zu mahnen, so ist er ein ebenso niederträchtiger Schurke, wie Sie selber, der Sie darauf ausgehen, freie Arbeiter durch menschliches schwarzes Vieh zu verdrängen.«

»Wer spricht von verdrängen?« fragte Baxer, die Beschimpfung überhörend, gleißnerisch entrüstet; »das wäre erst der letzte Ausweg, und dazwischen liegen solche Bedingungen, wie sie Ihnen nur willkommen sein können.«

Da Howitt unbeweglich über den Hof hinsah und kein Verlangen verriet, die gepriesenen Bedingungen kennen zu lernen, fuhr er nach einer Pause zuvorkommend fort:

»Zunächst sollen Ihnen also, in gewissenhafter Berücksichtigung der Lage dieses Gehöftes, zweimal sechzig Morgen Land, jeden zu fünf Dollars berechnet, als freies Eigentum verschrieben werden. Dafür verpflichten Sie sich, meinen Grundsätzen Rechnung zu tragen und nicht nur selbst für die segensreiche Institution der Sklaverei zu stimmen, sondern auch Ihre Nachbarn, die zu Ihnen aufblicken wie zu einem Gouverneur, dazu zu bewegen. Dadurch sichern Sie sich und den Ihrigen den ungestörten Besitz der mit so viel Fleiß und Mühe emporgebrachten Farm; außerdem aber ziehen Sie Ihren Vorteil aus dem mit der schnelleren Besiedelung wachsenden Verkehr, zumal es mit dem Kaufgelde nicht eilt, und Sie es nach Bequemlichkeit abtragen mögen.«

»Fein ausgeklügelt,« meinte Howitt mit einem bösen Lächeln, »so fein, daß ein Einfältigerer darauf anbeißen könnte. Ich rechne indessen, nachdem Sie Ihre Bedingungen stellten, hören Sie auch gern die meinigen. Ich besitze sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter. Auf Grund dieser Zahl fordere ich also, daß Sie siebenmal sechzig Morgen aus Ihren sechs Quadratmeilen für mich herausschneiden, und zwar so, daß dieser komfortable Winkel der Mittelpunkt bleibt. Ferner berechnen wir den Morgen mit drei und dreiviertel Dollars, also zum Regierungspreise, eine Summe, die ich beim Abschluß berichtige, und drittens verpflichten Sie sich, auf dem von Ihnen angekauften Lande keine Sklaverei zu dulden.«

»Auch Ihre Bedingungen erscheinen nicht übel,« versetzte Baxter, sein Mißvergnügen hinter sorgloses Lachen verbergend, »Sie übersehen nur eines dabei, nämlich daß wir uns hier auf meinem Grund und Boden befinden, Sie also gewissermaßen mein Gast sind, es daher in meiner Gewalt liegt, Käufer und Pächter heranzuziehen, wie sie mir am meisten zusagen.«

»Bell,« riet Howitt vollständig leidenschaftslos ins Haus hinein, »rücke Speck und Maiskuchen vom Feuer fort und stelle den Whisky für bessere Leute zur Seite!« Und über den Hof: »Jungens, führt den Fremden die Pferde zu! Sie haben große Eile, fortzukommen!« Er kehrte sich seinen Gästen zu, die erstaunt auf sein hartes Gesicht sahen: »Das ist meine Antwort auf eure Zumutung. Noch stelltet ihr die Füße nicht unter meinen Tisch; da hindert mich nichts, dringend zu raten, mein Gehöft so bald und so weit wie möglich hinter euch zu legen. Was ihr euer Recht nennt, wurde mir hinterrücks entzogen, also gestohlen, rechne ich. Mein Recht aber ist geheiligt durch achtzehnjährigen Besitz, das kann kein spekulativer Gauner, sogar der Onkel Sam selber mit seinem großen Gewissen nicht aus der Welt schaffen; und mein Recht verteidige ich in Gemeinschaft mit den Meinigen bis zum letzten Blutstropfen. Zweifeln Sie noch, so versuchen Sie doch, wie viele von Ihren feilen Schurken sich die verruchten Schädel an meinem Palissadenzaun einrennen. Denn ich bin, bei Gott, nicht der einzige hier herum, der sich dagegen auflehnt, wenn das ursprüngliche Gesetz, das uns allen bekannt ist, umgeworfen und unser freies Territorium in einem Zuchtstall für Farbige umgewandelt werden soll.«

Die Pferde wurden vorgeführt. Die beiden Herren hatten sich erhoben. Ihre Gesichter schwammen in Wut und Hohn.

»Sie selbst sind verantwortlich dafür, wenn ein schweres Verhängnis auf Sie hereinbricht,« bemerkte Baxter schneidend, »zählen Sie aber auf den Beistand vogelfreier halbwilder Viehtreiber, wie wir nicht weit von hier einem begegneten, so möchten Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben –«

Bei den letzten Worten trat Bell, beunruhigt durch die erregten Stimmen, auf die Thürschwelle. Ihre Erscheinung machte Baxter verstummen. Wie er, sah auch Margin verstört auf sie hin. Denn kein gewöhnliches Farmermädchen war es, welches da vor ihnen stand, sondern mit dem hohen, kräftigen, tadellosen Wuchs und der herausfordernden Haltung, trotz des ländlich aufgeschürzten einfachen Anzugs, das Bild einer erzürnten waffenkundigen Amazone, die im Begriff, sich zu Kampfe zu rüsten. Derselbe Ausdruck wiederholte sich in dem regelmäßig geformten Antlitz mit den weich abgerundeten, wettergebräunten Wangen, den unerschrocken blickenden Augen und den schwellenden Lippen des feingeschnittenen Mundes. Das starke blonde Haar hatte sie hinter die Ohren zurückgestrichen und dicht am Kopf zusammengeschnürt, von wo es wie ein Roßschweif tief über den Rücken niederwallte. Obwohl der Jahre höchstens zwanzig über das selbstbewußt getragene Haupt hingegangen waren, ruhte doch der tiefe, beinahe düstere Ernst eines weit höheren Alters auf dem jugendfrischen Antlitz. Nicht die leiseste Spur schlummernden Frohsinns war darauf zu entdecken. Es machte sich sogar ein eigentümlich herber Zug zu beiden Seiten des festgeschlossenen Mundes bemerklich. Hatte der Zufall gefügt, daß sie Baxters letzte Bemerkunge hörte, so war die nächste Wirkung, daß sie die Farbe wechselte. Dann aber sprach sie mit der vollen Feindseligkeit, welche durch das Auftreten der Fremden dem Vater gegenüber geweckt worden war:

»Reden Sie verächtlich von Rinderhirten und trauen Sie dem Vater zu, mit ruchlosen Gesellen Gemeinschaft zu pflegen, so können Sie mit solchen sich nur selbst gemeint haben.«

»Gut gegeben, Bell,« versetzte Howitt billigend, fügte aber streng hinzu: »Hast nur vergessen, daß dein Vater Manns genug ist, mit jedem, auch mit diesen beiden zweifelhaften Gentlemen, selber fertig zu werden.«

Bell, weniger durch den Vorwurf des Vaters eingeschüchtert, als erbittert über Margin, der seine Bewunderung unverhohlen an den Tag legte und sie mit frechen Blicken betrachtete, kehrte sich kurz um und trat in die Hütte zurück.

»Ein schönes Kind,« erklärte Margin unter dem vollen Eindruck des eigentümlichen Zaubers, der die charakteristische Erscheinung auszeichnete, und formlos fiel Howitt ein:

»Darum befragte ich Sie nicht. Wähnen Sie, daß Anstand und gute Sitte hier im wilden Westen weniger zu Hause sind, als in euren vergoldeten Parlours, so irren Sie mächtig. Lassen eure Weiber sich unziemliches Anstarren von jedem elenden Laffen gerne gefallen, so folgt daraus nicht, daß man dergleichen hier duldet. Und jetzt beeilt euch, wenn ihr nicht vorzieht, daß meine Söhne euch in den Sattel helfen und euren Mähren die Peitschen um die Ohren knallen, um zu prüfen, wie fest ihr auf 'nem Pferderücken klebt.«

»Nur aufrichtige Bewunderung –« hob Margin, bis zur Verwirrung scheu, entschuldigend an, allein des alten Squatters Geduld war erschöpft.

»Aufrichtiger Tod und Teufel!« fiel er drohend ein. »Geschah euch, wie's euch nicht behagt, so wolltet ihr's nicht anders, und wenn ihr nach Hause kommt, rühmt euch, für eure niederträchtigen Ränke wie schlechte Hunde von dem Hofe eines ehrlichen Mannes fortgejagt zu sein.«

»Noch ein Wort in Güte,« hob Baxter nunmehr besänftigend an, »nicht in gereizter Stimmung möchte ich von Ihnen scheiden. Walteten Mißverständnisse –«

»Keine Mißverständnisse,« schnitt Howitt das weitere ab, »das liest ein Blinder durch 'ne dreizöllige Planke. Mein letztes Wort habt ihr gehört, und das eurige brauch' ich nicht zu wissen,« und seinen Gästen den Rücken kehrend, schritt er ebenfalls ins Haus hinein.

Baxter und Margin säumten nicht länger und bestiegen ihre Pferde. Im Davonreiten rief Baxter, auf dem Gipfel seiner Wut, über die Schulter in die offene Thür hinein: »Auf Wiedersehen zu geeigneterer Zeit. Vielleicht halten Sie für ratsam, vorher meinen Grund und Boden zu verlassen!«

Eine Antwort erfolgte nicht. Baxter knirschte mit den Zähnen.

»Vom eigenen Besitztum heruntergewiesen zu werden – bei Gott, das soll nicht vergessen sein,« sprach er zu dem Gefährten, »verdammt! Noch giebt es Mittel, das kollerigste Stück Vieh ins Joch zu spannen.«

»Ich für meine Person möchte mich nicht vor die Mündungen ihrer Büchsen stellen,« versetzte Margin spöttisch, »weit lieber schlösse ich Blutsbruderschaft mit dem Alten um seiner Tochter willen. Bei Gott, ein schöneres Mädchen sah ich nie, selbst nicht in den Staaten. Stand sie nicht auf den kleinen nackten Füßen wie eine Heldin des Altertums?«

»Ich vermute, ein zweiter zärtlicher Blick in die funkelnden Augen des wilden Dinges würde Ihnen gefährlicher werden, als ein halbes Dutzend Gewehrmündungen.«

»Wenn kein warmes Blut in ihren Adern kreiste,« höhnte Margin, »und das zum Sieden zu bringen kann nicht schwer werden bei einer, die bisher nichts anderes kennen lernte, als rohe Landtölpel. Wir werden ja sehen, wenn es mir zufallen sollte, zwischen Ihnen und dem knorrigen Alten zu vermitteln.«

Sie ritten zwischen den zur Zeit auf Axt und Spaten gestützten jungen Männern hindurch. Da sie nicht grüßten, hielten jene für überflüssig, die geringste Höflichkeit an sie zu verschwenden. Aber die Blicke aus den jungen Augen trafen sie mit einer Feindseligkeit, daß sie ihnen zu begegnen scheuten.

Solange die Scheidenden den Brüdern sichtbar blieben, spähten sie ihnen schweigend nach. Sobald sie aber um die Waldecke herumbogen, sandte der Aelteste eine wilde Verwünschung hinter ihnen her. Mit einem zweiten Fluch schleuderte er die Axt weit von sich.

»Das ist kein gutes Zeichen, wenn unser alter Governor einen Gast ziehen läßt, ohne ihm zuvor einen festen Trunk angeboten zu haben,« sprach er ingrimmig, »was aber dem Vater die Laune verdirbt, braucht vor seinen Söhnen nicht verheimlicht zu werden,« und gefolgt von den Brüdern, begab er sich nach der Blickhütte [Blockhütte?] hinüber.

Als sie in das Gemach eintraten, das zugleich als Küche, Wohnzimmer und Schlafraum der beiden Alten diente, sahen sie den Vater am Tisch sitzen, die eine Hand auf die Platte gelegt, mit der anderen das Haupt stützend. In seiner starren Haltung und mit dem knochigen Körper erinenrte [erinnerte ?] er nicht wenig an die rohbehauenen Baumstämme, die sich ringsum zu Wänden übereinander reihten. Seine Frau kauerte vor dem Kaminfeuer, mit dem Rösten von Mehlkuchen beschäftigt. Bell stand abseits vor dem einzigen Fenster und sah ernst auf den Hof hinaus.

Bis dahin hatte Howitt kein Wort gesprochen. Mutter und Tochter wären die letzten gewesen, ihn zur Zeit in seinem Gedankengange zu stören. Erst beim Eintritt seiner Söhne richtete er sich auf. Wie begutachtend, betrachtete er die kernige Nachkommenschaft. Er mochte sich fragen, inwieweit sie geschaffen, mit Leib und Leben für ihre Heimstätte einzutreten; aber auch, ob der eine oder der andere dazu auserkoren, durch seinen Fall die Rache des Himmels gegen eine Gesellschaft herauszufordern, die es als ihr Privilegium ansah, Recht und Gesetz unter die Füße zu treten.

»Keine gute Zeit hier, kalkulier' ich,« meinte Ben, ein Mann, dem bereits der Bart ums Kinn gesproßt war, und der als Aeltester gewöhnlich das Wort führte.

Da schlug Howitt mit der eisernen Faust auf den Tisch, daß es klang wie der dröhnende Fall eines Schmiedehammers.

»Nein, Jungens, keinen guten Zeiten gehen wir entgegen,« rief er aus, »vielleicht Zeiten, in denen ihr beweist sollt, daß ihr Schößlinge eines gesunden Stammes seid, und der Jüngste so viel wert ist, wie jeder andere, der eine Büchse zu heben und die Kugel ins Bullenauge zu zirkeln versteht, rechne ich. Ihr möchtet die Ursache wissen, und die darf jetzt nicht länger vor euch verheimlicht werden. Was wir so lange befürchteten, soll sich nämlich erfüllen, und da mögen wir jeden Tag gewärtigen, daß die verruchten Sendlinge der südlichen Schurken eintreffen, um uns von der friedlichen Scholle zu vertreiben, wo wir die vielen Jahre ein gottesfürchtiges Leben führten.«

»Da werden sie wohl eine harte Nuß zu knacken finden,« meinte Adam, der Zweitälteste, trotzig.

»Eine Nuß, an der die Lumpen sich die Zähne ausbeißen,« fügte der Jüngste erbittert hinzu.

Der Alte warf einen strengen, zugleich wohlgefälligen Blick auf die entschlossenen jungen Männer und sprach weiter: »Mit dem Reden locken wir keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Hier heißt's handeln, sollen wir nicht eines Tages, mag's Wochen oder Monate bis dahin dauern, von der Rotte Kora heimgesucht werden, um demnächst zum Wanderstab zu greifen. Adam, sattle dir 'nen Gaul und reite bei den Nachbarn herum. Erzähle ihnen, was wir heut erlebten, befrage sie um das, was sie selber erfuhren. Bestelle mit 'nem Gruß von mir, ich ließe raten, wenn zu viele sie bedrängten, sich hierher zurückzuziehen. Sag ihnen, binnen wenigen Tagen seien die Palissaden fertig, und hinter denen hervor könnten zwei Dutzend handfeste Männer ein ganzes Regiment zusammenschießen. Reitest du die ganze Nacht, so bist du morgen abend wieder hier. – Du, Ben, reitest unterdessen nach Fort Riley hinunter. In drei Tagen machst du's. Du bist befreundet mit dem Kaufmann White. Von dem kaufe so viel Pulver und Blei, wie du bequem fortschaffst. Mutter wird dir Geld geben. Steckt Brot und Fleisch zu euch, daß ihr unterwegs nicht schwach werdet; thut auch den Tieren keine Ueberlast. Haltet die Augen offen und achtet auf alles, das um euch her vorgeht. Redet mit den Leuten, denen ihr begegnet, und befragt sie um ihre Meinung. Es müßte mit dem Henker zugehen, befänden sich viele unter ihnen, die ohne Widerstand duldeten, daß unser Territorium mit Niggers überschwemmt würde.«

Bereitwillig rüsteten sich die beiden Sendboten. Ob sie dreimal vierundzwanzig Stunden im Sattel zubringen sollten oder ebenso viele Minuten, fiel bei ihnen nicht ins Gewicht. Sie waren es nicht anders gewohnt seit den Tagen, in denen sie noch nicht lange zum erstenmal die Beine über einen Pferderücken spreizten. Unterstützt durch ihre Brüder, waren sie binnen kurzem reisefertig. Eine kräftige Mahlzeit bildete den Schluß.

Als sie die Pferde bestiegen, trat Bell, die ihnen das Geleite auf den Hof hinaus gab, neben Ben hin. Leiste raunte sie ihm zu: »Ohne es zu wollen, verriet der eine Fremde, daß King Bob in der Nachbarschaft weilt. Du findest ihn bei der großen Regenfurche, wo wir den Maisvorrat für seinen Mustang anlegten. Du bist sein Freund, und dir traut er. Im Vorbeireiten sage ihm, ich erwarte ihn beim Arrowmaker, aber nicht vor Sonnenuntergang.«

Ben antwortete zustimmend. Gleich darauf ritten die beiden Brüder vom Hofe hinunter. Ben wendete sich stromabwärts, während Adam die entgegengesetzte Richtung einschlug.

Die Zurückbleibenden nahm alsbald ihre Arbeit wieder auf. Die bedrohlichen Nachrichten hatten ihren Eifer erhöht. Sogar der alte Howitt beteiligte sich an dem Werk. –

Kurz vor Sonnenuntergang erschien Bell bei ihrem Vater.

»Ich gehe zum Arrowmaker,« redete sie ihn an, »um ihm etwas Maisbrot zuzutragen. Das hat er nicht alle Tage. Ich höre ihn gern sprechen. Da mag er mir aus alten Zeiten erzählen. Hast du eine Botschaft an ihn?«

Durchdringend, sogar mit verstecktem Argwohn sah Howitt ihr ins Antlitz. Beinahe regungslos, wie das seinige, verriet nichts in demselben, daß sie sich mit Nebenabsichten trug. Nur der herbe Zug um die Lippen schien sich noch vertieft zu haben.

»Erzähle du ihm lieber, was sich heut hier zutrug,« antwortete Howitt nach kurzem Sinnen in seiner gewohnten ernsten Weise, »bereite ihn darauf vor, daß, wenn es mit uns hier zu Ende ginge, auch seines Bleibens nicht länger wäre. Das giebt ihm zu denken, rechne ich.«

Bell entfernte sich. Grübelnd blickte Howitt ihr nach. Die Brauen tief gerunzelt, beobachtete er, wie sie mit natürlicher Anmut einherschritt. Unbeugsamer Eigenwille offenbarte sich in ihrer Haltung. Lebhafter wirkte es in des Alten Augen. Mitleid und tyrannische Strenge schienen in ihnen um den Vorrang zu kämpfen. Endlich schüttelte er den Kopf zweifelnd. Dann hob er die Axt, und sie ums Haupt schwingend, führte er nach dem vor ihm liegenden Baumstamm einen Hieb, daß er die Schneide nur mit einiger Anstrengung aus dem festen Holz zu lösen vermochte. Gleich darauf gesellten vom Walde her seine beiden jüngsten Söhne sich zu ihm. Sie berichteten, auf der Suche nach dem vermißten jungen Rinde Spuren entdeckt zu haben, die davon zeugten, daß es gewaltsam fortgeführt worden.

»Warum verfolgtet ihr sie nicht bis ans Ende?« forschte Howitt rauh.

»Es wäre überflüssig gewesen,« entschuldigten sich die Burschen, »wir begegneten Rabbit, der war ihnen bereits nachgegangen und wußte, daß es von zwei der weiter unten hausenden Landstreicher geschlachtet worden ist.«

Howitts Gesicht verfinsterte sich. Heftig nagte er auf den Lippen; dann bemerkte er anscheinend gleichmütig: »Wir wollen annehmen, der Hunger habe die Schurken zu dem Raub getrieben, und ihnen das Fleisch gönnen. Das war der erste Eingriff in unser Eigentum. Der zweite wird mit Bleikugeln bezahlt. Das merkt euch und haltet bessere Wache.«

Bell war unterdessen hinter dem Gehöft verschwunden. In die dort beginnende Waldung eindringend, gelangte sie nach Zurücklegung einer kurzen Strecke an den Fluß, auf dessen Ufer ein Pfad ausgetreten war. In denselben einbiegend, folgte sie ihm stromaufwärts nach.


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