Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Vierzehntes Kapitel.

In den ersten Nachmittagsstunden war es, als einer der Vaqueros hinter der Waldmauer hervor auf die Lichtung sprengte und dort, wie seinen Mustang bändigend, in wilder Gangart einige Kreise beschrieb. Dann verschwand er, wie er erschienen war.

Bell, die unablässig über die Felder und Wiesen hinspähte, hatte das Zeichen verstanden. Bleichen Antlitzes trat sie in die Blockhütte, wo ihre Mutter gerade allein anwesend.

»Mutter, ich gehe,« sprach sie ergriffen, indem sie die in Thränen Ausbrechende umarmte und küßte, »ich gehe, wohin es mich ruft. Ich kann nicht länger bleiben, soll ich nicht sterben oder gar den Verstand verlieren. Bin ich fort, werdet ihr alle bessere Zeiten haben. Wenn der Vater mir flucht, dann schicke du mir deinen guten Segen nach.«

»Ich segne dich – ich segne dich –« erwiderte die alte Frau heftig schluchzend, »gehe, wenn es nicht anders sein kann, und möge der Allmächtige dich geleiten auf allen deinen Wegen!«

Gleich darauf trat Bell ins Freie hinaus, unter dem Arm ein Paket mit den notwendigsten Bekleidungsstücken. Bertrand und Mutter Hickup saßen vor der Thür auf der Bank. Sie achtete ihrer nicht, nicht des Zurufes der tapferen Korporalswitwe, ebensowenig der in dem Schuppen beschäftigten Brüder, die, aus Furcht vor dem Vater, sie nicht anzureden wagten. Gemessenen Schrittes bewegte sie sich über den Hof.

Durch die Einfahrt tretend, sah sie plötzlich den Vater vor sich. Sie wollte ihm ausweichen, als er sie mit den Worten aufhielt: »Wohin du gehst, verrät dein Reisebündel. Du willst Vater und Mutter verlassen. Hast du dir das ordentlich überlegt?«

»Ich überlegte seit Wochen und Monaten Tag und Nacht. Was soll ich hier länger?« antwortete sie eintönig.

Nachdenklich sah Howitt in die zu ihm erhobenen Augen. Strenge einte sich in seinem Blick mit Trauer. Er schien sich mit dem Gedanken an das eigenmächtige Entscheiden über ihre Zukunft vertraut zu machen, bevor er anhob:

»Ich könnte dich halten; doch damit würde deine Pflichtvergessenheit nicht aus der Welt geschafft. Wachte ich Tag und Nacht über dich, so würdest du Gelegenheit finden, zu entweichen. Handle daher nach Belieben, sag' ich; vergiß aber nicht, daß mit dem ersten Schritt, der dich über die Grenze meines Besitztums trägt, das letzte Band zwischen uns zerschnitten ist. Immerhin ziehe hinaus in die Welt, wo die Reue dich bald genug einholen wird. Gehe, gehe! Ich fluche dir nicht; wenn ich aber an dich gedenke, wird es sein, als gälte es einer Toten.«

»Ob hier oder in weiter Ferne: eine Tote war ich hier längst,« versetzte Bell, und verzweiflungsvoll rang sie gegen den Schmerz, der sie zu überwältigen drohte. Sie säumte in der Hoffnung, daß Howitt ihr wenigstens die Hand reichen würde, doch vergeblich. Die Blicke von Vater und Tochter ruhten dabei ineinander. Unbeugsamer Wille, gleichviel wodurch begründet, sprach aus den Augen beider. Endlich seufzte Bell tief auf; dann schritt sie davon. Durch seine unerbittliche Härte hatte der Vater ihr den letzten Abschied erleichtert. Er sah ihr nicht einmal nach, sondern sich umkehrend, ging er nach dem Hofe hinauf. Was er aber zu derselben Zeit litt, ahnte keiner, wußte nur er allein, und doch wäre er lieber gestorben, als daß er seinen Entschluß geändert hätte. –

Als Bell um den Waldvorsprung herumbog, fiel ihr erster Blick auf die Vaqueros. Einzelne saßen im Sattel, andere standen neben ihren Pferden. Bevor sie bei ihnen eintraf, führte einer der rauhen Gesellen ihr das Pferd zu, das sie zum Tragen der Lebensmittel benutzt hatten. Der Packsattel war mittels darüber geschnallter Decken in einen erträglich bequemen Sitz umgewandelt worden. Mit des Burschen Hilfe gelangte Bell leicht hinauf. Gleichzeitig bestiegen die übrigen Hirten ihre Pferde, und sie in die Mitte nehmend, schlugen sie die Richtung nach einer Stelle ein, wo der mehr niedergespülte Abhang das Ersteigen der Ebene erleichterte. Oben trieben sie ihre Mustangs schärfer an. Ihr nächstes Ziel auf der ungemessenen Prairie waren mehrere Baumwipfel, die, fernab in einem schluchtartigen Thal emporstrebend, hügelähnlich über dessen Ufer hinausragten.

Eine Weile später näherte King Bob sich dem Zelt Baxters. Dieser sowohl wie Margin hatten sich außerhalb desselben im Schatten auf ihre ausgebreiteten Decken geworfen. Sein Erscheinen befremdete sie offenbar. Doch auch die abwärts lagernden räuberischen Abenteurer erkannten in ihm auf den ersten Blick denjenigen, der durch sein unerwartetes Eintreffen die Besitzergreifung des Gehöftes vereitelte. Rachegedanken flackerten hie und da auf. Blieb es aber bei lauten Verwünschungen, und schickte der eine oder der andere ihm nicht eine Kugel zu, so war es der Anwesenheit der Dragoner in dem Thale zuzuschreiben.

In der Entfernung von etwa vierzig Schritten von dem Zelt hielt King Bob an: »Mr. Margin,« rief er diesen an, »ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden, jedoch nur mit Ihnen allein.«

Margin erhob sich. Zögernd, wie von Zweifeln befangen, bewegte er sich auf ihn zu.

»Fürchten Sie mich?« fragte King Bob spöttisch.

»Wie sollte ich dazu kommen?« fragte Margin zurück, blieb indessen in der ungefähren Mitte zwischen Zelt und Reiter stehen. »Im übrigen habe ich keine Geheimnisse vor meinem Freunde. Reden Sie also.«

King Bob lachte anscheinend belustigt, spornte sein Pferd, und in kurzem Bogen um Margin herumsprengend, packte er den verstört zu ihm Aufschauenden im Vorüberreiten, bevor er auszuweichen vermochte oder seine Absicht erriet, mit eiserner Faust am Kragen, und ihn emporhebend, als wäre er nicht schwerer als ein gefüllter Tabaksbeutel gewesen, warf er ihn vor sich über den Sattel. Zugleich war seine Wildheit erwacht. Ein weithin schallender Jubelruf entwand sich seiner Brust, und die Sporen einsetzend, bewirkte er, daß der Mustang nach dem Beispiel seines Herrn ebenfalls einen unbeschreiblich, halb kreischenden, halb wiehernden Ton ausstieß, sich aufbäumte, in langem Satz nach vorn schoß und mit seiner doppelten Last davonflog. Hinter ihm her aber schallte das Hohngelächter der gesetzlosen Bande, die Margin den vermeintlichen groben Scherz von ganzer Seele gönnte. Mochten immerhin einige zu ihren Pferden eilen, um dem verwegenen Reiter nachzusetzen und, wenn möglich, den verhaßten Feind aus nächster Nähe vom Sattel zu schießen: ihm jetzt eine Büchsenkugel nachzuschicken wagte keiner, aus Besorgnis, Margin zu treffen.

Baxter, angesichts der Riesenkraft und Gewandtheit, die King Bob gewissermaßen spielend bewies, vollständig fassungslos, stand mit geöffnetem Munde wie versteinert. Er meinte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Erst als der dumpfe Schrei, der sich stoßweise der Brust des entsetzten und in der unnatürlichen Lage doppelt gepeinigten Genossen entrang, herübertönte, kehrte seine Besonnenheit zurück.

»Margin!« brüllte er mit aller Kraft der Lungen in seiner Verwirrung, »den Revolver! das Messer! Gebrauchen Sie beides!«

Doch wo befand King Bob sich, als er ihm nachschrie? Weit abwärts, als wäre sein Pferd mit Flügeln ausgerüstet gewesen. Nur einmal sah er sich nach den ihn etwa Verfolgenden um. Weiter als bis zu ihren ungesattelten Pferden waren sie nicht gekommen, als sie die Jagd als nutzlos aufgaben und den hohnlachenden Genossen sich wieder zugesellten.

Und wiederum sandte King Bob ihnen einen jauchzenden Ruf zu, der kaum noch menschlich klang, und trotzig herausfordernd schwang er den Hut ums Haupt. Dann erst kehrte er seine Aufmerksamkeit Margin zu, der nur noch ächzte und wimmerte und bei jedem neuen Satz des Mustangs die Erschütterung bis ins Mark hinein fühlte. Ihm Erleichterung zu verschaffen warf er ihn auf das Gesicht herum, wodurch er über den Hals des Pferdes zu liegen kam und Arme und Beine, nach einem Halt suchend, wie Windmühlenflügel auf beiden Seiten flogen. Erst als der Mustang sich mit seiner Last auf dem nach der Ebene hinaufführenden Abhange emporarbeitete, benutzte Margin die gemäßigtere Bewegung, King Bob anzureden.

»Ich habe keine Hand mit darinnen gehabt,« flehte er jammervoll, »alles war Baxters Werk – ich diente ihm nur –«

»Elender Lump,« fiel King Bob ihm höhnisch ins Wort, »meinst du, wenn du selber mit undurchlöcherter Haut davonkommst, mag die anderen der Teufel holen? Aber ängstige dich nicht. Dein Leben ist mir mehr wert, als ein Dutzend Gäule von der Sorte meines Billy. Wäre ich ein Räuber und Mörder, wie die da hinten, die dich samt dem Galgenvogel, dem Baxter, ihre Brotherren nennen, so möchte mich die Lust anwandeln, dir nach gethaner Arbeit vielleicht eine Kugel durch den verdammten Schädel zu jagen. So aber bist du so sicher, wie nur je ein Baby auf dem Schoße seiner Mutter. Ich würde sogar dein Leben bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, wäre es immerhin kein Segen für die Menschheit –«

»Um Gottes willen!« keuchte Margin einfallend, sein verzerrtes Gesicht von unten herauf dem hünenhaften Steppenreiter zukehrend, »Barmherzigkeit – nur eine andere Lage gönnen Sie mir –«

»Schone deine verruchte Zunge,« schnitt King Bob ihm das weitere grimmig ab, »ist deine Lage doch verhenkert viel komfortabler, als die des Daniel Howitt, den ihr Blutsauger um sein ganzes Glück bestahlt. Oder hältst du dich für besser, als einen Hammel, den man mit gefesselten Beinen über einen Pferderücken hängt? Hölle und Verdammnis! Hätte ich nur den Baxter hier! Wie wirkliche Hammel würde ich euch traktieren, und auf jede Seite des Sattels einen festschnüren, daß einer dem anderen das Gleichgewicht hielte. Du bist doch Notar und Rechtsverdreher?«

»Notar – sicher – jeden gewünschten Rat erteile ich Ihnen mit Freuden –«

»Du mir Rat erteilen? Bei Gott! dein Rat mag gut genug für Halsabschneider sein, aber nicht für einen ehrlichen Mann. Verdammt! Deinen Rat verachte ich, wie den Giftzahn einer Klapperschlange.«

Das Pferd hatte oben festen Fuß gefaßt, wo die Ebene sich unabsehbar vor ihm ausdehnte. Keuchend blieb es stehen. Seine Nüstern spreizten sich vor der Gewalt, mit welcher der heiße Atem sich den Lungen entwand.

»Recht so, Billy,« redete King Bob ihm herzlich zu, »du weißt selber, was dir dient. Hast noch ein gut Stück Weges vor dir. Schade drum, daß du mit deiner ehrlichen Natur solch verruchtes Menschengebilde auf deinem starken Widerrist tragen mußt, aber es geht nicht anders –«

»Erbarmen – ich ersticke – meine Qualen –« hob Margin an.

Gleichmütig unterbrach King Bob ihn mit den Worten: »Unsinn! Galgenholz ist zähe, und Giftpflanzen leben und wuchern weiter, und wäre ein ganzes Regiment darüber hinmarschiert. So behauptete wenigstens meine alte Freundin, die Korporalswitwe Knockhimdown – du lerntest sie ja von ansehen kennen,« fügte er mit einer Anwandlung von Humor lachend hinzu, und grimmig klang der Triumph hervor, einen der erbittertsten Feinde Howitts und seiner Angehörigen in seiner Gewalt zu haben. »Hast dir freilich alles viel angenehmer gedacht, als du die schöne Squatterstochter bereits im Garn zu halten wähntest. Gerbte ich dir für diese Vermessenheit zum Schluß das Fell, bis der Wind mit den Fetzen spielte, so geschähe dir nur nach Verdienst.«

»Mitleid – haben Sie Mitleid mit meinen gräßlichen Qualen – nur etwas Erleichterung –«

»Von Mitleid willst du reden? Von Erleichterung? Hattest du Mitleid mit dem alten Squatter, dessen besten Sohn deine Leute mordeten? Mitleid mit der ganzen Familie, als dein Freund, dieser Auswurf der Hölle, unter deiner Mitwirkung es dahin brachte, daß er herunter muß von seiner Scholle? Verdammt! Hätte ich den Baxter hier, möchte ich meine Wut schwerlich bemeistern können – zum Henker damit! Obschon nur sein Sklave, bist du mir doch lieber, viel lieber. Jetzt schone deine verlogene Zunge; denn was ich dir zugedacht habe, das wird ausgeführt und säßen alle deine Bluthunde mir auf den Hacken.«

Er sandte einen Blick nach dem häßlich belebten Lager zurück.

»Die sind nicht weit gekommen mit ihrem Nachsetzen,« bemerkte er lachend, »ein Beweis, wie treu die von euch bezahlten Schurken dir und dem Baxter ergeben sind. –

Und jetzt, Billy, was meinst du? Geht's wieder, oder soll ich dem Herrn Notar die Kleider vom Leibe ziehen, daß er um ein paar Pfund leichter wird?« die letzten Worte klangen zärtlich. Die lange Erklärung schien seinem ehrlichen Gemüt wohlgethan zu haben, denn scherzhaft aufmunternd fragte er seinen Mustang, ob es ihm jetzt gefällig sei.

Und gefällig war es ihm, denn ohne Sporn oder Schenkeldruck setzte er sich in Bewegung. Doch schon nach den ersten hundert Schritten verfiel er in einen schnell fördernden Paßgang, der zu King Bobs heller Schadenfreude auf seinen Gefangenen eine Wirkung ausübte, als hätte er sich in einer thalwärts rollenden leeren Tonne befunden.

Allmählich verrauchte der wilde Triumph, der King Bob über sein gelungenes Unternehmen erfüllte. Schweigsam wurde er und ernster. Ungehört verhallten für ihn die Klagelaute Margins, ungehört dessen Beschwörungen, menschlicher mit ihm zu verfahren. Sie hatten höchstens den Erfolg, daß er, um ihn verstummen zu machen, den Mustang eine Strecke traben ließ. Unausgesetzt behielt er dabei die deutlicher hervortretende Baumgruppe im Auge, die Stätte, wo Bell unter dem Schütze der Hirten seiner Ankunft sehnsüchtig harrte.

Eine Stunde war verstrichen, und Margin gab kaum noch ein Lebenszeichen von sich, als King Bob seinen Mustang anhielt. Dicht vor ihm senkte sich ein steiler Abhang in ein liebliches Thälchen hinab, wo auf grünem Rasen Strauchgruppen mit vereinzelten Bäumen und Hainen abwechselten. Beim ersten Ueberblick wurde er der weidenden Pferde und seiner Leute ansichtig. Eine kurze Strecke abwärts rasteten sie im Schatten auf dem Ufer des die Niederung durchschneidenden Baches. Leicht unterschied er Bell. Am Fuße eines Baumes saß sie, anscheinend in trübe Gedanken versunken. Doch sie erkennen und einen weithin gellenden Jubelruf entsenden, war eins. Zugleich erwachten in ihm die ersten milderen Regungen. Margin wieder am Kragen packend, hob er ihn empor, worauf er ihn neben sich zur Erde gleiten ließ. Eine Weile hielt er den Schwankenden, um ihn vor dem Zusammenbrechen zu bewahren, seine Fürsorge mit den Worten begleitend: »Den Rest des Weges magst du auf deinen eigenen Knochen zurücklegen, und zwar schon allein um der schönen Squatterstochter willen, der ich den Anblick deiner jämmerlichen Reiterei nicht gönne. Außerdem würdest du, behielt ich dich vor mir auf dem Sattel, über den Kopf Billys hinweg den Abhang hinunterstürzen und dir das Genick oder mindestens einige Glieder ausrenken, und davor mußt du bewahrt bleiben. Zu viel ist daran gelegen, daß du munter und herzig vor die schöne Squatterstochter hintrittst und ihr deine besten Komplimente zuraunst – so, Mann, jetzt stehen Sie und klettern Sie ins Thal hinunter, oder Sie liegen wieder hier oben vor mir, und ich bürge nicht dafür, daß Sie nicht mit dem Kopf zuerst unten ankommen.«

Margin schauderte. Kein Wort wagte er dem furchtbaren Reitersmann zu erwidern. War ihm doch, als ob ein Riese, dessen Haupt bis an die Wolken reiche, vor ihm halte, um ihn beim ersten Widerstand wie giftiges Gewürm zu zertreten. Schwerfällig ums Gleichgewicht kämpfend, schickte er sich an, hinunterzugleiten.

»Recht so, Mann, das ist der Weg,« spöttelte King Bob ergötzt, denn er hatte entdeckt, daß Bell aufgesprungen war und ihm entgegeneilte. »Vorsicht ist 'ne verteufelt feine Tugend, die ziert sogar einen Schurken, der für Galgen und Rad reif ist – nicht in nächster Richtung, Mann, oder sie kugeln kopfüber, wie 'n Kürbis aus dem Dachfenster, und ich hätte den Schaden davon. Verdammt! Da versteht's mein Billy besser; von dem können Sie lernen,« und die Zügel lockernd, gab er dem Mustang anheim, seinen Weg sich selbst zu suchen. Dieser prüfte nur den Uferrand, sandte einen Blick in die Tiefe hinab, und ebenfalls gleitend, überwand er die ersten vier oder fünf Fuß. Dort bog er seitwärts ab, und sicheren Schrittes Zickzacklinien beschreibend, erreichte er die Thalsohle, als Margin noch auf halber Höhe des Abhanges ängstlich nach Haltpunkten suchte.

»Das wäre gemacht,« erklärte King Bob, der ihn unten erwartete, »jetzt folgen Sie mir nach. Entspringen werden Sie mir ja nicht. Versuchten Sie es dennoch, so fingen meine Jungens Sie in 'ner Minute und 'ner halben mit dem Lasso ein, und die sind verhenkert viel weniger höflich, als Sie es an mir kennen lernten.«

Er warf das Pferd auf derselben Stelle herum, und leicht angetrieben, stürmte es in wilder Jagd auf Bell zu. Neben ihr kam es im letzten Sprunge mit einer solchen Gewalt zum Stillstand, daß die Vorderhufe sich in die zähe Grasnarbe förmlich einbohrten. Ebenso schnell war King Bob zur Erde gesprungen; anstatt aber sie in die Arme zu schließen, packte er sie mit beiden Händen oberhalb der Hüften, und in der nächsten Sekunde saß sie auf dem Sattel. Sein Gesicht hatte zu derselben Zeit einen strahlend glücklichen Ausdruck angenommen, und so froh und freundlich, gleichsam kindlich arglos blickten seine ehrlichen blauen Augen zu ihr auf, daß alles überstandene Leid hinter ihr versank und ihr zärtlichstes Lächeln ihn für sein Ungestüm lohnte.

»Das ist die Art, wie mein Schatz seinen Einzug in die Mitte der Vaqueros halten soll,« sprach er in heller Begeisterung. »Mich wählten die verwegenen Schlingel zu ihrem König, und keine Viertelstunde dauert's, und du bist so unzweifelhaft eine Königin, wie nur je eine hinter goldenem Thron geboren wurde.«

Er gab dem Mustang einen leichten Schlag, und mit der einen Hand die Bells haltend, in der anderen die Zügel, bewegten sie sich gemächlich dem Lager zu.

»Bob, einziger Bob,« erwiderte Bell, und mit Entzücken hingen ihre Blicke an dem reckenhaften Burschen, dessen wettergebräuntes, wohlgebildetes Antlitz die ihn beherrschende freudige Erregung eigentümlich verschönte, »Bob, ich verstehe dich nicht – du redest geheimnisvoll –«

»Geheimnisvoll, wenn ich dich mit unzweideutigen Worten zur Königin ernenne? Meinst du, es sei Unsinn, weil du keine seidenen Gewänder trägst, keine goldene Krone? Wo fände man für dich eine kleidsamere Tracht, als die von deinen eigenen Hände genähte und aus starkem Wollenstoff? Wo gäbe es eine kostbarere Krone, als dein eigenes langes, dichtes Haar? Wo aber Dienerschaft, die dich pünktlicher bediente, als die tollen Gesellen, die alle bereit sind, ihr Leben für dich einzusetzen? Und dann die Tausende von Rindern! Welche Königin besäße einen zahlreicheren Hofstaat?«

Bells Antlitz hatte sich bei den frohlockenden Kundgebungen gerötet. Wie nur je zuvor prangte es wieder in der unvergleichlichen Schönheit. Was sie durch ihre Entfernung aus dem elterlichen Hause verloren haben mochte: der Gedanke daran verwehte in dem Bewußtsein, nicht mehr von dem stolzen und verwegenen Geliebten getrennt zu werden.

Träumerisch, als zweifelte sie an der Wirklichkeit ihres Glückes, sah sie vor sich nieder; dann bemerkte sie zaghaft, wie in der Besorgnis, King Bob zu erzürnen: »Du brachtest einen Mann. Ich glaube jenen Margin erkannt zu haben, der sich einst ungebührlich gegen mich benahm, mit frechen Augen mich beleidigend anstarrte.«

»Margin selber, Bell, und aus dem verhaßten Verräter ist ein guter, dienstwilliger Freund geworden,« bestätigte King Bob, geheimnisvoll lachend, »auch du wirst deinen Groll gegen ihn auf kurze Zeit verlieren, ihm sogar zu Dank verpflichtet sein, gleichviel, ob er selber dazu lacht oder mit den Zähnen knirscht. – Du brachtest das Papier?«

»Zwei Blätter, Bob. Es waren die letzten, die sich noch vorfanden. Im Kasten lagen sie zu unterst. Sie möchten sonst längst verschwunden sein.«

»Und Feder und Tinte?«

»Die Feder steckt in dem Bündel neben dem Papier, und hier ist die Tinte,« antwortete Bell, indem sie ein Fläschchen aus der Tasche zog und King Bob darreichte, »mit Mühe verdünnte ich sie. Hoffentlich ist es genug, um einen Brief zu schreiben.«

»Mehr als genug,« entschied King Bob, das Fläschchen schüttelnd und vors Auge haltend, »schlecht, wie sie sein mag: für uns ist sie Goldberge wert.«

Sie hatten sich dem Lager genähert und legten die letzte Strecke schweigend zurück. Dann umringten die Vaqueros sie, den jungen Hünen vertraulich begrüßend und sein Pferd zu besonders sorgfältiger Pflege in Empfang nehmend. Bevor King Bob ihr die Hand reichte, sprang Bell zur Erde, um von ihm auf ihren alten Platz zurückgeführt zu werden. Dort hatten sie wohl zehn Minuten, in ernstes Gespräch vertieft, gesessen, als Margin endlich eintraf. Er schien sich unter den äußersten Anstrengungen aufrecht zu erhalten. Bangigkeit beherrschte sein Gesicht, während er die Augen des trotzigen Reiters suchte.

»Sie sind wohl etwas müde?« redete dieser ihn an. »Machen Sie sich's komfortabel hier auf dem Rasen. Nur eine kleine Gefälligkeit sollen sie uns erweisen, und Sie thun es gewiß gern für das schöne Squattermädchen, das Ihre verliebten Blicke immer noch nicht vergessen kann. Nachher mögen Sie gehen, wohin es Ihnen gefällt.« Und lauter zu den Vaqueros, die den unglückseligen Notar mit einem Ausdruck betrachteten, der ihn mit neuem Schrecken erfüllte: »Bringt meinen Sattel her und stellt ihn so auf, daß die Lederklappen sich dem Rasen anschmiegen. Das soll der Schreibtisch sein. Dazu breitet als Bank für den ehrenwerten Herrn fein säuberlich eine Decke aus, und kommt alle her, um als Zeugen zu dienen.«

Mit Bedacht übersehend, daß Bell ihn erstaunt, wie ein unlösbares Rätsel beobachtete, wendete er sich mit den Worten an Margin: »Sie sind eingeschworener Notar und haben gewiß in Ihrem Leben schon manches junge Paar gesetzmäßig getraut. Sie werden daher diese Handlung jetzt an mir und dem von Ihnen so viel bewunderten Squattermädchen vollziehen.«

»Mit Freuden wäre ich bereit, aber woher soll ich die erforderlichen Mittel nehmen?« wandte Margin ängstlich ein.

»Bell, lege die beiden Blätter auf das Sattelleder und die Feder daneben,« gebot King Bob, »das Fläschchen mit der Tinte soll einer der Jungens halten, damit der ehrenwerte Herr es nicht aus Versehen umstößt und das Schreiben unmöglich macht. Der Teufel traue einem Notar. Und nun, Mr. Margin, vermeiden sie alle ferneren Einwendungen und Umschweife. Je eher die Trauung vollzogen ist, um so früher sind Sie entlassen. Setzen Sie also zwei gleichlautende Ehekontrakte auf, so daß wir nur unsere Namen beizufügen brauchen. So viele Männer außerdem noch die Feder notdürftig zu führen verstehen, so viele Zeugen werden ihre Namen daneben schreiben. Und jetzt beeilen Sie sich.«

Margin leistete der strengen Aufforderung mit einer Hast und Pünktlichkeit Folge, als ob ein Damoklesschwert über seinem Haupte gehangen habe. Während er aber die beiden Schriftstücke verfaßte, kehrte King Bob sich Bell zu, über deren Wangen Thränen wehmütiger Freude rannen.

»Ein Glück, daß du zwei Blätter brachtest,« beschwichtigte er ihre Trauer, die in der Erinnerung an ihre Eltern gerade jetzt neue Nahrung fand, das eine Dokument behalten wir für uns als Ausweis dem ersten Geistlichen gegenüber, der uns erreichbar ist. Das andere tragen wir selbst deinem Vater zu. Das ist die letzte Gelegenheit für ihn, unser Glück zu vervollständigen. Bleibt er auch angesichts einer vollendeten Thatsache unerschütterlich – trennen kann er uns nicht mehr – so haben wir redlich gethan, was in unseren Kräften stand.«

Dann überwachten beide gespannt die über das Papier hingleitende Feder, auf Margins Fragen die entsprechenden Antworten erteilend.

Nach einer Weile las King Bob die Kontrakte laut vor. Er fand nichts zu tadeln, worauf sie durch die Unterschriften beglaubigt wurden. Die beiden jungen Leute reichten sich die Hände und sahen sich gegenseitig in die Augen; damit war die Ehe geschlossen. Eine Hochzeit auf der endlosen Prairie, fern von den Stätten höherer Gesittung, und dennoch: wieviel Glück und freundliche Hoffnungen waren zugleich, wenn auch erst schüchtern, ins Leben getreten! Fehlten aber Hochzeitsgäste und Hochzeitsmahl, so streckten sich dem jungen Paare doch genug schwielige Hände entgegen, um die dargebrachten Glückwünsche gebührend zu bekräftigen.

Zum Schluß warf King Bob dem Notar ein Zwanzigdollarstück zu. Dieser glaubte es ablehnen zu müssen, steckte es aber schnell ein, als jener ihm einen seiner wilden Drohblicke zuschleuderte.

»Sie haben eine amtliche Handlung verrichtet,« erklärte er, »dafür sind Sie zu den Gebühren berechtigt, und ich wäre der letzte, von Ihnen ein Geschenk anzunehmen. Gehen Sie zu den Leuten jetzt. Die werden Ihnen Speisen vorsetzen, so gut sie vorhanden sind. Essen Sie nach Herzenslust und beeilen Sie sich, uns aus den Augen zu kommen.«

Margin erhob sich. Anstatt die gebotene Gastfreundschaft anzunehmen, schritt er schwerfällig davon. Auch ihm war daran gelegen, baldigst aus dem Bereich der gefürchteten Steppenreiter zu kommen. Erst von der Höhe aus, wo Erschöpfung ihn zur Rast zwang, sah er noch einmal zurück. Seine Todesangst war verraucht, dafür erfüllte ihn unauslöschlicher Haß und Rachedurst. Zähneknirschend suchte er immer wieder die sich weithin auszeichnende Hünengestalt desjenigen, von dem er die Behandlung eines unvernünftigen Tieres erfuhr. In Erinnerung des fürchterlichen Rittes und der nicht minder fürchterlichen Worte krallte er seine Finger ineinander. Seine Augen sprühten unheimlich, wie die eines giftigen Reptils. Was hätte er nicht dafür hingegeben, seine Seligkeit und, was für ihn noch mehr, die Hälfte seines Vermögens, wäre ihm dafür die Gelegenheit geworden, den furchtbaren Todfeind zu vernichten, ihm die durch ihn erlittenen Höllenqualen hundertfach zu vergelten.

 

Folgenden Morgens, die Sonne war eben aufgegangen, bestiegen King Bob, Bell und die Vaqueros ihre Pferde zur Reise südwärts. Bis zum Abend ritten sie mit kurzen Unterbrechungen, worauf sie abermals in dem Thale eines Baches übernachteten. Von dort aus schickte King Bob sechs seiner Leute mit der Aufforderung an seinen Stellvertreter, in gewohnter Ordnung mit den Herden sich langsam in Bewegung zu setzen und am Arkansasfluß hinauf zu ziehen. Er selbst und Bell wählten mit den übrigen beiden Vaqueros das Thälchen auf einige Tage zu ihrem Aufenthalt. Von dort aus sollte ein letzter Versuch unternommen werden, die Aussöhnung mit dem alten Howitt anzubahnen.

Bell war stiller geworden. Der Bann, der sie so lange bedrückte, hatte sich wieder auf ihr Gemüt gesenkt. So viel Mühe King Bob sich gab, sie zu ermutigen: er wollte nicht von ihr weichen. Mit Thränen des Dankes lohnte sie seinen liebevollen Zuspruch; allein es bestanden fort die trüben Ahnungen, für die sie allerdings kein bestimmtes Bild besaß, die aber von King Bob dahin gedeutet wurden, daß sie ein abermaliges Zusammentreffen mit ihrem Vater fürchtete. Zu der Hoffnung, die er um ihretwillen, nachdem sie Mann und Frau geworden, an das Wiedersehen knüpfte, vermochte sie sich beim besten Willen nicht emporzuschwingen.


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