Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Achtzehntes Kapitel.

Der Indianersommer, die schönste Zeit des Herbstes, hatte eingesetzt. Tag auf Tag verstrich unabänderlich unter klarem, sonnigem Himmel, Tag auf Tag ohne jede andere Trübung als die des Höhenrausches, der von den über die unermeßlichen Grasfluren hinregenden Bränden zeugte.

Die Brombeerranken und Sumachgesträuche hatten sich gerötet. Größer wurden die gelben Flächen in den Baumwipfeln; grämlich schauten die noch grünen, jedoch des Sommerglanzes entkleideten Blätter darein. Sie schienen sich danach zu sehnen, ebenfalls ihre Farbe zu verändern, durch Nachtfröste gänzlich abgetötet und von dem ersten besten Regensturm auf schwarzem Erdreich oder vergilbtem Rasen zur Ruhe gebettet zu werden.

Auch in den Hain hinter dem schlichten Hause des alten Kunstschlossers war der Herbst eingekehrt, ohne indessen den von den altehrwürdigen Bäumen geworfenen Schatten erheblich verkürzt zu haben. Und Schatten hieß man noch immer willkommen, wenn auch nur in den Mittagsstunden. Im Grunde war dies die rechte Zeit für Menschen, die nach langwierigem schweren Siechtum den ärztlich beschränkten Aufenthalt in freier Luft suchten. So hatte King Bob seinen gewohnten Platz auf der Bank eingenommen, wo Mutter Hickup ihre Mußestunden mit der Umschau in ihren militärischen Erinnerungen zu verbringen pflegte.

Ja, King Bob, der wilde Steppenreiter, war es in der That, der dort auf dem durch Rücken- und Seitenlehnen verbesserten Gestelle saß, sorglich gestützt mittels Polsterkissen, um wenigstens einigermaßen eine erträglich aufrechte Haltung zu bewahren. King Bob selber, den die vertrautesten Kameraden im wilden Westen kaum wieder erkannt hätten, so hager war die Hünengestalt geworden, so bleich sein Gesicht. Nur die Augen hatten, gleichsam als Vorboten einer zwar langsamen, jedoch sicheren Heilung, ihren alten lebhaften Glanz zurückgewonnen. Auch sein Simsonhaar war durch Bells Wachsamkeit mit genauer Not vor Mutter Hickups gieriger Schere bewahrt geblieben; aber sorgfältiger gepflegt war es, daß es in weichen Locken auf die Schultern niederreichte.

Bei ihm befand sich Bertrand, der, in der Stadt wohnend, vor einer Weile herausgekommen war. Heute trug ihn die Absicht, zur eigenen Beruhigung zum erstenmal wieder den Versuch zu unternehmen, King Bob zu einer Reise nach dem alten Erdteil zu bewegen.

Mit freundlicher Ruhe lauschte dieser den Schilderungen der ihm fremden Verhältnisse. Wies er aber in früheren Tagen jede derartige Zumutung trotzig, sogar in Begleitung von Drohungen zurück, so beschränkte er sich jetzt auf ein bezeichnendes Lächeln.

»Geben Sie sich keine Mühe,« erwiderte er, und Spottlust verriet sich in den ehrlichen Augen, »denn was ich damals sagte, als ich noch keine andere Heimat kannte als den Pferderücken, gilt auch heute noch. Aber gern wiederhole ich: Meine Frau steht mir zu hoch, um sie der Gefahr auszusetzen, gemeinschaftlich mit mir unter den stolzen Verwandten als lächerliche Anhängsel einherzukriechen. Nein, nein, die Vorspiegelung der glänzendsten Zukunft scheitert an meiner Sehnsucht nach den fernen Weidegründen und meinem Rancho. Und jetzt schon, da ich als gerettet gelte, mein' ich, daß die Tage Wochen dauern, die Monate Jahre, bis ich nach alter Weise auf meinem Billy hinter Pferden und Rindern einhersprenge – verdammt! wundern soll's mich, wann ich zum erstenmal wieder den Fuß in einen Steigbügel hebe.«

In diesem Augenblick trat Bell heran, vor sich ein gefülltes Glas tragend. Wie das weibliche Geschlecht im allgemeinen sich leichter in neue Verhältnisse einlebt und aus dem Beispiel anderer erfolgreich seine Lehren schöpft, hatte auch sie in der immerhin kurzen Zeit eine überraschende Wandlung erfahren. Nicht nur in der die kräftige tadellose Gestalt knapp umschließenden Bekleidung aus besseren Stoffen machte der neue Verkehr sich geltend, sondern auch in Haltung und Wesen. Auf dem reizvollen Antlitz, überragt von dem prachtvollen Haar, wohnte das Gepräge innerer Befriedigung, jene eigentümliche Würde, die man als von der Bezeichnung »Frau« abhängig nennen möchte.

Mit einem glücklichen Lächeln, das ihr so lange entfremdet gewesen, begegnete sie den Blicken Bertrands, und King Bob das Glas darreichend, bemerkte sie heiter: »Mutter Hickup schickt es dir mit dem besten Gruß. Bei Todesstrafe soll ich bestellen, ein kräftiger Trunk zur außergewöhnlichen Zeit sei besser als den ganzen Tag gar nichts. Damit habe schon der selige Knockhimdown sich entschuldigt, wenn er zwischen dem ersten und zweiten Frühstück einen Grog zu sich nahm.«

»Der alte Drache,« versetzte King Bob lachend, »was der dem seligen Knockhimdown aufs Gewissen wälzt, ist genug, um eine ganze Compagnie, wenn richtig verteilt, zu Helden zu stempeln.«

»Aber sie meint es herzlich.«

»Sehr herzlich, und ohne ihren Knockhimdown, dem sie alle die tausend Schrullen auf die Rechnung schreibt, die in ihrem eigenen queren Kopf geboren werden, möchte ich sie nicht sehen.«

Bertrand hatte sich erhoben. Eine Weile betrachtete er noch die beiden jungen Leute in ihrem innigen Verkehr, dann trat er fort und schritt nach dem Hause hinüber.

In der Werkstatt traf er den alten King in voller Arbeit, doch legte dieser bei seinem Anblick die Feile sofort zur Seite und ging ihm entgegen. Mit freundlichem Gruß reichte er ihm die Hand.

»Ein halbes Stündchen verbrachte ich bei Ihrem Schützling,« eröffnete Bertrand das Gespräch, indem sie sich vor dem Werktisch niederließen, »zusehends wird er nicht nur kräftiger, sonder seine Gemütsstimmung nähert sich auch wieder der alten fröhlichen Sorglosigkeit.«

»Er geht augenscheinlich seiner vollständigen Heilung entgegen,« bestätigte King in seiner träumerischen Weise, »bis zum Frühling wird er freilich noch bleiben müssen, um mit gutem Gewissen der anstrengenden Reise sich unterziehen zu dürfen.«

»Noch einmal, und wohl zum letztenmal, nahm ich Veranlassung, die Möglichkeit eines Besuches bei seinen überseeischen Verwandten in Erwägung zu ziehen, überzeugte mich aber, daß nichts in der Welt ihn bewegen könnte, mit ihnen in irgend welchen Verkehr zu treten.«

King runzelte die Brauen, bemerkte aber gelassen: »Wozu ein durchaus richtiges Gefühl ihn bestimmt. Hätte es in der Absicht seines Vaters gelegen, die Beziehung zu ihnen durch den Sohn wieder auffrischen zu lassen, so wäre ich sicher mit den entsprechenden Weisungen und Ratschlägen versehen worden. Dies alles ist jetzt erledigt. Seine Zukunft verspricht eine glückliche zu werden, dies ist mehr, als ich jemals von ihm erwartete.«

»Fern sei es von mir, gegen Ihr Urteil Einwendungen zu erheben,« versetzte Bertrand zögernd, »dagegen liegt anderes mir schwer auf der Seele, und Ihnen, dem Freunde des Verschollenen, gegenüber zaudere ich nicht, ein offenes Bekenntnis abzulegen. Da frage ich, was soll ich meiner gütigen Gönnerin antworten, die so zuversichtlich auf meine Treue baut, wenn sie brieflich oder mündlich die Frage erhebt: Sind Sie der mit tiefer Sorge erteilten Aufträge eingedenk geblieben?«

»Ich dächte, es genügte, wenn Sie alle Ihre Erlebnisse auf dieser Seite des Ozeans gewissenhaft schilderten.«

»Es genügt nicht, nein, es genügt nicht, solange ich nicht in der Lage bin, meine Schilderungen zu begründen.«

Nachdenklich sah King vor sich nieder. Plötzlich fragte er, wie aus einem Traume erwachend: »Ist jene Wolfrade so mißtrauisch?«

»Mißtrauen liegt nicht in ihrem Charakter. Sie ist zu edel denkend, um derartigen Regungen auch nur den kleinsten Spielraum zu gewähren. Allein wenn man erwägt, daß Sie mit ganzer Seele an die Hoffnung der Wiederkehr wenigstens des jungen Pardelstein sich anklammerte, daß die weitreichendsten Pläne zur Begründung seines Glückes sie erfüllten, Tag und Nacht beschäftigten, dann aber jene Hoffnungen mit rauher Hand jäh vernichtet werden, um eine peinvolle Leere in ihrem Innern zurückzulassen, so liegt die Befürchtung nahe, daß Mißtrauen keimt und schnell zu einer überwältigenden Macht emporwuchert. Und wie manche Zweifel, wie manche nicht unberechtigte Fragen müssen von dem ersten leisen Verdacht geboren werden und das in mich gesetzte unbegrenzte Vertrauen erschüttern. Wie aber soll ich in solcher Lage glaubhaft erklären, daß ich, gestützt auf die mir großmütig zur Verfügung gestellten Mittel, das Aeußerste aufbot, dem jungen Manne die Wege zu höherer Gesittung zu ebnen und vor allem seine Verheiratung mit der Tochter eines einfachen Squatters zu hintertreiben?«

»Wodurch Sie ein Verbrechen an dem jungen Manne und seiner braven Frau begangen hätten,« wendete King eintönig ein.

»Das zugegeben,« versetzte Bertrand eifrig, »könnte selbst dieser Umstand mich nicht von dem Verdacht der Vernachlässigung entlasten.«

»Ihre Mitteilungen und Einwände bergen so viel Rätselhaftes in sich,« nahm King wieder das Wort, »daß es schwer wird, einen zur Lösung führenden Faden zu entdecken. Und wie läßt sich deuten, daß Ihre Gönnerin gerade für den Sohn des verstorbenen oder vielmehr verschollenen Pardelstein, die beide unbekannte Größen für sie geworden sein müssen, eine so auffällige, jedes verständliche Maß übersteigende Teilnahme an den Tag legt?«

»Es giebt eine Deutung,« entschied Bertrand, »und ich stehe nicht an, vor jemand, von dem ich vielleicht weitere Aufschlüsse über die letzten Verfügungen des Verschollenen gewärtigen darf, ein der Vergessenheit entrissenes Geheimnis zu enthüllen: Fräulein Ecke war die Verlobte Ihres Freundes. Was entfremdend zwischen beide trat und schließlich den Bruch herbeiführte, erfuhr ich nicht. Wohl aber bin ich zu der Behauptung berechtigt, daß meine edelmütige Freundin nie aufhörte, den Ungetreuen mit der ganzen Kraft einer reinen Seele zu lieben. Und welchen vollgültigeren Beweis gäbe es wohl dafür, als den Umstand, daß die sicher vielumworbene alleinstehende Erbin unverheiratet blieb, dann aber das begeisterte Trachten, seinen Sohn zu sich heranzuziehen, um ihm alle diejenige Liebe zu teil werden zu lassen, die der Vater grausam verschmähte, gewissermaßen mit Füßen trat.«

Nachdenklich, sichtbar von Zweifeln befangen, sah King durch das offene Fenster ins Leere. Erst nach einer Weile tiefen Sinnens erklärte er lebhafter: »Ich räume ein, durch den Verschollenen ausgiebiger über seine Vergangenheit unterrichtet worden zu sein, als bei unserer ersten Begegnung einem Fremden gegenüber durchblicken zu lassen sich für angemessen hielt. Ja, während unseres verhältnismäßig kurzen Beisammenseins hatten wir uns eng aneinander angeschlossen. Standen wir doch, bis auf den zwischen uns vermittelnden Knaben, beide gleich vereinsamt da. Unsere trüben Genüsse gipfelten daher in der gemeinsamen Vergegenwärtigung entschwundener Tage. Dadurch wurden wir mitteilsamer, als es sonst unserer Gewohnheit entsprach. Nachdem aber erst das Eis gebrochen war, schien es Pardelstein Bedürfnis geworden zu sein, wenigstens zu einem über seine traurigen Erfahrungen zu sprechen, und wer wäre da näher zu seinem Vertrauen gewesen als ich, der ich mich bereit erklärt hatte, Vaterstelle bei seinem Sohne zu vertreten. So entsinne ich mich genau, wie er unter dem Druck nie entschlummernden Grames mit inniger Wärme seiner Wolfrade gedachte. Er legte ihr die edelsten Eigenschaften bei, beteuerte, daß er mit ihr sehr, sehr glücklich geworden wäre, hätte sie nicht auf Grund eines durch unglückselige Fügungen herbeigeführten Zerwürfnisses ihm die Hoffnung auf ihren Besitze abgeschnitten. Wohl wäre ein Ausgleich möglich gewesen, allein da sie jeder Begegnung mit ihm absichtlich auswich, er also nur an mißverstandene Herzensregungen auf ihrer Seite glauben konnte, entschloß er sich, ein Verhältnis zu lösen, von dem vorauszusehen, daß es beiden Teilen nicht zum Segen gereiche. In diesen Anschauungen wurde er von verschiedenen Seiten bestärkt. Den sogenannten Vernunftgründen lieh er sein Ohr, und obwohl mit unverminderter Zuneigung an der Geliebten hängend, bequemte er sich auf die dringenden Vorstellungen dazu, bald nach Auflösung des Verlöbnisses gleichsam im Trotz eine andere zum Altar zu führen. Wie er beteuerte, war die Ehe eine unglückliche. Laut klagte er sich an, auf den Rat falscher Freunde gehört zu haben, die, gewissermaßen im Handel um die reiche Erbin, unzweifelhaft verwerfliche Zwecke verfolgten. Bei dem Mangel jeglichen Verständnisses zwischen den beiden Gatten wie in Erinnerung der Unvergeßlichen steigerte seine Reue sich in einem Grade, daß es ihm das Leben vergällte. Dem verbitterten Gemütszustande folgte der dumpfe Drang, die Verzweiflung um die verlorene Geliebte in einem Meer sinnloser Genüsse zu ersticken. Es endigte damit, daß er sein Vermögen wie das seiner Frau verspielte und vergeudete, und zum Schluß hätte er unfehlbar – diesem Eindruck konnte ich mich nicht verschließen – Hand an sich selbst gelegt, wäre seine Frau nicht gestorben. Dadurch hatte die Sorge für den einzigen kleinen Sohn sich auf ihn allein übertragen, ein Umstand, der ihn gewissermaßen wieder zu sich selbst brachte. Ueberraschen konnte es dann nicht, daß er unter Mitnahme des Kindes eine Umgebung floh, wo man sein Versinken in die traurigste Lage beobachtete und ihm selbst zum bittersten Vorwurf machte. Das weitere ist Ihnen bekannt. Sie werden also ermessen, daß wenn der Sohn des unglückseligen Verschollenen plötzlich dort auftauchte, außer Ihrer Gönnerin schwerlich noch jemand den verwilderten Eindringling mit freundlichen, nicht einmal mit nachsichtigen Augen betrachtete.«

»Und doch hätte vielleicht ein einziges Wort genügt,« wendete Bertrand ein, »die zwischen zwei Menschen schwebende Wolke zu verscheuchen, deren gegenseitige Zuneigung eine ungetrübte glückliche Zukunft verbürgte.«

»Ich kann es nicht glauben,« versetzte King zweifelnd, »zu überzeugend klangen Pardelsteins Worte. Doch was auch immer die Trennung herbeigeführt haben mag: er kann unmöglich mit dem Bewußtsein ins Grab gesunken sein, sie durch Mangel an Tiefe des Gefühls oder gar Untreue verschuldet und verdient zu haben.«

Hier trat Schweigen ein. Sinnend betrachtete King die zwischen seinen Fingern sich spielend drehende Feile. Es war, als hätte er das Vernommene im Geist noch einmal vor sich vorüberziehen lassen, um es überhaupt begreifen zu können. Gespannt sah Bertrand auf ihn hin. Wohlthuend berührten ihn die unverkennbar freundschaftlichen Gesinnungen, die er dem Verschollenen über eine so lange Reihe von Jahren hinaus bewahrte. So scheute er auch, ihn in seinen offenbar schwermütigen Betrachtungen zu stören.

»Armer Pardelstein,« lispelte King endlich vor sich hin, »dergleichen konntest du freilich nicht ahnen, oder dein Leben und das ihrige hätten einen anderen Verlauf genommen.« Er richtete sich auf, und Bertrand fest anschauend, sprach er etwas lebhafter: »Sie verrieten so viel warme Teilnahme für Ihre Gönnerin, bewiesen sie überzeugend durch den Eifer, mit dem Sie deren Wünsche zu erfüllen trachteten, daß die Frage nach den zwischen Ihnen schwebenden Beziehungen gewiß berechtigt erscheint.«

Bertrand zögerte, bevor er antwortete: »Rückhaltslose Offenheit bin ich Ihnen schuldig. Bei Fräulein Ecke weilt seit frühester Kindheit eine verwaiste Nichte, deren liebevolle Ausbildung gewissermaßen die Lebensaufgabe der Vereinsamten geworden ist. Ich hatte das Glück, nicht nur in dem Hause zu verkehren, sondern auch Walheide – so lautet der Name jener Nichte – in verschiedenen Fächern zu unterrichte und ihr Wissen zu vervollständigen. Doch was soll ich sagen? Zu verwundern war es dann nicht, daß eine Neigung sich zwischen uns entwickelte, die zu einem innigen Herzensbunde führte. Mein ganzes Sinnen und Trachten war nunmehr darauf gerichtet, eine auskömmliche Stellung zu erringen. Dem Studium der Astronomie leidenschaftlich ergeben, entschloß ich mich, um meinen Gesichtskreis zu erweitern, einige der berühmtesten amerikanischen Observatorien zu besuchen. Es trug mich zugleich die Hoffnung, auf dieser Seite des Ozeans eine Professur zu gewinnen, um autrechten Hauptes vor Fräulein Ecke hintreten und um die Hand ihrer Nichte anhalten zu können. Fräulein Ecke, die das zwischen uns bestehende Verhältnis nicht ahnte, billigte meinen Plan. Und mehr noch: zu meinem Erstaunen hieß sie die Gelegenheit begeistert willkommen, durch mich Nachforschungen nach den verschollenen Pardelsteins anstellen zu lassen. Dann, nachdem sie mich über die Sachlage einigermaßen unterrichtet hatte, bot sie das Aeußerste auf, mir diese Aufgabe zu erleichtern. Um mich auf deren Spuren zu lenken, stand ihr leider nur der einzige Name Kansas zu Gebote, von woher vor vielen Jahren eine unbestimmte Nachricht nach Europa gelangte. Auf meine bereitwillig erteilte unbedingte Zusage förderte sie mit fieberhafter Unruhe meine Abreise. Dann aber gab es für mich kein Säumen mehr. Angesichts der schweren Trennungsstunde trat ich, Walheide an der Hand, mit einem offenen Bekenntnis vor sie hin. Wie ihren Sinnen nicht trauend, vernahm sie unsere beschwörenden Worte. Jede Linie ihres sonst stets freundlichen Antlitzes verriet Bestürzung, den Ausdruck einer herben Enttäuschung. Ich konnte es nur dahin deuten, daß wir ihre vielleicht schon lange gehegte Hoffnung, den jungen Pardelstein mit Walheide vereinigt zu sehen, jählings vernichtet hatten. Eine Weile verharrte sie sprachlos. Ihre strengen Blicke wechselten zwischen uns beiden. Sie schien aus unseren Zügen herauslesen zu wollen, was uns bewegte. Als aber Thränen Walheides Augen entstürzten, gelangte ihre unbegrenzte Herzensgüte voll zum Durchbruch. Sie in die Arme schließend, sprach sie sichtbar ergritten die unvergeßlichen Worte, die zugleich ein erläuterndes Licht auf ihren eigenen Seelenzustand warten. »Ehe ich dir Erfahrungen gönne, wie sie mein eigenes Leben vergifteten, entsage ich gern allen Plänen und Hoffnungen, bei denen ich vermessen nur meinen eigenen Anschauungen Rechnung trug.« Dann zu mir gewendet: »Das Geschick hat gesprochen, und segnend billige ich eure beiderseitige Wahl. Sie aber werden jetzt mit doppeltem Eifer und doppelter Gewissenhaftigkeit an die ernste Aufgabe herantreten, ohne deshalb das Ziel aus den Augen zu verlieren, das Ihnen in meinem Liebling verheißend zulächelt.«

Zweifelnd, wie in dem Bewußtsein, in seinen Mitteilungen seine Person mit allem, was ihn einst bewegte, zu weit in den Vordergrund geschoben zu haben, brach Bertrand ab und sah vor sich nieder. Auch King, der so lange mit ernster Teilnahme lauschte, schwieg. Aber seine Blicke ruhten auf dem geneigten Haupt, wie um sich mit den in demselben webenden Gedanken zu befreunden.

»Jene Walheide ist unzweifelhaft eine liebliche, begehrenswerte Erscheinung,« bemerkte er endlich träumerisch.

Bertrand fuhr auf. Sein Antlitz erglühte, indem er anhob: »Lieblich wie ein sonniger Frühlingsmorgen, begehrenswert wie der tröstlichste Schatz für jeden, der einmal in ihre freundlichen Augen schaute, nur einmal ihr kindlich süßes Lachen hörte. Und dennoch, wo bleiben alle diese hohen Vorzüge gegenüber den Eigenschaften ihres goldenen Herzens und den sanften Gemütsregungen?«

King wiegte das Haupt nachdenklich und versetzte, wie zu sich selbst sprechend: »Nein, nein, dieses holde Kind wäre sicher keine Lebensgefährtin für den rauhen, stürmischen Gesellen gewesen. Im übrigen brauchen weder Sie noch Ihre Gönnerin um ihn zu sorgen. Als ich ihn als Pflegesohn zu mir nahm, gingen die Pflichten seines Vaters auf mich über, und die sollen gewissenhaft erfüllt werden. Frei und unabhängig, durch keine fremden Verhältnisse beengt, sollen er und seine vortreffliche junge Frau nur ihren Neigungen gemäß leben, ein Glück genießen, wie ein solches ihnen schwerlich jemals in den verwegensten Träumen vorschwebte und ihnen auf keiner anderen Stelle geboten werden könnte. Von seinem verstorbenen Vater aber weiß ich, daß er betreffs der Zukunft seines Sohnes vollkommen einverstanden mit mir wäre. Doch genug für heute. Ueber das weitere beabsichtige ich zu einer anderen Zeit mit Ihnen zu sprechen und solche Aufklärungen zu erteilen, daß Sie des Wiedersehens mit Ihrer Gönnerin fernerhin nur noch mit freudiger Zuversicht gedenken.«

Er erhob sich, für Bertrand ein Zeichen, den heutigen Besuch als beendigt zu betrachten. Bis in den Hain hinaus gab King ihm das Geleite. Als sie dort eintrafen, saßen King Bob und Bell noch immer traulich beisammen. Mutter Hickup hatte sich ihnen zugesellt und neben ersterem Platz genommen. Während ihre Blicke auf Independence, dem lieblichen Soldatenkinde, und einem stattlichen jungen Manne in Dragoneruniform ruhten, die Arm in Arm vor ihr standen, erglühte ihr ehrliches Korporalsgesicht in heller Befriedigung um die Wette mit der dampfenden Thonpfeife.

Bei Kings und Bertrands Erscheinen grüßte der Dragoner mit militärischem Anstände, wogegen Independence vor lauter Glückseligkeit und Verschämtheit lachte, daß die Mehrzahl ihrer prachtvollen Zähne sichtbar wurde.

»Eben erhielt ich die Nachricht,« wendete Mutter Hickup sich freudestrahlend an King, »der lustige Jerry bleibt. Auf Ihre Verwendung wurde der Abschied ihm bewilligt. Es hat alles so sein sollen. In Fort Riley mußten wir ihn als Lazarettgehilfen vorfinden. Als solcher mußte er den Bob bis unter das Dach seines berühmten Vaters eskortieren, und schließlich mußte Independence nachgeben, als er ihr mit guten Worten kam. Leider hat der Schlingel sich in den Kopf gesetzt, in einem Kaufmannsgeschäft anzumustern. Denn was ist ein Kaufmann? Bei Gingo! Den hat unser Herrgott im Zorn geschaffen, behaupte ich, als seine Arme bereits vollzählig war und für Krämer sich kein Platz mehr fand.«

»Zu einem jungen Ehestand gehört Geld,« wendete Bertrand lachend ein, »und ein Kaufmann, der lange genug diente, um mit Subordination und Disziplin vertraut zu werden, erwirbt es leichter als jeder andere.«

»Recht so, mein junger Mann,« bestätigte die tapfere Korporalswitwe nunmehr mit einem kühnen Strich durch ihr kurzes Gelock, »dazu würde sogar mein seliger Knockhimdown Ja und Amen sagen, und ich wäre die letzte, Hader drum zu schüren.«

Bertrand reichte ihr die Hand und nannte sie seinen getreuen Kameraden, wofür sie geschmeichelt dankte, und eine neue Mahnung an den unsterblichen Knockhimdown wäre sicher gefolgt, hätte er sich nicht verabschiedet und eiligst den Rückzug nach der Stadt angetreten.

Nach dem herbstlich farbenreichen Hain aber, in dem fünf glückliche Menschen der Zukunft wie eines sich vor ihnen öffnenden Paradieses gedachten, sandte die tief im Westen stehende Sonne ihre goldenen Strahlen hinüber.

Mit abendlich gedämpften Reflexen schmückte sie Baum und Strauch, schmückte sie das moosgrüne Dach des Hauses. Zu den frohen Familienmitgliedern unter den breitverzweigten Wipfeln drang sie dagegen nicht hindurch. Was bedurften die auch solchen Schmuckes? Schöner zierten sie die glühenden Wangen, die ihre Farbe auf dem nächsten Wege von den Herzen bezogen, zierten sie Entzücken und der innere Friede, die aus ihren Augen strahlten. –

King war nach Bertrands Entfernung fortgeschlichen, als ob er in den fröhlichen Kreis nicht hinein gehöre. In der Werkstatt befand er sich. Das Haupt geneigt und die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt, wandelte er langsam auf und ab. Was in ihm wirkte, nachdem durch das Gespräch mit Bertrand die weit zurückliegenden Erinnerungen an den verschollenen Felix Pardelstein wachgerufen worden waren, spiegelte sich wohl in seinem farblosen Gesicht, allein unverständlich für jeden anderen.


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