Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Zwölftes Kapitel.

Obwohl auf feindliche Angriffe vorbereitet, erschraken die Bewohner der Farm doch, als sie durch Rabbit Gewißheit über die hinterlistigen Pläne der durch neuen Zuzug verstärkten Bande erhielten. Die erste Beklommenheit dauerte indessen nicht lange. Unter dem Einfluß der unerschütterlichen, eisigen Ruhe Howitts traten die Gedanken an die nächste Zukunft in den Hintergrund zurück. Es erhöhte sich der Eifer, mit dem man vor allen Dingen die entsprechenden Maßregeln zur Vorbeugung eines Ueberfalls beschleunigte. Denn nicht gewöhnlichen Feinden wußte man sich gegenüber, sondern einer Rotte Abenteurer und Verbrecher, die nichts zu verlieren hatten, deren sträfliche Leidenschaften durch übermäßigen Branntweingenuß bis zur tierischen Roheit entflammt waren, und mit denen auf irgend welche Verhandlungen einzugehen vollständig ausgeschlossen blieb.

So wurden zunächst die Rinder und Pferde, um sie der mutwilligen Vernichtung zu entziehen, auf den Hof getrieben, in den Schuppen und flüchtig eingefriedigten Winkeln untergebracht, und dann zunächst die Einfahrt mittels der bereit gehaltenen Pfähle geschlossen und verbarrikadiert. Die Schußwaffen unterwarf man einer genauen Prüfung; zugleich versah man sich mit leicht erreichbarer Munition, und als endlich die Mondsichel den westlichen Baummassen sich zuneigte, da hatte jeder den ihm von Howitt zugewiesenen Posten eingenommen. Sogar Bell und ihr jüngster Bruder, von dem Vater seit frühester Kindheit in dem Gebrauch der Büchse bedachtsam unterrichtet, wurden zu der vielleicht unabweislichen Verteidigung herangezogen. Sie erhielten den Auftrag, hie und da eine abgefeuerte Büchse in Empfang zu nehmen und dafür, unter Mitbenutzung der den beiden Räubern abgenommenen Gewehre, eine schußfertige darzureichen.

Waren es aber nur zehn streitbare Personen, die sich auf das Pfahlwerk verteilten, so wußte dafür jeder einzelne, was im unglücklichen Falle zu befürchten stand, und daß er sich auf den nachbarlich aufgestellten Kameraden verlassen konnte. Mutter Hickup, gleichsam verjüngt, befand sich in ihrem Element. Im vollen Sinne des Wortes ein besonnener Korporal, hatte sie plötzlich ihr eigentümliche Redseligkeit abgelegt. Bald bei dem einen, bald bei dem anderen weilte sie, nach besten Kräften ihre militärischen Erfahrungen verwertend. Ihre Ratschläge gipfelten darin, daß man, wie sie es von dem seligen Knockhimdown lernte, anstatt überrascht zu werden, durch eine unvorhergesehene nachdrückliche Abwehr selber überraschen müsse.

In der bangen Erwartung der Dinge, die sich voraussichtlich binnen kurzer Frist entwickeln würden, schlichen die Minuten träge dahin. Gespannt lauschte jedes Ohr in die Ferne auf das erste Geräusch, durch das die Feinde sich anmeldeten. Doch nichts ließ sich vernehmen. Still lagen Wald und Wiese, still Aecker und Einfriedigungen. Träumerisch zeichnete das matte Mondlicht, über Gehölz, vereinzelte Bäume und Sträucher hinwegzitternd, formlose Schatten auf dem Rasen. Wie heiliger Friede umlagerte es das Gehöft, wie Träume aus den Zeiten, in denen Störungen beängstigender Art der ländlichen Ruhe noch außerhalb jeder Berechnung lagen. Heute schnarrten die Lokustgrillen nicht weniger selbstbewußt, als in jenen Tagen, in denen die Axt zum erstenmal das Echo des Waldes wachrief, quakten die Laubfrösche keine andere Litanei von ihren Blattkanzeln herunter und erinnerte der schwermütige Ruf des nachtliebenden Ziegenmelkers nicht minder an das Klagen eines trauernden Menschenkindes.

Die Minuten verrannen. Tiefer senkte sich der Mond. Unterstützt durch den im Osten lagernden Schein reichte seine Leuchtkraft gerade aus, Unebenheiten des Erdbodens und Gesträuch vor dem argwöhnisch spähenden Auge in verdächtige Formen zu kleiden und die Wachsamkeit zu verschärfen. Bell hatte sich vor dem westlichen Pfahlzaun aufgestellt. Einen Holzbock als Tritt benutzend, ragte sie mit Kopf und Schultern über die Palissaden hinaus. Angestrengt, oft mit angehaltenem Atem spähte sie in den vor ihr liegenden Wald hinein. Angstvoll wartete sie auf ein Zeichen von ihm, der Rettung aus der bedrängten Lage bringen sollte. Doch nichts ließ sich unterscheiden, als das gelegentliche, geheimnisvolle Knistern zwischen dem noch nicht verwesten dürren Laub des letzten Herbstes, wenn ein Kaninchen darüber hinhuschte, ein träge schreitendes oder kletterndes Opossum nach Vogelnestern suchte.

Allmählich gewannen die Vorboten des anbrechenden Tages das Uebergewicht, als auf der Ostseite der Lichtung das Einknicken schwacher Zweige laut wurde. Es klang, als ob ein Hirsch sich Bahn durch das Dickicht gebrochen habe. Mißtrauisch richtete die Aufmerksamkeit der versteckten Schützen sich schärfer darauf hin. Da das Geräusch verstummte, sich aber in kurzen Pausen wiederholte, war man geneigt, es in der That ruhelosem Wild zuzuschreiben.

Endlich wurden in der Nähe des Waldvorsprungs drei Gestalten sichtbar. Frei, wie ihres guten Rechtes sich bewußt, schritten sie über die Lichtung dem Gehöft zu. Bei ihrem ersten Anblick ließ Howitt das Gebot vorsichtig von Mund zu Mund gehen, ohne seine Aufforderung keine Bewegung auszuführen, keinen Laut von sich zu geben, am wenigsten übereilt von der Büchse Gebrauch zu machen. Erst als die drei Fremden, die fortgesetzt die Haltung harmloser Wanderer bewahrten, bis auf sicher Schußweite sich genähert hatten, rief Howitt ihnen ein gebieterisches Halt zu.

»Wohnt hier ein gewisser Daniel Howitt?« hieß es zurück.

»Was wünscht ihr von ihm?« fragte dieser rauh. »Die Zeiten in diesem Teile des Landes sind nicht solche, daß man Unbekannte, zumal im Dunkeln, bis über die Grenzen hinaus dulden dürfte, auf der man eine Kugel ins Bullenauge setzt. Habt ihr ein Anliegen, so wartet, bis euch die Sonne auf den Kopf scheint.«

»Auch nicht, wenn wir uns mit gut gemeintem, dringlichem Rat tragen?«

»Behaltet euren Rat für euch selber. Aber einen anderen will ich euch geben: Sofern ihr innerhalb zweier Minuten nicht hundert Schritte zurückgegangen seid, gebe ich Feuer, und ich pflege mein Ziel nicht zu fehlen.«

»Was soll das heißen, Daniel Howitt? Sind wir doch keine Diebe und Mörder. Aber da weiter unten trafen wir mit Leuten zusammen, die Ihnen nicht wohlwollen. Ich denke, das genügt Ihnen, uns willkommen zu heißen.«

Howitt war ein zu erfahrener Grenzer, um nicht sofort zu erraten, daß kein anderer Zweck die Fremden herbeiführte, als seine und ebenso dieses oder jenes vielleicht schon regen Bewohners der Farm Aufmerksamkeit zu fesseln und dadurch den eigentlichen Angreifern Gelegenheit zu verschaffen, auf der entgegengesetzten Seite vom Fluß her den beabsichtigten Ueberfall ins Werk zu setzen. Dort aber durften sie um so zuversichtlicher auf Erfolg rechnen, weil nur ein Garten von mäßigem Umfange das Gehöft von dem Waldessaum trennte, sie also bis beinahe an die Palissaden heran Deckung gegen ihnen zugeschickte Kugeln fanden, wohl gar, wie sie vielleicht wähnten, das Pfahlwerk zu übersteigen vermochten, bevor die vermeintlich in Schlaf versunkenen Bewohner sich ermunterten.

Was Howitt dachte, wiederholte die neben ihm befindliche streitbare Korporalswitwe mit leisen Worten.

»Alle nach der Rückseite herum,« raunte er ihr als Erwiderung dringlich zu, »und jeden niedergeschossen, der aus dem Gebüsch tritt,« und lauter zu den verdächtigen Fremden hinüber: »Was ihr seid, mag euch der Henker ansehen. Daher nochmals: Fort oder ihr werdet es zu bereuen haben!«

Die Fremden säumten noch immer unschlüssig. Den Ernst ihrer Lage unterschätzend, warteten sie offenbar auf ein verabredetes Zeichen von den Genossen, um dann, die erzeugte erste Verwirrung ausnutzend, ebenfalls zum Angriff zu schreiten.

»Ich zähle bis drei,« fuhr Howitt unterdessen fort, und die Erinnerung an den gemordeten Sohn mochte seine Erbitterung bis zum Blutdurst steigern, denn heiser klang seine Stimme, indem er hinzufügte: »Ist die drei über die Zähne, trifft's einen von euch, und ihr selber seid verantwortlich dafür.«

»Halt an – macht keine Dummheiten!« lautete die Erwiderung.

»Eins!« zählte Howitt, den Büchsenlauf zwischen die Pfahlspitzen legend.

»In des Teufels Namen, Mann – so wartet wenigstens, bis wir gegangen sind!«

»Zwei!« rief Howitt kaltblütig.

»Zurück oder ich gebe Feuer!« ertönte Bens Summe hinter der Blockhütte.

»Drei!« zählte Howitt. Fast gleichzeitig krachte der Schuß, und einer der Fremden, die den Ernst seiner Drohung immer noch bezweifelten, brach unter dem Feuer zusammen.

Howitt überzeugte sich durch einen Blick, daß die beiden anderen, wütende Verwünschungen ausstoßend, in nächster Richtung dem Walde zu flüchteten, wogegen der Getroffene, mühsam kriechend, den Schutz des Gehölzes zu gewinnen trachtete. Seinem jüngsten Sohne die abgeschossene Büchse reichend, nahm er die geladene in Empfang und schickte sich an, nach der mehr gefährdeten Seite hinüberzueilen, als auch dort zwei Schüsse fielen und alsbald ein wahrer Höllenlärm fluchender, brüllender und jauchzender Stimmen laut wurde. Schuß auf Schuß folgte von seiten der Angreifer. Deren Kugeln, in sinnloser Hast entsendet, bohrten sich in die Pfähle ein oder flogen weit über sie hinaus, wogegen die Verteidiger, um nicht vorübergehend wehrlos zu werden, vereinzelt und nur dann schossen, wenn sie ihres Zieles einigermaßen sicher zu sein glaubten.

Um diese Zeit war es so hell geworden, daß man im Gebrauch der Büchsen nur noch wenig gehindert wurde. Die Angreifer, dies nicht unterschätzend und überhaupt auf einen so zähen und überlegt geleiteten Widerstand nicht gefaßt, zogen sich schleunigst in das Gehölz zurück. Doch kaum war die letzte Kugel ihnen nachgesendet worden, als auf der Ostseite wohl fünfzehn und mehr bewaffnete Männer aus dem Walde hervorbrachen und, anstatt zu feuern, vollen Laufs über die Lichtung eilten. Ihnen stand zur Zeit nur Howitt gegenüber. Auf seinen Ruf gesellten Bertrand, Arrowmaker und sein dritter Sohn sich zu ihm, außerdem Bell, eine schußfertige Büchse auf der Schulter, während die anderen unter Mutter Hickups Befehl die gefährdete Seite hinter der Blockhütte überwachten. Wie zuvor, sollten bei diesem neuen Angriff die Schüsse ebenfalls nur in Pausen abgegeben werden und das Feuern erst dann jedem nach Willkür überlassen bleiben, wenn die Not es erheischen sollte.

Die beiden ersten Schüsse fielen, als die Angreifer, in blinder Wut dem Gehölz enteilend, in gute Zielweite gelangt waren. Ein Mann stürzte, während ein anderer unter herausforderndem Heulen seine Kugel auf das Gehöft entsendete und mühsam in den Schutz der Waldung zurückhinkte. Anstatt aber durch den ersten Mißerfolg entmutigt zu werden, steigerte der Rachedurst die Raubgier der Angreifer bis zur Raserei. Um zu verhindern, daß die abgeschossenen Gewehre wieder geladen wurden, beschleunigten sie mit wahrer Todesverachtung ihr Eile aufs Aeußerste. Zugleich vereinigten sie ihre Stimmen zu einem wahrhaft teuflischen Heulen, und sich nach beiden Seiten hin ausbreitend, verrieten sie Verständnis dafür, daß die Umzäunung zu weit gedehnt, um sie mit einer kleinen Besatzung lange gegen eine so große Uebermacht halten zu können.

Und abermals entluden sich hinter den Palissaden hervor zwei Büchsen. Einzelne Angreifer wichen zurück; wurden indessen durch die wütenden Zurufe der nach vorn stürmenden Genossen wieder mit fortgerissen. Bis auf fünfundzwanzig, dreißig Ellen kamen sie heran, als wiederum zwei Kugeln jede ihren Mann trafen. Doch ob verwundet oder unberührt, jetzt gab es kein Halten mehr. Zum Teil noch unter dem Einfluß des im Uebermaß genossenen Branntweins, dann aber nicht blind dafür, daß sie auf dem Rückzuge den mörderischen Geschossen noch länger ausgesetzt seien, kannten sie jetzt nur noch das einzige Trachten, mit den Verteidigern handgemein zu werden.

Howitts und der Seinigen Lage wurde jetzt dadurch gefährlicher, daß die auf der Flußseite das Gehölz belebenden Raubgenossen zu einem neuen Angriff schritten. Vollen Laufs erreichten sie trotz neuer Verluste nicht nur die Schutzwehre, sondern suchten auch, durch diese vollkommen gedeckt, an ihr hinschleichend, sich mit der anderen Rotte zu vereinigen und demnächst die Palissaden zu stürmen und zu übersteigen. Und wer weiß, welchen verhängnisvollen Ausgang der Kampf nunmehr genommen hätte, wäre in den entscheidenden Minuten nicht eine Pause eingetreten. Denn wie keiner der Mordgesellen der erste sein wollte, den gekrümmten Rücken des Genossen als Leiter zu benutzen, so scheuten die Eingeschlossenen, die Köpfe oberhalb des Pfahlwerks zu zeigen, wo eine aus nächster Nähe entsendete Kugel ihnen gewiß gewesen wäre.

Finster ließ Howitt die Blicke über die nunmehr wieder nach allen Richtungen verteilten Verteidiger hinschweiten. Noch war kein Verlust zu beklagen. Allein bei der jetzt noch mehr als doppelten Ueberzahl der Feinde ließ sich fast mit Gewißheit voraussetzen, daß es nicht lange so bleiben würde.

Die Unmöglichkeit begreifend, den nunmehr dicht umlagerten Zaun in seiner ganzen Ausdehnung zu verteidigen, aber auch erwägend, daß die Seinigen bei Fortsetzung des Kampfes in erhöhtem Grade den feindlichen Geschossen ausgesetzt waren, entschloß Howitt sich dazu, seine Schützen auf den engen Raum der Hütte zu beschränken. Dort brauchten sie ihre Kräfte nicht zu zersplittern und befanden sich daher in der Lage, selbst gesichert, erfolgreicheren Widerstand zu leisten.

Seinem durch Zeichen erteilten Gebot gehorchend, zogen diese, fortgesetzt die Palissaden scharf im Auge, sich vorsichtig in den Schutz der starken Blockwände zurück, von wo aus sie durch Thür und Fenster wie durch die geöffneten Fugen zwischen den Balkenlagen das Pfahlwerk in seiner ganzen Ausdehnung mit ihren Kugeln zu bestreichen vermochten.

Die Angreifer waren unterdessen inne geworden, daß man die Palissaden aufgegeben hatte. Mit wildem Gejohle wurde es begrüßt. Wie dadurch ermutigt, gleichsam berauscht durch die Aussicht auf den nun nicht mehr bezweifelten Erfolg, wagte einer, von den Gefährten gehoben, den Kopf oberhalb der Pfähle zu zeigen, sank aber, von der Kugel des alten Squatters getroffen, sogleich wieder nach außen, im Sturz die sich entladende Büchse von sich werfend.

Neues Heulen, Bellen und von den grauenhaftesten Verwünschungen begleitete Drohungen erhoben sich in der Reihe der bis zum Wahnwitz erbitterten Horde. Stimmen, die zu Brandlegung rieten, wurden hie und da laut, ohne daß jemand ernstlich darauf einzugehen gewagt hätte. Nach der empfangenen letzten Lehre hatte eine gewisse Feigheit sich der allmählich ernüchterten Bande bemächtigt. Keiner wollte seine sichere Lage am Fuße der Pfahlwand aufgeben, aber auch nicht von einem Unternehmen abstehen, das mit so viel Eifer und Siegesgewißheit eingeleitet worden war. Durch Rachedurst und Trunkenheit verblendet, dachte keiner daran, den zu erringenden Erfolg gegen den Aufwand an Mühe und Opfern abzuwägen.

Bei dem immer wieder erneuerten Lärm und der an Sinnlosigkeit grenzenden Erregung hatte niemand darauf geachtet, daß hinter dem westlichen Waldvorsprung hervor dumpfes Poltern laut wurde und schnell näher rückte. Erst als ein Reitertrupp in wilder Jagd um die eingefriedigten Felder herumsprengte, wurde man aufmerksam auf ihn. Auf wessen Seite er sich schlagen würde, wußten außer Arrowmaker und Rabbit nur noch Bell, Bertrand und Mutter Hickup.

Die Angreifer stutzten. Sobald aber die Reiter in guter Schußweite von den schäumenden Pferden sprangen und die ersten Kugeln unter sie entsendeten, wendeten sie sich, von panischem Schrecken ergriffen, zur Flucht. Um die Palissaden herum schlüpfend und diese als Deckung zwischen sich und die neuen Feinde bringend, verschwanden sie gleich darauf im östlichen Gehölz.

Ihnen nachzusetzen und ein Gefecht im Walde zu eröffnen, gab man auf. Und so herrschte da, wo eben noch ein erbitterter Kampf wütete, jetzt unheimliche Stille.

Aufatmend nach so viel Not und Sorge, war es als hätte man sich zuvor mit dem Erlebten vertraut machen müssen, um an die Wirklichkeit zu glauben. Und doch gehörte nur ein Blick über die Umgebung dazu, um schaudernd die Gefahr zu ermessen, der die Bewohner der Farm und ihre Gäste wie furch ein Wunder fast im letzten Augenblick noch entronnen. Waren die Verwundeten von ihren Genossen mit fortgeführt worden, so lagen dagegen auf der Lichtung vier Gestalten, die ihre Raublust mit dem Leben bezahlten.

Die Vaqueros hatten ihre Pferde bestiegen und waren, King Bob voraus, um den westlichen Waldvorsprung herumgeritten, wo sie absattelten und ihr Lager aufschlugen. King Bob schien keine Neigung zu verspüren, mit den aus schwerer Bedrängnis Erlösten in Verkehr zu treten. Nur einen seiner Leute schickte er mit der Anfrage an Howitt ab, ob er und die Seinigen unverletzt geblieben und Hilfe bei der Beseitigung der gefallenen Freibeuter erwünscht werde.

Letzteres lehnte Howitt frostig ab, gab aber zu, daß man auf dem Gehöft keinen Verlust, nicht einmal eine ernstere Verletzung zu beklagen habe. Bis ins Mark hinein wurmte ihn, gerade King Bob für die Rettung aus verhängnisvoller Lage verpflichtet zu sein.

Bell befand sich in der Nähe. Jedes Wort hörte sie. Sie hatte nichts anderes erwartet. Leichter gelang es ihr daher, ihre äußere Ruhe zu bewahren. Wie es aber zur gleichen Zeit ihr Herz zerriß, das entnahm Mutter Hickup dem erlöschenden Glanz ihrer Augen, dem herben, sogar feindseligen Lächeln, das um ihre fest aufeinander ruhenden Lippen zum kaum bemerkbaren Ausdruck gelangte.

Sichtbar unwillig kehrte die warmherzige Korporalswitwe sich dem Boten zu. Sie wußte, daß jeder Versuch der Einwirkung auf den starrköpfigen alten Squatter gerade das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigte, zur Folge haben würde, und so fügte sie seiner Antwort mit verheimlichter Entrüstung hinzu: »Von mir bestelle an King Bob dagegen, Bursche, daß wenn wir alle vor dem Schrecklichsten bewahrt blieben, es in erster Reihe seinem rechtzeitigen Einschreiten zu danken sei. Zweitens, daß unsere Unerschrockenheit und Umsicht ohne seine Hilfe keinen Strohhalm wert gewesen wären. Drittens aber vermelde, ich hoffte, ihn bald hier zu sehen. Meine Anerkennung müßte ich ihm persönlich aussprechen, und ich wäre nicht die einzige hier, der daran gelegen, ihm und euch allen freundlich zu danken.«

Indem der Vaquero sich entfernte, warf sie einen forschenden Seitenblick auf Howitt. Wie eine Statue verharrte er. Nicht die leiseste Regung irgend einer Art spiegelte sich in seinen Zügen. Nur die Brauen hatte er dichter zusammengezogen. Sie erriet, daß ihre berechnenden Schläge auf ein kaltes Stück Eisen gefallen waren, ihre Einmischung am wenigsten geeignet gewesen, seinen starren Willen zu erschüttern und milderen Gesinnungen den Weg zu bahnen.

Eine Stunde später schritt King Bob nach dem Hofe hinauf. Howitt ging ihm so weit entgegen, daß sein Gespräch mit ihm nicht von anderen verstanden werden konnte. Wohl mochte er sich eingestehen, als der junge Hüne in ruhiger, selbstbewußter Haltung sich auf ihn zu bewegte, daß nie ein stattlicherer Mann seine Heimstätte betrat; allein der einmal offenbarte Entschluß konnte auch dadurch nicht beeinflußt werden. Es beherrschte ihn unumschränkt der Gedanke, daß es King Bob, dem die Störung der in seiner Familie heilig gehaltenen Eintracht zu verdanken sei. Und als die beiden Männer dann einander gegenüberstanden, einer dem anderen durchdringend in die Augen sah, einer des anderen Regungen leicht erriet, keiner eine Hand rührte, um einen freundschaftlichen oder auch nur höflichen Gruß auszutauschen, da war es, als ob beiden die Zunge plötzlich gelähmt gewesen sei.

Erst nach einer Pause, da Howitt immer noch mit einem Wort des Willkommens zögerte, hob King Bob leidenschaftslos an: »Daniel Howitt, ich folgte dem Ruf meiner alten Freundin. Nicht um Dank kam ich, sondern um mitzuteilen, daß die letzte Gefahr noch nicht beseitigt ist.«

»Du hast nicht mehr gethan, als Christenpflicht dir gebot,« antwortete der alte Squatter ausdruckslos, »dafür Dankesworte zu hören, möchte dir selber nicht gefallen. Hast du gehofft, durch deinen Beistand mir näher zu treten, so begingst du einen Irrtum. Heute denke ich nicht anders, als gestern und vor Zeiten.«

King Bob hatte sich entfärbt. Dann schoß es tiefrot in sein gebräuntes Antlitz. Seine großen, blauen Augen sprühten, um gleich darauf wieder ruhiger zu blicken. »Nur Bells Vater darf derartig zu mir reden –« begann er.

Kühl warf Howitt ein: »Wenn Männer miteinander verkehren, finden Weiber keinen Platz in ihrem Gespräch. Was kümmert dich meine Tochter?«

»Sie kümmert mich mehr, als meine Seligkeit,« versetzte King Bob aufbrausend, mäßigte indessen wiederum seine heftige Erregung; »als freier, unbescholtener Mann stehe ich vor Ihnen, und wenn ich je einen harten Kampf ausfocht, so geschieht es jetzt, indem ich mit mir selber um meine Selbstbeherrschung ringe. Denken Sie heute noch Arges von mir und messen Sie meinen früheren offenherzigen Erklärungen keinen Glauben bei, so darf mich das nicht hindern, Sie abermals um Ihre Einwilligung zu meiner Verheiratung mit Ihrer Tochter zu bitten. Ein sorgenfreie Zukunft habe ich ihr zu bieten –«

»Und bötest du ihr ein Königreich, so bliebe es beim alten,« unterbrach Howitt ihn strenger; »was ich einmal sagte, besteht fort für alle Zukunft, und bräche der Himmel über uns ein.«

»Gut Daniel Howitt, mit dieser Frage erfüllte ich eine Pflicht,« entgegnete King Bob eigentümlich gelassen; »das weitere ist meine Sache. Ihr Ohr soll nicht mehr durch Worte belästigt werden, die Ihnen zuwider sind. Doch jetzt ein anderes. Ich bin gewohnt, eine Arbeit nie halb zu thun. Zöge ich jetzt mit meinen Leuten von dannen, so bliebe ein unbeendigtes Werk hinter mir zurück. Denn ich wiederhole: Noch drohen Ihnen und Ihrer Familie schwere Gefahren. Sie werden so lange drohen, bis die Dragoner, die Baxter von Fort Reley herbeiruft, eingetroffen sind. Was dann geschieht, ob man Sie zwingt, Ihre Farm zu verlassen, oder noch Frist gewährt, vermag ich nicht zu beurteilen. Meine Aufgabe kann sich nur darauf beschränken, bis dahin darüber zu wachen, daß Sie von der Raubbande nicht überwältigt werden. – Lassen Sie mich zu Ende sprechen, Daniel Howitt, darum bitte ich; nachher sollen Sie von meiner Gegenwart befreit werden. Mein Kamp befindet sich da hinter der Waldecke. Gastfreundschaft brauchen wir nicht zu suchen. Mit dem Notwendigsten sind wir ausgerüstet: auch sollen Sie von meinen Leuten in keiner Weise bedrängt werden.«

»Die Prairie ist frei für jedermann,« erklärte Howitt, »lagere, wo es dir gefällt. Bleibe oder gehe, mich soll's nicht kümmern. Ich habe dich überhaupt nicht gerufen, bin aber bereit, den Dienst, welchen deine Leute mir leisteten, zu bezahlen, um niemand Dank schuldig zu sein.«

»Die Leute folgten meiner Aufforderung. Sie zu lohnen fällt mir zu und keinem anderen,« erwiderte King Bob, seine tiefe Erbitterung verheimlichend; denn er begriff, daß Howitt mit Ueberlegung darauf ausging, einen unheilbaren Bruch heraufzubeschwören, Gelegenheit zu finden, seinen Entschluß in einer Weise zu bekräftigen, daß eine Zurücknahme unmöglich wurde, und so sprach er ruhig weiter: »Ich gehe jetzt. Wollen Sie mir aber einen Gefallen erweisen, dann sagen Sie Herrn Bertrand und meiner alten mütterlichen Freundin, ich würde mich freuen, sie bei mir im Lager zu begrüßen – doch es wäre überflüssig. Auch ohne die Botschaft werden sie meiner gedenken und mich aufsuchen.«

Mit dem letzten Wort kehrte er sich um, und wie er gekommen war, schritt er vom Hofe hinunter.

Howitt blickte ihm finster nach, mochte aber voraussetzen, daß er von der Blockhütte aus beobachtet werde; denn sich plötzlich abwendend, rief er nach seinen Söhnen und den beiden Indianern, die von der Wiese heimkehrten, wohin sie die ihrer Haft entlassene Herde getrieben hatten. Mit ihnen begab er sich nach dem Schuppen, um zwei Pferde aufzuschirren und vor den Wagen zu spannen. Es galt ihm vor allen Dingen, die häßlichen Merkmale des überstandenen Kampfes aus dem Bereich des Gehöftes zu schaffen und neben dem gerichteten Mörder zu verscharren.

Sorgenvolle Blicke hatten in der That auf den beiden Männern geruht, solange sie zu einander sprachen, Blicke, die leicht entdeckten, daß eine freundschaftliche Annäherung zwischen ihnen ausgeschlossen war. Schon eine Weile bevor King Bob von Howitt forttrat, hatte Bell sich heimlich nach der Rückseite der Hütte herum begeben. Dort gelangte sie durch einen leicht zu öffnenden Zwischenraum zwischen den Palissadenpfählen ins Freie hinaus. Von niemand gesehen, eilte sie an der Umzäunung hin bis zu der Ecke, wo die durch die Einfahrt unterbrochene Palissadenreihe begann. Hinter derselben blieb sie stehen, und nach der Oeffnung herumlugend, wartete sie, düstere Entschlossenheit in ihrer Haltung, auf das Erscheinen King Bobs. Als er endlich ins Freie herausschritt und die Richtung nach seinem Lager einschlug, rief sie ihn mit vorsichtig gedämpfter Stimme zu sich.

Anfänglich vermochte er kein Wort hervorzubringen, so erschrak er bei ihrem Anblick. Der Gram, der sich in ihren abgehärmten, bleichen Zügen ausprägte, die wilde Klage, die aus ihren Augen hervorleuchtete, wie die Erbitterung, welche um die festgeschlossenen Lippen einen sprechenden Ausdruck fand – dies alles ergriff ihn in einer Weise, daß es sich wie die Weichheit eines zagenden Kindes auf dem mannhaften Gesicht spiegelte. Schweigend ergriff er die ihm gereichten Hände, und während er noch jammernden Herzens auf sie hin sah, begann sie mit vor schmerzlicher Erregung bebenden Lippen:

»Sage nichts, Bob. Ich sah alles, weiß alles. Du hast gethan, was die Kräfte eines anderen Sterblichen überstiegen hätte. Du gabst gute Worte, wo man dir mit Grausamkeit begegnete, beugtest dich, wo böser Hohn dich reizte. Da bleibt uns kein anderer Ausweg, als daß ich das Elternhaus aufgebe, wo jede neue Stunde mir neue Martern einträgt.«

Da küßte Bob sie auf die Stirn. »Ja, ich kam mit guten Worten,« bestätigte er mit ruhiger Entschiedenheit, »und Gehässigkeit war mein Lohn. Ziehst du jetzt mit mir, trifft uns kein Vorwurf. Fasse also Mut und gedulde dich bis zum geeigneten Zeitpunkt. Noch zwei, höchstens drei Tage, und wir wenden uns südwärts, wo eine freundliche Heimstätte unserer harrt. Halte dich daher zu jeder Stunde bereit. Wenn ich dich rufe, dann komme. Nimm nichts mit fort, das von Wert ist. Komme, wie du gehst und stehst, und baue auf meine Treue.«

»Aber wann, Bob, wann? Drei Tage sind eine Ewigkeit. Ich fühle, wie das unablässige Bangen und Sorgen in meinem Kopf bohrt und mich um den Verstand zu bringen droht.«

»Sobald die Dragoner eingetroffen sind,« erklärte King Bob tröstlich. »Um deinetwillen und zu meiner eigenen Befriedigung muß ich so lange säumen, bis die letzte Gefahr von den Deinigen abgewendet ist. Sie dürfen der Willkür der rachsüchtigen Schurken nicht preisgegeben werden. Es ist durchaus notwendig, die Ueberzeugung mit von hier fortzunehmen, daß entweder ihre Zukunft hier gewährleistet ist, oder sie unbelästigt von dannen ziehen, um auf geeigneter Stelle einen neuen Herd zu gründen.«

»So viel Großmut, so viel Opferwilligkeit da, wo man dir mit Verachtung die Thür wies!« versetzte Bell weinend. »Wenn der Vater dich nur halb so durchschaute, wie ich mit deinem Denken und Sinnen vertraut bin, so müßte er dem Himmel auf den Knieen danken, dich als Sohn in seine Familie aufnehmen zu dürfen. Aber er will nicht. Er ist verblendet in seinem Starrsinn; da mag Gott mir verzeihen, wenn ich meine Liebe zu dir höher stelle, als die zum Elternhause.«

»Ich muß fort,« erwiderte King Bob eigentümlich sanft, »auch du gehe, um nicht Ursache zu neuen Anfeindungen zu geben. In der nächsten Minute kann dein Vater erscheinen.«

Da richtete Bell sich hoch auf. In jeder Linie ihres schönen Antlitzes wohnte ernste, heilige Entschlossenheit, daß King Bob nur Erstaunen kannte, nur Bewunderung der hohen, stolzen Erscheinung, die trotz des ländlich einfachen Aufzuges eine seltsame, achtunggebietende Würde umfloß.

»Ich habe mit allem gebrochen,« sprach sie fest, »mag kommen, was wolle: ich befinde mich auf keinem unrechten Wege, brauche niemandes Blicke zu fürchten. Muß ich noch Böses über mich ergehen lassen, so schöpfe ich Mut und Ergebung aus dem Bewußtsein, daß das Ende meiner Qualen absehbar.«

Förmlich überwältigt, küßte King Bob sie abermals. »Du bist ein starkes, aber auch ein mutiges Mädchen,« raunte er ihr innig zu, »und das kann nur zum Glück führen. Doch jetzt gehe. Willst du mir eine neue Zusammenkunft gewähren, so laß es mich durch Mutter Hickup wissen. Bis dahin auf Wiedersehen!«

Und während er der Waldecke zuschritt, eilte Bell im Schutze des Pfahlzaunes nach der Rückseite des Gehöftes herum.

Als sie vor dem Hause eintraf, begegnete sie dem Vater, der eben aus der Thür trat. Finster betrachtete er sie. Ahnte er wirklich, woher sie kam, so widerstrebte ihm doch, sie zur Rede zu stellen. Ihr sichtbarer Kummer zerriß ihm wohl das Herz; allein in demselben Grade, in dem sie sich ihm entfremdete, wuchs sein Haß gegen denjenigen, den sie höher als alles stellte, und von dem er wußte, daß sein Wille ebenso unbeugsam, wie sein eigener.

Stumm begab Bell sich in den als Wohnzimmer dienenden düsteren Raum. Außer ihrer Mutter war niemand anwesend. In einem Winkel sich niederlassend, starrte sie dumpf grübelnd vor sich hin. Auch die vor dem Küchenfeuer beschäftigte alte Frau verhielt sich schweigend. Scheu vor der eigenen Tochter hatte sich ihrer bemächtigt. Sie verstand deren bitteres Leid, wußte aber am wenigsten, was sie zu ihrem Troste hätte sagen können. Sie war selbst zu gebeugt, zehrte selbst zu schwer an ihrer Trauer.


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