Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Sechzehntes Kapitel.

Als die Squattersfrau ihrer Tochter ansichtig wurde, war ihre erste Regung, aufzuspringen und ihr die Arme entgegenzustrecken. Doch die Nähe Howitts scheuend, sank sie zurück. Sie kannte den Gatten zu genau, um nicht zu fürchten, sogar durch ein von Muttergefühlen bedingtes Vorgreifen den Empfang der Eingetroffenen ungünstig zu beeinflussen.

Bell und King Bob waren unterdessen abgestiegen und hatten die Pferde den Vaqueros überlassen, die sich eine kurze Strecke mit ihnen entfernten. Zögernden Schrittes näherte Bell sich der Mutter.

»Wo ist Daniel Howitt?« fragte King Bob zu derselben Zeit freundlich.

Die Mutter wies nach dem Uferrande hinüber. Zu sprechen vermochte sie nicht.

»Hier ist er,« ertönte Howitts hartes Organ, und aus der Dunkelheit, welche die durch die Flamme des Kochfeuers geblendeten Augen nicht gleich zu durchdringen vermochten, tauchte die lange Gestalt des alten Sqatters in der Helligkeit auf. Bell wollte sich eben der Mutter zuneigen, doch aus den Worten des Vaters heraushörend, was ihr bevorstand, wich sie zurück, und bebenden Herzens suchte sie sein Gesicht.

»Ich hielt es für meine Pflicht, noch einmal vor Sie hinzutreten,« hob King Bob ehrerbietig, jedoch fest an, »wir konnten und wollen nicht aus dieser Gegend scheiden, ohne Ihnen eine Beruhigung hinterlassen zu haben,« und er überreichte dem Alten die Abschrift des Ehekontraktes.

»Was soll ich damit?« tragt Howitt geringschätzig, ohne die Hand nach dem Papier auszustrecken.

King Bob bemeisterte seinen erwachenden Zorn und fuhr in derselben ruhigen Weise fort: »Die Schrift bezeugt, daß Bell mir gesetzlich angetraut wurde. Der kirchliche Segen fehlt zwar noch, der wird indessen eingeholt, sobald die erste Gelegenheit dazu sich bietet.«

»Um mir das zu verraten, hättet ihr euch den Weg ersparen können,« erwiderte Howitt kalt, »ich erfuhr es bereits, aber auch welcher Mittel ihr euch bedientet.«

»Die Mittel sind Nebensache,« versetzte King Bob etwas entschiedener, »Bell ist seit dem Tage, an dem sie das elterliche Haus verließ, meine Frau, das kann durch nichts mehr aus der Welt geschafft werden.«

»Zu was dann noch die weiteren Reden? Und ihr elterliches Haus? Was bedeutet das jetzt noch? Ihr elterliches Haus ist von der Erde verschwunden. Glühende Asche bezeichnet den Ort, wo es stand.«

»So hören Sie wenigstens ein wohlgemeintes letztes Wort. Ich richte es an Sie, weil Ihnen dadurch Gelegenheit geboten wird, das Glück Ihrer Tochter, mag es vorläufig immerhin ein bescheidenes sein, zu vervollständigen. – Lassen Sie mich ausreden,« schaltete King Bob auf Howitts ablehnende Gebärde ein, »Sie sind sogar heilig verpflichtet, mich anzuhören, wollen Sie nicht den Vorwurf auf sich laden, an den Ihrigen sich versündigt zu haben. Haus und Hof legten Sie in Asche. Schon aus der Ferne belehrten Rauch und Feuerschein mich darüber. Ich sah dergleichen voraus, weil ich an Ihrer Stelle nicht anders gehandelt hätte. Sie gerieten dadurch in die Lage, eine neue Heimstätte begründen zu müssen. Da schlage ich nicht vor, sondern ich bitte aus ehrlichem Herzen: Sie wissen, von meinen Ersparnissen kaufte ich in Neumexiko eine Fläche Land; die ist mehr als groß genug für zwei Familien. Ein kleiner Rancho steht bereits. Der reicht vorläufig aus zur Unterkunft für uns alle. Ihre Wagen sind beladen, Ihre Herde ist zur Hand. Wenn Sie uns begleiten, sind wir in zwei Monaten zur Stelle. Holz finden Sie im Ueberfluß, und vor dem ersten Wintermonat wohnen Sie unter Ihrem eigenen Dach.«

Solange King Bob sprach, hatten Bells Augen mit tödlicher Spannung an dem Gesicht des Vaters gehangen, und angstvoller schaute sie nach jedem neuen Wort. Meinte sie doch aus seinen Zügen eine niederschmetternde Entscheidung herauszulesen. Sobald King Bob aber endigte, hielt sie den Atem an, um sich keinen Laut von den Lippen des Vaters entgehen zu lassen.

Howitt zögerte. Und so herrschte eine Weile Todesschweigen. Wäre sein Entschluß wirklich schwankend geworden, so hätte das Bewußtsein, daß alle Anwesenden ihn bange überwachten, sogar Bertrand und Mutter Hickup sein Verfahren mit gemischten Empfindungen beurteilten, genügt, ihn alsbald wieder zu befestigen.

»Die Barmherzigkeit des Mannes meiner pflichtvergessenen Tochter soll ich über mich ergehen lassen?« fragte er endlich eintönig. »Da müßte es weit mit mir gekommen sein. Ich wiederhole daher: um solcher Ursachen willen hättet ihr eure Fahrt über die Ebene nicht zu unterbrechen brauchen.«

Da trat Bell vor ihn hin, und die gefalteten Hände zu ihm erhebend, flehte sie verzweiflungsvoll: »Vater – Vater, höre auf Bob! Er meint es treu – sein Herz kennt keine Falschheit. Gieb der Mutter eine neue Heimat, aus der ihr nie vertrieben werden könnt – entschließe dich dazu zur Wohlfahrt deiner ganzen Familie, zum Segen deiner Tochter.«

»Als du mein Haus verließest, kündigte ich dir an, das letzte Band zwischen uns sei zerschnitten, und das Wort gilt für alle Zeiten,« erklärte Howitt, und es erzeugte den Eindruck, als hätte er in der sich selbst bereiteten Marter gleichsam geschwelgt. »Mein Liebling warst du von jeher bis zu dem Tage, an welchem der von dir Auserkorene dich von meinem Herzen riß. Mein Leben hat er verbittert. Früh genug warnte ich dich. Du wolltest nicht hören. Tragt jetzt gemeinschaftlich die Folgen deiner Pflichtvergessenheit. Ich besitze keine Tochter mehr.«

»Vater rief Bell nunmehr entschlossener aus, und wie zum Kampfe richtete sie sich vor ihm auf, »Robert King ist mein Mann. Die Beschimpfungen, die du auf mich häufest, treffen auch ihn und unverdient. Nicht weit von hier in der Erde liegt dein bester Sohn. Er war Bobs treuer Freund, weil er ihn kannte. Stände er jetzt auf und sähe und hörte er uns, so würde er seine Bitten um Gerechtigkeit mit den meinigen –«

»Entweihe nicht das Andenken an deinen gemordeten Bruder, in dem du ihn zum Zeugen deiner Gewissenlosigkeit anruftst,« fiel Howitt unerbittlich streng ein, »geh mir aus den Augen samt deinem Manne. Bist du erschöpft, hungrig und durstig, so wende dich an deine Mutter. Dann aber gehe, um hinfort fern zu bleiben.«

»Vater, wer so redet, kann nie Liebe zu seinen Kindern gehabt haben,« hob Bell nunmehr leidenschaftlich an, und rauh unterbrach King Bob sie:

»Wir sind hier fertig,« sprach er mit plötzlich veränderter Stimme, indem er ihre Hand ergriff, »du bist meine Frau, und als solche hast du deine Würde zu wahren. Komm, komm. Was zur Aussöhnung geschehen konnte, boten wir redlich auf. Komm. Jetzt bin ich dein Vater und deine Mutter. Ich bin dein Einziges und Alles. Zu mir gehörst du im Leben wie im Tode.«

Wie von verwirrenden Träumen umfangen, ließ Bell sich mit fortziehen. Als sie an dem Feuer vorbeischritten, machte sie eine Bewegung, wie um der Mutter in die Arme zu stürzen. King Bob wollte sie zurückhalten, doch gewahrend, daß Howitt um der kummervollen alten Frau willen sich abwendete und nach dem Uferrande hinüberging, gab er sie frei. Gleich darauf weinte Bell am Herzen der Mutter. Worte wurden nicht zwischen ihnen laut.

Erst als Bell sich losriß, sprach sie sanft und doch mit überzeugender Entschiedenheit: »Noch einmal vor die Wahl zwischen Eltern und Bob gestellt, könnte und würde ich nicht von ihm lassen.«

Diese kurze Zwischenpause hatte Bertrand dazu benutzt, King Bob zu fragen: »Unter welchem Namen haben Sie sich trauen lassen?«

Dieser warf ihm einen wilden Blick zu, »Was kümmert Sie das?« fragte er finster zurück. »Doch ich brauch's vor keinem Sterblichen zu verheimlichen: meine Frau heißt Bell King, und nicht anders.«

»Und doch wäre es ratsam, die Trauung nachträglich auf Ihren wahren Namen bestätigen zu lassen. Sie können nicht ahnen, wozu man die Namensänderung vielleicht noch einmal ausnutzt.«

»Zur Hölle mit Ihren Bedenken! Den Namen, der mir nicht gegönnt war, verachte ich. Als Robert King will ich leben und sterben. Das sagen Sie dem alten Manne am Missouri, wenn er nach mir fragen sollte, aber auch allen denjenigen auf der anderen Seite des Weltmeeres, die darauf ausgehen, durch unverlangte Einmischung meinen Frieden zu stören. – Lebe wohl, Mutter Hickup,« antwortete er dieser, als sie ihn und Bell zum Essen einlud. »Nachdem wir wie Missethäter abgewiesen wurden, möchte jeder Bissen Brot von eurem Tische sich auf meiner Zunge in Gift verwandeln. – Vorwärts, Bell,« und er ergriff wieder ihre Hand, »vergiß alles, das hinter dir liegt. Was du eben erduldetest um meinetwillen, das wird der Himmel tausendfältig an dir gut machen.«

Schweigend begaben sie sich zu ihren Pferden. Flinker Hufschlag ertönte. Sie schienen Eile zu haben, fortzukommen. –

Bis lange nach Mitternacht saß Howitt auf dem Uferabhang. Starr ruhten seine Blicke auf dem verglimmenden Gluthaufen. Die Söhne hatte er von sich fortgewiesen, indem er sie beauftragte, die Lagerstätten unterhalb der Wagen herzurichten. Er wollte allein sein, ungestört seinen trüben Grübeleien nachhängen.

»Heimatlos, heimatlos,« lispelte er zuweilen unbewußt vor sich hin. Wo waren die Tage, in denen er das Wort nicht kannte? Jene Tage, in denen er den ganzen Westen, als seine Heimat betrachtete, fröhlichen Herzens die Axt da in den ersten Baumstamm zur neuen Blockhütte trieb, wo die Naturumgebung ihn lockte, ihm reichen Segen für die aufgewendeten Mühen verhieß? Jene Tage, in denen es ihn nicht kümmerte, wie bald er, vor der unwiderstehlich einherrollenden Kulturwoge flüchtend, weiter gegen Sonnenuntergang gedrängt wurde? Und heute? Er meinte nicht fassen zu können, daß das Geschick ihm in der That noch einmal den Wanderstab in die Hand gedrückt hatte. Wohin sollte er sich wenden, wo endlich Ruhe finden für seinen Lebensabend? Finsterer und verbitterter wurde er. Sein einziger Trost blieb, durch nichts beirrt, nach seiner besten, heiligen Ueberzeugung gehandelt zu haben. Was das Geschick über ihn verhängte, es mußte getragen werden; dulden mußte er, ohne zu murren, daß nach langem, pflichtgetreuem, mühseligen Walten zum Schluß eine Dornenkrone ihm auf das alternde Haupt gedrückt wurde.

Erst nachdem Ben die beiden jüngsten Brüder bei der Herde abgelöst hatte, suchte auch er sein Lager auf. Doch der Schlaf blieb ihm ferne. »Wohin, wohin?« wiederholte er immer wieder in Gedanken. »Wohin auf der unbegrenzten Ebene, um einen stillen Winkel zu finden, wo die müden Augen sich endlich ungestört zum ewigen Frieden schließen können?«

Von heimlicher Unruhe beschlichen, erhob er sich wieder. Das Lager durchschreitend, gelangte er auch zu Arrowmaker. Auf der Seite lag der gemächlich, das Haupt auf den einen Arm gestützt, mit der anderen Hand die brennende Tabakspfeife haltend.

»Wo ist Rabbit?« fragte er ihn, als er dessen Platz leer fand.

»Er ist gegangen,« lautete die gleichmütig erteilte Antwort; »seine Augen sind die eines Nachtvogels. Zwei Männer sah er. Die hatten sich herbeigeschlichen –«

»Um einen letzten Raub an unserem Vieh auszuführen?« warf Howitt ruhig ein. »Da möchten sie schwerlich viel Glück gehabt haben. Die Jungens sind wachsam wie die Wiesel.«

»Nicht Pferde und Rinder suchten sie. Sie spähten ins Lager. Als King Bob und Bell fortgegangen waren, verschwanden sie. Rabbit traute ihnen nicht. Er ging in ihren Spuren. Er wollte wissen, ob sie zu den Leuten des Baxter gehörten.«

»Das auszukundschaften hat keinen Wert mehr,« versetzte Howitt im Davonschreiten, »noch einen Tag und eine Nacht, und wir ziehen stromaufwärts, rechne ich.«

 

Nachdem King Bob und Bell Howitts fliegende Häuslichkeit hinter sich zurückgelassen hatten, waren sie nicht allzuweit geritten. Wie ihre Pferde, ersehnten auch sie selbst nach dem langen Tagesmarsch einige Stunden der Rast. In dem Thale, wo ihre Vereinigung geschlossen worden, und auf derselben Stelle hüllten sie sich auf dem weichen Rasen in ihre Decken. Was King Bob an tröstlichen Worten zu Gebote stand, das hatte er aufgeboten, seiner jungen Frau über die jüngsten Erfahrungen hinwegzuhelfen, allein es gelang ihm trotz ihres ernsten Willens nur bis zu einer bestimmten Grenze. Die Eltern und Brüder heimatlos, die ihnen gebotene sorgenfreie Zukunft mit Verachtung abgelehnt zu wissen, war ein Schlag, der in seiner Wirkung nicht gemildert werden konnte. Schmerzvoll wand sie sich unter schwarzen Ahnungen, die um so qualvoller waren, weil sie ihnen keine bestimmte Form zu geben vermochte.

Dazu gesellte sich der Gedanke, wie viel anders es gewesen wäre, hätte der Vater seinen ursprünglich milden und gerechten Gesinnungen das Vorrecht vor dem starren Willen eingeräumt. Reichlicher aber flossen ihre Thränen, indem sie sich vergegenwärtigte, wie King Bob mit seinem warmen Herzen in ihrer Seele doppelt litt.

Erst als der Tag zu grauen begann, verfiel sie in einen festen, traumlosen Schlaf. Zärtlich überwachte King Bob ihre Atemzüge. Jede Störung hielt er vorsichtig fern von ihr. Als sie endlich sich ermunterte, stand die Sonne bereits am Himmel. Eine kurze Strecke abwärts brannte ein kleines Feuer. Ueber demselben bereiteten die beiden Vaqueros das aus Maismehl und fein gestampftem, gedörrtem Fleisch bestehende Frühmahl. Als Kochgeschirr dienten ihnen die Blechnäpfe, die sie nach Prairieart am Gurt mit sich führten. Einen Trunk lieferte der nahe Bach; dann bestiegen sie ihre Pferde, um weiter aufwärts auf geeigneter Stelle das Thal zu verlassen. –

Zur frühen Stunde, während King Bob und die beiden Vaqueros ihre Vorbereitungen zum Aufbruch trafen, und nur auf das Erwachen Bells warteten, näherten sich von Osten her vier Reiter. Mit sich führten sie ein gesatteltes Pferd. Dessen Besitzer schlich auf dem Uferrande einher, und zwar nur nahe genug, um ohne selbst bemerkt zu werden, die Windungen des Thales eine Strecke voraus überblicken zu können. Die beiden Hirten waren schon rege, als er zuerst der weidenden Pferde und dann des Lagers ansichtig wurde. Von da ab wurde er in seinen Bewegungen vorsichtiger. Ueber die von King Bob einzuschlagende Richtung konnte kein Zweifel walten. Es ließ sich voraussetzen, daß er die erste günstige Gelegenheit zur Ueberwindung des schwer zugänglichen Uferabhanges zur Weiterreise benutzen würde. Der Kundschafter verständigte daher die Genossen, sich noch weiter abwärts und in gleicher Höhe mit ihm zu halten. So kamen sie unentdeckt vorüber, und ihre Pferde schärfer antreibend, eilten sie einer zum Teil bewaldeten Regenschlucht zu, die von Norden her in das Thal einmündete. In diese ritten sie hinab. Während Margin bei den seiner Fürsorge übergebenen Tieren zurückblieb, schlichen die von ihm um hohen Preis gedungenen, mit Büchsen bewaffneten vier Mordgesellen bis beinahe in das Thal hinein, wo sie hinter Buschwerk und Gestrüpp ein sicheres Versteck fanden.

Eine Stunde war seitdem dahingegangen, und die Sonne hatte sich eben dem rotglühenden Osten entwunden, als ein einzelner Fußwanderer, die Büchse auf der Schulter, in der Ferne auftauchte und aus nördlicher Richtung auf das Thal zuschritt. Aus seinen Bewegungen ging hervor, daß er ebenfalls unbemerkt zu bleiben wünschte; denn wo nur immer angänglich, wählte er die Seitenrinnen der Regenschlucht zum Wege. Ein kundiger Beobachter würde sogar in größerer Entfernung einen Eingeborenen in ihm erkannt haben. Und ein anderer war es in der That nicht, als der junge Mandane, der, seitdem Howitt ihn vermißte, das Lager nicht wieder betreten hatte.

Die beiden geheimnisvollen Männer, die ihn zu dem Ausfluge bewogen, waren erst kurz vor dem Aufbruch King Bobs von ihm entdeckt worden. Sein Argwohn, daß ihr nächtlicher Besuch abermals einem von Howitts Rindern gelte, schwand wieder, sobald sie sich behutsam zurückzogen. An dessen Stelle keimte der Verdacht, daß die Absicht sie herbeiführte, sich über Howitts Aufbruch zu unterrichten und die geplante Räuberei auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, vor allen Dingen den Abmarsch der Dragoner zu erwarten. Anstatt aber die Kunde im Lager zu verbreiten und die Freunde auf vielleicht leeren Argwohn hin zu beunruhigen, entschloß er, von Arrowmaker beraten, sich dazu, den verdächtigen Männern zu folgen und über ihr ferneres Treiben sich Gewißheit zu verschaffen.

So erreichte er allmählich die nächste Nachbarschaft von Baxters Zelt, wo er sich, wie einst in King Bobs Gesellschaft, im Gebüsch auf die Lauer legte. Die von ihm beobachteten Freibeuter hatten durch ein wenig auffälliges Zeichen Margin zu sich herausgerufen und verhandelten längere Zeit lebhaft mit ihm. Was sie sprachen, verstand er nicht; erst am Schluß drangen die Worte: »aber ohne Zeitverlust!« die Margin den beiden Genossen nachriet, zu ihm herüber, was ihn zu längerem Ausharren in seinem Versteck bewog.

Nach Ablauf einer Viertelstunde wurde ein gesatteltes Pferd herbeigeführt und von Margin bestiegen. Etwas später tauchten vier andere Reiter bei ihm auf, mit denen er ungesäumt die Richtung einschlug, in der King Bob ihn vor einigen Tagen entführte. Damit war für den scharfsinnigen Mandanen das Rätsel gelöst. Er wußte, daß King Bob und Bell in Gefahr schwebten, und von dem Rachedurst des erbitterten Notars und seiner verworfenen Werkzeuge das Aergste befürchtend, entschloß er sich, ihnen zu Hilfe zu kommen, oder sie wenigstens zu warnen. Zeit war indessen nicht zu verlieren. Da aber der Kapitän, die Nachbarschaft der gesetzlosen Bande wie den Verkehr mit Baxter meidend, sein Lager eine Strecke stromabwärts aufgeschlagen hatte, die Entfernung bis zu Howitts Kamp dagegen eine noch größere war, so blieb er auf sich allein angewiesen, sollte jeder Versuch der Rettung überhaupt nicht scheitern.

Als er oben auf der Ebene eintraf, waren die Reiter längst aus seinem Gesichtskreise entschwunden. Doch nicht in Zweifel darüber, wo er die Gefährdeten zu suchen habe, verfolgte er seinen Weg unverdrossen mit äußerster Eile. Erst als der Tag sich zu lichten begann, entdeckte er die Feinde, wie sie eben in die Schlucht hinabritten. Dies war für ihn eine Mahnung, ebenfalls deren Schutz zu suchen und in der zunehmenden Tiefe die Verfolgung fortzusetzen.

Vorsichtig einherschleichend, näherte er sich dem Thal mehr und mehr, und er erwog schon, ob es nicht ratsamer sei, wieder nach oben zu steigen und sich über Kings Anwesenheit und die von ihm gewählte Oertlichkeit zu unterrichten, als das Schnauben eines Pferdes ihn warnte. Eine Weile zögerte er, bevor er wieder nach vorne schlich. Bald darauf vernahm er das Einknicken der von den Pferden benagten Zweige, dann noch einige Schritte, und zwischen dem Gesträuch hindurch wurde er Margins ansichtig. Neben den Pferden stand er und lauschte mit sichtbarer Unruhe nach der Mündung der Schlucht hinüber. Damit gab der Indianer sich vorläufig zufrieden. Den ihm wie seinen Freunden verhaßten tückischen Feind in seiner Gewalt zu haben erschien ihm als Bürgschaft für King Bobs und Beils Sicherheit.

Um diese Zeit war es, als King Bob und seine junge Frau in den Gesichtskreis der in dem Hinterhalt liegenden Verräter traten. In traulichem Gespräch ritten sie nebeneinander. Die beiden Vaqueros folgten in einem Abstande von mehreren hundert Schritten. Den versteckten Mordgesellen beinahe gegenüber eingetroffen, schlug King Bob die Richtung nach dem von Regengüssen zerrissenen und niedergespülten Abhange hinüber ein. Dort befanden sie sich kaum hundertunddreißig Ellen weit von dem Hinterhalt entfernt.

Trotz der Nähe warteten die lauernden Schützen mit ihrem Angriff, bis die arglosen jungen Leute eine solche Stellung zu einander genommen haben würden, daß die für den tödlich gehaßten Urheber der Niederlage vor den Palissaden bestimmte Kugel nicht auch Bell gefährdete. Der ihnen von Margin erteilte Auftrag lautete nämlich dahin, King Bob niederzuschießen, nach Beseitigung der beiden Vaqueros sich Bells zu bemächtigen und mit ihr für die nächste Zeit sich in die Prairie zu verlieren. Auf den Erfolg des listig durchdachten Anschlages glaubte er um so sicherer rechnen zu dürfen, weil das junge Paar in Howitts Lager gewissermaßen als verschollen galt, außerdem aber das Militärkommando schon folgenden Tages den Marsch nach Fort Riley antreten sollte.

Kehrte er selbst zu Baxter zurück, so konnte in seiner nur nach Stunden zu berechnenden Abwesenheit kaum etwas Befremdendes gefunden werden; noch weniger in dem Verschwinden der vier Mitglieder der Bande, ein Ereignis, das sich oft genug unter den verrohten Abenteurern wiederholte. Die Prairie aber war dann um eines jener grauenhaften, nie gelichteten Geheimnisse reicher.

»Wie die Morgensonne warm scheint und der Himmel so blau leuchtet,« bemerkte King Bob in dem liebevollen Trachten, Bells letzte Sorgen zu verscheuchen, »das verheißt gutes Reisewetter, doch auch eine goldene Zukunft. Zwei Tage gemächlichen Reitens, und wir stoßen auf die Herden. Dann hindert uns nichts mehr –«

Ein Schuß erdröhnte von der Schluchtmündung herüber. Dicht an King Bobs Schulter vorbei flog die Kugel und schlug seitwärts in den Uferabhang ein.

»Verrat!« stieß King Bob mit der ganzen ihm innewohnenden Wildheit hervor, daß seine Stimme weithin durch das Thal schallte. Zugleich packte er die Zügel des anderen Pferdes, und: »Fort! Fort!« fügte er dringlich hinzu, als er Bells Bestürzung gewahrte, und unter heftig niederklatschender Fangleine und den Sporen die erschreckten Tiere zum Rennen anhetzend, »nach oben müssen wir – da giebt es keine Gefahr mehr!«

Stolpernd, gleitend und kletternd arbeiteten die Pferde sich auf dem schroff ansteigenden Erdreich empor.

Eine zweite Kugel sauste unter King Bobs Arm hindurch, und bis aufs Blut gestachelt und gegeißelt, strebten die Pferde, die letzte kurze Strecke bis zum Uferrande hinauf zu überwinden. Zugleich aber boten sie den verborgenen Schützen ein bequemeres Ziel. Der dritte Schuß folgte, doch erst nach einer Pause, als die Tiere die Hufe in den äußersten Rand des Abhanges einschlugen, und King Bobs mächtige Gestalt sich um so schärfer vor dem blauen Himmel auszeichnete.

Auf den Knall zuckte er zusammen. Sein Oberkörper neigte sich nach vorn. Trotzdem besaß er noch die Kraft und Besonnenheit, die Pferde zu einer letzten Anstrengung anzutreiben. Sie stürmten nach der Ebene hinauf; doch nur wenige lange Sätze legten sie zurück, als sie unter dem krampfhaften Griff der sie lenkenden Faust plötzlich stehen blieben, und King Bob mit den stockenden Worten: »Bell – es ist vorbei – wir müssen scheiden –« vom Sattel glitt und neben seinem Mustang liegen blieb.

Jetzt erst ermaß Bell, deren ganze Aufmerksamkeit es bisher erforderte, sich auf dem Rücken des Pferdes zu halten, den Umfang des auf sie hereingebrochenen furchtbaren Verhängnisses. Einen durch Mark und Bein dringenden Schrei stieß sie aus, und in der nächsten Sekunde warf sie sich über King Bob hin.


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