Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Siebtes Kapitel.

Nach dieser Begrüßung sah King Bob durchdringend in der alten Freundin lachende Augen, bevor er ihre Hand zögernd nahm, dann aber kräftig schüttelte.

»Obwohl du von jemand abgeschickt wurdest, mich hinterlistigerweise nach Hause zu schaffen, soll dein gutes altes Korporalsgesicht mir doch herzlich willkommen sein,« sprach er dabei übermütig; »wähnst du aber, daß es dir glückt, mich auch nur einen Schritt weit von hier fortzu- locken, so überschätzte ich bisher deine Schlauheit. Und erschiene dein seliger Knockhimdown selber mit 'ner vierspännigen Fuhre Subordination und Disziplin, um dir beizustehen, so müßte er unverrichteter Sache in seine himmlische Heimat zurückkehren.«

Triumphierend wendete Mutter Hickup sich mit den Worten an Bertrand: »Wie ich's voraussetzte, bei Gingo! Immer noch der alte Taugenichts: unverschämt, großmäulig und gottesfürchtig –«

»Bis auf die Disziplin,« warf King Bob, seiner wirklichen Gutmütigkeit nachgebend, ergötzt ein.

»Richtig, Junge, und wenn nicht mehr, so verstehst du wenigstens, unter deinen Rowdies der Disziplin ihr Recht zu verschaffen, und das beobachtete ich von da oben herunter. Nebenbei wäre dein ehrenwerter Vater der letzte gewesen, mir noch einen besonderen Auftrag an dich zu erteilen. Aber hier ist der Herr Bertrand, der kam von weit her, um dich ausfindig zu machen, ihm zuliebe versuchte ich's noch einmal mit dem Prairieleben, und bei Gingo! die alten Knochen bewährten sich ja noch so ziemlich.«

Den ruhigen Gruß Bertrands beantwortete King Bob mit einem flüchtigen Neigen des Hauptes. Dann betrachtete er ihn mißtrauisch, als hätte er die ihn beherrschenden Regungen aus seinen Zügen herauslesen wollen.

»Mich suchen Sie?« frage er achselzuckend. »Und von weit her kommen Sie? Vermutlich von der anderen Seite des Ozeans, wo ich geboren sein soll. Ist das wirklich der Fall, und da drüben kümmert sich noch jemand um mich oder wünscht gar meine Bekanntschaft zu machen, so möchte ich Ihnen in aller Freundschaft raten, Ihre Vorschläge für sich zu behalten. Im übrigen soll Ihnen sowohl, wie der Mutter Knockhimdown Gastfreundschaft erwiesen werden, so weit unsere Mittel reichen.«

»Deren bedürften wir nicht,« versetzte Bertrand, durch die formlose Begegnung verletzt, ablehnend, »währen wir im Besitz unseres Fuhrwerks geblieben –«

»Zum Henker, Mann, wer hieß Sie unsere Herden scheuchen?« fiel King Bob ein. »Seien Sie indessen unbesorgt; bevor die nächste Sonne lange über die Prairie schien, ist Ihr Wagen zur Hand mit allem, was drum und dran hängt.«

»Was ich bisher nicht bezweifelte,« erwiderte Bertrand etwas wärmer. »Liegt Ihnen aber nicht daran, aus Ihrer ursprünglichen Heimat zu hören, so kann mich das nicht hindern, der mir erteilten Aufträge mich zu entledigen.«

»Das lass' ich gelten, vorausgesetzt, Sie gehen mit Ihren Neuigkeiten nicht über das Maß einer munteren Plauderei hinaus,« erklärte King Bob nachlässig. Und lauter zu den das Feuer umlagernden Hirten: »Hallo, Boys! Hier sind zwei ehrenwerte Gäste, die verpflegt sein wollen. Wer so weit über die Ebene kam, ist nicht verzärtelt und nimmt vorlieb mit dem, was vorhanden.«

Nachdem er darauf zwei Decken vor dem Feuer ausgebreitet hatte, lud er die beiden Reisenden ein, sich niederzulassen.

Während Mutter Hickup nichts Auffälliges darin fand, daß der überseeischen Heimat King Bobs so ernst gedacht wurde, hatte Bertrand den jungen Hünen fortgesetzt aufmerksam beobachtet. Befremdete ihn kaum, daß er des alten King mit ausgeprägter Teilnahmslosigkeit gedachte, so neigte er andererseits zu dem durch seine Andeutungen begründeten Verdacht hin, daß er dennoch über seine Herkunft unterrichtet sei.

Bevor er diese Betrachtungen weiterspann, hob King Bob zu Mutter Hickup gewendet an: »Wenn jemand seinen Weg, und wäre er mit brennendem Pech und Schwefel gepflastert, überallhin zu finden weiß, so bist du es. Um aber auf den Ebenen jemand auszukundschaften, der mit seinen Herden bald hier, bald dort weilt, bedarf es schon eines verdammt schlauen Pfadfinders.«

»Richtig, Bob,« bestätigte Mutter Hickup arglos, »aber gesunder Menschenverstand ist oft mehr wert, als zwei Dutzend der feinsten Führer. Das sagte schon mein seliger Knockhimdown, als an dich überhaupt noch nicht gedacht wurde. Da war nämlich der Brief, in welchem du von deinem Schatz schriebst. Es gehörte also gerade nicht viel Scharfsinn dazu, um herauszurechnen, daß beim alten Howitt oder seiner Tochter Bell am sichersten Auskunft über dich zu erlangen sei –«

»Dort warst du samt deinem Gefährten?« fuhr King Bob sie grimmig an.

»Natürlich, Bob, und wir fanden in den Howitts recht umgängliche Leute. Wenn aber der alte Daniel, sobald er deinen Namen hörte, sein Gesicht verzog, als hätte er statt eines Schluckes Brandy ein Gläschen Scheidewasser über die Zähne gespült, so war seine Tochter um so mitteilsamer, das heißt hinter dem Rücken des queren Alten. Die beschrieb mir nicht nur umständlich den Weg auf hier, sondern gab mir auch 'nen Kompaß, den du selber für sie mit 'nem Merkmal versehen hattest – hier ist er –«

»Hölle und Verdammnis! Den vertraute sie dir an, trotzdem ich ihr gebot, ihn als ein Heiligtum zu betrachten und nie aus den Händen zu geben?« fuhr King Bob, seiner alten Freundin das unscheinbare Instrument entreißend, heftig auf.

»Immer sanft, mein Jüngelchen,« erwiderte Mutter Hickup kaltblütig, und den Tabaksbeutel hervorziehend, schickte sie sich an, ihre Pfeife zu füllen, »denn mich erschreckst du noch lange nicht. Und mit Wildheit hat mancher in fünf Minuten mehr verdorben, als zehn Sanftmütige in fünf Wochen wieder ausflicken konnten. Außerdem möchte es uns aber schwer geworden sein, ohne viele Umwege zu dir zu gelangen.«

»Sonst nichts?«

»Nur noch die besten Grüße soll ich dir bestellen, das raunte das arme Ding mir heimlich zu, und in seinem Namen beschwören, es baute so fest auf dich, wie auf das heilige Evangelium.«

King Bob seufzte tief auf. »Schon allein um des Grußes willen solltest du eine gute Aufnahme finden,« sprach er eigentümlich weich. »Steckt auch weiter nichts dahinter, so hast du sie wenigstens kennen gelernt, wirst daher in der Ordnung finden, daß ich nicht von ihr lasse, und böten sie mir auf der anderen Seite des Weltmeeres ein Königreich.« Ein funkelnder Blick aus seinen großen Augen traf Bertrand.

»Aber der quere alte Squatter, als ich begütigend auf ihn einredete, verschwor er sich in grausamer Weise, dich lieber gehangen zu sehen, als in dir ein Mitglied seiner Familie zu begrüßen.«

King Bob lachte grimmig auf. »Auch ich verschwor mich,« erwiderter er zähneknirschend, »und da soll sich erst ausweisen, wer von uns einen falschen Eid leistete. Doch davon will ich nichts mehr hören. Erzähle mir lieber, wie es Independence ergeht und deinem alten Kunstschlosser. Besaß er nie viel Zärtlichkeit für mich, so mag ich's verschuldet haben,« und ein Ausdruck unheimlichen Hohnes trat auf seine Züge, »aber nimmermehr werde ich vergessen, daß ich ihn so lange Vater nannte, und er seinen Sohn in gutem Brot erhielt.«

»Independence schickt dir ebenfalls die besten Grüße, und zehnmal hätte sie heiraten können, aber sie will nicht,« nahm Mutter Hickup wieder das Wort, und verstohlen sandte sie dem jungen Hünen einen Blick bitteren Vorwurfs zu. »Was aber deinen Vater anbetrifft, bei Gingo! der sitzt nach wie vor bei seiner Schlosserei, und die Dollars rieseln nur so in seine Tasche, wie die Tropfen aus 'ner lecken Dachrinne bei 'nem mäßigen Regenguß. Kämest du zu ihm als ein reuiger Sohn –«

»Zum Satan mit deiner Weisheit, alter Drache! Bei mir giebt's nichts zu bereuen, und denjenigen gesunden jungen Burschen möcht' ich kennen lernen, der, sofern er eine herzhafte Natur besäße nicht mancherlei auf dem Kerbholz hätte. Und gar heimkehren? Ich, der ich nicht nur als König angeschrieen werde, sondern auch ein Leben führe wie ein König? Hast du also noch irgend welche Vorspiegelungen im Hintergrunde, so erspare alles für jemand, der empfänglicher dafür ist; denn ich für meine Person verweigere alles im voraus, um das du mich angehen könntest.«

Solange er unbeachtet blieb, hatte Bertrand keinen Blick von dem trotzigen Vaquero gewendet. Wohl begriff er, daß der ihm innewohnende Starrsinn unbeugsam, seine Liebe zu Bell Howitt sogar den Regungen eines Jaguars ähnlich, der in blinder Todesverachtung seine Partnerin verteidigt, und doch fühlte er sich verpflichtet, nicht von ihm zu scheiden, ohne wenigstens den Versuch gewagt zu haben, ihn zur Gesittung zurückzuführen und für das vorzubereiten, wozu jene Wolfrade Ecke ihn, von heiligem Willen durchdrungen, auserkoren hatte. Wie und wann er sein peinliches Werk zu beginnen habe, ahnte er nicht, hoffte aber, während seines Aufenthaltes unter den Vaqueros Bobs Vertrauen hinlänglich zu gewinnen, um ihn wenigstens zugänglich für seine Enthüllungen zu machen. Willkommen war ihm daher, daß King Bob dem Gespräch plötzlich eine andere Wendung gab, indem er finster bemerkte:

»Es ist nicht unmöglich, daß Bell Ursache findet, sich zu mir zu flüchten. Wie aber soll sie den Weg, nachdem sie den Kompaß aus den Händen gab, über die pfadlose Prairie finden? Das hätte sie bedenken und dich lieber sechs Monate in der Wildnis umherirren lassen sollen.«

»Womit mir wenig gedient gewesen wäre,« erklärte Frau Hickup, »aber auch dir und dem Daniel Howitt samt seinem Mädchen, behaupte ich. Danken werdet ihr es mir dagegen wie meinem Kameraden Bertrand, daß wir dir eine Botschaft zutrugen, die zu übernehmen das Ding, die Bell, ungeachtet ihres mannhaften Willens, weder Zeit noch Gelegenheit gefunden hätte. Denn da oben hat sich seit deiner Anwesenheit vieles geändert, das soll ich dir ausdrücklich von dem Mädchen bestellen, und das sah nicht aus, wie eine, die sich kein Gewissen daraus macht, ehrliche Leute auf eine Wildgänsejagd zuschicken. Der junge Mann hier ist aber ein lebendiger Zeuge dafür, daß nicht viele Tage vergehen, bevor da oben Nüsse geschüttelt werden, die aus gutem weichen Blei in Formen gegossen, wie mein seliger Knockhimdown es nannte –«

»Zum Henker mit deinem seligen Knockhimdown,« unterbrach King Bob ihren Redefluß polternd, »schwebt Unheil in der Luft, so schreie es klar herunter von deinem Gewissen, anstatt Umwege zu beschreiben, wie ein verirrtes Kind im ersten Schnee.«

»Da rede einer, wenn ihm um jede Kleinigkeit unversehens das Garn abgeschnitten wird,« fuhr die Alte unbeirrt, jedoch in einer Anwandlung von Aerger fort. »Auch erlebte ich noch nie, daß ein vernünftiger Mensch seine Erzählung am Ende anfing und sich rückwärts durcharbeitete, behaupte ich. Also Geduld, mein Jüngelchen, und sperr deine Ohren auf, oder wir werden bis morgen früh nicht fertig. – Also: Eine Stunde Weges betrug es noch bis zur Farm des alten Daniel Howitt, und gemächlich trotteten die Mähren auf dem ebenen Prairierande einher. Seitwärts von uns erstreckte sich das Thal des Smoky-Hill-Fork, so daß wir die Augen nur rechts zu nehmen brauchten, um es weit aufwärts und abwärts zu überblicken. Es war um die Mittagszeit, und schon längst hatten wir mehrere schwache Rauchsäulen beobachtet, die unstreitig von Kochfeuern herrührten. Verwunderlich war mir das von Anbeginn; als wir aber gegenüber eintraten, da hatten wir 'ne freie Aussicht auf ein richtiges Feldlager, in dem mindestens anderthalb Dutzend Männer umherlungerten oder sich vor den Feuern zu schaffen machten. Auch ein einzelnes Zelt stand da, und Pferde weideten in der Nachbarschaft. Aber die Männer – bei Gingo! – das war eine Sorte, so viel wir zu unterscheiden vermochten, von denen mein seliger Knockhimdown behauptet hätte, daß sie keinen Schuß Pulver wert seien und daher einige Fouragierleinen für den kleinen Dienst genügt hätten. Ich sprach eben meine Meinung darüber aus, daß die Bande wohl zu den Dienstleuten der Sklavenmänner gehöre, als einer der wüsten Gesellen ein Pferd herbeiholte und sattelte. Bevor der Lump aufstieg, trat ein Mann in breitem Strohhut zu ihm heran. Auch war er gekleidet wie jemand, der vertrauter mit staubigem Straßenpflaster, als mit rechtschaffenem Prairieboden. Nur wenige Worte redeten sie mitsammen. Dann trieb der Reiter sein Pferd an und hielt 'ne Richtung, die ihn zu uns führen mußte. Obwohl ich ihm keinen hinterlistigen Angriff zutraute, machten wir uns doch schußfertig; denn Vorsicht ist besser, als zu spät eine Faust aufs Auge. Wir gaben uns indessen das Ansehen, den Strolch nicht zu bemerken, achteten auch nicht auf seinen Ruf, als er nähertrabte und uns aufforderte, anzuhalten. Endlich traf er neben uns ein, bei Gingo! – ein Kerl, den man nur aufzuspießen brauchte, um ihn in die feinste Vogelscheuche umzuwandeln, die je ein reifes Gerstenfeld gegen das Auspicker der Körner schützte, und dazu ein ganzes Arsenal von Waffen auf seinem ruchlosen Körper.

»Straf mich Gott,« rief er uns mit frechem Lachen zu, »wenn ich nicht eher des Teufels Großmutter unter dem Linnendach vermutet hätte, als 'ne Lady aus den Staaten!«

»Aber eine Lady, die es versteht, einem rohen Gesellen das ungewaschene Maul zu stopfen, sofern er es an dem gebührenden Anstande fehlen läßt,« antwortete ich stolz, und zum Beweise meines kalten Blutes pinselte ich mit der Peitschenschnur die Bremsen vom Rücken der Gäule.«

Der Strolch besann sich eine Weile, lachte abermals häßlich auf und meinte: »Des Henkers will ich sein, wenn Ihre Rede mir nicht besser gefällt, als das Gewinsel des hübschesten Mädchens, das sich beim Anblick eines ehrenwerten Prairiereisenden entsetzt.«

»Des Henkers werden Sie früh genug sein, und dann ist das Winseln an Ihnen,« gab ich zurück.

»Das hindert nicht, ein kleines Handelsgeschäft mit Ihnen abzuwickeln, wenn Sie doch einmal der Vormann sind. Da betrachte ich den Gaul da neben dem Handpferd und mein', es sei zu schade, um wie 'n gemeiner Zugochse vor den Wagen gespannt zu werden. Daher schlage ich aus reiner Barmherzigkeit vor, mir das Vieh zu überlassen. Ich biete Ihnen dafür meinen Vollblutpony. Legen Sie noch fünfzig Dollars drauf, so gelangen Sie in den Besitz des feinsten Renners, der je an hartem Prairiegras seine Zähne stumpf feilte.«

Flüchtig sah ich auf den Schatten von ausgedörrter Mähre, die bereits ihre vier Wochen im Rauchfang gehangen zu haben schien, und erklärte dem schuftigen Wegelagerer mit aufrichtiger Verachtung: »Ein zu feines Geschäft, um viel darüber zu reden. Ich gebe Ihnen aber zu bedenken, daß Sie nur die Hand auf den Zügel des Tieres zu legen brauchen, um zu erleben, daß in der nächsten Sekunde genug Sonnenschein seinen Weg in Ihren sündhaften Rumpf hineinfindet, um ihn als Laterne aufhängen zu können.«

Dazu lachte der Unhold wieder lästerlich, mochte aber begreifen, daß mit einer Korporalswitwe nicht zu spaßen sei. Denn er sandte einen Blick nach dem Lager hinüber, worauf er unter das Verdeck fragte:

»Da weiter keine Ansiedler in der Nachbarschaft hausen, rechne ich, ihr befindet euch auf dem Wege zum Daniel Howitt?«

»Ob Sie's nicht kümmert, sehe ich doch keinen Grund, es nicht zu bekennen: Ja, unser Besuch gilt dem ehrenwerten Howitt,« sagte ich herausfordernd.

»Gut,« erwiderte er, »da können Sie mir wenigstens einen Weg ersparen.« Darauf zog er einen Brief aus der Tasche, und den warf er mir auf den Schoß, wozu er etwas höflicher bemerkte: »Der wurde mir von einem Gentleman übergeben, auf daß ich ihn dem Howitt einhändige, und zwar mit der Bemerkung, es würden zu seiner Zeit Leute kommen und die Antwort abholen. Es soll sehr Wichtiges drinnen stehen. Verlieren Sie ihn also nicht,« und dabei verzerrte das Grinsen eines Alligators sein wüstes Gesicht.

»Den Brief soll er haben,« erklärte ich nunmehr gemächlich, »und da es für Sie hier nichts weiter zu holen giebt, rat' ich Ihnen, so schnell wie möglich dahin zu reiten, wo Sie zu Hause gehören.«

Was jetzt noch folgte, waren Komplimente, die nicht nach Ladies- parlours dufteten, ihn aber bewogen, umzukehren. Ich selbst dagegen trieb unsere Tiere ebenfalls schärfer an und verkürzte uns die Zeit, indem ich mit meinem Kameraden die Angelegenheit nach allen Seiten beleuchtete.«

»Aber der Brief, alter Hausdrache, der Brief, in des Teufels Namen, was hat es mit dem auf sich, daß du so viel Staub um ihn aufwirbelst?« fragte King Bob, der immer wieder mit seiner Ungeduld kämpfte.

»Selbstverständlich händigte ich ihn dem Daniel Howitt ein,« versetzte Frau Hickup, »doch erst nachdem wir mit ihm und seiner ganzen Familie ordentlich bekannt geworden waren. Bevor der ihn aber öffnete, drehte er ihn eine Weile zwischen den Fingern, als war's ein falscher Dollar gewesen. Dann gab er ihn an meinen Freund hier, wobei er mürrisch eingestand:

»Mit dem Lesen von Geschriebenem geht's mir schlecht von Händen, und das beeinträchtigt das Verständnis,« sagte er; »dankenswert wär's daher, wollten Sie mir den Inhalt kundthun. Hab' ich doch keine Geheimnisse, die ich vor den Leuten verborgen halten müßte.«

So ungefähr sagte er, und da Herr Bertrand seinen Wunsch erfüllte, wird er dir am besten wiederholen können, was in dem Wisch drinnen stand.«

King Bob richtete die vor Spannung funkelnden Augen auf Bertrand; doch bevor er fragte, hob dieser an:

»Der Inhalt lautete etwa folgendermaßen: »Lieber Daniel Howitt! Von dem ernsten Willen durchdrungen, in Frieden und Freundschaft mit Ihnen mich auseinanderzusetzen, gebe ich Ihnen zehn Tage Zeit. Bis dahin können Sie meinen Grund und Boden bequem geräumt haben. Eine entsprechende Entschädigungssumme für Gehöft, Einfriedigungen und Aussaat zahle ich gern, nachdem auch Sie durch freundschaftliches Entgegenkommen Ihren guten Willen bewiesen haben. Ein schneller Entschluß ist um so ratsamer, weil ich den so lange von Ihnen widerrechtlich ausgebeuteten Boden bereits an andere vergab, die ungeduldig darauf warten, den Besitz anzutreten. Ich setze voraus, Sie sind ebenso geneigt wie ich selber, Mißhelligkeiten, deren Verlauf nicht absehbar, zu vermeiden. Mit bestem Gruß. Baxter.«

Eine Nachschrift war beigefügt, die wie Hohn klang,« endigte Bertrand, in der Erinnerung noch entrüstet, »ich wüßte wenigstens nicht, wie ich es anders bezeichnen sollte, wenn es am Schluß der unzweifelhaft feindseligen Kundgebung heißt: »Mein Freund Margin, von aufrichtiger Teilnahme beseelt, sendet Ihnen und allen den Ihrigen, besonders aber Ihrer schönen und energischen Tochter seine herzlichsten Grüße und Wünsche.«

So lange hatten King Bobs Blicke mit einer Spannung an Bertrands Lippen gehangen, die ihm fast den Atem raubte. Das letzte Wort der Nachschrift war indessen kaum verklungen, als er durch einen wütenden Fußtritt einen Funkenregen emporsendete. Dann, seine Erregtheit mit äußerster Gewalt unterdrückend, fragte er unheimlich ruhig: »Das alles stand in dem Brief?«

»Alles; wenn auch nicht ganz genau wörtlich, so doch dem Sinn nach,« bestätigte Bertrand.

»Auch der Gruß an das Mädchen?«

»Keine Silbe fügte ich hinzu. Unter dem Eindruck des Ungehörigen mußte er sich meinem Gedächtnis um so fester einprägen.«

»So segne ich die Stunde, in der Sie beide beim Daniel Howitt vorsprachen, und tausendfach das kluge Mädchen, das Ihnen die Mittel an die Hand gab, mich aufzufinden. Jetzt sagen Sie: Wie lange blieben Sie dort, und wie lange waren Sie unterwegs?«

»Nur einen Tag rasteten wir, dann folgten drei und ein halber Tag scharfen Fahrens,« antwortete Mutter Hickup mit einem Blick zärtlicher Bewunderung auf ihren Liebling.

»Gut,« versetzte dieser, »so ist es noch nicht zu spät. Soll Howitt samt den Seinigen nicht einer verruchten Raubbande zum Opfer fallen und mit dem nackten Leben auf die Prairie hinausflüchten, so müssen wir einschreiten. Dieser schurkische Baxter und sein verbrecherischer Genosse Margin! Verdammt! Ich lernte beide kennen, und schon damals zuckte es mir in den Armen, daß ich sie von den Sätteln hätte herunterreißen und zertreten mögen. Doch wir begegnen uns vielleicht noch; dann aber wollen wir erproben, auf wessen Seite das Recht liegt, ob auf ihrer, die da einen hart arbeitenden rechtschaffenen Ansiedler um des schwarzen Sklavenviehs willen fürs Verderben bestimmten, oder auf der Howitts, der bereit ist, die Früchte vieljährigen schweren Schaffens nachdrücklich zu verteidigen.«

»Und hinter regelrechten Palissaden obenein,« fügte die tapfere Korporalswitwe entschlossen hinzu, »und die sah ich mit meinen leiblichen Augen, und mit meinen leiblichen Ohren hörte ich, wie der Daniel Howitt sich schwor, lieber mit allen den Seinigen sich unter den brennenden Balken seines Hauses zu begraben, als gutwillig einen Verrat zu dulden, wie er nicht schwärzer und niederträchtiger von den südstaatlichen Senatoren ersonnen und von einem gewissenlosen Präsidenten gutgeheißen werden konnte.«

Finster starrte King Bob vor sich in die Flammen. Den Ausbruch der kriegerischen Begeisterung seiner alten Freundin schien er nicht gehört oder beachtet zu haben. Aber in seinem Inneren wogte es feindselig. In dem heftig geröteten Gesicht prägte sich aus, wie er die verhaßten Feinde sich vergegenwärtigte, vor ihm im Staube sich wälzend, händeringend um ihr fluchbelastetes Leben flehend, um dann unter seinen eisernen Fäusten zu verenden. Mit heimlicher Scheu überwachte Bertrand ihn. Meinte er in dem einen Augenblick, nie einen Mann gesehen zu haben, der mehr die Urkraft eines Recken verbildlichte, der neben der zwar verwitterten und bestaubten, jedoch bestechenden äußeren Erscheinung gewisse Regungen der Ritterlichkeit durchblicken ließ, so zitterte er gleich darauf wieder bei dem Gedanken, ihn, vielleicht notdürftig mit den Farben höherer Gesittung übertüncht, in die ihm geöffnete Stellung eintreten zu sehen. Seinen Ideengang förderte King Bob, indem er plötzlich wiederum mit einer wilden Verwünschung die flackernden Feuerbrände durcheinander stieß. Damit schien indessen seine volle Kaltblütigkeit zurückgekehrt zu sein, denn frostig klang seine Stimme, indem er anhob:

»Ich will dem Daniel Howitt beweisen, daß seine bösen Reden mich nicht abhalten, ihm meinen Kopf und meine Arme – ja, mein bestes Herzblut zu Diensten zu stellen. Ich will redlich versuchen, seine gute Meinung zu gewinnen. Ist aber auch das vergeblich, dann sollen Himmel und Hölle mir nicht wehren, mit List oder Gewalt mir das anzueignen, was zu mir gehört.«

Weder Bertrand noch Frau Hickup antworteten. Wie eine Erleichterung erschien ihnen, als ein junger Vaquero auf einer Blechschüssel und in einer rußigen Kanne die zubereiteten Speisen herbeitrug und vor ihnen auf dem Rasen ordnete. Gleich darauf erhob King Bob sich, um ein Fläschchen Branntwein herbeizuholen. Zuvorkommend lud er seine Gäste zum Essen ein. Aus Höflichkeit beteiligte er sich an dem Mahl. Alles Vorhergegangene hatte er gewissermaßen aus seinem Gedächtnis gestrichen. Scharfsinnig herausfühlend, daß Bertrands Stimmung wenig geeignet zu einer heiteren Unterhaltung, vertiefte er sich mit seiner alten Freundin in ein Gespräch über vergangene Zeiten. Dabei gelangten Eigentümlichkeiten beider zur vollsten Geltung. Bald auf der einen, bald auf der anderen Seite riefen sie herzliches Lachen hervor. In der Werkstätte des alten Kunstschlossers hätten sie nicht sorgloser miteinander verkehren können, als hier in der unbegrenzten nächtlichen Wildnis.


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