Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Zehntes Kapitel.

Zwei Tage waren verstrichen, und seit vierundzwanzig Stunden schlief Adam in seinem Grabe auf dem Prairierande. Mit peinlicher Spannung sah man auf Howitts Farm der Ankunft der beiden angemeldeten Kolonisten entgegen. Trotzige Zuversicht beseelte alle, prägt sich sogar in den Zügen des vierzehnjährigen Knaben aus. Der Vater hatte den Entschluß offenbart, Gewalt mit Gewalt zu begegnen, und das galt jedem als heiliges Gebot. In der Ueberzeugung, frevelhaft hintergangen worden zu sein, konnte nichts seinen Willen erschüttern, das ihm hinterlistig verkürzte Recht bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen. Seine Hoffnung auf Erfolg begründete sich darauf, daß auch die Bevölkerung der Nordstaaten sich rüstete, durch Entsenden achtbarer Ansiedler bei Gelegenheit der Abstimmung über die Verfassungsfrage den Horden der Sklavenbarone nicht nur das Gleichgewicht zu halten, sondern sie auch zu besiegen.

Jetzt war es eine Stunde nach Mittag. Ein Teil der streitbaren Bewohner der Farm befand sich auf dem Hofe, während die anderen die weidenden Pferde und Rinder bewachten, als hinter der Waldspitze hervor zwei Reiter auftauchten und die Richtung auf das Gehöft zu einschlugen. Mit sich führten sie an Leinen jeder ein beladenes Packpferd. Bei ihrem ersten Erscheinen hatte Howitt die Palissaden verlassen und sich vor der noch offenen Einfahrt autgestellt. Bei ihm befanden sich Ben und Daniel, sein dritter Sohn, ein kraftvoller zwanzigjähriger Bursche. Innerhalb der Umzäunung weilten Arrowmaker und Rabbit. Die Aufmerksamkeit der jungen Männer wechselte zwischen den Fremden, durch die sie verdrängt werden sollten, und dem Vater, dessen hageres Antlitz in gefährlicher Entschlossenheit sich versteinert hatte. So viel sie zu unterscheiden vermochten, sprach das Aeußere der Reiter für das Gewerbe ehrbarer Ackerbauer. Zwar mit Büchsen bewaffnet, erzeugten sie durch Haltung wie Bekleidung doch den Eindruck friedliebender Männer. Sie waren unterdessen auf etwa anderthalbhundert Ellen herangekommen, als Ben plötzlich eine wilde Verwünschung zwischen den aufeinander knirschenden Zähnen hervorstieß. Gespannt sah Howitt auf ihn hin. Er gewahrte, daß sein Gesicht sich entfärbt hatte, seine Augen in unbezähmbarer Leidenschaftlichkeit glühten.

»Und dennoch derselbe Mann, den sie Doktor nannten, der Mörder unseres Adam,« sprach er gedämpft. »Ich erkenne ihn trotz des schwarzen Rockes, den er überstreifte – nein, kein anderer ist es.« Auf seinen Ruf eilte der junge Mandane herbei. »Rabbit,« fragte er mit seltsam gedämpfter Stimme, »sag mir, ob meine Augen blind geworden sind. Wer kommt dort?«

»Der Hund, der deinen Bruder niederschoß,« antwortete Rabbit, sich Howitt zukehrend.

»Ist es wirklich wahr?« fragte dieser beinahe tonlos, während es in seinem Gesicht unheilverkündend aufleuchtete.

»So wahr, wie ich dein Sohn bin,« beteuerte Ben.

Howitt seufzte tief auf. Wie im Uebermaß der Erregung entwand sich seiner Brust röchelnd:

»Gott sei Dank, so brauche ich noch nicht an der Gerechtigkeit des Himmels zu zweifeln.« Dann zu seinen Söhnen gewendet: »Achtet auf mich. Verratet keine Gehässigkeit, aber haltet euch bereit. Ben, du bleibst hier. Ihr anderen geht und rüstet euch mich Schlingen aus. Sage ich: »Vorwärts in Gottes Namen!« so wißt ihr, was ihr zu thun habt.« Die Fremden waren bis auf fünfundzwanzig Schritte herangekommen. Howitt fand nur noch Zeit, zu fragen: »Welcher ist es?«

»Der im schwarzen Rock und mit dem schiefen Blick,« antwortete Ben fest.

»Einen guten Gruß zu euch,« redete der eben Bezeichnete, heranreitend, den Squatter vertraulich an, und mit dem letzten Wort schwangen die beiden Genossen sich aus den Sätteln. »Mein Name ist Doktor Harveß. Es thut mir leid, wenn ich ungelegen erscheine, allein das Hemd ist dem Menschen verdammt viel näher, als der Rock. Da möchte ich Sie denn ohne Umschweife ersuchen, sofern Sie der Daniel Howitt sind, Haus und Hof mir als mein Eigentum zu übergeben. Hier ist der Kontrakt, der zugleich als Ausweis dient,« und er streckte dem Alten ein zusammengefaltetes Papier entgegen. »Möchten Sie indessen noch einen oder zwei Tage bleiben, um sich mit aller Bequemlichkeit zum Abzug zu rüsten, soll's mir recht sein. Wir sind keine Unmenschen, und vertragen werden wir uns wohl so lange unter demselben Dach.«

Während Doktor Harveß mit einer gewissen Ueberstürzung diese Ansprache hielt und dabei immer wieder den Blicken Howitts auffällig auswich, hatte dieser anscheinend empfindungslos dagestanden. Wie mit einem Meißel tief ausgeschnitten, zeichneten die doppelten Furchen zu beiden Seiten des Mundes sich aus. Die Lippen verschwanden fast vor der Gewalt, mit der er sie seine Erbitterung knechtend, aufeinander preßte. Starr und doch unheimlich scharf blickten seine Augen unter der gerunzelten Stirnhaut hervor. Den Mörder seines Sohnes vor sich zu sehen, zu hören, wie er gleißnerisch seinen guten Willen anrief, war mehr, als er zu begreifen vermochte. Zu unfaßlich, zu unnatürlich erschien ihm eine derartige, in einem verstockten Gemüt wurzelnde Frechheit. Da er nicht antwortete, die beiden Abenteurer aber nicht blind dafür waren, wie es in seinem Inneren wogte und kämpfte, nahm des Doktors Begleiter das Wort:

»Muntert Euch auf, alter Gentleman,« bemerkte er leichtfertig, »sind Sie doch nicht der einzige, der in solche Ungelegenheit gerät, und wir wären die letzten, obwohl das Recht auf unserer Seite liegt, unbillig zu verfahren.«

»Nicht der einzige,« gab Howitt eintönig zu und wies mit einer ablehnenden Handbewegung den Kontrakt zurück, »auch mache ich eure Personen nicht verantwortlich dafür, daß Baxter und Margin, diese ausgefeimten Schurken, mir hinterrücks mein Recht stahlen,« und um seinen Söhnen Zeit zu verschaffen, sich mit der vor ihnen liegenden Aufgabe einigermaßen vertraut zu machen, fügte er nachdenklich hinzu: »Wissen möchte ich wohl, wie hoch Sie die an mich zu zahlende Entschädigungssumme berechnen.«

»Nun, alter Gentleman,« entgegnete der Doktor bereitwillig, wir wurden beauftragt, mit unserem Angebot bis auf zweihundert Dollars zu gehen und nicht darüber hinaus.«

»Zweihundert Dollars,« wiederholte Howitt verwundert, und um sich von der Nähe seiner Söhne und Rabbits zu überzeugen, sah er wie ratlos um sich, »also für zweihundert Dollars soll ich die Gebäude hier errichtet, die Einfriedigungen gezogen und die Aecker unter den Pflug gebracht haben? Das nenne ich eine harte Zumutung. Doch was stehen wir hier? Jungens, nehmt die Pferde und führt sie in den Schuppen. Sie haben keinen Anteil daran, wenn es uns schlecht ergeht; da soll wenigstens ihnen Gastfreundschaft erwiesen werden.« Seine Blicke flogen von Auge zu Auge, um sich zu vergewissern, daß sein versteckter Befehl verstanden wurde. Gleich darauf befanden die jungen Leute sich zwischen den beiden Fremden und ihren Pferden. Wie Messerklingen funkelte es aus den Augen des erbitterten alten Squatters, indem er deren Bewegungen heimlich überwachte, wogegen die Aufmerksamkeit seiner mißtrauischen Bedränger ihm ausschließlich zugewendet war. Er sah, daß hinter deren Rücken geöffnete Schlingen zum Vorschein kamen, hörte, wie die Burschen schmeichelnd zu den Pferden sprachen, und ruhigen, unbeweglichen Antlitzes gebot er:

»Säumt nicht, Jungens. Vorwärts, in Gottes Namen!«

Bei dem letzten Wort fielen zwei Schlingen über die Köpfe der Fremden, und bevor diese begriffen, was mit ihnen vorging, lagen sie auf dem Rücken, krampfhaft um sich schlagend und vergeblich nach Luft ringend. Jeder Versuch, sich zu erheben oder die Schlingen vom Halse zu lösen, hatte zur Folge, daß diese sich fester zuzogen und sie, außer widerwärtigem Krächzen, keinen Laut hervorzubringen vermochten.

Doch auch Howitt war plötzlich regsam geworden, und so dauerte es nur wenige Minuten, bis die beiden verbrecherischen Sendlinge einer verbrecherischen Genossenschaft an Händen und Füßen scharf gefesselt dalagen. Auf einen Wink des seine Kaltblütigkeit jederzeit bewahrenden Squatters wurden die um ihren Nacken geschlungenen Leinen so weit gelockert, daß ihnen wenigstens der Atem nicht versagte; dann aber schrieen sie, schäumend vor Wut, über Verrat, von dem sie wähnten, daß er nur den verhaßten Eindringlingen gelte.

Da hob Howitt die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und von bösen Ahnungen beschlichen lauschten die Gefesselten, als er mit feierlichem Ausdruck begann:

»So wahr, wie ich bereit bin, mein Leben für jeden Hilfsbedürftigen einzusetzen, so wahr wird mein Thun von demjenigen nicht als Verrat gerechnet, der euch in meine Hände gab. Der Herr hat euch geschlagen, und ich bin nur ein elendes Werkzeug in seiner Hand –«

Was er hinzufügen wollte, wurde übertönt von neuen Wutausbrüchen. Wilde Drohungen einten sich mit Verwünschungen, was indessen keinen anderen Erfolg hatte, als daß Howitt die Knoten der Fesseln bedachtsam prüfte. Des Doktors von tierischen Leidenschaften ohnehin gezeichnetes Gesicht hatte sich grauenhaft verzerrt. Die Leichenfarbe, die nach dem Zurücktreten des wieder frei kreisenden Blutes sich über dasselbe ausgebreitet hatte, wie die verstörten Blicke zeugten dafür, daß er seine Lage nicht unterschätzte. Heiser klang seine Stimme, als er, gefoltert von seinem belasteten Gewissen, nach der Ursache der hinterlistigen Ueberwältigung fragte, wogegen sein Genosse in wahrer Raserei immer neue Flüche auf die Häupter der ihn Umringenden herabbeschwor. Niemand antwortete. Erst nachdem Howitt seine Opfer eine Weile mit eiserner Ruhe betrachtet hatte, rief er Ben und Rabbit neben sich hin.

»Ben,« redete er seinen Sohn finster an, »zeige mir den Mörder deines Bruders und rufe den Allmächtigen zum Zeugen an, daß du keinen Irrtum begehst.«

»Der ist es,« antwortete Ben, auf den Doktor weisend, »hinterrücks erschoß er deinen Sohn, so wahr mir Gott helfe!«

»Rabbit,« hieß es weiter, du kennst nicht die Bedeutung eines christlichen Eides, aber du kennst Wahrheit. Jetzt sage: Ist der da der Mörder unseres Adam?«

»Derselbe Mann,« erklärte Rabbit mit überzeugendem Ausdruck.

»Lüge! Alles Lüge!« schrie der Doktor in seinem Entsetzen auf. »Ich bin unschuldig – ich kenne Ihren Sohn nicht – sah ihn nie – Beweise, Beweise –«

Er verstummte, als Ben vor ihn hin trat und haßerfüllt anhob: »Keine fünfzig Ellen weit lagen der Mandane und ich hinter dir im Gebüsch verborgen. Du standest vor dem Ermordeten und betrachtetest ihn. Kamen deine fünf Genossen nicht mit dem Pferde, so hätte ich dich neben dein Opfer hingestreckt. Ist das nicht Beweis genug, aber soll ich wiederholen, was deine Raubgenossen zu dir sagten und du antwortetest?«

Bei dieser Ankündigung schienen die Augen des Elenden ihre Höhlen verlassen zu wollen. Er war so bestürzt, so vollständig niedergeschmettert, daß ihm die Stimme versagte. Erst als Howitt befahl, die beiden Genossen über die Pferde zu hängen und an die Sättel festzuschnüren, ermannten sie sich wieder zu sinnlosen Vorstellungen und Wutausbrüchen. Doch ob der Doktor die Rache des Himmels und der Hölle auf Howitt und die Seinigen herabbeschwor, der andere unablässig seine Unschuld beteuerte: sie begegneten nur düsterem Schweigen und feindseligen Blicken.

Bis zur Ohnmacht lähmte dann wieder ihre Zungen, als Howitt seine Söhne beauftragte, einige Schaufeln und Hacken mit auf den Weg zu nehmen. Ausdruckslos klang dabei seine Stimme, wie von einer künstlich belebten Maschinerie erzeugt. Er hätte seine Wirtschaftsanordnungen nicht kaltblütiger treffen können. Weder Mitleid noch Barmherzigkeit fanden in seiner Brust Raum. Seit frühester Kindheit, und die entfiel auf die Zeiten blutiger Kämpfe der Ansiedler mit den Eingeborenen, daran gewöhnt, mit der Büchse auf dem Rücken hinter dem Pflug einherzuschreiten, hatte die granitene Hinterwaldnatur sich in ihm ausgebildet. Da, wo es ihm von keinem anderen gewährleistet wurde, verschaffte er, unbeugsam in seinem Willen, sein Recht sich selber. So hatte er es von seinem Vater gelernt, so war es den eigenen Söhnen, sobald sie Verständnis dafür besaßen, von ihm selbst eingeprägt worden. Gottesfürchtig und zähe in seinen tiefgewurzelten Anschauungen, betrachtete er sich in den gesetzlosen Wildnissen gewissermaßen als das verkörperte Gesetz, dem freier Lauf gelassen werden mußte.

Von Grauen erfüllt sahen Bell und ihre Mutter, denen auf des Vaters Geheiß die beiden jüngsten Söhne sich zugesellt hatten, dem unheimlichen Zuge nach, als er die Richtung nach dem Waldesvorsprung einschlug. Doch auch sie befanden sich zu sehr unter dem strengen Einfluß der beherrschenden Gewalt des Gatten und Vaters, als daß sie hätten wagen dürfen, milden Regungen nachgebend, ihr Stimmen vermittelnd zu erheben.

Die gezwungene peinvolle Lage der beiden Verbrecher, die ihrer Begleitung nur noch als Sachen galten, hinderte sie, mit ihren Kundgebungen über wütendes Aechzen, Stöhnen und dazwischen gestreute Flüche hinauszugehen. Ihr Grausen wurde dadurch auf den Gipfel gesteigert, daß niemand sie beachtete oder einen Laut von sich gab. Vor der Waldecke eingetroffen, sah Howitt noch einmal zurück. Das Gehöft, wo, wie er wußte, bange Augen nach ihm ausschauten, befand sich noch in seinem Gesichtskreise, und weiter schritt er voraus, bis Baum und Strauch sich zwischen ihn und die gefährdete Heimstätte schoben. Wiederum spähte er um sich. Mehrere vereinzelte Eichen, die abgesondert von dem Gehölz standen, wählte er zu seinem Ziel. Auf seinen Wink wurden die Gefesselten von den Sätteln gelöst und einander gegenüber jeder am Fuße eines Baumes niedergesetzt. Dann bezeichnete er in der Entfernung weniger Schritte eine Stelle, auf der seine Söhne alsbald den Rasen auszustechen und die Erde aufzuwühlen begannen. Eine halbe Stunde ging damit hin, und als die Burschen sich so tief in den nachgiebigen Wiesenboden hineingearbeitet hatten, daß nur ihre Köpfe noch hervorragten, gebot Howitt, innezuhalten.

Eine Weile hatten die Gefangenen noch unter äußerster Anstrengung gewütet und getobt, bis Erschöpfung und Grauen sie übermannten. Indem sie wie geistesabwesend auf die ausgeworfene schwarze Erde hinstierten, war es, als hätte das Leben sie bereits verlassen gehabt. Erst als die jungen Männer die Grube verließen, trat Howitt vor den Mörder hin. Dieser sah mit verglasten Augen zu ihm auf. Tödliche Spannung verriet sich in denen seines Raubgenossen. Die vorwiegende dumpfe Stille, die finster verschlossenen Physiognomien wie die geschäftsmäßig getroffenen Vorbereitungen waren für beide gleichbedeutend mit hundertfachem qualvollem Sterben.

»Wochen ist es her, da stahlt ihr eines meiner Rinder,« begann Howitt in kaltem Erzählerton, »ich hätte es verzeihen können, rechne ich, weil vielleicht Not bei euch eingekehrt war. Auch der Raub des zweiten wäre von eurer Seite mit gutem Willen auszugleichen gewesen. Denn sollte jemand wegen Diebstahls hängen, so hätte es von Rechts wegen euren schurkischen Auftraggebern, dem Baxter und dem Margin, gebührt, die wohl hundertmal den Galgen verdienten. Die aber waren zu schlau. Sie verstanden es, die Köpfe aus den Schlingen zu ziehen und die anderer hineinzustecken. Da erschossest du meinen Sohn meuchlings aus dem Hinterhalt, ein unschuldiges junges Blut, das weiter nichts verbrach, als daß es dich bei der gestohlenen und geschlachteten Kuh überraschte. Ein Rind kann ersetzt werden, ein Meuchelmord dagegen nimmermehr rückgängig gemacht werden. Wer aber Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. Also steht es aufgezeichnet in der Heiligen Schrift, und das Wort wird jetzt erfüllt werden. Sieh dort die Grube. Bevor viele Minuten vergehen, liegst du da unten, und Erde bedeckt dich. Hast du noch ein Gebet zu verrichten, die Bitte um Vergebung deiner Sünden, so beeile dich. Wenn aber der Allmächtige jedem verzeiht, so wäre das von mir zu viel verlangt. Und so tritt denn hin vor Gottes Thron mit der Erinnerung an meine letzten Worte: Mögest du von Ewigkeit zu Ewigkeit die Qualen erdulden, die zwei gramgebeugten Eltern durch dich aufgebürdet wurden. Beschließt der Allmächtige trotzdem milder über dich, soll es mir recht sein, denn ich bin sein getreuer Knecht.«

Solange Howitt sprach, war kein anderer Laut vernehmbar. Selbst die beiden verbrecherischen Genossen wagten in ihrer Todesangst kaum zu atmen. Wie ein Patriarch aus sagenhaften Zeiten, der zugleich Richter über alles, das zu ihm gehörte, stand der alte Squatter hoch aufgerichtet da. Auf die lange Büchse gelehnt, leuchteten seine Augen im düsteren Feuer der Begeisterung. Sogar als er endigte, dauerte die Stille noch fort. Nur der Kardinal sang in der Nachbarschaft seine schwermütige Weise; es zwitscherte der fröhliche Blauvogel, es sandte die melodienreiche Spottdrossel ihr süßes Lied in den goldenen Sonnenschein hinaus. Es waren vielleicht dieselben Sänger, die vor Tagen dem entseelten Liebling seiner Eltern die letzten Grüße zusandten.

Barsch unterbrach Howitt das Schweigen wieder mit den Worten:

»Bist du bereit zum Sterben?«

»Barmherzigkeit – nur noch eine Woche – einen Tag –« flehte der feige Mörder schaudernd.

Howitt kehrte sich ab. Ben stand seitwärts von ihm, die schußfertige Büchse in den Händen.

»Tritt zurück, mein Sohn,« wehrte der Alte ihm eigentümlich sanft, als er gewahrte, daß seine Züge sich krampfhaft anspannten und die Mündung der Büchse schwankte. »Tritt zurück. Dein Wort betrachte ich als gelöst. Meine alten Schultern tragen es leichter als die deinigen, rechne ich.«

Erschrocken sah Ben auf den Vater. Dieser beachtete ihn nicht weiter, sondern hob die Büchse. Der wilde Schrei, den der Mörder ausstieß, fiel mit dem Knall des Schusses zusammen. Mitten vor die Stirn hatte die Kugel ihn getroffen.

Howitt kehrte sich ab. »Übergebet ihn der Erde,« befahl er streng. »Sprecht ein Gebet über ihn hin um unseretwillen; denn ihm würde es schwerlich viel helfen.«

Während die jungen Leute sich beeilten, den Gerichteten aus den Augen zu schaffen, wendete er sich selbst an den zweiten Gefangenen.

»Bettete ich dich da neben deinen Genossen,« sprach er finster, »so wäre es ein gottesfürchtiges Werk; denn die Erde zählte einen Verbrecher weniger. Du magst indessen frei ausgehen. Da stehen eure Pferde; die nimm mit fort. Vermelde deinen Brotherren, was du hier erlebtest. Sage ihnen, daß die Flüche, die sie aussäten, auf ihre eigenen Häupter zurückfallen würden. Sage ihnen aber auch, daß ich hinter den Palissaden mein gutes Recht verteidigen, jeden unbarmherzig niederschießen würde, der sich dem Gehöft bis auf hundert Ellen näherte. Der begangene Mord fällt ihnen zur Last; ich brauche daher keine Rücksichten mehr mit ihnen und ihren Helfershelfern zu nehmen, rechne ich.« Er hob den Kontrakt auf, der neben dem Gefesselten auf der Erde lag, zerriß ihn in vier Stücke und warf sie ihm auf den Schoß, indem er hinzufügte: »So viel gebe ich auf ein Recht, das durch Raub und Mord besiegelt wurde.«

Der Gefesselte atmete auf, wagte aber nicht, aus Besorgnis, den unerbittlichen Squatter zu einer anderen Entscheidung zu bestimmen, ein Wort zu erwidern.

Howitt kehrte sich seinen Söhnen zu und überwachte das Zuwerfen der Grube. Als einer den Hut des Mörders ebenfalls hinabsenden wollte, wehrte er ihm. Er wartete, bis der Hügel mittels einiger Schaufelschläge geglättet worden war, und legte den Hut zu Häupten darauf.

»Der Grabstein ist nicht zu verkennen, wenn Baxter und Margin oder einzelne ihrer verruchten Werkzeuge dieses Weges kommen sollten,« bemerkte er wie im Selbstgespräch, und eigenhändig löste er die Fesseln des Gefangenen.

»Geh samt deinen Tieren,« riet er streng, »gehe und verkünde, was ich dir auftrug. Deine Büchse und die deines gerichteten Freundes bleiben in unserem Besitz. In euren Händen könnten sie uns schaden, und wir mögen sie vielleicht noch gebrauchen.«

Gefolgt von seinen Söhnen und Rabbit entfernte er sich.

Schwankend, nachdem er sich so lange in der gezwungenen Lage befunden hatte, erhob sich der Erlöste. Die Todesangst, die er erduldete, schien ihn der letzten Kraft beraubt zu haben. Die ihn verzehrende Wut erstickte in dem Bewußtsein, sich als gerettet betrachten zu dürfen. Doch erst nachdem Howitt und die Seinigen hinter dem Waldessaum verschwunden waren, befestigte er die vier Pferde aneinander, und das seinige besteigend, schlug er die nächste Richtung nach dem Lager der Freibeuter ein.


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