Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Fünftes Kapitel.

Sinnend war Bertrand in den durch den schattigen Hain nach der Stadt führenden Pfad eingebogen. Was er von dem seltsamen Schlosser erfahren hatte, beschäftigte ihn ausschließlich. Jedes seiner Worte wiederholte er in Gedanken. Befriedigte ihn einerseits, auf eine unzweifelhafte Spur des jungen Pardelstein gestoßen zu sein, so stand dem entmutigend gegenüber, daß derjenige, der gewiß der nächste gewesen wäre, Nachsicht walten zu lassen, ihn als eine Art Unhold schilderte. Doch ob verwildert, verkommen und gesunken, gleichviel, wie er ihn fand: für ihn gab es keinen anderen Ausweg. War überhaupt eine Möglichkeit vorhanden, ihn seiner jetzigen Lage, vielleicht den widerwärtigsten Verhältnissen zu entreißen, so mußte er, dem aus überströmendem Herzen erteilten Versprechen getreu und durchdrungen von den Empfindungen tiefer Dankbarkeit, ihn jener Wolfrade Ecke zuführen. Mochte sie selbst dann entscheiden, inwieweit er der ihm zugedachten Wohlthaten wert sei.

Vor sich niederschauend, war er in den Hain eingetreten, als eine gebieterische Stimme ihn aus seinem Brüten aufschreckte.

»Sie da, mein junger Mann,« hieß es mit unverkennbarem Wohlgefallen, »nachdem Sie den Herrn King so lange störten, haben Sie für mich vielleicht ebenfalls einige Minuten übrig.«

Beim ersten Wort hatte Bertrand aufgesehen, und vor ihm stand Frau Hickup. Während sie mit der linken Hand die brennende Pfeife in der Schwebe hielt, streckte sie ihm die rechte herablassend entgegen.

»Der Frau Korporal Knockhimdown stehe ich zu Diensten,« antwortete Bertrand höflich, und das anerkennende Nicken der Alten belehrte ihn über die günstige Aufnahme der glänzenden Anrede; »nach den Schilderungen des Herrn King erfreue ich mich doppelt der näheren Bekanntschaft mit Ihnen.«

Abermals neigte Frau Hickup das Haupt geschmeichelt und fügte hinzu: »Herr King verfährt zuweilen etwas verschwenderisch mit seinen Lobpreisungen; aber immerhin: Disziplin und Subordination waren die Glaubensartikel meines seligen Knockhimdown und sind auch die meinigen geworden; das kommt Herrn King am meisten zu gute. Doch das nebenbei. Legte ich mich gerade nicht aufs Horchen, so meinte ich im Vorübergehen doch den Namen seines Sohnes verstanden zu haben, oder sollte ein Irrtum walten?«

»Sicher nicht; und sehr dankbar wäre ich Ihnen, vervollständigten Sie das, was Herr King mir über ihn anvertraute.«

»Wie ich vermutete,« erwiderte Frau Hickup befriedigt; »doch hier ist eine Bank, mein junger Mann, auf der ich die schönen Sommerabende mit den Erinnerungen aus meiner Militärzeit zu verbringen pflege, und das erhält mich jung,« und nach einem kunstgerechten ordnenden Griff durch das Scheitelhaar sich niederlassend, forderte sie Bertrand auf, neben ihr Platz zu nehmen, und weiter hieß es belehrend: »Zunächst ist Herr King in seinem Urteil über den Bob zu streng, und das wirkte von jeher nachteilig auf den Schlingel ein. Vater und Sohn paßten eben mit ihren verschiedenartigen Temperamenten genau so zu einander, wie Flintenkugeln statt der Rosinen in den Puddingteig. Mit einem Wort: aus dem Bob ließe sich heute noch mit Geduld und Zärtlichkeit etwas Ordentliches herausdrillen, behaupte ich.«

»Aehnliche Eindrücke empfing ich in meinem Verkehr mit Herrn King und bin beglückt, solch freundliches Urteil von Ihnen zu hören,« erklärte Bertrand bedachtsam. »Ich befinde mich nämlich auf dem Wege, Ihren Bob auszukundschaften, und wurde darüber verständigt, daß Ihre Ratschläge von hohem Wert für mich sein würden.«

Frau Hickup drückte die hervorquellende Asche in den Pfeifenkopf zurück, blies einige kräftige Rauchwolken von sich und hob an:

»Ein wahres Wort, mein junger Mann; denn hat man seine achtzehn Jahre in der Armee heruntergerasselt, so kann man von Erfahrungen reden, behaupte ich.««

»Bei Ihrem Wohlwollen für Bob hoffe ich keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, bei meinen Nachforschungen mir etwas zur Hand zu gehen.«

Frau Hickup schloß das eine Auge und warf mit dem anderen Bertrand einen prüfenden Blick zu. »Da müßten Sie ja mitten in die Wildnis hinein,« bemerkte sie nach kurzem Sinnen.

»Darauf bin ich gefaßt.«

»So? Nun, eine Kleinigkeit ist das nicht, namentlich nicht für einen Ausländer. Doch zunächst die Frage: Was ist Ihr Metier? Womit verdienen Sie Ihre Dollars?«

»Ich studierte Astronomie.«

»Was?«

»Astronomie oder Sternkunde.«

»Brotlose Künste, mit denen Sie in der Wildnis keinem Kaninchen Salz auf den Schwanz streuen. Denn erstens sind die Sterne zu weit von hier, um genauer mit ihnen bekannt zu werden, und dann mag der Henker sie alle zählen, zumal einer genau so aussieht, wie der andere. Es giebt überhaupt nur zwei Sorten von Sternen, vor denen ich Respekt habe. Erstens die Sterne, die zu den Streifen des Unionsbanners gehören, und dann diejenigen, wie sie den Offizieren auf Kragen und Achselstücke genäht werden.«

»Durchaus praktische Anschauungen; und dennoch gewährt es dem Berufenen hohen Genuß, zu beobachten, wie die Gestirne von Ewigkeit zu Ewigkeit unabänderlich ihre vorgeschriebenen Bahnen wandeln.«

»Disziplin, behaupte ich, mein junger Mann, Disziplin, ohne welche die vielen tausend Sterne am Himmel durcheinander tanzten, wie die Reiskörner in einem brodelnden Kessel; das würde mein seliger Knockhimdown sicher bestätigen, säße er hier bei uns; aber auch, daß Sie mit Ihrem Sternenkrempel in der Wildnis eine jämmerliche Institution wären, ständen Ihnen keine anderen Hilfsmittel zu Gebote. Vom Soldatenstande verstehen Sie nichts?«

»Auch Soldat bin ich gewesen. Ich diente ein Jahr bei der Reiterei.«

»Ein ganzes Jahr? Das wäre gerade lange genug, um das Wort Subordination richtig aussprechen zu lernen. Aber immerhin: es ist wenigstens ein kleiner Anfang, und befindet man sich erst auf dem Marsch, lernt sich das weitere durch praktischen Dienst.«

»An gutem Willen fehlt es mir freilich nicht; allein fremd, wie ich den hiesigen Verhältnissen gegenüberstehe, würde ich auf einem Boden, den ich nur aus Schilderungen kenne, ohne einen zuverlässigen Ratgeber auf große Schwierigkeiten stoßen.«

»Ohne Zweifel, mein junger Mann, und diese Selbsterkenntnis ist schon viel wert.«

»In erster Reihe würde es sich darum handeln, den Squatter ausfindig zu machen, an den die für Ihren Bob bestimmten Nachrichten gesendet werden sollten –«

»Howitt heißt er,« fiel Frau Hickup lebhaft ein, »und am Smoky- Hill-Fork haust er, noch eine gute Strecke über Fort Riley hinaus. Hab's im Gedächtnis behalten, was Bob damals schrieb, als es sich um 'ne Heiratsangelegenheit drehte. Ich weiß da herum Bescheid, wie in Herrn Kings Werkstatt. Denn in Fort Riley stand ich ein volles Jahr, und manches lustige Gefecht hatten wir mit den Prairiewilden, die sich damals noch fühlten. Aber wir machten ihnen Beine, daß die Schurzlappen hinter ihnen her flatterten, als hätten sie bei 'ner handlichen Brise auf 'ner Waschleine gehangen. Also zum Howitt wollen Sie?«

»Er ist wohl der einzige, durch den ich über den Verbleib des jungen King Näheres in Erfahrung bringen könnte.«

»Richtig, mein junger Mann; wenn nicht durch ihn, so doch sicher durch das Frauenzimmer, das er zu freien gedachte.«

»Hoffentlich ist er noch nicht verheiratet.«

»Sicher nicht. Denn vom Verlieben bis zur Hochzeit ist oft ein langer Weg, sagte schon Korporal Knockhimdown, als mein Vater sich dagegen sträubte, mich in die Armee eintreten zu lassen. Doch das nebenbei. Denn wäre dem Schlingel viel am Freien gelegen gewesen, hätte er das Kind, die Independence, genommen, und die ist sicher dazu geschaffen, den ärgsten Taugenichts in einen seßhaften Mann umzuwandeln.«

»Eine allzuschwierige Aufgabe wäre es also nicht, jenen Howitt aufzusuchen,« meinte Bertrand zweifelnd, »wer aber bürgt dafür, daß ich den Punkt finde, wohin ich von dort aus gewiesen werde? Ist die Prairie doch keine Stadt, wo auf jeder Straßenecke deren Name verzeichnet steht.«

»Abermals ein wahres Wort, mein junger Mann. Und dennoch giebt es Leute, die ihren Weg in der Wildnis so leicht ausmachen, wie der verbohrteste Rekrut schon am dritten Tage seiner Dienstzeit den von der Wachtstube nach dem Eßraum.«

»Wo aber und wie wäre ein solcher Mann für meine Dienste zu gewinnen?«

Frau Hickup pflügte mit den gespreizten Fingern ihr ergrautes Gelock, widmete der Pfeife etwas ernstere Aufmerksamkeit, und sie wieder seitwärts schwingend, sah sie unter den gerunzelten Brauen hervor ins Leere. Eine Minute verstrich in Schweigen.

Plötzlich kehrte sie sich mit einer heftigen Bewegung dem sie gespannt beobachtenden Gefährten zu: »Junger Mann, ich wüßte wohl einen, aber die Sache will zuvor ordentlich überlegt sein. Sehne ich mich danach, vor meinem Altwerden die Ebenen noch einmal zu kreuzen, zumal es sich darum handelt, den Taugenichts, den Bob, einzufangen, wie 'nen wilden Mustang, so ist es doch bedenklich, unseren guten Herrn so lange unbeaufsichtigt zu lassen. Die Independence ist zwar nicht nur ein liebliches, sondern auch ein handfestes Soldatenkind – doch immerhin: die Angelegenheit will zuvor überlegt sein, behaupte ich.«

»Zu einem derartigen Wagestück wollten Sie sich verstehen?«

Frau Hickup warf einen Blick unsäglicher Geringschätzung auf Bertrand. »Wagestück?« sagte sie. »Für einen gesunden Mann giebt es überhaupt kein Wagestück, am wenigsten für jemand, der, wie ich, bei Monterey und Buena Vista mitfocht,« und ihre Augen sprühten förmlich in kriegerischem Feuer, nachdem sie im Geiste bereits Prairieluft einatmete und nach der Magnetnadel ihren Weg über die endlosen Grasfluren suchte. »Doch ich wiederhole nochmals, die Sache will überlegt sein, und dann fragt es sich, ob Sie Vertrauen zu einer alten Korporalswitwe besitzen.«

»Blindes Vertrauen,« beteuerte Bertrand, und er atmete erleichtert auf. »Meine Dankbarkeit, doch auch die anderer würde endlos sein, trügen Sie dazu bei, daß ich den jungen Mann kennen lernte, vorausgesetzt, er lebt noch und wurde von seiner Abenteuerlust nicht in unbekannte Fernen verschlagen.«

»Galgenholz ist zähe und Unkraut vergeht nicht, mein junger Mann, behaupte ich, und so wird auch der Bob heute noch aufrecht in seinen Schuhen stehen. Bändelte er wirklich mit einem einfältigen Dinge an, so bewahrte ihn das vor den unbekannten Fernen. Also guten Mut. Fünf Monate offene Jahreszeit liegen noch vor uns, und die reichen aus, ein gut Stück Prairie abzuklappern. Wann sprechen Sie wieder vor?«

»Zu jeder von Ihnen anberaumten Stunde.«

»Gut, sagen wir: morgen um diese Zeit. Bis dahin habe ich alles in meinem Kopf zurechtgelegt und mit Herrn King vereinbart. Dann höchstens noch eine Woche, und wir sind marschfertig.«

Bertrand erhob sich. Mit einem Händedruck, den er eine Weile nachher noch fühlte, entließ ihn der weibliche Korporal.

Frau Hickup aber begab sich ungesäumt zu King nach der Werkstatt. Lange und ernst sprachen sie miteinander. Als sie schieden, war die Reise über die Steppen eine beschlossene Sache, und mit rastlosem Eifer wurden die entsprechenden Vorbereitungen getroffen.


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