Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Achtes Kapitel.

Während des Mahls hatten zwei Vaqueros das Lager für die Gäste bereitet. Mutter Hickup war King Bobs Laube eingeräumt worden, wogegen man für diesen und Bertrand im Freien mehrere Decken nebeneinander und übereinander ordnete.

»Sitzen wir länger hier, wird's überhaupt nichts mehr mit dem Schlaf,« meinte King Bob, indem er sich erhob. »Dein Bett ist gemacht und wartet auf dich,« bedeutete er Mutter Hickup. »Auch Herr Bertrand und ich sind der Ruhe bedürftig, und so wünsche ich dir eine sanft zu schlafende Nacht, so viel noch davon übrig ist.«

Bereitwillig verfügte die Alte sich in die Laube.

»Ich hätte bis zum hellen Morgen vor dem Feuer gesessen und meine Zeit abgegrübelt,« begann King Bob, nachdem er sich neben Bertrand ausgestreckt hatte, »allein da Sie voraussichtlich länger mein Gast sind, war mir daran gelegen, vor allen Dingen mit Ihnen mich gehörig auszusprechen. Es schwindet dadurch die Gefahr, daß wir uns gegenseitig mit Argwohn betrachten. Sie sind zwar älter als ich und gelehrter obenein; wissen wir aber erst, woran wir miteinander sind, so stört uns nichts, als gute Freunde zusammenzuhalten.«

Er sann eine Weile nach und sprach leichten Tones weiter: »Nicht ohne Bedacht schickte ich die Alte fort; denn bei aller Gutherzigkeit ist sie geschwätzig, und was noch ärger, neugierig, wie Mutter Eva, als sie in den Apfel biß. Und was wir beide reden, ist nichts für ihre Ohren, oder sie schreit es beim ersten Wiedersehen schon auf zehn Pferdelängen dem alten King in die Ohren. Ich hätte nur halb so gerieben zu sein brauchen, wie der quere alte Drache von mir voraussetzt, um bei Ihrem ersten Anblick und der Mitteilung, daß Sie von Europa herüberkamen, nicht sofort zu argwöhnen, daß Sie auf dem Wege sind, den Sohn eines gewissen Felix v. Pardelstein auszukundschaften.«

»Woher wissen Sie das? Wer verriet es Ihnen?« fragte Bertrand erstaunt, obgleich er nur die Bestätigung einer lebhafteren Ahnung vernahm. »Erklärte Ihr väterlicher Freund doch ausdrücklich, daß dieser Umstand Ihnen wie allen anderen Menschen verborgen geblieben sei.«

»Keiner verriet mir, was ich heimlich erforschte,« entgegnete King Bob spöttisch. »Der alte King hatte es sicher sehr gut mit mir im Sinne, und ich bin ihm dankbar für die große Nachsicht mit einem Burschen, der ihm durch Aufsätzigkeit und den unbesiegbaren Hang zu einem wilden, unabhängigen Leben viel Aerger bereitete. Dagegen fühlte ich schon frühzeitig heraus, daß er nicht die Liebe zu mir besaß, wie sie sonst Väter sogar ihren ungeratenen Söhnen gegenüber an den Tag legen. Daraus bildete sich allmählich der Verdacht, daß er in der That nicht mein Vater sei und besondere Gründe habe, mich über meine Herkunft im Dunklen zu erhalten. Nachdem dieser Argwohn einmal Wurzeln geschlagen hatte, gönnte er mir keine Ruhe mehr, weder bei Tag noch bei Nacht, und das trug nicht wenig dazu bei, daß ich unter verwegenen Gesinnungsgenossen mich zufriedener fühlte, als unter dem heimatlichen Dach. Denn da brauchte ich mich nur zu zeigen, um mit Vorwürfen über meine Verwahrlosung – und verwahrlost war ich von jeher – überschüttet zu werden. Unter solchen Verhältnissen mußte allmählich der Plan reifen, auf die eine oder die andere Art mir Klarheit über mein Herkommen zu verschaffen, und den führte ich schließlich bei der ersten günstigen Gelegenheit aus. Wie ich es anstellte, Einsicht in die Papiere meines Pflegevaters zu gewinnen, ist Nebensache. Es wird Ihnen genügen, zu hören, daß ich einige Dokumente entdeckte, die sich auf einen Felix v. Pardelstein bezogen. Denen angeschlossen waren die eines gewissen Thomas King, also meines Pflegevaters. Dann fielen mir der Geburtsschein und andere beglaubigte Papiere in die Hände, welche die Persönlichkeit eines jetzt vor etwa fünfundzwanzig Jahren geborenen Lothar v. Pardelstein feststellten. Damit waren alle Rätsel gelöst. Sogar bei weniger Vernunft, als ich besaß, hätten für mich die letzten Zweifel schwinden müssen, daß ich selber jener Lothar v. Pardelstein, mithin ein hochgeborener Edelmann sei. Ob mein wirklicher Vater noch lebte, vielleicht heute noch lebt, oder wo und wie er im Falle seines Todes starb, gelang mir nicht, aus den mir zugänglichen Papieren zu ermitteln; denn um meinen Pflegevater darum zu betragen, hätte ich mich des Eingriffes in seine Geheimnisse anklagen müssen, und diese Kränkung wollte ich ihm nicht bereiten. Wohl peinigte es mich, zu erfahren, aus welchen Ursachen man mir den Namen raubte; da ich sie aber für ernst genug hielt, um der Verweigerung jeglicher Auskunft gewärtig sein zu müssen, betrachtete ich alle Versuche weiterer Nachforschungen als vergeblich und daher als überflüssig. Dagegen gelangte eine andere Regung in mir zum Durchbruch, und die blieb nicht ohne Einfluß auf mein ganzes künftiges Dasein. Zunächst faßte ich eine tiefe Abneigung gegen meinen wirklichen Vater. Ich konnte ihm nicht vergessen, werde ihm sogar im Grabe nicht verzeihen, daß er mich, seinen leiblichen Sohn, im zartesten Kindesalter fremden Händen anvertraute, ohne zugleich irgend welche Bedingungen betreffs meiner Zukunft gestellt und gesichert zu haben. Ich war zwar in gute Hände geraten; da aber der alte King unzweifelhaft im Einverständnis mit ihm gehandelt hatte, übertrug meine Abneigung sich auch auf ihn. Ich ging davon aus, daß wenn mein Vater sich seit zwanzig Jahren nicht um mich gekümmert hatte, es Kings Pflicht gewesen wäre, mich, nachdem ich heranreifte, über alles aufzuklären. Ob ich Robert King heiße oder Lothar v. Pardelstein, berührt mich jetzt freilich nicht mehr, als die Ursache, weshalb unter den Tausenden von Kindern da oben mehr schwarze als rote vertreten sind. Als King Bob lebe ich zufrieden und entbehre nichts. Glückte es mir aber erst, das Mädchen – Sie lernten es ja kennen – für mich zu erobern, anders kann ich es doch nicht bezeichnen, so tausche ich mit keinem wirklichen König. Sie gaben zu, in mir einen Pardelstein zu vermuten. Ich bestätige Ihre Voraussetzung durch ein offenes Bekenntnis. Jetzt aber ist die Reihe an Ihnen, ebenso ehrlich und unumwunden herauszusagen, was Sie eigentlich mit Ihrem Besuch bezwecken.«

»Bevor ich diese Frage beantworte, muß ich auf diejenige zurückgreifen, auf deren Veranlassung ich hier auftauchte,« versetzte Bertrand zögernd, denn er bezweifelte nicht, daß er mit seinen Plänen unbesiegbarem Widerstand begegne. »Vorausschicke ich, daß ich vor allen Dingen das harte Urteil über Ihren Vater wie Herrn King, Ihren Wohlthäter, gemildert wissen möchte. Ersterer verscholl vor einer langen Reihe von Jahren, wogegen Ihr Pflegevater sich verpflichtete, das ihm aus bestimmten, wohlerwogenen Gründen auferlegte Schweigen über Ihre Persönlichkeit gewissenhaft zu bewahren. Das vertraute King selber mir an. Entzogen Sie sich seinem Einfluß, und weilt Ihr Vater nicht mehr unter den Lebenden, so giebt es dafür eine andere, die an dessen Stelle trat – Ihre Mutter starb in den ersten Jahren Ihrer Kindheit – und zu sühnen wünscht, was ein übelwollendes Geschick an Ihnen verbrach –«

»Und beauftragte Sie daher, mich einzufangen, wie ein verwildertes Rind, und ihr zuzuführen,« schaltete King Bob spöttisch ein; »ohne zu ahnen, ob ich auch, wie ein Rind, mich am Strick würde leiten lassen, verfügte sie über mich, wie über einen Knecht.«

»Jene großmütige, wohlwollende Dame setzte nur voraus, daß Sie meinen Schilderungen der drüben Ihrer harrenden glänzenden Lage nicht unzugänglich sein würden.«

»Den Schilderungen eines Berges Goldes,« meinte King Bob wieder höhnisch, »wohl gar der Aussicht, als ein geschniegelter und gebügelter Herr v. Pardelstein vor den Leuten einherzugehen und mich von betreßten Lumpen bedienen zu lassen. Es sollte mich kaum wundern, hätte Ihre großmütige Auftraggeberin nicht auch ein Edelfräulein für mich auf Lager, vergoldete Kutschen und wer weiß, was sonst noch. Doch um mich mit dergleichen zu locken, müßte ich nicht als ein Mann, der sich vor niemand zu beugen braucht, so lange Prairieluft eingeatmet haben, müßte ich nicht König einer Sorte von Gesellen sein, die ebenso verwegen wie gewandt im Dienst, und denen ich nur einen Blick zu geben brauche, um sie vor meinem Willen fliegen zu sehen, als ginge es auf Tod und Leben.«

»Ich räume ein,« entgegnete Bertrand vorsichtig, »daß man mit den Ihnen zu erweisenden Bevorzugungen bis zur äußersten Grenze zu gehen beabsichtigt –«

»Ein weißnäsiges, hoffärtiges, klapperdürres Edelfräulein mit eingerechnet?« fragte King Bob boshaft.

»Unmöglich wäre es nicht –«

»Schon gut, schon gut, Herr Bertrand,« unterbrach King Bob ihn geringschätzig, »denn böten Sie mir drei Dutzend solcher Dinger zur Auswahl, so wögen alle miteinander für mich nicht halb so schwer, wie ein einziges Haar vom Haupte der Bell Howitt. Und gerade weil ich sie erst über die ärgsten Hindernisse hinweg erkämpfen soll, ist sie mir doppelt ans Herz gewachsen und ich ihr ebenfalls. – Verdammt! Gebrauche ich eine Frau, wähle ich sie mir selber aus; dazu bedarf es keiner guten Freunde, Vettern und Basen.«

Hier sann er, wie in Zweifel, eine Weile nach, ohne daß Bertrand ihn in seinen Betrachtungen zu stören wagte.

Plötzlich lachte er grimmig über seine Decke hin, worauf er wieder anhob: »Und ferner der Gedanke, meinen Lederrock mit 'ner Leibschere zu vertauschen, das weiche Flanellhemd mit einem weißleinenen, so steif obenein, daß man Pokerkarten draus schneiden könnte – Hölle und Verdammnis! Da möchten sie mich verlachen, wie einen Pavian, der in roten Hosen auf dem Seil tanzt. Nein, Herr Bertrand, geben Sie es auf mit Ihren Verführungskünsten. Denn hier bin ich ein ganzer Mann, wogegen ich drüben ein erbärmliches Institut wäre, gut genug, von jedem elenden Gassenjungen gehänselt und verspottet zu werden, um ihm hinterher die Nase einzuschlagen. Denn die Manieren, die solche auf Draht gezogenen weibischen Junker auszeichnen, mir jetzt noch anzueignen, wär's zu spät, schämte ich mich auch. Ebensowenig mutete ich meinem Squattermädchen zu, ein so stattliches, kerniges und vornehmes Frauenzimmer, wie kein zweites auf seinen nackten Füßen über Aecker und Wiesen hintrottet, in den seidenen Kleidern und dem Aufputz einer Edelfrau – und die würde sie, ginge ich in die Falle – sich zu 'ner Vogelscheuche herabzuwürdigen. Würde man doch mit Fingern auf sie weisen, wie auf eine Unehrliche oder Verrückte, wenn sie sich nicht nach der Mode drehte und wendete und in ihrer Verlegenheit Dummheiten beginge. Bei Gott! Wie mir's Blut zu Kopfe steigt, indem ich mir dergleichen vorstelle und ausmale.«

Wunderbarerweise wuchs Bertrands Verlangen, den verwilderten, trotzigen Steppenreiter einer höheren Gesittung zuzuführen, in demselben Grade, in welchem er bei ihm Widerstand begegnete, und so begann er nach einer längeren Pause des Ueberlegens: »Es handelt sich bei Ihnen um viel, um sehr viel; um so Wichtiges, daß mein Vorschlag wenigstens des Erwägens wert wäre. Und wer weiß, wie Sie urteilten, wenn Sie den Dingen in der Heimat persönlich gegenüberständen und sie genauer kennen lernten.«

»Die brauche ich nicht kennen zu lernen, will ich nicht kennen lernen,« erwiderte King Bob mit rauher Entschiedenheit. »Warum sollte ich meinem jetzigen freien, unabhängigen Leben ohne jegliche Not entsagen? Einem Leben voller Genüsse und Freuden, um wie mit bösem Gewissen zwischen den hochgeborenen Verwandten mich ängstlich hindurchzuwinden? Verdammt, Herr Bertrand, das können Sie nicht von mir verlangen, und noch weniger diejenigen, von denen Sie an mich abgeschickt wurden. Kurz und gut: Ich heiße King und will ein King bleiben!«

Bertrand überlegte wieder, bevor er begütigend entgegnete: »Um späteren Selbstvorwürfen den Boden zu entziehen, wäre es vielleicht ratsam, den Stätten Ihrer frühesten Kindheit wenigstens einen kurzen Besuch abzustatten und erst nach voraufgegangenem Prüfen und gewissenhaftem Erwägen eine endgültige Entscheidung zu treffen –«

»Und mit Zweifeln belastet wieder hierher zurückzukehren,« warf King Bob boshaft lachend ein. »Hol's der Teufel! Daraus wird nichts. Versprächen Sie mir einen Goldberg so hoch, wie der Pik von Laramie, so machten Sie mich hier nicht los. Zur Hölle mit allen Verwandtschaften, die seit mehr als zwanzig Jahren nicht nach mir fragten und jetzt plötzlich auf den Gedanken gerieten, meinen guten Frieden zu stören. Schreiben Sie ihnen, Sie hätten den Lothar v. Pardelstein gefunden, einen Steppenreiter und Viehtreiber, der in ihre Gesellschaft genau so passe, wie der lahme Esel in eine Herde wohlgenährter Ochsen; das wird sicher für alle Zeiten abkühlend wirken.«

»Entsinnen Sie sich vielleicht noch Ihrer verstorbenen Mutter?«

»Darüber nachgedacht habe ich im reiferen Alter oft genug. Es schwebt mir auch vor, daß ein freundliches Frauengesicht mit großen Augen mich betrachtete und bis zum Ersticken küßte. King erzählte mir, daß sei meine Mutter gewesen, die frühzeitig starb. Zeigte man sie mir im Sarge, was unwahrscheinlich, so verwischte die Erinnerung daran sich vollständig.«

»Nach Kings Aussagen zählten Sie etwa vier Jahre, als Ihr Vater Sie seiner Fürsorge anvertraute. Vielleicht können Sie sein Bild vergegenwärtigen?«

»Auch das versuchte ich, nachdem ich hinter das Geheimnis meiner Geburt gekommen war, allein immer vergeblich. Glaubte ich wirklich einmal einen Anhalt gefunden zu haben, so wurde des Vaters Gesicht alsbald wieder von dem Kings verdrängt. Kein Wunder; denn unter Kings Pflege, der damals noch mein Alles war, lernte ich zuerst denken.«

»Sonstige Ereignisse aus jenen Tagen schweben Ihnen nicht vor?«

»Kein anderes, als die Reise übers Meer. Klar ist mir noch, daß ich vor dem vielen Wasser mich entsetzte, und der Vater – nur er konnte es gewesen sein – mich auf den Knien hielt, und ich verwundert in seine Augen sah, aus denen Thränen liefen. Ich mein' auch gehört zu haben, daß er mich Bob, seinen lieben Sohn nannte. Das mag aber auch später gewesen sein, als ich bereits unter dem Schütze Kings lebte. War es aber dennoch mein leiblicher Vater, so mußte er schon damals beschlossen haben, mich als Robert King durch die Welt laufen zu lassen. So verschwimmt alles in meiner Erinnerung und kann daher weiter keinen Wert haben, am wenigsten für mich selber. Ihnen vertraute ich alles an, weil Sie im Auftrage der fernen Verwandten mich drum befragten. Machen Sie davon jeden beliebigen Gebrauch, mich soll's nicht kümmern, welchen. Nur um eines bitte ich: Treffen Sie wieder mit King zusammen, so lassen Sie ihn in dem Glauben, daß Sie es waren, der mir die Augen öffnete. Erführe er Näheres über meine Einsicht in seine Papiere, möchte es ihm nachträglich noch Aerger verursachen, und das hat der alte Mann nicht um mich verdient.«

»Hier meine Hand darauf,« versetzte Bertrand mit unzweideutig hervorklingender Wärme, und seine Finger knackten unter dem festen Griff der eisernen Faust, »Ihre Wünsche werde ich achten und streng berücksichtigen. Und mehr noch: Sie werden zu seiner Zeit erfahren, wie Ihr Entschluß – sollten Sie wirklich zu eng mit der Prairie verwachsen sein, um einige Monate fern von ihr zu verbringen – von Ihren Verwandten auf der anderen Seite des Weltmeeres beurteilt wird.«

»Mit dem Squattermädchen und der Prairie hätten Sie sagen sollen, und Sie traten das Richtige. Doch gleichviel, vermelden Sie drüben, was Ihnen gefällt. Hör' ich von Ihnen, daß es Ihnen selbst gut ergeht, soll es mir eine Freude sein. Mehr zu schreiben ist unnötig. Damit halte ich die ganze Angelegenheit für erledigt. Wollen Sie mir aber einen Beweis Ihrer freundschaftlichen Gesinnungen bieten, dann rühren Sie nicht mehr an die Geschichte, solange Sie mein Gast sind.«

»Auch nicht mit einem letzten Wort am Tage des Scheidens?« fragte Bertrand mit ernster Spannung.

»Zum Henker denn: ja, wenn Ihnen so viel daran liegt,« polterte King Bob mit erwachender Wildheit, und sich auf die andere Seite werfend, zog er die Decke über sich hin. Bald darauf verrieten die tiefen Atemzüge, daß die vorhergegangene Erregung keinen Einfluß auf seinen gesunden Schlaf ausübte.

Bertrand lag noch lange wachend. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen wollten ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Hatten die wilde Entschlossenheit und das trotzige Selbstbewußtsein des an seiner Seite Schlummernden etwas Beängstigendes, so vermochte er der ihm innewohnenden eisernen Willenskraft wie den versteckten Regungen einer gewissen Ritterlichkeit seine Achtung nicht zu versagen. Er begriff, daß diese ihn zu allem Edlen treiben konnten, aber auch zu Handlungen, die, wie ein Wetterstrahl, vernichtend auf andere wie auf ihn selbst herniederfuhren.

Seine Blicke schweiften träumerisch an dem magisch erleuchteten Firmament hin. Wie liebe Freunde grüßten ihn die vertrauten Sternbilder, wie Freunde, mit denen er in der fernen Heimat so manche Stunde in nimmer veraltendem genußreichen Verkehr verbrachte. Doch nicht zu gewagten, zauberisch fesselnden Schlüssen über den Weltenbau regten sie ihn heute an, sondern zur Vergegenwärtigung seines Weilens in dem stillen Hause seiner Gönnerin. Freundliche Gestalten, geschmückt mit den Farben der Wirklichkeit, riefen sie vor sein geistiges Auge hin. Es lebten in seinen Ohren herzliche Stimmen, die ihn mit treuem Rat versahen. Auf rosigen Lippen schwebte ein süßes Geständnis, schwebten wehmutsvolle Bitten, ein inniges »Auf Wiedersehen«.

Das Feuer war niedergebrannt. Gedämpftes rötliches Licht verbreiteten die glimmenden und kohlenden Holzblöcke. Ringsherum regten sich die verwitterten Gestalten der Hirten, die zur Ablösung der Wachen sich rüsteten oder von der Herde zurückkehrten. Im Osten meldete mit halbem Schein der junge Tag sich an. Aus der Ferne drang der Gesang zweier sorglosen Vaqueros herüber, die auf ihren unermüdlichen Mustangs die gemächlich wiederkäuenden Rinder umkreisten. Bis in den Schlaf hinein vernahm er die heitere Melodie. Es kühlte seine Stirn der schwere nächtliche Tau und verscheuchte störende Träume.

Als Bertrand erwachte, hatte die Sonne sich bereits dem dampfenden Osten entwunden. Indem er sich aufrichtete fiel sein Blick auf den Wagen, der in der Nähe des Feuers hielt. Die Pferde waren ausgespannt worden. Auf dem einen Vorderrad stand Mutter Hickup. Hinter ihr warteten zwei bräunliche Burschen darauf, die von ihr dargereichten Gegenstände in Empfang zu nehmen. Wie das Herz des seligen Korporals Knockhimdown wohl gelacht hätte, wäre er Zeuge der Unverfrorenheit gewesen, mit der seine hinterlassene Witwe, zu King Bobs Entzücken, sich auch hier die Oberherrschaft anmaßte und die dienstfertigen rauhen Gesellen hierhin und dorthin hetzte, daß die Sohlen ihres Schuhzeugs davonzufliegen drohten.


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