Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Dreizehntes Kapitel.

Der dritte Tag nach dem Kampf um die Farm war dahin und der vierte angebrochen. Schwere Gewitter waren niedergegangen. Sie hatten die Atmosphäre gereinigt und nach den heißen Wochen erquickende Kühle hinterlassen. Blätter, Krauter und Gräser prangten in frischen Farben und richteten sich gekräftigt auf. Jetzt strahlte die Sonne wieder in gleichsam verjüngtem Glanze auf die reichlich befruchtete Erde herab. Nur zeitweise verschleierten Sie langsam einhersegelnde, weißliche Wolkengebilde. Es brauste der Smoky-Hill-Fork unter dem Einfluß der ihm von allen Seiten zuströmenden Wassermassen. Neuer Friede schien der einsam gelegenen Farm erblühen zu sollen. Fortgespült waren die unheimlichen Spuren, die hie und da von der Gewaltthätigkeit hadernder Sterblicher zeugten. Auch die Geschöpfe des Waldes waren neu aufgelebt. Fröhlich sang, zwitscherte, schnarrte, krächzte und hämmerte es aller Enden, je nachdem ihnen von der Natur die Fähigkeit zur Kundgebung ihrer Stimmung verliehen worden war.

Anders auf dem Gehöft, wo bekümmerte Gemüter sich empfindungslos gegen milde Sommerluft und goldenen Sonnenschein erwiesen, andere dagegen angesichts still getragenen Leids und tiefer Verbitterung nicht aus sich heraus zu gehen wagten. Sogar im Lager der Vaqueros hätte ein mit ihren Gewohnheiten Vertrauter Gesang und geräuschvolle, lose Scherzreden vermißt. Sie standen eben unter dem entscheidenden Einfluß King Bobs, der jeden Kontrast mit der in der Blockhütte waltenden Niedergeschlagenheit zu vermeiden wünschte, dem aber auch selbst jeder Ausbruch heiterer Sorglosigkeit wie ein Mißton in den Ohren geklungen hätte.

Von der Raubbande hatte sich bis dahin kein Mitglied wieder sehen lassen. Ebenso waren fernere Eingriffe in Howitts Eigentum unterblieben. Ob die empfangene harte Lehre sie einschüchterte, oder die dringenden Vorstellungen Margins fruchteten, wußte niemand. Am meisten mochte das bevorstehende Eintreffen des Militärkommandos dazu beigetragen haben, den zügellosen Begierden und Ausschreitungen Schranken zu ziehen. Außerdem befanden sich vier oder fünf Verwundete in ihrer Mitte und unter diesen mehrere, die voraussichtlich das Thal des Smoky-Hill-Fork nicht mehr verlassen würden. Um ihnen wenigstens Erleichterung zu verschaffen, hatte Margin einen reitenden Boten nach dem Fort abgeordnet und bitten lassen, dem Kommando einen Chirurgen beizugesellen. Wie jener aber die stattgefundenen Ereignisse schilderte, war leicht zu ermessen. Auf alle Fälle wurden sie in einer Weise gefärbt, daß die Stimmung sich gegen den aufsässigen Squatter und dessen Familie wie gegen die ungeahnt auftauchenden Vaqueros richtete. –

Nach Zurücklegung des letzten kurzen Tagesmarsches erschienen endlich zwanzig und einige Dragoner, geführt von einem älteren Offizier, am Rande der von Howitt in Besitz gehaltenen Lichtung. Baxter und Margin hatten sich, um ihre Rechte zu vertreten, ihnen angeschlossen. Erst nachdem die Pferde abgesattelt, getränkt und gepflöckt worden waren und die Mannschaft zum Abkochen des Mittagessens sich anschickte, begab der Kapitän sich nach dem Gehöft hinüber. Howitt, der die Seinigen angewiesen hatte, fern zu bleiben, ging ihm in Bertrands Begleitung entgegen. Den kurzen Gruß des Kapitäns beantwortete er in der ihm eigentümlichen, kalten, selbstbewußten Weise. In Bertrand auf den ersten Blick einen vornehmeren Herrn erkennend, verneigte der Kapitän sich leicht, was ähnlich beantwortet wurde.

»Das sind ja heillose Ausschreitungen, die sich hier abgesponnen haben,« redete er den alten Squatter streng an. »Menschen werden niedergeschossen, wie räudige Hunde; fremdes Eigentum wird nicht geachtet, sondern den rechtmäßigen Besitzern vorenthalten, als ob in den Territorien das Gesetz überhaupt seine Gültigkeit verloren hätte, wo soll das schließlich hinaus?«

Howitt betrachtete den Kapitän geringschätzig vom Kopf bis zu den Füßen herunter. Erst nach einer Pause ließ er sich zu der gleichmütig erteilten Erwiderung herbei: »Ja, Kapitän, heillose Zustände herrschen hier, vollständige Gesetzlosigkeit. Wenn aber eine Rotte gebrandmarkter Landstreicher zuerst mein Vieh raubt und abschlachtet, demnächst meinen Sohn meuchlings ermordet, und schließlich mein Gehöft hinterlistig zu überfallen versucht, so bin ich der Mann dazu, mein Haus zu verteidigen und so viele Schufte zur Hölle zu senden, wie Leben in meiner und in meiner Söhne Büchsenläufe stecken.«

»Sie vergessen,« wendete Baxter hastig ein, »daß ich vor Wochen Sie mündlich und schriftlich davon in Kenntnis setzte, daß diese Landschaft in meinen Besitz überging, und den Termin bestimmte, bis zu welchem Sie diese Stätte für Ihren Nachfolger geräumt haben müßten.«

»Für meinen Nachfolger?« fragte Howitt spöttisch. »Nun ja, der eine der beiden Männer, die sich als meine Nachfolger aufspielten, wurde vor seinem offenen Grabe von meiner Hand vom Leben zum Tode gebracht; und wenn ich den ihn begleitenden Viehräuber nicht neben den Mörder meines Sohnes bettete, so geschah's, um ihn mit der Botschaft des Vorgefallenen an Sie abzusenden. Das ist mein letztes Wort an Sie, der Sie der Beachtung eines rechtschaffenen Mannes überhaupt nicht wert sind.« Dann zu dem Kapitän gewendet: »Er kaufte diese Scholle über meinen Kopf hinweg, um Räuber und Mörder als Stimmvieh für die Sklavenmänner einzusetzen und damit meine, durch achtzehnjährige schwere Arbeit geheiligten Rechte unter die Füße zu treten. Dadurch beging er einen Schurkenstreich; und eine Regierung, die dergleichen duldet, ist nicht um einen Strohhalm besser, als dieser Baxter samt seinem verworfenen Genossen, dem Margin, und den Lumpen, die er zu Knechten seiner Ränke erkor, rechne ich.«

»Anstatt zur Selbsthilfe zu greifen, wäre es Ihre Pflicht gewesen, Land und Gehöft ohne Widerstand aufzugeben und Ihre Ansprüche an Entschädigung vor Gericht geltend zu machen. Es wären dadurch Angriff wie Verteidigung von selbst fortgefallen,« erklärte der Kapitän mit einem zweifelnden Blick auf die beiden Landspekulanten und demnächst mit einer gewissen Achtung zu dem langen, eisenharten Squatter aufsehend.

Dieser lächelte mitleidig vor sich hin und bemerkte gelassen: »Kapitän, Sie verstehen nichts von solchen Angelegenheiten, oder Sie redeten nicht derartigen Unsinn. Die Farm aufgeben und hinterher der Entschädigung nachlaufen – verdammt! Um mich an der Nase herumführen zu lassen, hätte ich nicht mit meinen gesunden fünf Sinnen zur Welt gekommen sein müssen. Meinen Sie, daß dadurch der Kampf vermieden worden wäre, so behaupte ich bei meiner Seligkeit, daß schon allein die Ermordung meines Sohnes Grund genug gewesen, die Schurken da weiter unten im Thal einen nach dem anderen auf die erste beste Art abzuthun. Schade um jede Kugel, die vorbeiging. Denn das ist eine Sorte, die vom Erdboden zu vertilgen ein gottgefälliges Werk, und doppelt, wenn es gilt, das eigene Haus zu verteidigen. Das ist mein Recht, und ich wiederhol's: kämen Sie selber mit Ihren Dragonern, der Präsident der Union an der Spitze, um mich zu vertreiben, würde ich mein Hausrecht zu wahren wissen, Sie einen nach dem anderen kopfüber senden, und zwar so lange, bis der Teufel den letzten geholt hätte oder ich und die Meinigen in unserem Blute lägen.«

Ohne den Versuch, den erbitterten Alten zu unterbrechen, hatte der Kapitän seinen Worten gelauscht und den Eindruck gewonnen, daß er es ernstlich meinte. Sobald er aber endigte, bemerkte er beschwichtigend: »Ich wurde nicht entsendet, um zu bedrohen. Meine Aufgabe kann nur sein, da, wo bereits Blut geflossen, Ruhe zu stiften –«

»Recht so, Mann,« unterbrach Howitt ihn ingrimmig, »ist das wirklich Ihre Aufgabe, so beginnen Sie damit, daß Sie die Schurken da unten im Lager in einer Reihe aufknüpfen lassen, und die beiden heimtückischen Verräter, den Baxter und den Margin, an der Spitze.«

»Ich bin nicht dazu da, die Schuldigen zu ermitteln und zu strafen,« versetzte der Kapitän offenbar gekränkt, jedoch den Eigentümlichkeiten des urwüchsigen Alten Rechnung tragend; »sprach ich aber von Ruhestiften, so schwebte mir vor, einen Vergleich zwischen Ihnen und den beiden Herren dadurch anzubahnen, daß eine Entschädigungssumme vereinbart wird, mit der beide Teile sich als endgültig abgefunden erklären.«

»Der Baxter müßte viel Geld sein eigen nennen, wollte er jeden Schweißtropfen nach Gebühr bezahlen, mit dem ich und die Meinigen ringsum die Felder düngten. Und dann fragt sich noch, ob ich jemandes Geld anrühren möchte, das durch seine Besitzer unehrlich geworden – verdammt! Mr. Baxter, verziehen Sie immerhin Ihr Gesicht, als möchten Sie mir an die Kehle springen; das stört mich nicht mehr als der Sand unter meinen Stiefelsohlen. Ihre Leute da unten stehlen und morden auf die Gefahr hin, zusammengeschossen oder mit 'nem Baumast verheiratet zu werden. Sie dagegen rauben mit ränkevoller Schrift, daß niemand Ihnen an den Kragen kann, und da muß Ihr Geld freilich Blutgeld geworden sein.«

Verzehrende Wut sprühte aus den Augen Baxters und seines Gefährten; doch keiner wagte, einen Laut von sich zu geben. Es erfüllte sie unbesiegbare Scheu vor der langen verwitterten Gestalt, die wie ein unerbittlicher Richter vor ihnen stand, Scheu, ihn zu neuen Kundgebungen zu bewegen, sie fürchteten sich sogar, Verachtung seiner Anklagen heuchlerisch zur Schau zu tragen.

»Ich schlage vor,« nahm der Kapitän wieder begütigend das Wort, »Sie beruhigen sich vor allen Dingen und überlegen die Sache bis morgen. Dann vermögen wir mit mehr Bedacht zu prüfen, inwieweit eine Schuld Sie trifft –«

»Mich eine Schuld trifft?« wiederholte Howitt mit einem Hohn, der sonst nicht in seiner Natur lag. »Stehen Sie zu Ihren Worten, Kapitän. Vergessen Sie nicht, daß ich ein freier Bürger der großen Republik bin, und Sie nur ein bezahlter Beamter, der blindlings nach anderer Leute Pfeife tanzen muß. Wissen Sie nichts anderes, so gehen Sie zu Ihren Dragonern, wogegen ich selber mich hinter meine Palissaden zurückziehe, und dann prüfen Sie, wie viele ich und die Meinigen hier auf den Rasen legen, bevor Sie den ersten Schritt nach meinem Hofe hinauf thun. Brauchen Sie selber Zeit, sich zu beruhigen und zu überlegen, so hindert niemand Sie daran; ich selber bedarf dessen nicht. Ich bin kein Schriftgelehrter, das weiß ich, und meine Rede mag nicht klingen, wie die eines Geistlichen im Bethause. Auch mögen Sie denken, daß, wie der Baxter für seine Lumpenhunde eintritt, ich ebenfalls zum eigenen Vorteil rede, so daß Ihnen nicht klar wird, wessen Darstellungen den meisten Glauben verdienen. Aber da sind zwei unparteiische Zeugen, die können Sie darum befragen, wie alles zusammenhängt, und was die behaupten, rechne ich, das ist so richtig, wie das heilige Evangelium. Hier steht einer,« und er wies auf Bertrand, »dem fließen die Worte leichter und verständlicher vom Munde, als mir. Der zweite befindet sich drüben auf dem Hofe, ebenfalls mein Gast, eine Korporalswitwe Knockhimdown oder Hickup, wie sie heißt, und beide hielten sich mir treu zur Seite, als es galt, das Raubgesindel von meinem Eigentum zu verscheuchen.«

»Knockhimdown? Korporalswitwe?« fragte der Kapitän erstaunt. »Bei Gott! die lernte ich kennen, als ich noch nicht lange die Uniform trug. Eine Frau mit ehrlichem Herzen und unverzagt, wie ein braver Krieger. Nun ja, ich nehme Ihr Anerbieten bereitwillig an,« und mit einer leichten Verbeugung zu Bertrand gewendet: »vorausgesetzt, Sie sind bereit dazu?«

»Von ganzem Herzen,« antwortete dieser, sich ebenfalls höflich verneigend, »und wie Frau Hickup wäre auch ich der letzte, zu Gunsten selbst des besten Freundes um die Breite eines Haares von der Wahrheit abzuweichen.«

»Dann sehe ich zu jeder von Ihnen beliebten Stunde da drüben in meinem Zelt Ihrem und der tapferen Knockhimdown Besuch entgegen. Und jetzt noch eine Frage, Freund Howitt: ich hörte von einer Anzahl Steppenreiter, die ohne jede Veranlassung einen Angriff auf Baxters Leute unternahmen. Wo kamen sie her und was für Menschen sind es überhaupt?«

Howitt schüttelte den Kopf zweifelnd und schien von dem Rasen abzulesen: »Man sollte kaum glauben, zu welchen niederträchtigen Lügen solch verworfenes Gezüchte seine Zuflucht nimmt; aber auch nicht, daß ein Gentleman von Ihrem Rang derartigen Kehlabschneidern und Gaunern – die beiden Herren da miteingerechnet – noch ein Körnchen von Gewissenhaftigkeit zutraut. Die Burschen, die im Augenblick der höchsten Not mich und die Meinigen vor einem traurigen Ende bewahrten, sind einfache Rinderhirten – da hinter der Waldecke kampieren sie. Ich selbst kenne nur ihren Vormann, und der ist einer, der in seinem schäbigen Hut mehr Ehrlichkeit mit sich herumträgt, als alle diejenigen zusammengenommen, zu deren Dienst Sie mit Ihren Dragonern herabgewürdigt wurden, in ihren verrotteten Herzen. Wollen Sie mehr von ihm erfahren, dann suchen Sie ihn auf; denn der weiß nicht nur zu reden, sondern auch sein Manneswort zu verteidigen. Ich selbst habe nichts mit ihm zu schaffen. Brachte er mir Hilfe, so geschah es unverlangt.«

»Auch ihn will ich kennen lernen,« versetzte der Kapitän, und Bertrand entging nicht, daß er den beiden Landspekulanten, die des alten Squatters Beschimpfungen ruhig über sich ergehen ließen, höchstens die Achseln mitleidig zuckten, einen argwöhnischen Blick zuwarf, »und so hoffe ich zuversichtlich, daß bei einiger Nachgiebigkeit von beiden Seiten wir zu einem Ergebnis gelangen, das alle ferneren Zwistigkeiten ausschließt.« Er kehrte sich Baxter und Margin zu und fuhr fort: »Ich gewann übrigens den Eindruck, daß unser Freund Howitt nach den von gegnerischer Seite eröffneten blutigen Feindseligkeiten am wenigsten einen Vorwurf verdient, wenn er sich und seine Familie nach besten Kräften verteidigte.«

»So wären wir fertig für heute,« bemerkte Howitt eintönig, »was der folgende Tag bringt, kann kein Mensch vorhersagen,« und ohne ein weiteres Wort schritt er nach dem Hofe hinauf. –

Am Abend, nachdem Baxter und Margin ins eigene Lager zurückgekehrt waren, begaben Bertrand und Frau Hickup sich zu den Dragonern hinüber. Wie eine liebe Freundin wurde letztere von dem Kapitän empfangen, und manches heitere Wort über vergangene Zeiten wurde gewechselt, bevor man der Zwecke gedachte, zu denen das Kommando von Fort Riley aus entsendet worden war. Dann folgte ein langes, ernstes Gespräch, an welchem King Bob, der etwas später eintraf, sich lebhaft beteiligte. Das Bild, welches der Kapitän in seinem Verlauf von der Sachlage gewann, war für die beiden Spekulanten kein günstiges. Selbst ein Sohn des Nordens, neigte er um so mehr dazu hin, Howitts Verfahren milde zu beurteilen, sogar als gerechtfertigt zu erklären. Dagegen konnte er seine Meinung nur dahin äußern, daß Howitt, allerdings das Opfer schamloser Ränke, gezwungen sei, die alte Heimstätte aufzugeben, jedoch eine Entschädigung zu beanspruchen habe, die dem Wert seiner Anlagen gleichkomme. Er selbst wollte folgenden Morgens hinüberreiten, um in Howitts Vertretung über den zu zahlenden Preis sich mit Baxter zu einigen. Bertrand übernahm gern den Auftrag, gewissermaßen zwischen den beiden Parteien zu vermitteln und seinen freundlichen Einfluß auf den unzugänglichen alten Squatter nach besten Kräften auszunutzen.

Bevor man sich trennte, richtete King Bob die Frage an den Kapitän, wie lange er in der Nachbarschaft zu weilen gedenke, und ob die Sicherheit Howitts und seiner Familie verbürgt sei. Der Kapitän erklärte, nicht eher abzumarschieren, als bis er die Ueberzeugung gewonnen habe, daß fernere Ausschreitungen nicht mehr zu befürchten seien. Damit gab King Bob sich zufrieden. Bis in die Nachbarschaft des Gehöftes begleitete er Bertrand und seine alte Freundin, worauf er selbst sich nach der verlassenen Hütte Arrowmakers begab.

Eine halbe Stunde mochte er dort verbracht haben, als Bell sich ihm zugesellte. Sie küßte ihn zärtlich, aber ihre Augen blieben thränenleer. Etwas geisterhaft Ruhiges lag in ihrem Wesen, eine Entschlossenheit, der man finstere Absichten hätte unterschieben mögen.

»Wenn du noch so denkst, wie bisher,« sprach sie mit tiefem Ernst, »dann sage, was ich thun soll. Ich habe jetzt nur noch dich allein. Hier hält mich nichts mehr.«

»Und ich beteure dafür,« versetzte King Bob in innigem Tone, »daß du nie bereuen sollst, dich mir anvertraut zu haben. Und jetzt merke auf: Kannst du morgen im Laufe des Tages von hier fortgehen, oder muß die Nacht abgewartet werden?«

»Nicht im Dunkeln, als befände ich mich auf unehrlichen Wegen, nein, im hellen Sonnenschein will ich aus dem elterlichen Hause scheiden. Ich fürchte keinen mehr. Keiner wird sich die vergebliche Mühe geben, mich halten zu wollen, nicht einmal der Vater.«

»Gut, Bell; dann soll morgen der entscheidende Schritt gethan werden. Fürchtest du aber nichts, so müssen wir doch Vorsicht walten lassen, anstatt durch Trotz das Geschick gegen uns heraufzufordern. Halte dich daher bereit zu jeder Stunde. Meine Leute sind treu. Geben sie dir ein bestimmtes Zeichen, so glaube, es komme von mir selber. Bin ich nicht gleich zur Hand, so habe ich dafür meine unabweislichen Gründe. Thue alles, wozu man dir rät. Es ist notwendig, soll mein Plan gelingen. Mancherlei geht mir im Kopf herum, das ich jetzt noch nicht offenbaren kann. Auf alle Fälle läßt du die Deinigen nicht gefährdet zurück; darüber erhielt ich Gewißheit durch den Kapitän. Es trifft uns also auch nach dieser Richtung hin kein Vorwurf. Erfährt der Vater, daß du dich glücklich und zufrieden an meiner Seite fühlst, so wird er uns seinen Segen nicht vorenthalten.«

»Nein, nein, Bob, darauf hoffe nicht. Sein starrer Wille kann durch nichts gebrochen werden. Verlasse ich ihn und die Mutter ohne seine Einwilligung, dann ist der Bruch unheilbar.«

»So müssen wir uns mit dem Segen des Himmels begnügen,« versetzte King Bob ermutigend, »und der wird uns nicht vorenthalten bleiben, wenn auch nicht um meinetwillen, so doch weil du ihn tausendfach verdienst. Aber deine Zeit wird abgelaufen sein; vielleicht vermißt man dich schon,« und seinen Arm um Bells Schultern legend, schlug er mit ihr den Weg nach der Farm ein.

»Nein, Bob, niemand vermißt mich!« klagte Bell sanft, »man ist froh, wenn ich allen aus den Augen bin. Ich rede zu keinem und keiner redet zu mir. Es ist, als hätte ich mit meiner Liebe zu dir eine Todsünde begangen, und doch weiß ich mich frei von jeder Schuld.«

Und weiter sprachen sie zärtlich und gedämpft, als hätten sie ihre Herzensergüsse vor den sie überdachenden Bäumen verheimlichen wollen. Und die waren doch so verschwiegen und treu. Wie verstohlenes Flüstern lief es durch die schwarzen Wipfel, wie leise Klagen, daß die schöne Freundin, die schon als Kind in ihrem Schatten wandelte, nunmehr scheiden sollte, scheiden auf Nimmerwiedersehen, scheiden auf ewig. Wo sollte sie folgenden Abends sein? Sie hatte die Empfindung, ihrem Glück entgegenzugehen, und doch wollte der Alp, der nunmehr schon seit Wochen auf ihrem Gemüt lastete, nicht von ihr weichen. Aus der Richtung des Dragonerlagers drang das gelegentliche Schnauben der an Leinen grasenden Pferde herüber, gleichsam die Sicherheit der Squatterfamilie verbürgend. In entgegengesetzter Richtung machten die Mustangs der Hirten sich bemerklich. Befreundet klang es in Bells Ohren, befreundet und verheißend, aber ihre Thränen, nachdem sie sich einmal Bahn gebrochen hatten, wollten nicht versiegen.

In der Nähe der Einfahrt des Gehöftes blieben sie stehen.

»Habt ihr Papier im Hause, etwas Tinte und eine Feder?« fragte King Bob, bevor sie sich trennten.

»Einige Blätter werden noch da sein,« antwortete Bell befremdet, »auch eine Feder, das weiß ich. Die Tinte in dem Fläschchen ist dagegen beinahe ganz eingetrocknet. Etwas Wasser macht sie indessen wieder flüssig.«

»Gut,« fuhr King Bob wieder fort, »mehr bedarf es nicht. Stecke alles zu dir. Wäre es doch möglich, daß ich Ursache fände, etwas aufzuschreiben. – Wie der Tau schwer fällt! Wir werden morgen gutes Reisewetter haben.«

Bell vermochte nicht zu antworten. Der Anblick des als schwarze, unförmliche Masse sich ausdehnenden Gehöftes wirkte erschütternd auf sie ein. Wie wurde ihr das Scheiden von allem, was sie liebte, doch so unendlich schwer. Das kleine Fenster der Blockhütte und die offene Thür waren erhellt. Traulich blinzelten sie herüber, freundlich einladend, wie in den sorglosesten Tagen ihres Lebens. Heute sollten sie ihr zum letztenmal entgegenleuchten. Still weinend hing sie an King Bobs Halse. Krampfhaftes Zittern durchlief ihre kräftige und jetzt so gebeugte Gestalt.

King Bob küßte sie auf die Stirn. »Geh hinein jetzt,« riet er gedämpft, »es ist die letzte Nacht unter jenem Dach, die verbittere dir nicht durch Grämen und Härmen.«

Bell riß sich von ihm los. »Morgen um diese Zeit ist alles überstanden,« flüsterte sie ergriffen, »dann ist dein Haus das meinige, ich aber will dir eine treue Magd sein für und für.«

Hastig schlüpfte sie nach dem Hofe hinauf. Bob sah ihr nach, bis sie in der Hausthür verschwand. Das Haupt geneigt, schritt er seinem Lager zu.


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