Balduin Möllhausen
Die Familie Melville
Balduin Möllhausen

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Vierzehntes Kapitel.

Im Hause eines Landagenten.

Unter den Menschen, die nach Schluß der Zirkusvorstellung in dichten Gruppen der Stadt zuwanderten, von flinken Gespannen oder ehrbaren Mietsgäulen heimwärts geführt wurden, befand sich auch Slowfield. Seine Aufmerksamkeit hatten, zumal nach den Erfahrungen in Melvillehouse, die beiden vertraut klingenden Namen auf den Plakaten ebenfalls erregt. Über deren Träger walteten bei ihm keine Zweifel, und doch beseelte ihn das Verlangen, sich von der Wahrheit seiner Mutmaßung zu überzeugen. In Besorgnis, von Gregor erkannt zu werden, hatte er seinen Platz auf einer der letzten, amphitheatralisch übereinander liegenden Bänke gewählt, und zwar oberhalb des Eingangs. Es war dadurch die Möglichkeit für ihn ausgeschlossen, des Pedlars ansichtig zu werden, wie er selbst diesem verborgen blieb. Der erste Eindruck, den das verwegene Reiterpaar auf ihn ausübte, war ein fesselnder. Erst allmählich entwand er sich dem von demselben ausströmenden Zauber, um sich zunächst einem Gefühl triumphierender Befriedigung hinzugeben. Dies Gefühl verließ ihn selbst dann nicht, als er eine Stunde später in das Gewirre enger Gassen und Straßen eines der ältesten Stadtteile sich vertiefte. Es war dies die Region der Magazine und Warenlager, der Kontore und bescheiden wohnender Buchhalter; also eine Gegend, in der jemand, der wenig beachtet zu leben wünschte, leicht ein seinen Neigungen entsprechendes Unterkommen fand. In einer dieser Straßen lag Slowfields Haus. Es war schon seit einer langen Reihe von Jahren in seinem Besitz gewesen. Dafür zeugte schon allein das von Grünspan zerfressene Messingschild oberhalb des Türklopfers, auf dem indessen noch immer deutlich zu lesen war: »Slowfield, Agent für Häuser- und Landverkäufe.«

Um die Stunde, zu welcher in den lichteren Stadtvierteln der heitere gesellige Verkehr erst seinen Anfang nahm, herrschte in der Umgebung jenes Hauses bereits nächtliche Ruhe. Nur wenig Menschen belebten die melancholisch beleuchtete Straße. Überraschend erschien es daher, daß eine kleine Gestalt, die so lange den Schatten der Mauern gesucht hatte, vor Slowfields Tür stehen blieb und, den Arm nach oben ausstreckend, den Klopfer dreimal mit mäßiger Gewalt auf seinen Ambos niederfallen ließ. Dann kehrte sie sich der Straße wieder zu, mit unverkennbarer Scheu aufwärts und abwärts spähend. Eine Minute verrann. Ängstlicher sah die kleine Gestalt, ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren, um sich, als im Innern des Hauses leichte Schritte vernehmbar wurden. Gleich darauf drehte sich knirschend ein Schlüssel und geräuschlos wich die Tür nach innen. »Louis, bist du es?« fragte eine gedämpfte Frauenstimme aus dem finsteren Flurgange heraus.

»Ich bin's,« hieß es ebenso geheimnisvoll zurück, »treff' ich dich allein zu Hause?«

»Ganz allein, Louis. Trete unbesorgt näher. Mr. Slowfield kehrt in der ersten Stunde nicht heim, kommt er aber, bist du bei mir sicher vor ihm.«

Louis schlüpfte in den Flurgang, die Tür wurde geschlossen und verriegelt.

»So, Louis,« begann die Frauenstimme endlich wieder, indem sie im Hinterhause eine angelehnte Tür zurückstieß und dadurch den Eingang zu einem matt erhellten kleinen Zimmer freilegte, »hier stört uns niemand, da mögen wir ein halbes Stündchen nach Herzenslust plaudern.«

Louis atmete erleichtert auf, und in den Schein einer düster brennenden Lampe tretend, nahm er einen Blechkasten unter dem Arm hervor, ihn wie im Triumph vor sich hochhebend.

»Das war ein gefährlich Stück Arbeit,« erzählte er, und sein krankhaft hageres Mulattengesicht erhielt einen schadenfrohen Ausdruck, »aber ich hab's geschafft, Tante Nelly; und eine weiß ich noch, die bring' ich, und müßte ich eine Woche auf sie lauern.«

»Nun zeige, was du hast,« ergriff Tante Nelly alsbald das Wort, und den Kasten zu sich heranziehend, hob sie dessen Deckel empor.

Eine Weile starrte sie finster in den kleinen Behälter hinab. Eine seltsame Befriedigung gelangte dabei auf dem bleichen Antlitz zum Durchbruch.

»Die ist schön,« lispelte sie nach einer Pause dumpfen Schweigens, »die übertrifft alle anderen, die du bisher brachtest. Aber mehr noch mußt du anschaffen, Louis, mindestens ein Dutzend.«

Sie erhob sich, holte einen flachen Teller und ein Fläschchen herbei, außerdem einen zugespitzten Federkiel. In dem Fläschchen befand sich eine trübe Flüssigkeit, höchstens ein Fingerhut voll. Behutsam öffnete sie dasselbe. Dann holte sie aus dem Kasten den abgeschnittenen dreieckigen Kopf einer ungewöhnlich großen Klapperschlange hervor. Aufmerksam betrachtete sie das scheußliche Gebilde, und zu einem Messer greifend, trennte sie den Unterkiefer behutsam von dem oberen.

»Die hat gut geladen,« sprach sie wie zu sich selbst, und wohlgefällig schob sie den Hautsack von dem einen Giftzahn zurück. Sobald aber ein Tröpfchen sich an der Spitze des Zahns bildete, nahm sie das Fläschchen zur Hand, und den Zahn über dessen Öffnung haltend, benutzte sie den Federkiel zu neuem Pressen und Drücken, infolgedessen drei oder vier Tropfen des tödlichen Giftes ihren Weg in die Flasche hinabfanden. Genau ebenso verfuhr sie mit dem anderen Zahn, worauf sie die Reste des Schlangenkopfes in Papier wickelte, um alles in dem eisernen Kochofen zu verbrennen. Nachdem sie das Fläschchen mit peinlicher Sorgfalt zugekorkt hatte, hielt sie es zwischen Auge und Lampe. »Der Vorrat ist wieder etwas gewachsen,« bemerkte sie spöttisch, während es in ihren dunklen Augen seltsam aufleuchtete, »je mehr, um so besser, und daher, Louis, laß es dich nicht verdrießen, deine Jagd fortzusetzen. Nur auf der Hut mußt du sein. Das kleinste Hautritzchen, von einem dieser Scheusale geschlagen, und du bist nach 'ner halben Stunde eine Leiche.«

Der Mulatte grinste boshaft.

»Ich bin ihnen zu schlau,« versetzte er selbstbewußt, »ein leichter Schlag mit der Gerte dicht hinter den Kopf und sie rühren sich nicht mehr. Nur die Klappern rasseln noch, wenn ich ihnen den Kopf abschneide. Doch sage, Tante Nelly, was willst du mit dem vielen Gift?«

Nellys Antlitz verfinsterte sich; erst nachdem sie das Fläschchen verwahrt und alle Merkmale ihres unheimlichen Beginnens beseitigt hatte, antwortete sie mit geisterhafter Ruhe: »Wie oft soll ich dir's wiederholen: eine Arznei stelle ich her, wie sie alle Ärzte der Welt nicht feiner erfinden. Die heilt nämlich alles von Grund aus, Rheumatismus wie kranke Herzen. Doch wir wollen jetzt nicht weiter darüber reden. Ich seh' dirs an, du bist hungrig; da sollst du essen nach Herzenslust.«

Und wie sie gesagt hatte, so geschah es. Sie speiste den elenden Knaben und weidete sich an der Gier, mit dem er seinen Appetit befriedigte und zugleich ihren Belehrungen lauschte. Seinen gesäuberten Blechkasten füllte sie unterdessen mit Brot und Fleischresten, denen sie etwas Tee, Kaffee und Zucker beifügte. Dabei verstrich die Zeit unmerklich, und erschrocken sah sie auf, als zwei laute Schläge, mit welchen Slowfield sich anmeldete, durch das Haus schallten.

Louis zitterte.

»Er bringt mich um, er bringt mich um,« flüsterte er entsetzt, als Nelly ihn durch einen Blick beschwichtigte.

»Hier bleib' und rühr' dich nicht,« rief sie ihm über die Schulter zu, indem sie mit der Lampe das Gemach verließ. Gleich darauf schob sie die Riegel von der Haustür zurück.

»Ist jemand hiergewesen?« fragte Slowfield, sobald er eingetreten war.

»Ein Doktor Hawkins,« lautete die eintönige Antwort. »Hawkins?« wiederholte Slowfield, sichtbar befremdet.

»Doktor Hawkins. Er bedauerte, Sie nicht getroffen zu haben. Als ich ihm jagte, Sie würden um elf Uhr hier sein, versprach er wiederzukommen.«

»Du bist ein bedachtsames Frauenzimmer,« versetzte Slowfield, und während sie ihm leuchtete, öffnete er die Tür, die zu seiner Wohnung führte. Als er eintrat, folgte Nelly ihm nach. Mit beängstigender Ruhe zündete sie die auf dem Tisch stehende Lampe an; dann heftete sie ihre großen dunklen Augen fest auf ihn. Slowfield wurde unruhig und trachtete, ihren Blicken auszuweichen. Als sie aber fortgesetzt regungslos verharrte, versuchte er, durch Spenden von Lobpreisungen sie zu besänftigen.

»Du bist ein bedachtsames Frauenzimmer,« wiederholte er schmeichelnd, »und in diesem Falle danke ich es dir besonders, weil mir viel daran gelegen, den Doktor zu sprechen. Zuvor möchte ich indessen einen kurzen Brief schreiben. Wenn ich nur jemand wüßte, der ihn heut noch zum nächsten Briefeinwurf tragen könnte.«

»Louis befindet sich in meinem Zimmer,« antwortete Nelly, »er mag ihn mitnehmen. Was ich ihm aufgebe, erfüllt er pünktlich.«

»Das trifft sich glücklich, Nelly. Gib ihm zum Lohne etwas zu essen – ja, geh; wenn der Brief fertig ist, rufe ich dich.«

»Ich warte lieber,« erklärte Nelly entschieden, »sitzt Louis so lange im Dunkeln, ist's kein Unglück.«

Slowfield runzelte die Brauen. Eine harte Erwiderung mochte ihm auf den Lippen schweben; allein er bezwang sich angesichts der finsteren Entschlossenheit, die auf der Quaterone Zügen sich ausprägte.

»Tue, wie du willst,« sprach er in versöhnlichem Tone, »ich meinte es gut mir dir, oder ich hätte dir anders geraten.«

Er ließ sich vor dem Schreibtisch nieder und unter seiner Feder entstand:

»Verehrte Freundin! Eine Entdeckung machte ich, wie ich sie kaum erwartet hätte. Gregor, dieser erbitterte, von seiner eingebildeten Große und Unfehlbarkeit durchdrungene Feind, und seine theatralische Begleiterin sind nicht mehr und nicht weniger als zwei abenteuernde Gaukler und Kunstreiter, also eine Schmach des Hauses Melville und damit ausgeschlossen von jeder Beziehung zu Ihnen. In Verehrung Ihr treu ergebener Slowfield

»An Miß Sarah Melville, Melvillehouse,« lautete die Adresse, mit der er den Brief versah. Als er sich darauf Nelly wieder zukehrte, erschrak er vor dem unheimlichen Ausdruck, mit dem sie ihn noch immer betrachtete. Wie eine Bildsäule stand sie, die eine Hand auf den Tisch gestützt, die andere aufs Herz gelegt.

Als habe er nichts Auffälliges in ihrem Wesen entdeckt, überreichte er ihr den Brief. Zugleich bemerkte er erzwungen heiter: »So, Nelly, das hätten wir geschafft. Präge dem Louis ein, daß er ihn nicht verliert oder vergißt.«

Wie eine Somnambule nahm Nelly den Brief in Empfang.

»Mr. Slowfield,« hob sie an, und ihr bleiches Antlitz erhielt einen förmlich leichenhaften Charakter, »wo sind meine Kinder? Wo ist Fanny? Wo ist Harry?«

Bestürzt trat Slowfield einen Schritt zurück; er faßte sich indessen schnell wieder und antwortete mit unsicherer Stimme: »Wie oft fragst du mich darnach –«

»Ich werde so oft darnach fragen, wie ich vor Sie hintrete,« fiel die Quaterone frostig ein.

»Aber ich kann keine andere Erklärung geben, als ich sie dir schon tausendmal erteilte,«

»Das genügt mir nicht. Sehen will ich meine Kinder, in meine Arme schließen will ich sie, an mein Herz drücken.«

»So gedulde dich wenigstens,« versetzte Slowfield beschwichtigend. »Die Kinder sind in guten Händen. Du begreifst, hier im Hause konnte ich sie nicht dulden; ich brachte sie daher zu guten Leuten –«

»Heimlich, hinter meinem Rücken,« unterbrach Nelly ihn nunmehr heftig, »ich hätte sie sonst nicht von mir gelassen oder ich wäre mit ihnen gegangen –«

»Was hindert dich, heute noch zu gehen, wenn es dir nicht länger hier gefällt?« fuhr Slowfield ungeduldig auf, »du bist eine freie Farbige, und ich bin der letzte, der dich halten möchte; ein gut Stück Geld gebe ich dir mit auf den Weg.«

Wie im Wahnsinn lachte Nelly auf. Sie sah, daß Slowfields Verwirrung wuchs, und mit schneidendem Hohn rief sie ihm zu: »Ich sollte gehen? Damit wären Sie freilich einverstanden; denn jetzt bin ich Ihnen hier überall im Wege. Nun ja, ich will von meiner Freiheit Gebrauch machen, jedoch erst dann, wenn ich meine Kinder vor mir sehe. Vorher weiche ich keinen Schritt von Ihnen. Habe ich zwanzig Jahre bei Ihnen ausgehalten, mag ich auch länger bleiben. Ihr Schatten will ich sein, Tag und Nacht Ihnen zurufen: wo sind meine Kinder? Fortgebracht haben Sie dieselben und seit acht Jahren sah und hörte ich nichts von ihnen, als Ihre Vorspiegelungen, und die sind erlogen. Nein, ich gehe nicht. Sie sollen mir Bürge sein für das, was Sie mir raubten, und müßte ich meine Fingernägel vergiften und in Ihr Fleisch bohren.«

»Du redest wieder im Wahnwitz,« entgegnete Slowfield, welchem, trotz der in seinem Wesen sich offenbarenden Furcht, derartige Szenen nichts Neues zu sein schienen, »geh' hin und schlafe aus, morgen früh hat dein Blut sich abgekühlt und wir sind wieder die alten Freunde.«

»Die alten Freunde,« wiederholte Nelly scharf und ihre schwarzen Augen funkelten unheilverkündend, daß man sie mit dem eines Reptils hätte vergleichen mögen, wie sie solchen ihr Gift entnahm, »ja, gute Freunde; so gut, daß wir nicht voneinander lassen, bis der Tod zwischen uns tritt, Mr. Slowfield, geben Sie mir meine Kinder zurück –«

Ein einfacher Schlag des Türklopfers unterbrach sie, und wie durch Zauber ebneten sich ihre feindselig wogenden Leidenschaften. An Stelle der bisherigen drohenden Haltung trat eine gewisse Unterwürfigkeit; ihre Züge erschlafften, wogegen die plötzlich abgestumpften Blicke nur noch von endlosem, unheilbarem Gram zeugten.

Auch in Slowfield war eine Wandlung vor sich gegangen. Er fühlte sich wieder im Besitz des Übergewichtes über die erbitterte Hausgenossin, und darnach bemaß er sein Verfahren im Verkehr mit ihr. »Da ist Hawkins,« sprach er anscheinend sorglos, und strenger fügte er hinzu: »Ich werde ihn selbst einlassen. Er braucht dich nicht zu sehen. Geh' in dein Zimmer und vergiß nicht den Brief.«

Schweigend gehorchte Nelly; gleich darauf entriegelte Slowfield die Haustür. Ein hagerer, hochgewachsener Herr in schwarzem Anzüge trat zu ihm herein. Eine kurze Begrüßung folgte, und gedämpft zueinander sprechend begaben sie sich in das Vorzimmer.

Nachdem beide einander gegenüber Platz genommen hatten, gingen sie alsbald zu dem Zweck über, zu dem Hawkins sich eingestellt hatte.

»Wie steht es mit unserem Patienten?« fragte Slowfield, und gespannt suchte er die gelbbraunen Augen des Doktors, die so kalt schauten, als wären sie aus einem Glaswerk hervorgegangen.

Hawkins strich mit der unförmlich großen Hand über sein schwarz und dünn behaartes Haupt, über sein hageres, glattgeschorenes Iltisgesicht und den langen Kinnbart; dabei zwinkerte er mit den Lidern, wie im Kampfe mit einigen in die Augen geflogenen Schnupftabakskörnchen.

»Es geht langsam bergab,« antwortete er gelassen, »Die Zeit ist absehbar, in der kein anderer Ausweg bleibt, als ihm ein sicheres Unterkommen zu verschaffen.«

»Sie haben sich bereits für einen Ort entschieden?« hieß es geschäftsmäßig zurück.

»Die alte Gelegenheit. Ich wüßte keine bessere.«

»Wie offenbart sich das Schwinden der Vernunft?«

»In einem tiefen Haß gegen alle, mit denen er in früheren Zeiten verkehrte, namentlich gegen Verwandte. Er stürbe lieber Hungers, bevor er seine Hand zu irgendwelchen gewinnbringenden Vereinbarungen böte.«

»Sprach er je über in seinem Besitz befindliche Anhaltepunkte, ich meine Schriften oder sonstige Dokumente?«

»Nie eine Silbe, doch entnahm ich einzelnen seiner gedankenlosen Bemerkungen, daß er um rätselhafte Dinge ängstlich sorgt. Meinen harmlosen Fragen begegnete er mit unzweideutigem Mißtrauen.« »Er verriet also keine Neigung, mit mir oder Miß Melville in näheren Verkehr zu treten?«

»Die bloße Nennung Ihrer Namen würde wahrscheinlich genügen, ihn auf Wochen hinaus vollständig unzugänglich zu machen.«

»Steht er mit irgend jemand in Briefwechsel?«

»Mit niemand; ich bürge dafür. Habe ich doch die beste Gelegenheit, darüber zu wachen.«

»Das ist sehr wichtig,« versetzte Slowfield lebhaft, »will er selbst nicht aus seiner Verborgenheit heraustreten, ist es Ihnen erleichtert, ihn darin zu bestärken. Halten Sie seinen Gemütszustand wirklich für unheilbar?« fügte er fragend hinzu, und scharfer sah er in die seltsam zwinkernden Augen des Doktors.

Dieser nickte bezeichnend und antwortete mit einem häßlichen verschmitzten Lächeln: »Für so unheilbar, daß er, ich wiederhole es, binnen kurzer Frist zu seiner eigenen wie zu anderer Sicherheit in eine Anstalt gebracht werden muß.«

Slowfield neigte billigend das Haupt. Unter den lauernden Blicken Hawkins' sah er eine Weile nachdenklich vor sich nieder, bevor er wieder anhob: »Macht sich die Überführung notwendig, was ich nicht bezweifle, ich hebe ausdrücklich hervor: was ich nicht bezweifle, so muß alles aufgeboten werden, in den Besitz seiner Papiere zu gelangen. Glückt das nicht, so ist es mir unmöglich, seine Gerechtsame an entsprechender Stelle zu vertreten, und der Ärmste hat seine Störrigkeit durch schwere Verluste zu büßen.«

»Ich verstehe,« warf Hawkins ein, und den wahren Ausdruck seiner Augen verheimlichend, bekämpfte er wieder einige Schnupftabakskörner. »Was geschehen kann, geschieht, und mit gutem Gewissen leihe ich meinen Beistand, zumal, wie Sie sagen, sein eigener Vorteil es bedingt. Leicht ist es übrigens nicht; drei Paar Augen überwachen ihn auf Schritt und Tritt.«

»Ich baue auf Ihre Umsicht; sind Vorschüsse erforderlich, so stehe ich zu Diensten,« erwiderte Slowfield billigend. »Ich lasse Ihnen vollkommen freie Hand und erwarte nur, über alle Vorkommnisse rechtzeitig unterrichtet zu werden. Wie steht es mit den beiden Kindern? Deren Mutter machte mir nämlich vor kurzem wieder einmal eine Szene.«

»Nun, so leidlich; das heißt, für die Welt sind sie rettungslos verloren. Wunderbar, daß beide dem Irrsinn verfielen.«

»Ihre Mutter ist eine exzentrische Person,« erklärte Slowfield wie beiläufig, »da kann's nicht überraschen. Doch gleichviel, hätte ich geahnt, daß sie derartig ungebärdig werden würde, möchte ich mich besonnen haben, die Kinder von ihr zu nehmen. Von Tag zu Tag wird sie mir unbequemer. Jede andere Person besorgt meinen Hausstand ebensogut«

»Für eine Anstalt ist sie noch nicht reif?«

»Längst; dagegen stößt es auf unüberwindliche Schwierigkeiten, sie vor hier fortzuschaffen. Das sicherste wäre, sie mit ihren Kindern zu vereinigen. Um solchen Preis ginge sie bis ans Ende der Welt.«

»Unmöglich,« versetzte Hawkins unter beteuerndem Blinzeln, »ich selber möchte wenigstens die Verantwortlichkeit für deren Überführung in andere Verhältnisse nicht übernehmen.«

»Schade drum,« meinte Slowfield nachdenklich, »aber läßt sich nichts ändern, so müssen wir eben das Beste davon machen, mag's mich immerhin mehr kosten, als mir lieb ist.«

»Die Kosten können bei Ihnen unmöglich ins Gewicht fallen; man redet davon, die Stellung als Bevollmächtigter des verstorbenen Kolonel Melville trage Ihnen manchen greifbaren Vorteil ein,« bemerkte Hawkins, und zwischen den zuckenden Lidern hervor beobachtete er aufmerksam Slowfields Physiognomie.

Dieser war indessen auf der Hut und erwiderte gedehnt: »Kaum auf meine Kosten komme ich. Da gibt es so viele Wenns und Abers, daß ich das Geschäft jedem anderen lieber gönne als mir selber. Und dann vergessen Sie nicht: Miß Melvilles Hand liegt auf allem. Ohne ihre Zustimmung fällt auf der Plantage kein Blatt vom Baum.«

Hawkins lachte wie jemand, der eine Sache besser kennt, als sie darzustellen er geneigt ist, und Slowfield fuhr fort, indem er nach dem Schreibtisch hinüberschritt und ein neben demselben stehendes feuerfestes Geldspind öffnete: »Kommen Sie, lieber Doktor. Zunächst erledigen wir den geschäftlichen Teil der zwischen uns schwebenden Angelegenheit; nachher bleibt uns wohl noch Zeit, eine oder zwei Flaschen zu leeren.«

Hawkins leistete bereitwillig Folge, und ohne Zeitverlust vertieften sie sich so ernst in ein neues Gespräch, daß sie nicht einmal hörten, wie Nelly die Haustür öffnete und den Mulattenknaben hinausließ. Sie rechneten und berieten, erhebliche Summen wurden zwischen ihnen genannt, auch wohl um deren Höhe gefeilscht. Zwei Handelsleute, die einen Ausgleich zwischen ihnen schwebender Differenzen anstreben, hätten nicht geschäftlicher zu Werke gehen können, als die beiden würdigen Genossen über fremdes Eigentum, über Gesundheit und Leben anderer verfügten.


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