Balduin Möllhausen
Die Familie Melville
Balduin Möllhausen

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Zwölftes Kapitel.

Miß Sarah.

Eine kurze Strecke legten Gregor und sein lieblicher Schützling auf dem schattigen Wege schweigend zurück; dann hob Thusnelda, um die offenbar düstere Stimmung Gregors freundlich zu beeinflussen, in ihrer treuherzigen, kindlich heiteren Weise an: »Wie viele Menschen wären glücklich, erfreuten sie sich einer ähnlichen Behandlung, wie unsere Pferde. Man sieht ihnen an, wie wohl sie sich bei unserer Pflege fühlen.«

»Weil sie eine Empfindung dafür besitzen, daß wir ihnen aufrichtig zugetan sind,« erwiderte Gregor zerstreut. »Gib sie einem Menschen, der nur aus Pflichtgefühl für sie sorgt, so wird er nimmermehr ihr Zutrauen erwerben, und mästete er sie mit dem schönsten Korn. Oft scheint mir, als webten sich geistige Fäden zwischen uns und unseren Lieblingen aus dem Tierreich; sie könnten sonst unmöglich so bereitwillig auf unsere Absichten – o, ich möchte sagen: auf unsere Gedanken eingehen.« Bitter fügte er hinzu: »Geh hin und erweise den Menschen dieselbe Sorgfalt, dieselben Wohltaten, aber rechne nicht auf Dank. Ja, die Menschen: bringst du sie in Vergleich mit edlen Tieren, so müssen sie im allgemeinen hinter diesen zurückstehen. Egoismus leitete sie zu allem, Heuchelei ebnet ihnen die Wege. Das Wort Ehre auf den Lippen, Gottseligkeit im Blick, dagegen Schurkerei im Herzen, das stempelt sie zu den verworfensten Schöpfungswerken, trotz des äußeren Glanzes, mit welchem sie sich zu umgeben trachten. Pah, ich habe genug von den Menschen kennen gelernt, namentlich von denen, die sich zu den Bevorzugteren rechnen, um sie zu verachten, ihnen überall mit Mißtrauen zu begegnen.«

»Und doch entsinne ich mich nicht, jemals Unfreundlichkeiten von ihnen erfahren zu haben; auch du kannst dich im Grunde nicht beklagen,« versetzte Thusnelda begütigend.

»Soweit deine Erinnerungen reichen, allerdings nicht,« gab Gregor zu, »allein vorher, Kind, vorher; da sammelte ich Erfahrungen, die mein Gemüt tief verbitterten. Das eingesogene Gift wirkt aber heute noch, doppelt hier auf dieser Scholle, auf die meine Kindheit entfällt.«

Sie hatten die Stelle erreicht, von der aus sie den wüsten Vorgarten zu überblicken vermochten. Gregor blieb stehen. Eine Weile betrachtete er das vor ihm liegende Bild trauriger Verödung, dann lachte er so gehässig, daß es Thusnelda peinlich, sogar unheimlich berührte.

»Nicht anders, als ich es zu finden erwartete,« sprach er, und seine sonst stets leidenschaftslose Stimme klang rauh, »aber es konnte nicht anders sein; denn unter jenem Dach« – und er wies mit dem ausgestreckten Arm nach dem Herrenhause hinüber – »wohnte von jeher ein lebendiger Fluch – nicht doch, Thusnelda, zittere nicht. Es ist doch sonst nicht deine Art, kleinmütig zu zagen, und wir beide weilten zu lange außerhalb des Bereiches dieses Fluches, als daß wir noch unter ihm zu leiden haben könnten. Komm, komm; ich wünsche, daß du die Umgebung kennen lernst, in der deine Mutter die glücklichsten Tage verlebte, und ich selbst trotz mancher Anfeindungen heranwuchs so fröhlich und frei, wie nur je ein junges Pferd in seiner Koppel.«

Thusnelda antwortete nicht. Wer sie jetzt beobachtete, wie sie mit unvergleichlicher Anmut und doch eingeschüchtert am Arme ihres hünenhaften Begleiters einherschritt, der hätte in ihr kaum die junge Amazone wiedererkannt, die kurz zuvor noch im tollen Rennen gewissermaßen mit Leben und Tod spielte. Es rief fast den Eindruck hervor, als habe sie auf festem Boden sich nicht heimisch gefühlt, ähnlich dem Seemann, der im Laufe der Jahre sich an die Bewegungen des vom Sturm gepeitschten Meeres gewöhnte.

Indem sie um den Vorgarten herumschritten, trat allmählich das verödete Negerdorf in ihren Gesichtskreis. Zugleich wurde Gregor der greisen Dina ansichtig, die dem alten Pompy eben in einer Schüssel das Mittagsbrot zugetragen hatte.

»Wenigstens ein Bekannter aus alter Zeit,« sprach er, die Richtung nach dem gleichsam vorweltlichen Ehepaar einschlagend. »Dina, wie sie leibt und lebt. So sah sie schon vor einem Vierteljahrhundert aus. Wie sie ihren Gatten sorgsam pflegt! Ob sie mich wiedererkennen? Wenn nicht, so wollen wir ihnen wenigstens vorläufig die Wahrheit verschweigen.«

Die bewohnte Ecke des Herrenhauses fesselte seine Aufmerksamkeit. Als hätte er die Blicke gefühlt, die hinter den Blumenstöcken hervor mit durchdringender Schärfe auf ihm ruhten, nahm er nach kurzem Sinnen sein Gespräch wieder auf:

»Wer da haust, ist wohl schwerlich zu dem Obdach berechtigt; sonst kann es nur jemand sein, der am besten nie geboren wäre. Lebt sie wirklich noch, so müssen Teufelsränke besonders zähe machen.«

In diesem Augenblick wurde Dina seiner ansichtig.

»Alter Gentleman,« rief sie Pompy so laut zu, daß die sich langsam Nähernden ihre Worte verstanden, »das ist ein großer Tag heute, bei Eingo! Zuerst besucht uns der Pedlar, und jetzt kommen ein feiner Herr und eine vornehme Lady.« Bei den letzten Worten strich sie mit den Händen über das neue Tuch, das sie bereits um ihr Haupt geschlungen hatte, ebenso ordnete sie, wie um sich zum Empfang der Fremden zu rüsten, mit einigen flüchtigen Strichen ihre Schürze.

Nach der ersten Begrüßung der alten Leute überzeugte Gregor sich leicht, mochten immerhin zwei Paar Augen mit reger Spannung auf ihm ruhen, daß er nicht erkannt wurde. Ihn aber beschlich Mitleid beim Anblick der beiden hinfälligen Gestalten, deren besonderer Freundschaft, sogar Bewunderung er sich einst erfreute, und so fragte er gütig: »Es hindert uns wohl niemand, auf der Plantage ein wenig Umschau zu halten?«

»Niemand hindert Sie und die schöne junge Lady,« antwortete Dina wohlwollend; »aber ich sag's vorher: nicht viel mehr zu sehen hier. Alles zerfallen und tot. Mit dem schwarzen Gentleman da wird's ebenfalls bald zu Ende sein, dann ist alles vorbei.«

»Trotzdem will ich die Plantage in Augenschein nehmen. Vielleicht wandelt mich die Lust an, sie über kurz oder lang zu kaufen.«

»Ach, Herr, das wäre ein rechter Segen,« meinte Dina ungläubig, »aber es wird schwerhalten. Ich dächte, die Menschen, die vor alters in dem Herrenhause wohnten, müßten's erlauben, und die sind alle tot.«

»Alle tot?« fragte Gregor wie beiläufig, und es entging ihm nicht, daß die Greisin mit unverkennbar wachsender Aufmerksamkeit Thusneldas Antlitz betrachtete, dann wie in Zweifel ihr Haupt schüttelte.

»Alle, alle,« bestätigte Dina mit einem tiefen Seufzer, »Miß Sarah lebt wohl noch, aber mit der ist's nichts. Bei Gingo, wären wir nicht und die Susanna, müßte sie verhungern.«

Gregor sah durchdringend in die trüben Augen der Alten. Er überhörte, daß Pompy gedankenlos wiederholte: »Müßte sie verhungern.«

»Du scheinst keine große Vorliebe für diese Dame zu hegen?« fragte er ruhig.

Dina sandte einen argwöhnischen Blick nach dem Herrenhaus hinüber und antwortete gedämpft: »Ich rede nicht gern zu Fremden darüber, aber ich meine, es müßte ein böser Zaubergeist in sie gefahren sein, daß sie alles verjagte, was anderen eine Freude. Der letzte war ein stattlicher Junge und mein Liebling. Gregor hieß der; vor dem bogen sich die Bäume im Park und knieten die wildesten Gäule. Aber was half's? Den quälte sie, bis er davonlief, und nie wieder hörte man von ihm. Armer Master Gregor! Ja, wenn der noch lebte –« und mit dem Rücken der Hand fuhr sie über ihre Augen hin.

Gregor hatte sich abgewendet. Ängstlich sah Thusnelda zu ihm auf. Sie entdeckte trotz der Verschlossenheit seines Antlitzes, daß er gegen Rührung kämpfte. Nur einige Sekunden dauerte diese Regung und er kehrte sich Dina wieder zu.

»Hin ist hin, gute Alte,« sprach er milder, als es sonst seine Gewohnheit; »wer aber der Toten so freundlich gedenkt, verdient, daß er selber freundlich bedacht werde.«

Er zog einen Silberdollar hervor und legte ihn in die Hand der Greisin.

»Wenn jetzt der Pedlar kommen wollte,« rief diese entzückt aus, »da wollte ich von ihm kaufen –«

»Gut, gut,« beschwichtigte Gregor und er schickte sich zum Gehen an, »kaufe, was nur immer dein Herz begehrt. Vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder; bis dahin Gott befohlen.«

Er kehrte sich um und vor ihm stand Susanna, eine verschmitzt dareinschauende junge Negerin, deren schiefe Haltung von der Verkrüppelung des einen Fußes zeugte. Lachend sah sie zu ihm empor, zugleich knicksend und sich verneigend, was Gregor und Thusnelda mit freundlichem Gruß beantworteten.

Auch ihr schenkte Gregor einen Dollar mit der Weisung, einige Eimer Wasser für die Pferde nach dem Pavillon hinüberzutragen. Bereitwillig sagte die junge Negerin zu, und ihre Freundschaft versprach sie den Herrschaften unter den überschwänglichsten Beteuerungen ihrer erstaunlichen Dankbarkeit für das reiche Geschenk.

»Sie wird wohl kaum Gelegenheit finden, ihre Dankbarkeit zu beweisen,« bemerkte Gregor träumerisch, indem er sich mit Thusnelda entfernte, »und doch hatte ich ihr den Wahn nicht rauben mögen, daß ihre Freundschaft mir von hohem Wert.«

»Wie die beiden Alten wohl beglückt gewesen wären, hattest du dich zu erkennen gegeben,« spann Thusnelda das Gespräch weiter, um Gregors Stimmung freundlicher zu gestalten.

»Gewiß, Kind,« hieß es eintönig zurück, »aber gerade geräuschvolle Freudenbezeugungen vermeide ich gern, namentlich jetzt. Denke deshalb nicht schlechter von mir, sondern erwäge: hier und in der weiteren Umgebung liegt meine Jugendzeit begraben, und mit dieser mein Jugendfrohsinn. Um alles wurde ich betrogen, was sonst das Herz eines Knaben erfreut. Mit rauher, unbarmherziger Hand wurde ich aus der Kindheit ins Mannesalter hineingestoßen, und das ging von denjenigen aus, die – doch was rede ich von mir? Andere sind es, und deckte sie zehnmal der Rasen, für die ich eintrete. Das an ihnen begangene Unrecht will ich sühnen, und führte der Weg dazu über Leichen hinweg – da erschrickst du wieder. Du mußt die Ausdrücke meines gerechtfertigten Hasses nicht wörtlich nehmen. Lebe du sorglos in den Tag hinein, und auch die Stunde wird kommen, in der du manches, was dir jetzt an mir rätselhaft erscheint, verstehst und aus vollem Herzen billigst – sieh da den mit Unkraut überwucherten Platz. Das war meine Reitbahn. Da bändigte ich schon Pferde, als ich noch über den Büchern brüten mußte. Es lag einmal in meiner Natur, und dagegen kämpfen zu wollen, wäre eine Art Selbstmord. Der gesunde Menschenverstand gleicht das auf den Schulbänken Versäumte schnell genug aus. Ähnliches liegt in deinem Charakter, und darnach bestimmte ich den Plan deiner Erziehung, was mir bis heute noch nicht leid geworden – hoffentlich dir auch nicht.«

»Nein, Gregor, sicher nicht,« beteuerte Thusnelda begeistert, und mit beiden Händen drückte sie die starke Faust ihres Beschützers. »Du ersetztest mir die Eltern, warst mein Wohltäter –«

»Unsinn, Thusnelda. Bist du mit deinem Los zufrieden, so dankst du es nicht mir, sondern dem Umstande, – Zufall sollte ich sagen – daß ich deine Neigung früh genug entdeckte. Meine Aufgabe war nur, darüber zu wachen, daß deine Fähigkeiten nicht zu einem handwerksmäßigen Schaffen herabgewürdigt wurden.«

Sie waren vor einem Stalle eingetroffen, dessen verwitterte Tür, längst aus ihren Angeln gebrochen, abseits auf der Erde lag.

»Wie manches liebe Mal führte ich mein Pferd hier aus und ein,« erzählte Gregor weiter, »heraus mit gespreizten Nüstern, hinein keuchend und schäumend, und doch liebten wir einander zärtlich. Komm, wir wollen uns den Stand ansehen und die Krippe – zum Henker, wie kommt dieses Scheusal von Mähre dahin!« rief er mißmutig aus, als er, in den Stall eintretend, auf der bezeichneten Stelle einen gesattelten Klepper stehen sah, der unter dem Einfluß der Hitze träge an einem Bündel nahrungslosen Grases nagte.

»Ist schon mehr Kuh,« bemerkte Thusnelda geringschätzig, »sieh doch den kurzen steifen Hals – pfui, wie kann man solchem Karrengaul einen Sattel auflegen!«

»Und einen anständigen Sattel obenein,« fügte Gregor hinzu, »das arme Tier muß sich verborgener Tugenden rühmen, daß der Besitzer eines solchen Sattels sich nicht schämt, damit auf der Straße zu erscheinen.« Er trat zu dem Pferde, es freundlich klopfend und mit der Hand über seinen Rücken fahrend.

Das Tier bog den Kopf nach Gregor herum und wieherte leise, daß es wie Lachen klang.

»Alter Bursche, mit den Jugendjahren hast du abgeschlossen,« redete Gregor es wie einen Menschen an, »wer dich wohl sein Eigentum nennt –«

»Slowfield, dem schrecklichen Slowfield gehört's!« tönte eine unmelodische, jedoch lustige Stimme von der Tür herüber, und als Gregor und Thusnelda sich darnach umkehrten, sahen sie ein vor Schadenfreude grinsendes schwarzes Gesicht hinter dem Türpfosten hervorlugen und ihnen freundschaftlich zunicken.

»Susanna, du selber?« fragte Gregor verwundert. »Wie kommst du hierher?«

»Wollte den Herrschaften zu Diensten sein, da schlich ich Ihnen nach,« antwortete Susanna munter; »ich vermute, Sie reißen mir die Wolle nicht aus dem Schädel, wie der schreckliche Slowfield, wenn ich mit meinem kurzen Fuß nicht schnell genug für ihn laufe.«

»Slowfield?« fragte Gregor befremdet, »wie kommt der hierher?«

»Auf dem Gaul da, Herr. Drinnen sitzt er bei der Miß Sarah. Da reden sie heimlich miteinander; aber ich bin erstaunlich scharf. Jedes Wort höre ich und keins wird vergessen. Ihren Pferden trag ich Wasser zu. Dem Slowfield-Gaul gebe ich nichts. Den mag der schreckliche Slowfield selber tränken.«

Die letzte Bemerkung der kindischen Negerin schien Gregor zu überhören, in so hohem Grade bemächtigte sich seiner heimliche Wut, und drohend erklang seine Stimme, indem er ausrief: »Slowfield? Dieses elende kriechende Gewürm, das schon zu meiner Zeit an dem Frieden in unserer Familie nagte –«

»Gregor, lieber Gregor, was hast du? Du flößest mir Furcht ein!« bat Thusnelda, die in der Mitte des Stalles stehen geblieben war.

»Was ich habe, Kind?« hieß es gelassen zurück. »Weiter nichts, als daß der verräterischste Schurke, den je die Erde trug, gewagt hat, seine Mähre vor dieselbe Krippe zu stellen, aus der einst mein eigen Pferd fraß. Ja, dieser Slowfield, dieses Scheusal, das, wenn auch nur mittelbar, verschuldete, daß ich meinem guten Tier eine Kugel durch den Kopf schoß. Bei Gott, hätte ich nicht Mitleid mit dem armen Geschöpf, sollte es diesen hinterlistigen Verräter zum letzten Male getragen haben. Doch gleichviel, hier stehen soll es wenigstens nicht, als geschähe es meinen Erinnerungen zum Hohn.«

»Schießen Sie es tot,« rief Susanna wieder lachend um den Türpfosten herum, »zuerst das Pferd, dann den schrecklichen Slowfield!«

Während Thusnelda, wie ihren Sinnen nicht trauend, dastand und sprachlos vor Besorgnis zu Gregor hinübersah, löste dieser den Halfterriemen von der Krippe, und das geduldig folgende Pferd mit sich ziehend, schritt er nach der Tür hinüber. Dort streifte er den Halfter von dessen Kopf, und ihm mit demselben einen leichten Schlag versetzend, trieb er es ins Freie hinaus. Spöttisch blickte er ihm nach, als es in kurzem Hundetrab den verwilderten Gärten hinter den Negerhütten zueilte.

»Wäre ich an deiner Stelle, so bräche ich mir lieber das Genick, als daß ich fernerhin einem Auswurf der Menschheit diente,« sprach er vor sich hin. Dann sah er sich nach der Negerin um. Sie war verschwunden. Dagegen drang aus einem nahen zerfallenen Schuppen schrilles, mutwilliges Lachen zu ihm herüber, an das sich die Worte schlossen: »Den Slowfield bringe ich um! Er hat mich geschlagen und zerzaust, und das gute alte Volk dahinten sagt, es gäbe keine Sklaven mehr, die sich brauchten schlagen zu lassen. Sie sind ein guter Herr; die junge Lady ist ein Engel! Ihnen diene ich, ob Sie's wollen oder nicht,«

»Ja, dieser Auswurf,« hob Gregor wieder an, nachdem die Negerin geendigt hatte; er verstummte, als er plötzlich Thusneldas Hand in der seinigen fühlte. Ihrem ängstlichen Blick mit einem matten Lächeln begegnend, sprach er wie entschuldigend: »Alte Erinnerungen, Kind, alles alte Erinnerungen; die spielen mir oft einen Streich, wenn ich am wenigsten darauf vorbereitet bin. Ferner die Umgebung. Unheimlich erscheint mir alles und gespenstisch. Die beiden lebensmüden Alten da drüben, wie das arme Geschöpf dort in dem Schuppen, die Tante Sarah, wie der bei ihr weilende Höllengeist. Es ist nicht möglich, hier kann kein Glück mehr blühen. Es erneuert der auf der Plantage lastende Fluch sich mit jeder kommenden Stunde.«

»Das arme Tier hat doch nichts verbrochen,« erwiderte Thusnelda freundlich.

»Gewiß nicht,« gab Gregor bereitwillig zu, »und ich dächte, es fände keine Strafe darin, wenn es sich ein wenig im Freien ergeht, anstatt in dem dumpfigen Stalle vor Langeweile zu sterben. Aber aus der Krippe meines Pferdes soll kein anderes mehr fressen, am wenigsten eins, das durch seinen Besitzer entwürdigt wird.«

Nicht achtend Thusneldas flehender Blicke, die plötzlich ihre letzte besänftigende Gewalt über ihn verloren zu haben schien, begab er sich in den Stall zurück, und die Krippe mit beiden Fäusten packend, riß er sie aus ihren Fugen, worauf er sie durch einen schweren Schlag auf das Steinpflaster zertrümmerte. Ebenso verfuhr er mit der gußeisernen Raufe, daß Thusnelda, die nie zuvor eine derartige Erregung an ihm kennen lernte, förmlich entsetzt zu ihm hinübersah.

»So,« kehrte er sich dieser zu, »da gelangte meine Wildheit, die ich längst gestorben wähnte, wieder einmal zum Durchbruch, und doch gewährt mein sinnloses Tun mir eine gewisse Befriedigung.« Er sah in die erstaunt zu ihm aufblickenden großen Augen, und wie beschämt lächelnd, fuhr er fort: »Du wunderst dich, daß ich an einem toten Gegenstande meinen Zorn kühle? Jetzt ergeht es mir ebenso. Wenn du nur wüßtest.«

Wiederum ertönte das schadenfrohe Lachen der hinkenden Susanna, diesmal aber durch ein Loch in der Giebelwand des Stalles, das sie mit ihrem schwarzen Antlitz gerade ausfüllte.

»Soll ich Feuer holen, damit wir den ganzen Stall niederbrennen?« fragte sie förmlich entzückt herein.

»Wenn dir an meiner Freundschaft gelegen ist, so wirst du dergleichen bleiben lassen,« antwortete Gregor streng, worauf Susanna in die klagenden Worte ausbrach:

»Alles, was der Herr mir anbefehlt, soll geschehen. Für ihn und die schöne junge Lady gehe ich durch Wasser und Feuer,« und bei dem letzten Wort verschwand das grinsende Antlitz mit den weißen Zahnreihen und den großen Glotzaugen blitzschnell aus der Maueröffnung.

»Das arme Geschöpf flößt mir Grauen ein,« bemerkte Thusnelda, indem sie ihren Arm auf den Gregors lehnte, »und doch könnte ich ihm nicht zürnen.«

»Kleide es manierlich und stelle es in einen freundlichen Garten, und du ergötzest dich an seinen drolligen Einfällen,« beruhigte Gregor, »die Eindrücke, welche man empfängt, sind in den meisten Fällen abhängig von der Umgebung.«

Sie befanden sich im Freien. Susanna war verschwunden. Lustwandelnd, bald im Schatten, bald in heißer Sonne, schlugen sie die Richtung nach den anderen Baulichkeiten ein. Alles wollte Gregor noch einmal wiedersehen, alles seiner holden Begleiterin zeigen; und überall gab es ja etwas, womit diese oder jene Erinnerung sich verwebte. Pietätvoll suchte er vor Thusneldas geistigem Blick ein Bild der Plantage hinzuzaubern, wie sie ihm selbst noch als Paradies traumähnlich vorschwebte, und immer wieder wurde er durch Schutt und Trümmer an die Gegenwart gemahnt.

 

Miß Sarah Melville saß zu derselben Zeit in ihrem Wohnzimmer neben dem Blumenfenster. Ihr Antlitz hatte sich vor der in ihr wogenden Erregung fieberhaft gerötet. In den Händen hielt sie ein weißes Taschentuch; das zerrte und drehte sie, als hätte sie es für alles verantwortlich machen wollen, was immer wieder sie erbitterte, ihr Blut gleichsam in Gift verwandelte.

Ihr gegenüber saß Slowfield, derselbe Slowfield, der einst in wilder Kriegszeit und unter dem Deckmantel des erheuchelten Patriotismus einem feilen Söldling den Mordstahl in die Hand drückte. Auch er war gealtert, lederartiger war seine gelbe Haut geworden, hagerer sein dünnknochiger Körper. Dagegen hatte er es verstanden, durch jugendlich gewählte Bekleidung, Färbestoffe für Haar und Bart und sonstige Mittel die größere Hälfte der seit jenem Tage über sein Haupt hingegangenen Jahre zu verheimlichen. Auch mehr Bedachtsamkeit offenbarte sich in seinem Wesen; er hatte gelernt, sich in erhöhtem Grade zu beherrschen, die in seinen tückischen Augen wohnende Hinterlist durch würdevolles Senken der Lider zu verschleiern.

Eine halbe Stunde, nachdem der Pedlar in dem Herrenhause vorgesprochen hatte, war er eingetroffen. Nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten und Auszahlung der Quartalsrate einer kleinen jährlichen Rente, über die Miß Sarah peinlich genau quittierte, hatten sie gemeinsam ihr sehr einfaches Mahl eingenommen. Dann gingen sie zu einer ernsten, bei jeder Zusammenkunft sich regelmäßig wiederholenden Beratung über. Wohl gewahrte Slowfield, daß tiefe Unruhe Miß Sarah beherrschte, allein den Grund dafür in ihrer immerhin wenig günstigen Lage suchend, wählte er diese zum Ausgangspunkte eines neuen Gesprächs.

»Ich gewinne den Eindruck,« hob er an und warme Teilnahme offenbarte sich in Stimme wie Haltung, »als ob dieses Vergraben in eine trostlose Einsamkeit Ihre Stimmung, sogar Ihren körperlichen Zustand nachteilig beeinflußte. Wie oft riet ich als treu ergebener Freund, diese elende Umgebung hinter sich zu legen, nach irgendeiner Stadt zu ziehen und ein anderes Leben zu beginnen.«

»Wovon?« fuhr Miß Sarah heftig auf, daß Slowfield förmlich zurückschrak. Doch seit vielen Jahren vertraut mit ihrem Wesen, antwortete er alsbald verbindlich: »Gern bin ich bereit, Vorschüsse zu leisten –«

Gehässig lachte Miß Sarah.

»Mir Vorschüsse?« fragte sie schneidend. »Wären Sie sicher, jemals einen Cent davon zurückzuerhalten?«

»Ich gab die Hoffnung noch nicht auf, daß des Kolonels rätselhaftes Verfahren dennoch einen günstigen Abschluß findet,«

»Vermutungen, aber keine Sicherheit,« erwiderte Miß Sarah erregt, »und auf Vermutungen hin nehme ich keine Unterstützung irgendeiner Art an. Die Melvilles können verhungern, allein almosenartige Dienstleistungen weisen sie von jedem mit Verachtung zurück.«

»Ich ehre und achte Ihre Grundsätze,« entgegnete Slowfield beinahe demütig, »allein ich kann nicht umhin, Sie zu ersuchen, der Zuversicht ein wenig Rechnung zu tragen, mit der ich der endlichen Lösung des Rätsels entgegensehe. Glauben Sie mir, eine Viertelmillion Dollars verschwindet nicht leicht spurlos.«

»Sind das keine Spuren, Mr. Slowfield?« fragte Miß Sarah höhnisch, und sie wies auf eine kleine Reihe Goldstücke, die auf der Kommode vor der Spiegelwand lagen, »wo gäbe es handgreiflichere Spuren, als in den wenn auch nur als Brosamen abfallenden Zinsen? Blieb das täglich wachsende Vermögen seit so vielen Jahren unbeansprucht – sogar unentdeckt, so mögen wir beide darüber hinsterben, bevor sich darin etwas ändert.«

»Und dennoch glaube ich auf der richtigen Fährte zu sein«.

»Zu was soll das helfen, Herr? Wenn das ganze Vermögen aufgestapelt vor Ihnen läge, wären Sie da etwa imstande, ohne einen der Hauptfaktoren auch nur einen Kupferzent aus seiner Lage zu entfernen? Gelänge es Ihnen trotzdem, die ganze Masse flüssig zu machen, glauben Sie da, ich würde meine Zustimmung zu etwas erteilen, was dem Willen meines verstorbenen Bruders zuwiderliefe, also ungesetzlich wäre? Nein, Mr. Slowfield, trauen Sie mir dergleichen zu, so kennen Sie mich nicht. Ich bin eine Melville, das behalten Sie jederzeit im Auge.«

»Ich vergesse das nicht, Miß Sarah; allein mit gutem Gewissen darf ich behaupten, daß es die Billigung des Kolonels fände, verwendeten Sie im günstigen Falle die reichen Mittel dazu, den Stammsitz des Melvilles wieder zur Blüte zu bringen.«

»Ich denke anders, Mr. Slowfield, und so hören Sie meine letzte Entscheidung: Fehlt einer der Hauptfaktoren, so behält die letztwillige Verfügung meines Bruders Gültigkeit, und wäre es bis in die Ewigkeit hinein.« Hier lachte Miß Sarah in ihrer verbitterten Weise und höhnisch fügte sie hinzu: »Sparen Sie also Ihre Mühe; sie würde vergeblich sein. Es sei denn, es gelänge Ihnen, Marianne mir zuzuführen. Und auch dann noch würde ich mich besinnen, sie zu unterstützen. Sie ist abtrünnig geworden, und für Abtrünnige habe ich kein Herz, ist das Vermögen ihrer Großeltern nicht angesammelt worden. Vielleicht hörten Sie von ihr?« »Seit dem Tage, an dem sie auf geheimnisvolle Weise aus Fort Napoleon verschwand, keine Silbe. Alle meine Nachforschungen, die noch jetzt ihre Fortsetzung finden, blieben erfolglos,«

»Ein Zeichen, daß ihr neuer politischer Glaube ihr höher steht, als Geld und Gut,« versetzte Miß Sarah ingrimmig, »vielleicht fürchtet sie auch Ihre erneuerten Bewerbungen, denn von der Erde verschwunden kann sie nicht sein. Wäre sie aber gestorben, würden die zurzeit erwachsenen Kinder schwerlich zögern, die Hand auf das ihnen gebührende Vermögen zu legen, und zu solchem Zweck sich bei mir melden.«

Plötzlich, wie sich eines Umstandes von erschreckender Wichtigkeit entsinnend, richtete sie sich straff empor. Matte Röte hatte sich über ihr Antlitz ausgebreitet. Haß und Hohn glühten zugleich aus ihren Augen, indem sie fragte: »Wenn Sie Marianne mit einem Heiratsantrag beehrten, so müssen Sie überzeugt gewesen sein, daß Stocton wirklich tot?«

Wie von einer giftigen Waffe getroffen fuhr Slowfield zurück, sammelte sich indessen schnell und fragte stotternd: »Stocton? Wie soll ich diese Bemerkung deuten?«

»Nun ja,« fuhr Miß Sarah mit einem bösen Lächeln fort, »es kam mir nämlich vor einer Stunde der Gedanke, was Stocton gesagt haben würde, wenn er plötzlich wieder unter den Lebenden aufgetaucht wäre und Sie im Besitz seiner Frau gefunden hätte.«

»Stocton ist tot,« versetzte Slowfield mit unsicherer Stimme, und auf seinem erbleichten Antlitz offenbarte sich, daß seine Gedanken in die ferne Vergangenheit schweiften, »er ist tot seit dem ersten Kriegsjahre. Ich kenne sogar einigermaßen die Umstände, unter denen er sein Ende fand. Miß Melville – wenn Sie mir die Frage erlauben – was veranlaßte Sie zu dieser Bemerkung?«

»Weiter nichts, als daß ich vor einiger Zeit jemand sah, der mich lebhaft an Stocton erinnerte. Es fehlte nicht viel, daß ich ihn als Kapitän Stocton begrüßte,« antwortete Miß Sarah, das Antlitz Slowfields aufmerksam überwachend.

»Unmöglich – unmöglich!« stieß Slowfield förmlich hervor. Er verstummte entsetzt, denn von der Zimmerdecke herunter rieselten Sand und Kalkteilchen, die stäubend seine Knie trafen. Sein Blick richtete sich nach oben. Er gewahrte ein rundes Loch in dem Kalkputz, wie solche hier und da auf der seit Jahren nicht ausgebesserten Decke sich wiederholten. Weder er noch Miß Sarah ahnten, daß das eine große Glotzauge Susannas durch die mit Bedacht geschaffene Öffnung so lange zu ihnen niedergespäht hatte und schließlich ihr Abscheu vor Slowfield sie dazu bewegte, ihn mit dem zur Hand liegenden Schutt zu bewerfen.

An Slowfields Schreck sich ergötzend, bemerkte Miß Sarah spöttisch: »Es ist nichts. Hier im Hause regieren Ratten und Mäuse, eine würdige Nachbarschaft für die Letzte der Melvilles.« Nachlässig sah sie aus dem Fenster und anscheinend sorglos fuhr sie fort: »Unmöglich, meinen Sie? Warum denn? Weshalb sollte es nicht Ähnlichkeiten aller Art geben? Sogar täuschende Ähnlichkeiten, die uns vorübergehend –«

Eine Bewegung hinter dem Buschwerk des Vorgartens fesselte ihre Aufmerksamkeit. Schärfer spähte sie hinüber. Slowfield, noch immer nach Fassung ringend und überall neue erschütternde Kundgebungen fürchtend, hatte sich erhoben und war neben sie hingetreten.

»Fremde, wie kommen die hierher?« bemerkte er, als Gregor und Thusnelda in seinen Gesichtskreis traten.

»Ja, Fremde,« wiederholte Miß Sarah nachdenklich, als jene vor einer breiteren Öffnung in der Vegetation vorüberwandelten. Dann lehnte sie sich zurück, und mit der linken Hand die Armlehne ihres Stuhls fest umklammernd, wies sie mit der anderen zwischen den Blumenstöcken hindurch. Worte vermochte sie nicht hervorzubringen, aber das Entsetzen, das sich in ihren gleichsam erstarrenden Zügen ausprägte, war genügend, auch Slowfield mit den bösen Mutmaßungen zu erfüllen.

»Geben die Gräber ihre Toten wieder heraus?« entwand es sich endlich den farblosen Lippen Miß Sarahs, ohne daß sie ihre Stellung veränderte.

Unheimlich berührten diese Worte den elenden Feigling an ihrer Seite. Schärfer spähte er zu den beiden Fremden hinüber. Schon meinte er, daß die langjährige, hinterlistig ausgenutzte Stütze seiner verräterischen Pläne ein Opfer krankhafter Visionen geworden, als diese den ausgestreckten Arm erschöpft sinken ließ. Die Richtung ihrer Blicke blieb dagegen unverändert, und als hätte sie befürchtet, daß ihre Stimme zu den Fremden hinübergetragen werden könne, lispelte sie geheimnisvoll: »Das ist er. Es kann kein anderer sein. Derselbe Kopf, dieselbe trotzige, herausfordernde Haltung, dasselbe Gesicht, nur gealtert und – schöner geworden. Auf jeder anderen Stelle möchte ich zweifeln, auf dieser nicht. Die an seiner Seite kenne ich nicht. Vielleicht seine Frau. Was wollen die hier?« Sie lachte erbittert und gleichsam zischend sprach sie weiter: »Nicht der Zufall führte sie hierher. Sie handeln mit jemand im Einverständnis! – Mr. Slowfield – haben Sie immer noch nicht die Empfindung, als ob sich düstere Wolken über unseren Häuptern zusammenziehen, mir die letzte Zufluchtsstätte geraubt, und zwar von einem entarteten Melville geraubt werden soll? Aber es mußte so kommen: das Geschick war Wider uns. Wie unsere edle, aristokratische Nation den Keulenschlägen eines Volkes elender Krämer und Sklavenräuber erlag, soll der einzelne noch besonders vernichtet werden. –«

»Ich verstehe Sie nicht,« fiel Slowfield völlig ratlos ein, »Ihre Phantasie ist erregt – die ewige Einsamkeit – nach unserem vorhergegangenen Gespräch sind Sie geneigt, überall Gespenster zu sehen –«

»Gespenster?« unterbrach Miß Sarah ihn gereizt, »nennen Sie Gespenster, was in Fleisch und Blut vor mir steht, nennen Sie das Bilder einer wirren Phantasie? Sehen Sie ihn an, den Gregor Melville, den früheren verhätschelten Taugenichts von Melvillehouse. Betrachten Sie ihn, den ich längst verwest und vermodert wähnte, und unter dessen brudermörderischen Händen gewiß mancher ehrenwerte Sohn des Südens seinen Atem aushauchte. Betrachten Sie ihn genau, diesen Schandfleck unseres Hauses, und versuchen Sie, Gespenster zu nennen, was als eine lebendige Drohung vor uns hingetreten ist!«

»Gregor Melville,« versetzte Slowfield kleinlaut, und in seinem Geiste webte es wie eine Vorahnung drohenden Unheils, »jener berüchtigte Gregor – nimmermehr hätte ich den wiedererkannt – freilich, nur selten sah ich ihn und dann flüchtig. Doch beruhigen Sie sich, Miß Melville. Wen brauchen wir überhaupt zu fürchten? Wir stehen auf festem Boden, und ein entfernter Verwandter des Kolonels wäre der letzte, der sich irgendwelche Eingriffe in die hiesigen Verhältnisse erlauben dürfte.«

»Auch nicht, nachdem er mit einem wirklichen Mitgliede unseres Hauses sich verbündete?« fragte Miß Sarah scharf, und des Pedlars rätselhafte Gestalt tauchte in ihrer Erinnerung auf. »Und jetzt, da ich den längst Totgeglaubten wieder vor mir sehe, halte ich nichts mehr für unmöglich.«

»Ob Sie nicht dennoch sich täuschen,« versetzte Slowfield zweifelnd, »beobachten Sie ihn im Verkehr mit den beiden Schwarzen. Das sieht nicht nach alter Bekanntschaft aus. Es wäre wunderbar, erblickte Dina in jemand, mit dem sie einst aus vertrautem Fuße stand, nur einen Fremden.«

»Die mit ihren getrübten Augen sollte jemand erkennen, der vielleicht gar nicht erkannt sein will?« fragte Miß Sarah gehässig.

Slowfield antwortete nicht. Erst als Gregor und Thusnelda sich von den beiden alten Leuten und der herbeihinkenden Susanna verabschiedeten, kehrte er sich Miß Sarah wieder zu.

»Ist es in der Tat Gregor Melville, so stattet er seiner Tante unfehlbar einen Besuch ab,« meinte er gedämpft.

»So darf er Sie nicht hier finden,« fiel Miß Sarah gedämpft ein, »kommt er, so treten Sie dort in mein Schlafzimmer und verhalten sich ruhig. Eine Spanne weit mag die Tür offenbleiben, damit Sie jedes hier gewechselte Wort verstehen – sie schlagen die Richtung nach den Wirtschaftsgebäuden ein – ob die schlanke Gestalt neben ihm seine Frau ist? Sie erinnert mich an jemand, ich weiß nur nicht an wen. Wie sie sich auffällig mit Federn und buntem Tand geschmückt hat!« Sie trat an das Giebelfenster, von wo aus sie die beiden ahnungslosen Wanderer etwas länger im Auge zu behalten vermochte. »Ein neuer Beweis für meine Behauptung,« sprach sie weiter und ihre Stimme bebte vor Erregung, »kein anderer wäre vor seiner alten Reitbahn stehengeblieben – ei, wie er der jungen Person lebhaft erzählt. Er mag ihr schildern, wie er mir zum Hohn gerade vor meinem Fenster mit seinen Gäulen sich herumbalgte. Sie biegen nach den Ställen hinüber. Wie er frohlocken mag, alles in einem heillosen Zustande des Verfalls vorzufinden –«

»So entdeckt er auch mein Pferd,« fuhr Slowfield erschrocken auf.

Miß Sarah biß auf ihre dünne Unterlippe. Einige Sekunden sann sie nach, bevor sie antwortete: »Das läßt sich jetzt nicht mehr ändern. Finden sie Ihr Pferd, so mögen sie nach Belieben darüber urteilen; was kümmert's mich? Ich bin niemand Rechenschaft schuldig.«

Gregor und Thusnelda waren aus ihrem Gesichtskreise getreten. Die beiden Verbündeten begaben sich daher nach dem Blumenfenster zurück, wo sie ihre alten Plätze einnahmen. Obwohl hinauslauschend, um Gregors mutmaßliches Eintreffen rechtzeitig zu unterscheiden, vertieften sie sich alsbald wieder in eifriges Gespräch. Unwillkürlich, wie eines Unrechts sich bewußt, dämpften sie ihre Stimmen, Freundliches war es am wenigsten, was zwischen ihnen zur Beratung gelangte, das offenbarte sich in ihren Blicken, in jedem einzelnen Zuge der erregten Physiognomien.

Eine halbe Stunde und darüber war verstrichen, als Gregors Stimme aus der Ferne zu ihnen hereindrang. Die beiden Verbündeten horchten hoch auf. Etwas später erdröhnten auf der Veranda feste Schritte; im nächsten Augenblick griff Slowfield nach seinem Hut und trat in das Nebenzimmer.

Miß Sarah hatte unterdessen Slowfields Stuhl zur Seite geschoben, und mit den eckigen Bewegungen eines künstlich belebten Gebildes aus Eisen und Holz nahm sie ihren Platz neben dem Blumenfenster wieder ein.

»Hier raste ein wenig,« unterschied sie Gregors tiefe Stimme »hoffentlich trägt die verwitterte Bank dort dein Gewicht noch. Ich kehre bald zurück. Mit hineinnehmen möchte ich dich ungern.« Dann verhallten seine Schritte im Flurgange, um alsbald in der Nähe ihres Zimmers wieder laut zu werden.

Auf das Klopfen folgte ein dürres »Herein«. Die Tür öffnete sich und in ihr erschien Gregor, blieb aber, um zuvörderst kurze Umschau zu halten und von deren Erfolg sein Verfahren abhängig zu machen, in der Nähe der Tür stehen. Durch den ersten Blick überzeugte er sich, daß die häßlich gealterte Verwandte noch nichts von jener kalt abstoßenden Haltung eingebüßt hatte, die ihn schon in früher Kindheit mit Scheu, später hingegen mit Abneigung erfüllte. Die großen dunklen Augen blickten sogar noch eisiger; jede einzelne Linie ihres verbitterten Antlitzes zeugte dafür, daß ihr gleichsam fanatischer Hochmut selbst durch überstandene Leiden und Entbehrungen nicht hatte gebeugt werden können. So klang auch ihre Stimme frostig, indem sie, ohne ihre Stellung zu verändern, fragte: »Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«

Jetzt erst belebte sich Gregors Gestalt. Er wußte, daß er mit einer Feindin zu rechten habe, und durchdrungen von dieser Überzeugung, antwortete er kaltblütig: »Ihr Empfang beweist mir zweierlei,« und einen Stuhl seiner Tante gegenüber hinstellend, ließ er sich gemächlich auf denselben nieder; »zunächst, daß Ihre Augen noch schärfer sind, als die meiner alten Freundin Dina, die mich nicht erkannte, und ferner, daß ich heute auf keine freundlicheren Gesinnungen zu zählen habe, als in den Zeiten, in denen ich Ihnen stets ein Dorn im Auge gewesen.«

»Der Vergleich paßt nicht,« erwiderte Miß Sarah eintönig, jedoch laut genug, um in dem Nebenzimmer verstanden zu werden. »In den Zeiten, auf die du dich beziehst, warst du zu unbedeutend, als daß ich mich viel mit dir hätte beschäftigen mögen. Später hingegen, nachdem sich herausstellte, daß du mit Leib und Seele zu den Feinden deines engeren Vaterlandes hinneigtest, durftest du keine besondere Achtung von mir erwarten. Wer gegen die nächsten Verwandten kämpfte, wohl gar selber das Geschoß entsendete, das den eigenen Wohltäter niederstreckte, in dem kann ich auch heute nur einen Feind erblicken.«

»Ich vermeide, Ihre Voraussetzungen zu berichtigen,« versetzte Gregor gelassen, »und welchen Glauben fände ich unter solchen Umstanden bei Ihnen? Ich kam überhaupt nur, um die einst so blühende Plantage –«

»Die durch Verrat und Raubmord einer ganzen Nation in eine Wüstenei verwandelt wurde,« schaltete Miß Sarah schneidend ein. »Gut, nennen Sie es nach Belieben,« fuhr Gregor unbeirrt fort, »ich dagegen wiederhole: um den Zustand der Plantage kennen zu lernen, entschloß ich mich zur Reise hierher, um Erkundigungen über diesen und jenen einzuziehen, deren aufrichtiger Zuneigung ich einst mich erfreute. Über den Onkel erfuhr ich bereits früher, und zwar zufällig, daß er in Vicksburg gefallen –«

»Von ruchlosen Feinden ermordet wurde,« warf Miß Sarah wieder herbe ein.

»Auch in Erinnerung eines Bruderkrieges sollte man nur von Kämpfen sprechen, mögen diese immerhin erbarmungsloser gewesen sein, als wenn nachbarliche Nationen sich gegenseitig mit Krieg überziehen – doch rechten wir nicht über Bezeichnungen. Wenn ich je einen Mann aufrichtig betrauerte, so war es mein großmütiger Onkel. Aber da sind noch andere, um die ich sorgte und heute noch sorge. Zunächst Stocton. Gern sähe ich ihn wieder. Vor kurzem erst nach vieljährigem Aufenthalt in überseeischen Ländern nach den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, kann es nicht überraschen, wenn mein Weg nicht schon früher mich hierher führte.«

Miß Sarah atmete auf. Matte Röte breitete sich wieder über ihr Antlitz aus, ein sicheres Merkmal ihrer heftigen Erregung, gleichviel, ob freundlicher oder feindseliger Natur. Durch seine Frage hatte Gregor den Argwohn verscheucht, daß seine Anwesenheit auf der Plantage in Beziehung zu dem vorhergegangenen Besuche des Pedlars stehe, und es verbleichte die Ähnlichkeit, welche sie an diesem entdeckt zu haben meinte. Sie zürnte der eigenen Phantasie, die ihr ein bedrohliches Bild vor Augen geführt hatte.

»Stocton?« hob sie daher nach einer Pause undurchdringlichen Sinnens an, welches Gregor nicht befremdete, »Stocton? Ich hatte mir einst gelobt, den Namen dieses Verräters nicht mehr über meine Lippen zu bringen. Fragst du mich aber nach ihm, so bleibt mir nichts anderes übrig, als dir zu antworten. Stocton, dem verzerrte Begriffe von eingebildeter Ehre höher standen, als Weib und Kind, ist im ersten Jahre des Krieges zugrunde gegangen. Die Art seines Endes kenne ich nicht, hat auch keinen Wert für mich. Traf ihn ein schweres Verhängnis, so hat er selbst es für sich heraufbeschworen.«

»Tot!« versetzte Gregor düster und der Schmähungen nicht achtend, die einem Verstorbenen galten. Er mochte sich das Bild des einst so herzlich befreundeten stolzen Offiziers vergegenwärtigen, denn eine Minute verrann, während der die Blicke seiner Tante mit der Schärfe von Nadeln auf ihm ruhten, bevor er wieder emporsah und zugleich fragte: »Seine Frau, Marianne und ihre Kinder, sie blieben hoffentlich von schweren Schicksalsschlägen verschont?«

»Nachdem ihr Mann sich treulos von ihr wendete, konnte nichts Schwereres mehr auf sie hereinbrechen. Sie ist verschwunden und verschollen seit einer langen Reihe von Jahren. Sie war eine ehrenwerte, stolze Tochter des Südens; zu stolz, um selbst Freunden zur Last zu fallen. So mag sie einen Winkel aufgesucht haben, in dem niemand sie kennt. Wüßte ich aber, wo sie weilte, so wärest du der letzte, dem ich es anvertraute. Um keinen Preis gönnte ich ihr, daß durch deinen Besuch ihr Friede gestört würde.«

Gregor runzelte die Brauen und sah wieder vor sich auf den abgenutzten, schäbigen Teppich nieder. Auch jetzt noch überhörte er die erbitterten Schmähungen, und wie zuvor ruhten Miß Sarahs Blicke mit eigentümlicher Schärfe auf ihm.

»Da ist noch einer,« sprach er, und vergeblich mühte er sich, die gewohnte Ruhe in seine Stimme zu legen, »ich meine Gilbert. Ich hoffe, er lebt noch –«

»Tot,« warf Miß Sarah frostig ein, »er liegt auf dem Meeresboden. Ein Glück für ihn; da braucht er sich nicht länger um eine Person zu grämen, die seine Liebe mit der Befleckung seines Namens lohnte.«

Da richtete sich Gregor noch höher auf, und so durchdringend sah er in Miß Sarahs Augen, daß diese den Kreislauf ihres Blutes stocken fühlte.

»Häufen Sie Ihre Beschimpfungen auf wen Sie wollen,« sprach er feierlich, als hätte er ein Todesurteil abgelesen, »verfolgen Sie mit Ihrem Haß noch in ihren Gräbern alle, die einst in Ihre Nähe traten. Dagegen warne ich Sie, den Namen einer Heiligen fernerhin mit Ihren sinnlosen Anklagen zu besudeln. Oder wissen Sie etwa, wo und wie Edith Melville ihr Ende nahm?«

Miß Sarah zuckte die Achseln und antwortete erzwungen gleichmütig: »Ich hatte nie Gelegenheit, auch keine Neigung, mich nach jemand zu erkundigen, der eine unüberschreitbare Kluft zwischen sich und Melvillehouse eröffnete.«

»Wohlan, so will ich es Ihnen offenbaren,« erwiderte Gregor, »in ferner Wildnis, abgeschieden von allen, an denen ihr treues Herz einst mit so viel Innigkeit hing, hauchte sie ihren letzten Atem aus. Dort liegt sie auch begraben, und ihr Schlummer wird deshalb nicht weniger sanft sein. Weiß Gott, ich hätte ihr ein längeres Leben gegönnt, und dennoch handelte der Himmel vielleicht mit weisem Bedacht, als er sie im Schlaf endgültig allem Leid, allen Verfolgungen entzog. Doch was ergehe ich mich in Schilderungen, von welchen ich voraussetzen muß, daß sie bei Ihnen keiner Teilnahme begegnen? Sprechen wir von weniger ernsten Dingen, wenn es Ihnen nicht zuviel wird. Gibt es Mittel, die Plantage zu verwerten oder wieder emporzubringen?«

Mit einer gewissen Hast ging Miß Sarah auf diese Wendung ein.

»Weiltest du so lange im Auslande,« antwortete sie spöttisch »so müssen die hiesigen Verhältnisse dir allerdings fremd geworden sein. Wie so viele tausend andere Besitzungen, denen man die Arbeitskräfte stahl, mußte auch Melvillehouse den letzten Wert verlieren. Wenn aber die Gläubiger sich scheuen, ihre Ansprüche an die verwilderte Scholle geltend zu machen, so haben etwaige Erben um so weniger Ursache zu irgendwelchen Hoffnungen.«

»Keines schönes Bild, das Sie entwerfen,« nahm Gregor wieder das Wort, »doch gleichviel. Was ich zu wissen wünschte, habe ich erfahren; wollte Gott, ich hätte befriedigter von dannen gehen können.«

Er erhob sich.

»Jetzt möchte auch ich eine Frage an dich richten,« kam Miß Sarah seinem letzten Abschiedswort zuvor, »Du kamst nicht allein. Ich sah dich in Begleitung einer jungen Person –«

Gregor unterbrach sie durch die leidenschaftslose Bemerkung: »Auch Sie waren bisher nicht allein. Ich glaube wenigstens, es daraus entnehmen zu dürfen, daß ich das Reitpferd eines gewissen Slowfield im Stalle vorfand. Ich vermute, der Herr wird bei ferneren Besuchen einen anderen Stand für sein Tier wählen,«

Einige Sekunden starrte Miß Sarah befremdet in Gregors unerbittlich strenge Augen. Da Slowfield selber die Bemerkung gehört haben mußte, ging sie nicht näher auf sie ein, sondern antwortete mit versteckter Wut: »Die Plantage in ihrer Verwahrlosung ist gewissermaßen Gemeingut geworden. In meiner Macht liegt es nicht, jemand zu wehren, wenn er herrenloses Gut sich zunutze macht. Du bist mir noch die Erklärung schuldig, wenn es dir überhaupt gefällt, mir eine solche zu erteilen. Ich vermute, die junge Person – Dame sollte ich vielleicht sagen – ist deine Frau –« Sie stockte vor der Art, in welcher Gregors Antlitz sich verfinsterte. Böser Hohn zuckte um seine Lippen.

»Nicht meine Frau,« sprach er kurz, »sondern mein Schützling. Ich will Sie indessen vollständig aufklären. Als Edith, grausam verfolgt, in ferner Wildnis zum Sterben kam, war ich der einzige, der ihren letzten Atem überwachte. Aus ihren erstarrenden Armen nahm ich das hilflose Kind; meinem Versprechen getreu, ließ ich es seitdem nicht mehr von mir. Treu habe ich es überwacht, nach besten Kräften erzogen und ausgebildet, was durch eine reiche Begabung mir allerdings erleichtert wurde. Jetzt ist Thusnelda eine Dame, die dem stolzesten Fürstenhause zur Zierde gereichen würde, es ist dieselbe junge Person« – und er betonte das letzte Wort schärfer – »die draußen auf mich wartet. Sollte die Enkelin meines Onkels und Wohltäters noch irgendwelche Ansprüche an dessen Hinterlassenschaft haben, so betrachte ich es als meine Pflicht, dieselben geltend zu machen,« und mit einer leichten Verbeugung sich abkehrend, schritt er aus dem Zimmer.

Gleich darauf erschien Slowfield in der Tür des Schlafgemachs.

»Ein recht angenehmer Besuch,« sprach er hämisch, und erschrocken kehrte Miß Sarah sich ihm zu, »von dem Burschen, dem Gregor, war freilich nichts anderes zu erwarten.«

Miß Sarah seufzte tief auf; es verhärteten ihre Züge sich wieder in gärendem Zorn.

»Sprechen wir nicht weiter von ihnen,« antwortete sie eintönig, »ich fühle mich erschöpft. Es sind heute schon so viele Ansprüche an meine Kräfte gestellt worden.«

Singsang rastete behaglich auf der Bank unter dem Baldachin. Neben ihm saß Susanna, die das Wasser herbeigetragen hatte. Die Pferde ließen die Köpfe hängen. Träge senkten sie die Lider über die klaren Augen. Sie schienen zu träumen. Plötzlich richteten sie sich auf, und die Ohren spitzend, sahen sie nach dem Fahrweg hinüber. Singsang und Susanna folgten ihrem Beispiel, und das mongolische wie das afrikanische Gesicht erhellten sich in gleichem Maße zu einem Grinsen der Befriedigung, als sie Gregors und Thusneldas ansichtig wurden. Diese gingen Arm in Arm, wie gute Kameraden. Seitdem sie die Veranda verließen, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wie ein böser Bann ruhte es auf ihren Gemütern. Da drang das leise Wiehern herüber, mit dem der eine Falbe sie begrüßte, und einem belebenden Sonnenstrahl ähnlich eilte es über ihre Züge.

»Die Tiere sind doch besser als die Menschen,« bemerkte Gregor, und er atmete auf, wie einem Chaos peinlicher Betrachtungen sich entwindend.

»Doch wohl mit einzelnen Ausnahmen,« pflichtete Thusnelda freundlich bei.

»Nun ja, dich nehme ich aus,« meinte Gregor freier, »und dennoch, von Egoismus, und wäre es nur eine Probe, darf sich kein Sterblicher freisprechen, auf Selbstsucht aber wuchern mehr oder minder Eigenschaften, die den Tieren fremd sind.«

Thusnelda trat zwischen die beiden Falben, sie liebkosend und herzige Worte an sie verschwendend. Ein Weilchen betrachtete Gregor das freundliche Bild mit ernster Teilnahme. Dann kehrte er sich Susanna zu, die vor ihn hinhinkte und ihr glückselig strahlendes Antlitz zu ihm erhob.

»Master Gregor,« redete sie ihn an und sie zeigte zwei Reihen Zähne, die einem Wolf zur Ehre gereicht hätten, »Wasser hab' ich zugetragen und gelauscht hier und da.«

»Wer verriet dir meinen Namen?« fragte Gregor befremdet.

»Miß Sarah,« hieß es triumphierend zurück; »auf dem Hausboden saß ich und nach unten horchte ich, wo Miß Sarah und der schreckliche Slowfield redeten. Wüßten sie's, so schlügen sie mich tot. Vor Ihnen fürchten sie sich – hab's deutlich gehört. Sie verraten mich nicht, Master Gregor. Sie sind gut. Großmutter und Großvater erzählten Erstaunliches von dem Master Gregor. Wir lieben ihn sehr. Auch den Kapitän Stocton fürchten sie. Ich hörte es mit meinen eigenen Ohren. Aber der ist tot; Tote braucht man nicht zu fürchten. Vielleicht erfahre ich mehr; das erzähle ich dem Master Gregor, wenn er wieder hierher kommt.« »Gut, Susanna, das tue,« versetzte Gregor, als die junge Schwarze mit ihrem von unzweideutigem Haß zeugenden Bericht, auf den er keinen hohen Wert legte, zu Ende gekommen war; »aber sei vorsichtig, damit die Neugierde dir keine Strafe eintragt. Kehre ich hierher zurück, so magst du mir alles erzählen, was du weißt. Doch jetzt geh' zu der alten Dina; grüße sie und meinen alten Freund Pompy; hier hast du auch noch etwas für deine Dienstleistung,« und er drückte der hochbeglückten Negerin einige kleine Geldmünzen in die Hand. Auf sein Geheiß legten Singsang und Thusnelda einen Teil der mitgebrachten Speisen in den leeren Eimer; als Susanna aber mit ihren Schätzen heimwärtshinkte, blickte Gregor ihr sinnend nach. Er begriff, daß in demselben Maße, in dem er das Vertrauen des armen Geschöpfes gewonnen hatte, dessen Haß gegen seine Peiniger wuchs. – –

Einsilbiger, als es sonst ihre Art, verkehrten die drei befreundeten Gestalten bei ihrem Mahl unter dem Baldachin miteinander. Erst als sie eine Stunde später den Wagen bestiegen und Thusnelda die Pferde in den Weg zurücklenkte, entwanden sie sich den bei dem Besuch der Plantage empfangenen Eindrücken, die seither wie ein böser Alp auf ihnen lasteten.


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