Balduin Möllhausen
Die Familie Melville
Balduin Möllhausen

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Drittes Kapitel.

Das Ende eines Verräters.

Durch den Befehl, die Wache bei der Fähre abzuberufen, war es Wigham erleichtert worden, sich abermals unbemerkt mit Slowfield in Verkehr zu setzen. Wie zuvor, traf er mit ihm im Schatten der die Landstraße begrenzenden Vegetation zusammen. Das niedrighängende Gewölk und der strömende Regen hatten die Atmosphäre verfinstert. Freier bewegten die beiden sich daher auf der Mitte des Weges dem Strome zu. In eifrigem Gespräch legten sie eine kurze Strecke zurück, dann stellte Slowfield sich in der Mündung eines von weidendem Vieh getretenen Seitenpfades auf und wartete dort, bis Wigham der Fährwache den Befehl des Kolonels überbracht hatte, worauf beide schweigend in den Pfad einbogen.

Das Brausen des Windes wie das Rauschen des Regens umhüllten gewissermaßen ihre Schritte, daß weder die vorbeireitenden Soldaten, noch die in dem Prahm befindlichen Cherokesen aufmerksam auf sie wurden.

Aber auch ihnen selbst entging, daß ein Mann, dessen Bewegungen man mit dem Einherschleichen einer Wildkatze hätte vergleichen können, ihnen fast auf dem Fuße nachfolgte. So erreichten sie das Ufer etwa sechzig Ellen weit unterhalb der Fähre. Die Vegetation war dort ein wenig lichter; dagegen hatten große Waldbäume ihre Wurzeln tief in das Erdreich hinabgesenkt, wodurch das unterspülte Ufer den anprallenden Fluten ausgiebigen Widerstand leistete. So durften die beiden Genossen auch unbesorgt bis auf den äußersten Rand vortreten, von wo aus sie einen notdürftigen Blick auf das vereinsamt niederbrennende Wachtfeuer und den matt beleuchteten Prahm gewannen.

»Dies ist die richtige Stelle,« flüsterte Slowfield dem Irländer zu, »ich lernte sie schon vor Jahren kennen, als Landankäufe mich in diese Gegend führten. Die Strömung kommt schräg vom jenseitigen Ufer herüber und prallt hier vor uns an. Sie sehen, der Boden, auf dem wir stehen, ist schroff abgespült, streckenweise sogar unterwaschen. Wer hier einmal im Sturz ist, der findet keinen Halt, bevor er unten eingetroffen ist. Da aber hat er seine fünfzehn Fuß brandendes Wasser über sich, und es müßte ein erstaunlicher Schwimmer sein, der sich wieder herausarbeitete. Was meinen Sie, Wigham? Werden Sie es leisten können? Bedenken Sie, die Unsrigen von einem gefährlichen Feinde befreit zu haben, dürfte Ihnen mit der Zeit einen höheren Lohn eintragen, als Sie ihn heute von mir empfingen. Und eine preisenswerte Handlung bleibt's immerhin – abgesehen von der Kriegszeit, in der jeder Vorteil gilt – Ihren Herrn und dessen Familie von den unwürdigen Beziehungen zu einem Landesverräter zu befreien.«

»Gut genug klingt's,« antwortete Wigham ebenso vorsichtig, »trotzdem bleibt's ein gefährliches Unternehmen. Aber immerhin, versuchen will ich's. Doch wir wollen umkehren; hier schaudert's mich.«

Von jetzt ab wurde kein Wort mehr gewechselt, bis sie die Landstraße erreichten. Dort erteilte Slowfield dem Irländer noch einige Ratschläge, worauf er nach der anderen Seite des Weges hinüberschlich und eine kurze Strecke in das Dickicht eindrang. Wigham blieb in der Einmündung des Pfades stehen, von wo aus er die Landstraße bis beinahe zum Fährhause zu überblicken vermochte.

Beinahe eine Viertelstunde dauerte es indessen noch, bevor Wigham des Kapitäns ansichtig wurde und ihm langsam entgegenging.

Stocton achtete seiner nicht, hatte ihn, versenkt in schmerzliche Grübeleien, wohl kaum bemerkt. Erst als Wigham ihn höflich anredete, blieb er stehen, ihn kurz nach seinem Begehr fragend.

»Ich soll dem Kapitän melden,« antwortete Wigham diensteifrig, »daß die Patrouille bei der Fähre eingezogen worden ist. Das Tau war gerissen und der Prahm eine Strecke abwärts getrieben, bevor man seiner wieder Herr wurde und ihn abermals festlegte. Von der Fähre aus auf dem Ufer zu ihm zu gelangen, hinderts Gesträuch. Auch wär's gefährlich, weil niemand weiß, ob er nicht beim nächsten Schritt mit 'ner Ladung Sand in den Strom hinabgleitet. Da bin ich beauftragt, den Kapitän auf einem näheren Wege durch den Wald zu führen. In zwei Minuten ist's gemacht.«

Stocton, für den keine Ursache zu Mißtrauen vorlag, zumal der Militärmantel den vor ihm Stehenden als einen Untergebenen Melvilles kennzeichnete, forderte Wigham auf, voranzugehen. Sofort bog Wigham in den Pfad ein, dem Kapitän höflich ratend, dicht in seinen Spuren zu folgen.

Kaum verhallte das von ihnen erzeugte Geräusch, da trat Slowfield wieder auf die Straße hinaus. Argwöhnisch um sich spähend, schlich er auf das Fährhaus zu. Bevor er dasselbe erreichte, kreuzte er den Weg, der fast parallel mit dem Flusse von Ortschaft zu Ortschaft führte. In diesen lenkte er ein, um nach wenigen Schritten im Gebüsch eine Stellung einzunehmen, die es ihm ermöglichte, den Schuppen mit den daselbst weilenden beiden Reitern und Wighams Pferd einigermaßen im Auge zu behalten.

Wigham hatte unterdessen mit zuversichtlichen Bewegungen den Weg so weit verfolgt, bis er das Rauschen der brandenden Fluten unterschied. Dort blieb er plötzlich stehen, wie über irgendeine Angelegenheit mit sich zu Rate gehend. Ernste Zweifel schienen ihn zu bestürmen; denn als Stocton ihn mißmutig fragte, ob er den Weg verfehlt habe, antwortete er stotternd und mit eigentümlich heiserer Stimme: »Nein, Kapitän, aber ich höre die Männer nicht. Der Prahm mag noch weiter abwärts getrieben sein, Feuerschein seh' ich wohl noch, aber der Prahm – bei meiner Seligkeit, der ist abwärts getrieben – da ist er – ich kann's nicht recht herausfinden –«

Was der heimtückische Bursche erwartet hatte, geschah, Stocton, bereits ungeduldig, trat neben ihn hin und neigte sich ebenfalls über den Abhang. Dies war der Zeitpunkt, den der feige Mörder zur Erfüllung seines Auftrages gewählt hatte. Wie befürchtend, daß der doppelt belastete Uferrand niederbrechen könne, wich er einen Schritt zurück, und den mit einem langen breiten Messer bewaffneten Arm unter dem Mantelkragen hervorstreckend, holte er zum Stoße aus.

»Mann, Ihr seid entweder blind oder wollt mich blind machen,« fuhr Stocton heftig auf.

In diesem Augenblick senkte sich die Waffe. Gleichzeitig aber rauschte es zu beiden Seiten in dem Gebüsch; es schien, als würfen sich zwei Schatten aus entgegengesetzten Richtungen auf den Irländer, und während eine eiserne Faust den bewaffneten Arm auffing, fühlte er sich auch auf der linken Seite gehalten, und den Hut von seinem Kopfe geschlagen. Wohl versuchte er in jäh erwachter Todesangst, sich zu befreien, doch nur einige Sekunden. Ein mit vollster Kraft geschwungenes Beil zerschmetterte ihm die Schädeldecke und drang tief in das Gehirn ein. Sein letzter Blick erfaßte im vollen Umfange die Unabwendbarkeit seines Todes; das aber erpreßte ihm einen furchtbaren Schrei. Kurz brach er ab unter dem mit verhängnisvoller Sicherheit geführten Hiebe; aber grauenhaft hallte er nach, weithin durch den Wald das Tosen des Sturmes übertönend, weithin nach dem Dardanellfelsen hinüber, der ihn im Echo nicht minder grauenhaft zurücksandte.

Der gräßliche Schrei vibrierte noch in der Atmosphäre, da lag der entseelte Mörder zu Füßen des wie durch ein Wunder geretteten Kapitäns, der, auf dem äußersten Uferrande um das Gleichgewicht kämpfend, von zwei kräftigen Fäusten gepackt und zurückgerissen wurde.

»Still,« raunte Opoth-lei-hoho dem vor Bestürzung Sprachlosen zu, »still, oder es vergeht keine Minute, bis der Wald sich ringsum belebt; dann aber möchten die wenigsten von Kolonel Melvilles Leuten die Sonne aufgehen sehen. Der da,« und nachlässig stieß er mit dem Fuß an den toten Irländer, »machte ohnehin schon mehr Aufhebens von der Sache, als notwendig war.«

»Ihr hier?« fragte Stocton in seinem maßlosen Erstaunen.

»Hier,« bestätigte der Häuptling gleichmütig, »Sie wollten's nicht, daß ich Sie überwachte. Sie trauten den Südlichen, ich nicht. Wohin hätte es geführt, wären wir nicht zur Hand gewesen,« und er wies auf zwei im Schatten stehende Cherokesen, die sich an dem blutigen Werk beteiligt hatten.

»Wer hätte das für möglich gehalten,« versetzte Stocton. Ihn schauderte, indem er sich vergegenwärtigte, von wem der bedachtsam eingeleitete Verrat ausgegangen sein könne. Von Grauen erfüllt, trachtete er, das vor seinem Geiste sich aufbauende Dunkel zu lichten; dann schüttelte er sich, wie eine böse Vision abwehrend, und finster bemerkte er: »Trotz eures Einschreitens wurde ich verwundet.«

»Bis zum letzten Augenblick mußte ich warten,« erklärte Opoth-lei-hoho. »Mit der Wunde kann's nicht viel sein. Ich meine, ich traf ihn, bevor das Messer den Kapitän berührte.«

»Sie hindert mich wenigstens nicht; ich fühle nur Blut über meinen Rücken rieseln. Wem aber hätte es Vorteil gebracht, wenn ich im Strome spurlos verschwand?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Häuptling, »von dem, der hier liegt, ging's nicht aus. Er wurde bezahlt für sein Tun, und er bezahlte es selber mit dem Leben. Vielleicht erfahren wir es,« fügte er hinzu, und sich niederbückend, nahm er das Messer aus der erstarrenden Hand des Irländers, worauf er es Stocton überreichte, »da, nehmen Sie es an sich; es ist nicht das seinige. Jemand gab es ihm. Er selber besaß nur ein Taschenmesser. Vielleicht dient es, wenn Ihnen daran gelegen, den feigen Burschen kennen zu lernen, der ihn zur Tat verleitete,« und wiederum bückte er sich zu dem Toten nieder.

»Was soll das werden?« fragte Stocton entsetzt, sobald er gewahrte, daß der Häuptling sich in seltsamer Weise mit dem Kopfe des Irländers zu schaffen machte.

Opoth-lei-hoho richtete sich nach einer kurzen Pause des Schweigens auf und ließ einen formlosen Gegenstand, über dessen Bedeutung Stocton keinen Augenblick länger in Zweifel war, unter seiner Decke verschwinden.

»Es ist sonst nicht meine Art,« sprach er dabei, »wer aber Verrat übt, lügt auch. Vielleicht gefällt's dem Kapitän eines Tages, die gelben Locken jemand unter die Augen zu halten. Ich glaubte, es läge Ihnen daran, auszukundschaften, welcher von Ihren Verwandten Sie auf die Seite zu schaffen wünschte. Weiber sind oft hinterlistiger, als –«

»Nicht weiter,« fiel Stocton schaudernd ein. »Überlebe ich die nächsten Zeiten, so muß ich meinen hinterlistigen Feind kennen lernen, um den Verdacht nicht auf Unschuldige zu werfen. Bis dahin sollen meine Füße mich nicht mehr dahin tragen, wo unter dem Deckmantel der Ehrenhaftigkeit feigen Mörderhänden freies Spiel gelassen wird. Doch wir wollen gehen. Ich höre die Leute in dem Prahm. Wer weiß, ob der Kolonel, der den Schrei gehört haben muß, seine Mannschaft uns nicht auf den Hals schickt.«

Er säumte, bis die Cherokesen den Toten in den Strom hinabgestoßen hatten, und bemerkte dann: »Laßt sie nach dem Burschen suchen, solange es ihnen gefällt. Die letzten Spuren verwischt der Regen. Finden sie ihn nicht, bleibt's für die bei dem Mordplan Beteiligten eine Drohung immerdar. Sie mögen glauben, daß wir ihn als einen lebendigen Zeugen mitnahmen.«

Auf dem Wege, den Stocton mit dem erschlagenen Irländer gekommen war, führte Opoth-lei-hoho ihn auf die Landstraße zurück, und ohne Zeitverlust begaben sie sich zur Fähre hinunter. Schweigend bestiegen sie den Prahm. Ein obenstehender Cherokese löste das Tau, und langsam setzte sich das fortgesetzt von der Strömung gegen das Ufer gepreßte schwere Fahrzeug in Bewegung. Erst als es die Grenze erreichte, auf welcher die Strömung ihre Richtung änderte, glitt es, von dieser erfaßt, schneller einher und schräg nach dem jenseitigen Ufer hinüber.

Den Todesschrei des Irländers hatten Melville und seine Tochter nicht mehr vernommen. Er war hinter ihnen vom Sturm verweht worden. Schaudernd hörten ihn dagegen die beiden im Schuppen zurückgebliebenen Soldaten. Schaudernd hörte ihn auch Slowfield. Sein Werk wähnte er gelungen, und doch wichen die Knie unter ihm, daß er sich nur noch mit Mühe aufrecht zu halten vermochte. Eine Lähmung schien ihn befallen zu haben. Nachdem das Echo längst verstummt war, vibrierte der gräßliche Ton noch immer in seinen Ohren. An einen Baumstamm gelehnt, verharrte er regungslos, wie in Zweifel, in welcher Richtung er entfliehen könne, um nicht einer rächenden Hand zu begegnen. Da drangen die dumpfen Eulenrufe zu ihm herüber. Deren Ursprung erriet er leicht, und damit erwachte der Selbsterhaltungstrieb. Bei jedem schwereren Windstoß oder dem Knarren zweier sich aufeinander reibender Äste fuhr er entsetzt zusammen, als ob über seinem Haupte bereits die Todeswaffe schwebe.

Als die unheimlichen Signale nicht mehr wiederholt wurden, kehrte seine Besonnenheit einigermaßen zurück. Allmählich beschleunigte er seine Schritte, bis er endlich in einen schnell fördernden Lauf verfiel. Was aus Wigham und den beiden Soldaten wurde, kümmerte ihn wenig.

In dem krankhaften Streben, einen möglichst großen Zwischenraum zwischen sich und die unsichtbaren Feinde zu legen, gehetzt von den furchtbarsten Schreckbildern, schienen seine Sehnen aus Stahl gewebt zu sein. Und doch brach er beinahe ohnmächtig zusammen, als er nach halbstündiger wilder Flucht eine den Weg begrenzende verlassene Farm erreichte. Dort betrachtete er sich als gerettet. Keuchend und mühsam nach Luft ringend, verschwand er zwischen den halb in Trümmern liegenden Baulichkeiten. Etwas später erschien er zu Pferde wieder auf der Landstraße, und mit einem gewissen Sicherheitsbewußtsein setzte er die Flucht in der bisher innegehaltenen Richtung fort. – –

Kolonel Melville hatte durch das Sturmesbrausen hindurch ebenfalls einzelne der ihm näheren Signalrufe vernommen. Doch auf des Häuptlings Versprechen bauend, hegte er keine Besorgnis für die zurückgebliebenen Leute, und der Marsch wurde daher nicht unterbrochen. Um die Mittagszeit erreichte er mit den Seinigen eine Farm, auf der er bis zum folgenden Tage zu rasten beschloß.

Kurz vor Abend erst gesellten die beiden Soldaten mit Wighams Pferd sich wieder zu ihm. Das erste Tageslicht hatten sie dazu benutzt, sorgfältige Nachforschungen nach dem Verschwundenen anzustellen. Auf Spuren von ihm waren sie nicht gestoßen; dagegen hatten sie den Eindruck gewonnen, daß er sich Stocton angeschlossen habe oder von einem der umherstreifenden Cherokesen erschlagen und ausgeplündert worden sei.

Als man dem Kolonel diese Meldung überbrachte, befand Marianne sich in seiner Nähe. Äußerlich ruhig vernahm sie die Kunde. Erst als sie mit ihrem Vater wieder allein war, kehrte sie sich diesem mit den Worten zu: »Stocton würde nimmermehr einen Mord geduldet haben.«

»Ich pflichte dir bei,« versetzte der Kolonel finster, »wäre er Zeuge gewesen, so hätte er ihn sicher nicht geduldet. Das schwächt indessen den Vorwurf nicht ab, daß er im Bunde mit Leuten ist, deren Gewerbe der Mord, nicht den Vorwurf, gemeinschaftlich mit ihnen gegen uns zu Felde zu ziehen.«

Der Hufschlag eines scharf getriebenen Pferdes störte das Gespräch. Beide warfen einen Blick durch das Fenster.

»Slowfield,« sprach Marianne mit unzweideutigem Widerwillen, sobald sie des Reiters ansichtig wurde, »was führt ihn hierher? Wie kommt er überhaupt in diese Gegend?«

Melville antwortete nicht. Auch ihn schien Slowfields Anblick zu befremden.

Ein Dragoner hatte unterdessen das sichtbar erschöpfte Pferd in Empfang genommen. Gleich darauf trat Slowfield bei ihnen ein. Auch er trug im Äußeren die Spuren eines beschwerlichen Rittes auf morastigen Straßen durch Sturm und Regen. Statt des Militärmantels umhüllte ihn ein wasserdichter Rock, der tief über die langen Stiefel niederfiel. Um die Hüften wurde derselbe durch einen Gurt zusammengehalten, an welchem in Laufschlingen ein im Futteral steckender Revolver und eine leere Messerscheibe befestigt waren. Beides hatte er, um beim Reiten weniger gehindert zu sein, auf den Rücken herumgeschoben. Wie in dem rastlos unsteten Blick, verriet sich auch in seiner mißtönenden Stimme heftige Erregung, als er, eintretend und den wasserschweren Hut ziehend, in die Worte ausbrach: »Gott sei Dank, daß ich Sie wohlbehalten wiedersehe. Tag und Nacht bin ich geritten, kaum so viel Rast gönnte ich mir, wie unumgänglich notwendig, das Pferd aufrecht zu erhalten –«

»Was lag dem zugrunde?« fiel Melville erstaunt ein.

»Die dringendste Besorgnis, zu spät zu kommen,« antwortete Slowfield lebhaft, und nach der ersten freundschaftlich ehrerbietigen Verneigung vor der jungen Frau vermied er ängstlich, deren ernstem Blick zu begegnen. »Seitdem ich den Fuß in den Steigbügel stellte, folterte mich eine Angst, welche zu beschreiben ich nicht unternehme. Es hatte sich die Kunde verbreitet, der Cherokose Opoth-lei-hoho habe mit seinem Anhang den Arkansas überschritten und in der Nachbarschaft des Dardanellfelsens sich in den Hinterhalt gelegt. Schreckliche Bilder schwebten mir vor. Im Geiste sah ich Sie und Mrs. Stocton unter den Beilen der wilden Räuber verbluten – freilich, ich hätte mir sagen können, daß Stocton nimmermehr mit den braunen Schurken, wenn sie wirklich einen Überfall –«

»Lassen wir ihn aus dem Spiel,« bemerkte Melville, mit einem bezeichnenden Blick auf seine Tochter, »er ist tot für uns alle, wenn auch nicht körperlich.«

»So trafen Sie ihn?« forschte Slowfield hastig.

»Wir trafen ihn, jedoch nur, um zu erfahren, daß wir ebensogut seine Aufforderung unberücksichtigt hätten lassen können. Die Gerüchte über die Bewegungen der Cherokesen entbehrten übrigens nicht der Begründung. Sie, mein teurer Freund, machten nur zuviel davon; Sie sind eben kein Soldat. Leider kostet die Reise uns einen zuverlässigen Mann, meinen Diener Wigham –«

»Wigham?« rief Slowfield mit übermäßigem Erstaunen aus, um die Bestürzung zu verheimlichen, die sich bei dieser Nachricht seiner bemächtigte; »Wigham? Wie kommt er dazu? Es ist sonst nicht seine Art, sich weit aus der Umgebung seines Herrn zu entfernen.«

»Und doch vermissen wir ihn seit unserem Aufbruch. Die Cherokesen haben ihn entweder erschlagen, oder er benutzte die Gelegenheit, zu desertieren. Schade um jeden brauchbaren Mann, den wir aus unseren Reihen verlieren. Legen Sie ab. Hier im Hause wird sich wohl ein Plätzchen für Sie finden.«

Slowfield warf den Hut auf den nächsten Stuhl und öffnete seinen Gurt; indem derselbe zur Seite sank, wurde Melville der leeren Scheide ansichtig.

»Sie verloren Ihr Messer,« bemerkte er wie beiläufig.

Slowfields Antlitz rötete sich, um alsbald wieder tödlich zu erbleichen.

»In der Tat,« versetzte er nach kurzem Sinnen, während er die Scheide von dem Gurt löste. »Es ist aber kein Wunder; ritt ich doch auf Leben und Tod.«

Nach dieser flüchtigen Unterhaltung knüpfte Melville ein neues Gespräch an, indem er Slowfield nach den Ereignissen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen befragte.

Dieser war einsilbiger geworden. Seine Antworten lauteten sogar oft verwirrt; trotzdem benutzte er jede Gelegenheit, bei welcher er glaubte, es unbemerkt tun zu können, die ernste Gestalt der schönen jungen Frau mit heißen und doch scheuen Blicken zu betrachten.

So brach allmählich die Nacht herein, und das einfache Mahl war kaum beendigt, als Marianne sich in die ihr eingeräumte Kammer zurückzog.

Durch ein Leben des Überflusses, sogar des Reichtums verwöhnt, schien sie jetzt empfindungslos gegen Beschwerden und Entbehrungen geworden zu sein. Lange lag sie schlaflos auf ihrem harten Lager in der einsamen Kammer der Farm. Weit fort schweiften ihre Gedanken, hin zu ihren Kindern, die fortan nur auf die Mutter allein angewiesen sein sollten. Dann aber durchströmte sie wieder gehässige Befriedigung. Sie schwelgte gewissermaßen in dem Schmerz um ein entschwundenes häusliches Glück. Ob sie desjenigen gedachte, der bisher ihr alles gewesen, ob auch nur eine der Tränen, die hin und wieder ihr Kopfkissen netzten, ihm galt – wer hätte das zu erraten vermocht!

Und wie sie, sehnte auch Stocton vergeblich den Schlaf und damit einige Stunden des Vergessens herbei. Weitab auf schwer zugänglicher Stätte inmitten einer waldigen Sumpfniederung lag er im Zelt seines Freundes Opoth-lei-hoho, den Sattel als Unterlage für den Kopf. Die Wunde, die der Cherokese mit kundiger Hand verbunden hatte, verursachte ihm kaum noch Unbequemlichkeit; aber fortgesetzt mahnte sie ihn an den Verrat, der gegen ihn geplant gewesen und dessen Folgen er nur mit genauer Not entrann.


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