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Vierundfünfzigstes Kapitel

Das Klima in den wärmsten Gegenden bringt die grausamsten Fallen mit sich. Der Tiger von Bengalen hockt in den von Gewürzen duftenden Wäldern, wo es ewig grün bleibt. Die Himmel mit dem herrlichsten Glanz bergen die todbringendsten Gewitterstürme. Auf dem prächtigen Kuba kennt man Tornados, wie sie niemals über die harmlosen Länder des Nordens dahingebraust sind. So erlebt auch in den leuchtenden japanischen Meeren der Matrose den furchtbarsten aller Stürme, den Taifun. Manchmal stürzt er aus dem wolkenlosen Himmel herab wie eine Bombe auf eine träumende Stadt im tiefsten Frieden.

Als es auf den Abend zuging, wurde alles Segeltuch auf dem »Pequod« zerrissen, und mit nacktem Schiffsgestänge mußte er mit einem Taifun kämpfen, der ihn von oben her direkt überfallen hatte. Als die Dunkelheit hereinbrach, wurden Himmel und Meer unter furchtbarem Gebrüll vom Donner gespalten; und bei dem leuchtenden Blitz konnte man die verstümmelten Maste und die Lumpen erkennen, die der Sturm nach seinem ersten Wutanfall übriggelassen hatte, um seinen Spott damit zu treiben.

Starbuck hielt sich an einer Wante und stand auf dem Quarterdeck. Bei jedem Blitzstrahl sah er nach oben, ob das Takelwerk auch ein Mißgeschick ereilt hätte. Indessen erteilten Stubb und Flask den Leuten Befehle, als sie die Boote höherzogen und fester an den Sorrtauen befestigten. Aber all ihre Mühe schien vergeblich zu sein. Obwohl es bis oben an die Schiffskräne hochgezogen war, ging das Boot Ahabs an der Windseite des Achterdecks nicht über Bord. Da kam eine schwere See, stürmte gegen die Reling des Schiffes, durchschlug den Boden des Bootes am Heck, so daß es von Wasser triefte wie ein Sieb.

»Hier,« rief Starbuck, faßte Stubb an der Schulter und wies mit der Hand auf die Wetterrichtung, »erkennst du nicht den Sturm da, der vom Osten kommt, wohin Ahab wegen Moby-Dick den Kurs nimmt. Denselben Kurs hat er bis heute mittag genommen. Sieh dir jetzt sein Boot an! Wo hat es eingeschlagen? In den Heck-Schooten, Mann, wo er gewöhnlich steht. An seinem Stand hat es eingeschlagen! Nun weißt du, was du zu tun hast. Spring über Bord und versinke!«

»Ich verstehe Sie nicht, was ist denn mit dem Winde los?«

»Ja, der kürzeste Weg nach Nantucket geht um das Kap der guten Hoffnung«, sagte Starbuck plötzlich wie in einem Monolog und beachtete die Frage Stubbs nicht. »Der Sturm, der nun an uns herumhämmert, um uns das Schiff einzuschlagen, kann von uns in einen günstigen Wind verwandelt werden, der uns nach der Heimat treibt. Sieh da, windwärts ist nichts als düstere Verdammnis. Aber leewärts, in der Richtung der Heimat, sehe ich es aufleuchten, aber das ist nicht das Leuchten des Blitzes!«

Im selben Augenblick hörte man, als die Blitze die tiefe Dunkelheit unterbrachen, an seiner Seite eine Stimme. Und fast im gleichen Augenblick rollte der Donner wie eine Salve über ihren Köpfen hin.

»Wer ist da?«

»Schock und Schwerenot!« sagte Ahab, der sich tastend an dem Schiffsgeländer entlang nach seinem gewöhnlichen Standort einen Weg suchte. Aber plötzlich fand er sich zurecht, als vorspringende Feuerlanzen von Blitzen ihn alles deutlich erkennen ließen.

Wie der an einem Kirchturm angebrachte Blitzableiter zu Lande das gefährliche Fluidum in den Boden fortleiten soll, so ist der Leiter, den einige Schiffe auf der See an jedem Mast tragen, dazu bestimmt, es in das Wasser zu leiten. Aber dieser Leiter muß bis in eine ziemliche Tiefe reichen, und das Ende desselben darf mit dem Schiffskörper nicht in Berührung kommen. Wenn er dort dauernd befestigt wäre, würden viele Mißhelligkeiten eintreten. So könnte er mit Teilen des Takelwerkes in Berührung kommen und in höherem oder geringerem Grade dem Schiff auf seinem Wege hinderlich sein. Daher hängen die unteren Teile der Blitzableiter eines Schiffes nicht immer über Bord. Sie haben im allgemeinen die Form von langen, dünnen Kettengliedern, damit sie um so leichter in die Ketten an der Außenseite aufgeholt werden können und man sie in die See werfen kann, wenn es die Umstände erfordern.

»Die Blitzableiter, die Blitzableiter!« rief Starbuck der Mannschaft zu, da er plötzlich durch den mächtigen Blitzstrahl zur Wachsamkeit ermahnt wurde, der gerade Flammenbündel ausgestrahlt hatte, um Ahab nach seinem Posten zu leuchten. »Sind sie über Bord? Werft sie vorn und hinten aus! Aber schnell!«

»Laß das!« rief Ahab. »Wir wollen fair sein, wenn wir auch die Schwächeren sind. Ich will mitmachen, wenn es sich darum handelt, Blitzableiter auf dem Himalaja und den Anden anzubringen, auf daß die ganze Welt etwas davon hat, aber wir wollen nichts besonderes für uns haben! Laßt das!«

»Sieh nach oben!« rief Starbuck. »Das Elmsfeuer! das Elmsfeuer!«

Alle Rahenenden hatten an der Spitze ein bleiches Feuer. Die Blitzableiter gingen in drei Spitzen aus und zeigten drei weiße Flammen, und jeder der drei großen Mäste brannte in der phosphoreszierenden Luft in aller Stille wie drei riesige Wachskerzen vor einem Altar.

»Das verdammte Boot! Laßt es zum Teufel fahren!« rief Stubb in diesem Augenblick, als eine Sturzwelle hochkam und das eigene kleine Fahrzeug berührte, wobei das Dollbord desselben ihm gehörig die Hand quetschte, als er an einem Zurring vorbeiging. »Verdammt noch mal!« Als er aber rückwärts an Deck schlich, erblickte er oben die Flammen, und sofort änderte er den Ton und schrie: »Mag sich das Elmsfeuer unser erbarmen!«

Bei Matrosen sind Flüche etwas Gewöhnliches. Sie fluchen, wenn sie vor lauter Windstille irrsinnig werden und auch dann, wenn sie der Gewalt des Sturmes ausgeliefert sind. Aber auf allen meinen Reisen habe ich selten erlebt, daß jemand geflucht hätte, wenn der brennende Finger Gottes auf das Schiff gelegt und sein »Mene, Mene, Tekel Upharsin« in die Wanten und Taue des Schiffes hineingewebt war.

Als dies bleiche Feuer hoch oben brannte, hörte man von der besessenen Mannschaft kaum ein Wort. Sie standen in einem dichten Haufen auf dem Vorderdeck und stierten in das bleiche, phosphoreszierende Licht wie nach einem Sternbild in der Ferne. In dem geisterhaften Licht ragte der riesige Neger Daggoo mit seiner pechschwarzen Farbe in seiner dreifachen Größe hervor. Er schien die schwarze Wolke zu sein, aus der der Donner herabgekommen war. Der geöffnete Mund Tashtegos machte die haiweißen Zähne frei, die seltsam glänzten, als ob sie Elmsfeuer ausstrahlten. Und von dem übernatürlichen Licht angezündet, brannten die Tätowierungen Queequegs wie blaue Flammen des Satans auf seinem Körper.

Als das bleiche Licht oben ausging, schwand auch dies Gemälde ganz und gar. Und so war denn der »Pequod« und jede Seele auf dem Deck in ein Leichentuch eingehüllt. Als einige Augenblicke vergangen waren, rannte Starbuck auf seinem Wege gegen jemand. Es war Stubb. »Wie kommst du dir nun vor, Mann? Ich hörte dich schreien. Das klang nicht so wie in deinem Liede!«

»Nein, nein! So war das nicht. Ich sagte, das Elmsfeuer möchte mit uns Erbarmen haben. Und ich hoffe, daß es das tun wird. Aber hat es nur Erbarmen mit Leuten, die vor Angst lange Gesichter machen? Hat es keinen Sinn für ein richtiges Lachen? Aber sehen Sie her, Mister Starbuck; es ist zum Hersehen zu dunkel. Hören Sie mich denn! Die Flamme oben am Mast nehme ich für ein gutes Zeichen, das uns Glück bringt; denn die Maste stecken in einem Schiffsboden, der mit seinem Walratöl eine Art Staukeil werden kann. Und so wird denn das ganze Pottwalöl in den Masten aufsteigen wie der Saft in einem Baum. Unsere drei Maste werden wie drei Kerzen aus Walfischöl werden, und so haben wir denn ein gutes Vorzeichen gesehen.«

In demselben Augenblick erblickte Starbuck das Gesicht von Stubb, das anfing zu leuchten. Und als er nach oben sah, rief er: »Sieh da! Sieh da!!«

Und noch einmal erkannte man die spitz zulaufenden Flammen in der Höhe, und die bleiche Farbe schien doppelt übernatürlich zu sein.

»Mag das Elmsfeuer mit uns allen Erbarmen haben!« rief Stubb wieder.

Unten am Hauptmast, gerade unter der Dublone und der Flamme kniete der Parse an der Vorderseite von Ahab. Aber das gebeugte Haupt war von ihm abgewandt. In der Nähe hatten verschiedene Matrosen eine Spiere festmachen wollen und hingen nun, von dem Lichtschein beunruhigt, wie Pendel nebeneinander, wie ein Haufen betäubter Wespen an einem herabhängenden Baumzweig. Andere waren in verschiedenen Zauberstellungen wie an Deck festgewurzelt, mal stehend, mal schreitend, mal laufend, wie die Menschenskelette in Herkulanum. Aber alle hatten die Augen nach oben gerichtet.

»Leute,« rief Ahab, »seht hinauf und merkt es euch wohl! Die weiße Flamme leuchtet uns den Weg nach dem weißen Wal. Reicht mir die Kettenglieder für den Hauptmast! Ich möchte gern diesen Puls fühlen und meinen dagegen schlagen lassen; Blut gegen Feuer!«

Als er sich umdrehte, hielt er das letzte Kettenglied in der linken Hand und setzte den Fuß auf den Parsen.

Mit starren, nach oben gerichteten Augen und mit dem emporgeworfenen rechten Arm stand er aufrecht da vor der Dreieinigkeit der drei Flammenspitzen.

»Du klarer Geist des reinen Feuers, den ich wie ein persischer Feueranbeter einstmals auf diesen Meeren verehrt habe, bis ich von dir in dem feierlichen Akt das Mal eingebrannt bekam, das ich bis zur Stunde trage, ich erkenne dich nun, und ich weiß, daß die richtige Verehrung der Trotz ist! Der Liebe und der Ehrfurcht bist du nicht zugänglich. Und wenn man dir Haß entgegenbringt, so kannst du nur töten, und alle werden getötet. Der dir jetzt Trotz bietet, ist kein Narr, der die Furcht nicht kennt.

Ich besitze deine Macht, die ohne Worte ist und keinen Ort kennt. Ich habe sie mir nicht entwinden lassen und gebe auch die Kettenglieder in meiner Hand nicht frei. Du kannst mich blenden, aber dann finde ich tastend meinen Weg. Du kannst mich verzehren, aber dann kann ich doch wenigstens zu Asche werden. Nimm die Verehrung meiner armseligen Augen und geschlossenen Hände entgegen. Ich würde sie nicht annehmen!

Der Blitz saust mir durch den Schädel. Die Augen schmerzen mich. Das besiegte Hirn kommt mir wie gerädert vor und treibt auf betäubendem Grunde. Wenn ich auch hundertmal geblendet bin, so will ich doch zu dir reden. Aber ich bin Finsternis, die vom Licht herkommt, und das Licht kommt von dir! Die Pfeile des Blitzes lassen nach. Die Augen auf! Sehe ich oder sehe ich nicht? Dort brennen die Flammen! Du Wesen voll Großmut und Hochherzigkeit! Nun erhöhe ich den Ruhm meines Geschlechts! Aber du mit dem Feuergeist bist mein Vater oder meine sanfte Mutter. Ich weiß nicht, welches von beiden! Das ist mein Geheimnis; aber das deinige ist größer.

Du weißt nicht, wie du entstanden bist, daher nennst du dich ungezeugt. Du weißt gewiß nicht, wann dein Anfang war. Daher nennst du dich ohne Anfang.

Was du nicht von dir weißt, das weiß ich von mir, Allmächtiger! Hinter dir, klarer Geist, liegt etwas, das nicht auszuschöpfen ist, und im Vergleich dazu ist alle deine Ewigkeit nur Zeit und deine Schöpfungskraft nichts als Mechanik.

Durch dich, durch dein flammendes Selbst, erkennen meine versengten Augen undeutlich diese Macht.

Auch du, Feuer, das wie der Findling seine Herkunft nicht kennt, du Einsiedler außer allem Zusammenhang mit der Zeit, hast dein Rätsel, das niemand mitgeteilt werden kann, und dein Leid, das du allein tragen mußt!

Hier lese ich mit Stolz und Angst in dem Schicksalsbuch meines Allvaters. Spring' gegen den Himmel und schlag' ihn! Ich will dir nachspringen und mit dir brennen! Ich möchte zu einem Wesen mit dir zusammengeschweißt werden. Voller Trotz verehre ich dich!«

»Das Boot, das Boot!« rief Starbuck. »Siehe dir dein Boot an, Alter!«

Die Harpune Ahabs, die er am Feuer von Perth geschmiedet hatte, blieb an den bekannten Haken festhängen, so daß sie über dem Bug des Walfischbootes hinausragte. Aber die See, die den Boden desselben eingeschlagen hatte, hatte auch den losen Lederüberzug beseitigt. Aus der scharfen Stahlspitze der Harpune kam nun eine wagerechte, bleiche Feuerflamme von der Form einer Gabel. Als die Harpune wie die Zunge einer Schlange brannte, faßte Starbuck Ahab an den Arm und sagte: »Gott ist gegen dich. Gib es auf! Es ist eine üble Reise, schlecht angefangen und schlecht fortgesetzt! Laß mich die Rahen vierkant brassen, wenn es geht, und laß uns versuchen, einen günstigen Wind für die Heimreise zu bekommen. Wir wollen dann eine bessere Reise unternehmen, als die, auf der wir jetzt sind.«

Die von einer wilden Panik befallene Mannschaft hörte nicht auf Starbuck und stürzte sich an die Brassen, obwohl nicht ein Segel oben übriggeblieben war. Einen Augenblick schien es, als ob die Gedanken des erschrockenen Maaten auch die ihrigen wären. Sie stießen einen Ruf aus, der beinahe wie Meuterei klang. Aber Ahab schleuderte die klirrenden Kettenglieder und Blitzableiter auf das Deck, packte die brennende Harpune und schwenkte sie wie eine Fackel unter ihnen. Und schwor, daß er den ersten Matrosen damit durchbohren würde, der nicht das Tauende losließe. Vor diesem Anblick wie zu Stein erstarrt, und von dem Feuergeschoß, das er in der Hand hielt, zurückschaudernd, fielen die Leute wieder in Entsetzen, und Ahab sagte ihnen wieder: »Was ihr geschworen habt, daß ihr den weißen Wal jagen wolltet, ist ebenso bindend, wie das, was ich gesagt habe. Der alte Ahab ist mit Herz, Seele und Körper, mit seiner Lunge und seinem Leben dazu verpflichtet. Und damit ihr erkennt, wie es mit meinem Mute bestellt ist, so seht her! So blase ich den letzten Rest von Furcht aus.« Und mit einem einzigen Stoß seines Atems löschte er die Flamme aus.


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